Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 28. Februar 2012
Untertitel: In seiner Rede ging Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf die Entwicklung der Filmförderung ein. Auch sprach er die Themen Filmerbe und Digitalisierung, Kurz- und Experimentalfilm und soziale Absicherung von Künstlern an.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2012/02/2012-02-28-neumann-ob-manifest.html
In seiner Rede ging Kulturstaatsminister Bernd Neumann auf die Entwicklung der Filmförderung ein. Auch sprach er die Themen Filmerbe und Digitalisierung, Kurz- und Experimentalfilm und soziale Absicherung von Künstlern an.
Anrede,
ich finde es sehr großzügig, dass Sie, lieber Herr Wehling, als Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen, der Isarmetropole den Festakt für ein halbes Jahrhundert Oberhausener Manifest überlassen. Aber das macht Sinn: Im Hinterzimmer eines Münchner Chinarestaurants soll das Manifest entstanden sein. Legende oder nicht: In München begann der Junge Deutsche Film.
Ich bin hierher gekommen, um mit Ihnen die "Magna Charta des Neuen Deutschen Films" zu feiern, wie ich das Oberhausener Manifest einmal nennen will.
Wohl kaum etwas hat so nachhaltig und bis heute wirksam den deutschen Film der Nachkriegszeit geprägt wie dieses knappe, nur eine Seite umfassende Dokument. Ich freue mich besonders, dass heute so viele der Unterzeichner des Oberhausener Manifests anwesend sind. Ich nenne Christian Doermer, Alexander Kluge, Dieter Lemmel, Ronald Martini, Hansjürgen Pohland, Edgar Reitz und Wolfgang Urchs!
Ulrich Gregor schrieb gestern im Tagesspiegel über die Veröffentlichung des Oberhausener Manifest ich zitiere: "Es war eine Detonation zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. In der deutschen Filmszene, die von Stagnation gezeichnet war, hatte sie die Wirkung eines mittleren Erdbebens. Vor 50 Jahren ereignete sich eine Zeitenwende im deutschen Film".
Meine Damen und Herren,
mit dem Schlachtruf "Papas Kino ist tot!" probten junge Filmemacher den Aufstand gegen das überwiegend seichte und provinzielle deutsche Kino der 50er Jahre, das in dieser Zeit nicht einmal mehr kommerziell erfolgreich war und den künstlerischen Anschluss an das europäische Filmschaffen längst verloren hatte.
Der damalige CDU-Bundesinnenminister Gerhard Schröder kritisierte 1958 bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises der eigentlich eingeführt worden war, um die Qualität der Filme zu heben die "Misere des deutschen Filmschaffens" und befand: "Unsere Hoffnungen wurden leider enttäuscht".
Es gab keine Filmförderung, keine Kinematheken, keine filmkulturelle Infrastruktur, keine Filmhochschulen heute fast unvorstellbar! In diesem Klima erhoben 26 junge Filmemacher während der 8. Kurzfilmtage 1962 in Oberhausen den Anspruch, nicht weniger als den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen.
Sie forderten Freiheit ich zitiere: "Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen". Wenn wir die heutige Filmlandschaft in Deutschland daran messen, kann man nur sagen: Mission erfüllt.
Die Unterzeichner von damals wie Alexander Kluge, Peter Schamoni, Edgar Reitz oder der bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen mit der Berlinale Kamera ausgezeichnete Haro Senft hatten sich dann die von ihnen geforderten Freiheiten genommen.
Es waren diese Revolutionäre, die eine Kinotradition begründeten, die schließlich dem deutschen Film insgesamt wieder zu einem guten Namen verhalf. Ohne das Oberhausener Manifest gäbe es wohl kaum die großartigen Filme von Rainer Werner Fassbinder, Margarete von Trotta, Volker Schlöndorff, Werner Herzog oder Wim Wenders. Und ich wage zu behaupten: Auch nicht die von Christian Petzold, Ulrich Köhler oder Maren Ade, um nur einige zu nennen.
Viele Filme der Unterzeichner des Oberhausener Manifests haben Geschichte geschrieben und sind ein wichtiger Teil unseres Filmerbes, das die Bundesregierung auch durch Digitalisierung erhalten und auf Dauer zugänglich machen will. 240.000 Euro stellt der Bund über seine Kulturstiftung für das Jubiläum zur Verfügung. Damit werden, unter anderem, 40 Filme der Oberhausener Gruppe restauriert und konservatorisch gesichert drei von ihnen werden sie heute Abend noch sehen können. Wir bekennen uns zu dieser Filmtradition, die ein Grundstein auch des Filmschaffens heute ist!
Ich bin allerdings nicht für Musealisierung, sondern möchte an dieser Stelle deutlich dafür eintreten, dass dieses Filmschaffen wie der ganze Sektor anspruchsvoller Filme überhaupt sichtbar bleiben muss. Ich denke hier vor allem an die Fernsehanstalten, die eine ungute Tendenz verfolgen, anspruchsvolle Filme sowie auch Dokumentationen ins Nachtprogramm oder gleich in Spartenkanale zu verbannen wenn sie überhaupt noch vorkommen. Ich appelliere an das Verantwortungsgefühl insbesondere der öffentlich-rechtlichen Sender, mehr qualitätvolle Kinofilme zu guten Sendezeiten auszustrahlen!
