Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 21.06.2011

Untertitel: "Dem Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Gedenken an seine Opfer kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeiten. Dies ist das Axiom unserer Gedenkstättenpolitik.", so Staatsminister Bernd Neumann in seiner Rede in der Berliner Philharmonie.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-21-neumann-70-jahrestag-ueberfall,layoutVariant=Druckansicht.html


heute erinnern wir an den 22. Juni 1941, morgen vor 70 Jahren, an dem das nationalsozialistische Deutschland einen mörderischen Angriff auf die Sowjetunion und ihre Bürger begann. Von Anfang an war dieser militärische Einfall als ideologischer Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg konzipiert. Die deutsche Staats- und Wehrmachtsführung nutzte den Krieg, um den Holocaust an den europäischen Juden in Gang zu setzen. Kein Krieg in der Geschichte der Menschheit forderte mehr Opfer. Große Teile der sowjetischen Bevölkerung wurden vertrieben und versklavt, über 27 Millionen Sowjetbürger fanden den Tod.

Es ist ein furchtbares Verbrechen, das im deutschen Namen an den Völkern der Sowjetunion verübt wurde und das uns Deutsche auch noch 70 Jahre danach mit Scham erfüllt. Der "Große Vaterländische Krieg" ist fest in der Erinnerung der Menschen und dem Gedenken der Nationen der ehemaligen Sowjetunion verwurzelt. Trotz all der erlittenen Schrecken und unmenschlichen Gräueltaten haben sie jedoch schon früh die Hand zur Vergebung und Versöhnung ausgestreckt. Das erfüllt mich mit großer Hochachtung und bewegt mich zutiefst.

Heute Abend sind viele Zeitzeugen hierher gekommen. Sie haben die lange Anreise aus Ihren Heimatländern auf sich genommen, um an dieser Gedenkfeier teilzunehmen.

Ich begrüße Sie und Ihre Familien von ganzem Herzen und danke Ihnen mit großem Respekt für dieses Zeichen der Versöhnung!

Meine Damen und Herren,

es ist an uns allen, die Erinnerung an die Verbrechen dieses Vernichtungskrieges weiter zu tragen. Das Ringen um und mit der Vergangenheit ist ein langer und oft mühsamer Prozess, aber ich habe die Zuversicht, dass unsere Gesellschaft an diesem Prozess gewachsen und gereift ist.

Dem Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Gedenken an seine Opfer kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeiten. Dies ist das Axiom unserer Gedenkstättenpolitik.

Mein Haus unterstützt zahlreiche Erinnerungs- und Dokumentationsstätten an authentischen Orten wie die Topographie des Terrors, das Haus der Wannsee-Konferenz oder die acht großen KZ-Gedenkstätten in Deutschland. Diese Erinnerungsstätten bewahren nicht nur das würdige Gedenken an die Opfer, sondern ermöglichen es auch künftigen Generationen, sich ein Bild von der Vergangenheit zu machen.

Die beiden Ehrenmale in Berlin-Treptow und Tiergarten sind Denkmale und sowjetische Kriegsgräberstätten zugleich. Sie erinnern an die vielen Millionen Soldaten der Sowjetunion, die ihr Leben im Krieg verloren haben. Mein Haus fördert derzeit ihre Grundsanierung. Die Schicksale der 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen 3,3 Mio. starben, dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Ein Projekt zur Erforschung der Schicksale dieser Kriegsgefangenen wird durch mein Haus gefördert. Durch dieses Projekt kann vielen Opfern ihr Name wiedergegeben werden.

Eine besonders erfolgreiche Einrichtung der Aufarbeitung und der Verständigung ist das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst, das vom Bund gefördert wird. Am historischen Ort der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 erinnern die ehemaligen Kriegsgegner seit 1995 gemeinsam an den Vernichtungskrieg und an seine militärischen wie zivilen Opfer.

Es ist ein positives Zeichen für einen vertrauensvollen und konstruktiven Dialog, dass im Trägerverein des Museums Fachleute aus der Russische Föderation, der Republik Belarus, der Ukraine und der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam an der grundlegenden Neupräsentation der Dauerausstellung arbeiten, die im kommenden Jahr eröffnet wird.

Ich danke der Russischen Föderation zudem ausdrücklich dafür, dass sie sich auch finanziell bei diesem wichtigen Projekt engagiert!

Auch das umfangreiche Veranstaltungsprogramm, das in den kommenden Monaten an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnert, ist ein Resultat internationaler Kooperation. Die vom Deutsch-Russischen Museum Karlshorst konzipierte Wanderausstellung "22. Juni 1941. Der tiefe Schnitt" ist schon seit dem 16. Juni in Petersburg und Berlin zu sehen. Weitere internationale Stationen werden folgen.

Meine Damen und Herren,

es ist vor allem die gemeinsame Aufarbeitung und Erinnerung, durch die Gräben überwunden werden und freundschaftliche Beziehungen entstehen.

Wir Deutschen dürfen zudem nie vergessen, dass wir die Überwindung der Teilung unseres Landes die selbst Resultat der Verbrechen des 2. Weltkrieges war dem Mut und der Weitsicht zweier Staatsmänner verdanken, die in Freundschaft aufeinander zu gegangen sind. Präsident Michael Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl hatten die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen, die die Trennung Europas in zwei feindliche Lager beendeten.

Wenn wir heute hier in der Berliner Philharmonie der Opfer des Vernichtungskrieges mit Dimitri Schostakowitschs 7. Sinfonie erinnern, so mischt sich in die Trauer auch große Dankbarkeit über die historische Chance, die uns die mittlerweile entgegengebrachte Freundschaft aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eröffnet hat. Wir greifen sie dankbar auf!

Ich freue mich, dass mit dem RIAS Jugendorchester unter Leitung von Felix Krieger junge Menschen die Leningrader Sinfonie spielen werden. Denn an die Jugend geben wir schließlich die Erinnerung an die unbeschreiblichen Verbrechen und zugleich einen Auftrag für die Zukunft weiter: Frieden, Freiheit und Toleranz sind nicht selbstverständlich, sondern müssen immer wieder neu mit Leben erfüllt und verteidigt werden.