Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 20. April 2012

Untertitel: In seiner Rede betonte Staatsminister Bernd Neumann, dass dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen und seiner Aufarbeitung in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zukommt - jetzt und für alle Zeit.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2012/04/2012-04-20-neumann-sachsenhausen.html


In seiner Rede betonte Staatsminister Bernd Neumann, dass dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen und seiner Aufarbeitung in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zukommt - jetzt und für alle Zeit.

Anrede,

stellvertretend für die Zeitzeugen und Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen, die heute hier anwesend sind, möchte ich Ihnen, lieber Herr Bordage als Präsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees dafür danken, dass Sie die lange Anreise auf sich genommen haben. Es ist für uns eine große Ehre, und es bewegt mich sehr, dass so viele Überlebende des KZs Sachsenhausen aus Deutschland und vielen anderen Ländern Europas sowie Israel unserer Einladung gefolgt sind und an der heutigen Veranstaltung teilnehmen. Ich danke Ihnen sehr und begrüße Sie alle herzlich

Meine Damen und Herren,

der Überlebende Erich Kohlhagen, dessen Erinnerungen kürzlich von der Gedenkstätte veröffentlicht wurden, schildert seine Ankunft im Konzentrationslager im Jahre 1938 wie folgt: "Der erste Anblick, der sich mir bot, war ein großer freier Platz, der von drei riesigen Scheinwerfern beleuchtet wurde. Links und rechts vom Tor hinter dem wir Leben und Freiheit gelassen hatten die dunklen Menschenkolonnen, die von Zeit zu Zeit im Sprechchor etwas aufsagten, und über uns das drohende Maschinengewehr". In diesen Worten wird das vollständige und schutzlose Ausgeliefertsein der Gefangenen, werden Willkür und Gewalt beklemmend greifbar.

Die Nationalsozialisten hatten in Sachsenhausen ganz bewusst eine "Geometrie des totalen Terrors" verwirklicht. Der Erhalt eines authentischen Ortes wie hier in Sachsenhausen ist immer auch verknüpft mit komplexen Fragen: Wie viel Erklärung verträgt ein solcher Ort, der zugleich Friedhof und Ort der Trauer ist? Wie viel soll rekonstruiert, konserviert und dokumentiert werden? Wie gehen wir mit der weiteren Geschichte dieses Lagers mit doppelter Vergangenheit um, das zudem während der DDR-Zeit eine nationale Gedenkstätte wurde?

Es gibt keine allgemein verbindliche Anleitung für die Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten und für das Gedenken an die Opfer. Das langjährige Ringen um die angemessene Gestaltung dieser Freifläche hat dies anschaulich vor Augen geführt. Bei einem Gespräch, das ich im April 2010 im Bundeskanzleramt mit Überlebenden der Konzentrationslager geführt habe, formulierten Sie, lieber Herr Bordage, sehr klar und eindrücklich die Position der KZ-Überlebenden in Bezug auf die Gestaltung der Freifläche.

Da der Bund fast drei Millionen Euro allein für diese Maßnahme hier in Sachsenhausen zusätzlich zu knapp 10 Millionen in den Jahren davor zur Verfügung gestellt hat, war es mir wichtig, mich ganz persönlich darüber zu informieren, was der Wunsch der Überlebenden und Zeitzeugen ist. Diesem Wunsch sollte immer und überall Folge geleistet werden, soweit das machbar ist!

Ich finde, es ist darum eine gute Entscheidung, dass die Neugestaltung der Freiflächen der Gedenkstätte nun möglichst viel von der am Reißbrett entstandenen, totalitären Architektur des Lagers, ihrer Unmenschlichkeit und ihrer Brutalität sichtbar macht. Künftig werden die Besucher der KZ-Gedenkstätte hier einen Eindruck davon bekommen können, wie sich die mörderische Ideologie und der menschenverachtende Allmachtanspruch des nationalsozialistischen Regimes bis hinein in die Gestaltung eines solchen Schreckensortes niederschlug. Dem Internationalen Sachsenhausen Komitee danke ich für seine Mitarbeit und Beratung bei der Neugestaltung!

Meine Damen und Herren,

dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen und seiner Aufarbeitung kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeit. Hierzu hat sich die Bundesregierung mit der unter meiner Verantwortung fortgeschriebenen Gedenkstättenkonzeption von 2008 klar bekannt. Besonders wichtig sind mir der Erhalt und die Pflege der authentischen Erinnerungsorte. Das heißt hier in Sachsenhausen aber auch, an das Sowjetische Speziallager Nummer 7, das auf dem Areal des ehemaligen KZs lag, angemessen zu erinnern. Gerne nutze ich die Gelegenheit, den beiden Beiräten der Stiftung dafür zu danken, dass sie die Neugestaltung des Areals so konstruktiv begleitet haben!

Ich bin überzeugt: Wer junge Menschen zur Wachsamkeit gegenüber demokratiefeindlichen Ideologien gleich welcher Couleur erziehen will, muss begreiflich machen, welche Folgen Verblendung, Hass und Intoleranz haben und wie wichtig Zivilcourage und Mut sind. Aus diesem Grund legt der Bund besonderen Wert auf eine angemessene pädagogische Arbeit in den Gedenkstätten. Ich freue mich, dass auch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten meine Bitte ernst nimmt und in Sachsenhausen und Ravensbrück besondere Angebote für junge Menschen, besonders auch Schulklassen, entwickelt hat.

Das neue Gedenkareal wird dazu beitragen, die unheilvollen Ausmaße des nationalsozialistischen Terrors besonders eindringlich darzustellen. Ich wünsche der Gedenkstätte Sachsenhausen weiterhin viele interessierte und nachdenkliche Besucher.