Meine Damen und Herren,
was heute am meisten erstaunt am Text des Oberhausener Manifests ist die folgende Passage: "Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen".
Nun, ganz so rein privatwirtschaftlich wie dieser Satz anmuten könnte, hat sich diese "wirtschaftliche Verantwortung" nicht entwickelt. Im Gegenteil. Die Risiken werden heute über eine umfangreiche Filmförderung zum großen Teil vom Staat übernommen. Aber auch das geht auf die Oberhausener Bewegung zurück. Und das ist gut so und ohne Alternative!
Die jungen Filmemacher setzten sich für die Schaffung einer Filmkulturförderung ein, die 1965 in die Gründung des Kuratoriums junger deutscher Film mündete, die die Bundesregierung dann finanziell unterstützte. Diese Förderung ermöglichte erst den Aufbruch des künstlerischen Films in der Bundesrepublik Deutschland.
Im gewissen Sinn steht also auch die heutige kulturelle Filmförderung des Bundes in der Tradition des Oberhausener Manifests. Und deshalb widerspreche ich entschieden einer Aussage in einem Artikel der heutigen Frankfurter Rundschau "mit Bernd Neumann spräche hier ein Repräsentant einer anderen Förderkultur das Grußwort". Ich habe dafür gesorgt, dass die kulturelle Filmförderung des Bundes höher ist als jemals zuvor.
Davon hätten die Oberhausener damals nur träumen können. Hinzu kommt der hochdotierte DFFF, der dem deutschen Film mit zur Blüte verholfen hat, und das Ziel des Oberhausener Manifestes, die Unabhängigkeit der Filmemacher von sachwidrigen Einflüssen sicherzustellen, verwirklicht.
Ein Teil der mittlerweile sehr ausdifferenzierten Filmförderungslandschaft in Deutschland ist die Kurzfilmförderung. Es ist ja kein Zufall, dass das Manifest den Namen des bedeutendsten deutschen Kurzfilmfestivals trägt.
Der Kurzfilm ist seit jeher ein experimentelles Medium; neue Inhalte, Stile und Erzählweisen werden darin erprobt und finden anschließend nicht selten Eingang in das gesamte Filmschaffen. Der Kurzfilm stellt darum einen besonderen Schwerpunkt der kulturellen Filmförderung des Bundes dar.
Seit vielen Jahren fördert der Bund die Oberhausener Kurzfilmtage, auch weil von hier immer wieder wichtige Impulse für den deutschen Film kommen bis heute!
Wir fördern das Abspiel von Kurzfilmen als Vorfilm im Kino und vergeben darüber hinaus jedes Jahr den Deutschen Kurzfilmpreis an einer deutschen Filmhochschule, die wichtigste und am höchsten dotierte Auszeichnung für dieses Genre in Deutschland.
Im Herbst werden wir hier in der HFF München zu Gast sein! Ab diesem Jahr vergeben wir eine selbständige Auszeichnung in der Kategorie "Experimentalfilm", um das innovative Potenzial des Kurzfilms noch mehr auszuloten! Ich denke, dass diese Entscheidung ganz im Sinne von Oberhausen ist!
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich zum Abschluss ein ernstes Thema ansprechen, das mit besonders am Herzen liegt. Leider muss man die soziale Lage vieler Filmschaffender im Erwerbsleben und auch im Alter als prekär bezeichnen. Schauen wir die Liste der 26 Unterzeichner von 1962 an, so sehen wir, dass nur die wenigsten von Ihnen wirklich Geld mit ihren Filmen verdienen konnten.
Ich habe deshalb die Stabilisierung der Künstlersozialkasse vorangetrieben eine der bedeutenden Errungenschaften für die Absicherung von Kulturschaffenden. Auch beim Arbeitslosengeld I nehmen wir schrittweise Verbesserungen vor, damit die besondere Berufssituation der Filmschaffenden angemessen Berücksichtigung findet. Trotz aller Erfolge in der Filmförderung liegt gerade in der sozialen Absicherung noch manches im Argen, das ist mir bewusst aber wir wollen auch hier noch mehr Fortschritte erzielen!
Meine Damen und Herren,
im neuen Buch von Alexander Kluge kann man nachlesen, was die 26 Rebellen von Oberhausen wirklich wollten ich zitiere: "Rückwendungen zu den Traditionen der zwanziger Jahre, zu den Anfängen der Filmgeschichte."
100 Jahre Babelsberg und 50 Jahre Oberhausener Manifest die wir beide dieses Jahr feiern stehen also in einem direkten Zusammenhang: Es sind Wegmarken des immer wieder erneuerungsfähigen, immer wieder faszinierenden deutschen Films, für den ich mich gerne und mit ganzer Kraft einsetze!