Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 05. Juli 2012

Untertitel: Im Rahmen des Filmfests München sprach Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Laudatio auf Michael Verhoeven und betonte: "Für sein Werk, das dem Kampf gegen Unmenschlichkeit und Unterdrückung bis heute seine kreative Stimme leiht, gebührt Michael Verhoeven der Ehren-Friedenspreis des Deutschen Films mit vollem Recht."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2012/07/2012-07-05-neumann-wicki-filmpreis.html


Im Rahmen des Filmfests München sprach Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Laudatio auf Michael Verhoeven und betonte: "Für sein Werk, das dem Kampf gegen Unmenschlichkeit und Unterdrückung bis heute seine kreative Stimme leiht, gebührt Michael Verhoeven der Ehren-Friedenspreis des Deutschen Films mit vollem Recht."

Anrede,

es ist für mich eine große Freude, heute zum zweiten Mal als Laudator für den Bernhard Wicki Filmpreis "Die Brücke" mitwirken zu können, nachdem ich 2008 Marie Noëlle und Peter Sehr gewürdigt habe. Der "Friedenspreis des deutschen Films" macht mittlerweile im elften Jahr deutlich, dass Filmemachen mehr sein kann als "l ' art pour l ' art" und auch sein muss, wenn man die große Kraft dieses Mediums ernst nimmt! Ganz im Sinne Bernhard Wickis werden alljährlich Filmemacher ausgezeichnet, die für Frieden, Verständigung und für das Recht auf Menschenwürde jedes Einzelnen sowie gegen Gewalt und Verblendung eintreten.

Liebe Frau Wicki-Endress, Sie haben es auf bewundernswerte Art und Weise geschafft, dem Preis, der ja ganz und gar Ihr Werk ist, ein immer größeres Renommee zu verschaffen und damit seiner Botschaft noch mehr Aufmerksamkeit. Dafür danke ich Ihnen und möchte zugleich auch den drei heutigen Preisträgerinnen sehr herzlich gratulieren!

Als Frau Wicki-Endress im April dieses Jahres anfragte, ob ich bereit sei, die Laudatio auf Michael Verhoeven als Ehrenpreisträger des Bernhard-Wicki-Filmpreises zu halten, habe ich spontan zugesagt: Natürlich deshalb, weil es eine Ehre für mich ist, das Lebenswerk eines der bedeutendsten Filmemacher in Deutschland zu würdigen aber auch, weil ich nach vielen Begegnungen mit Michael Verhoeven wie auch mit seiner Frau Senta Berger große Sympathien empfinde.

Ich hatte das Privileg, mit Michael Verhoeven mehrere Jahre in der Jury des Deutschen Filmpreises mitzuwirken und unzählige Filmprojekte gemeinsam zu bewerten. Ich bewunderte damals die Ruhe, Kompetenz und Besonnenheit, die er ausstrahlte. Sein filmisches Urteil war immer abgewogen, seine Argumente überzeugend. Davon profitiere ich noch heute als Kulturstaatsminister, der für den deutschen Film besondere Verantwortung empfindet.

Ja, und nach 45 Jahren Ehe mit Michael Verhoeven und gemeinsamen Engagements für den Film möchte ich sie einfach nennen und hier herzlich begrüßen: Senta Berger. Liebe Senta Berger, Sie sind eine der herausragenden Schauspielerinnen unseres Landes und eine inspirierende, tatkräftige Kämpferin für die Kultur. Sieben Jahre waren Sie, gemeinsam mit Günter Rohrbach, als erste Präsidentin der Deutschen Filmakademie erfolgreich tätig.

Ich durfte mehrfach gemeinsam mit Ihnen auf der Bühne den Deutschen Filmpreis verleihen. Auch im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes wirkten Sie mit das war ein Gewinn für die Kultur in Deutschland!

Lieber Michael Verhoeven, es ist natürlich heute Ihr Ehrentag, aber Sie und Senta sind das erfolgreichste Gespann im deutschen Film und deshalb sind Sie sicherlich einverstanden, wenn ich diesen Anlass auch dafür nutze, Ihrer Frau ein herzliches Dankeschön zu sagen.

Meine Damen und Herren,

für einen Laudator ist es immer ein besonderes Geschenk, wenn die Person, deren Leistung er würdigen soll, eine möglichst zielgerichtete Biografie vorweisen kann. Da fällt es dann leicht, von einem "vorgezeichneten Weg" zu sprechen, oder von einem Talent, das geradezu unausweichlich "schon in die Wiege gelegt worden sei". Im Fall von Michael Verhoeven, dem Ehrenpreisträger des heutigen Abends, ist die Versuchung, diesem trügerischen Schema zu folgen, besonders groß. Als Sohn, Bruder, zeitweiliger Schwager, Onkel, Ehemann und Vater von Filmschaffenden weiß er selbst das vermutlich am allerbesten.

Die Erkenntnis, Mitglied einer prominenten deutschen Künstlerfamilie zu sein, hat ihm in jungen Jahren nicht immer gepasst, im Gegenteil: Sie hat ihn zu Abgrenzung und Ausbruch provoziert. Gerade weil sein berühmter Vater, der Schauspieler und Regisseur Paul Verhoeven, sich nichts weniger für ihn vorstellen konnte als eine bürgerliche Karriere, entschloss sich der Sohn zu einem Medizinstudium. Das, so hat er einmal bekannt, sei die einzige Möglichkeit gewesen, aus dem engen familiären Zirkel auszubrechen. Doch man muss sagen: zum Glück ließ Michael Verhoeven die Filmkunst dann doch nicht los.

Bei genauerer Betrachtung lassen sich zwischen dem Werk von Bernhard Wicki und Michael Verhoeven vielerlei Parallelen ziehen. Beide eint eine Mehrfachbegabung als Regisseur und Schauspieler und beider Ruhm drang sogar bis nach Hollywood. Ihre wichtigste Gemeinsamkeit aber liegt zweifellos in ihrem Bemühen um eine Filmkunst, die sich engagiert und vorbehaltslos in den Dienst der Menschlichkeit stellt. Nicht umsonst drehten beide zu Beginn ihrer Karriere jeweils einen Aufsehen erregenden Antikriegsfilm Bernhard Wicki mit "Die Brücke", Michael Verhoeven mit "O.K.", der ihrem folgenden Oeuvre als eine Art programmatischer Leitstern vorausging.

Seitdem hat Michael Verhoeven ein filmisches Werk geschaffen, das zu den bedeutendsten und politisch engagiertesten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte zählt. Die gesellschaftspolitischen Ziele und den innovativen Ausbruchselan des Neuen Deutschen Films hat er mitgetragen, sich dabei aber jenseits gefälliger Gruppen- oder Lagerzuordnungen immer eine unprätentiöse Autonomie bewahrt.

Als Autorenfilmer im besten Sinne begleitet er die Geschichte unseres Landes nun schon seit viereinhalb Dekaden als kritischer, aber nie verbitterter Warner und Mahner, und als jemand, der eigentlich wie er selbst sagt am liebsten nur Komödien drehen würde, aber irgendwie dann doch immer wieder bei den anspruchsvollen, schwierigen Themen landet. Weil sie eben unausweichlich auf der Straße liegen, wie er selbst sagt. Und weil es außerdem zu wenige gibt, die den Mut haben, sie aufzugreifen.

Wer einen Blick wirft auf Michael Verhoevens eindrucksvolle Regie-Filmografie, der kann schnell feststellen, dass er es ernst mit dieser Selbstverpflichtung meint. In gewisser Weise gleichen die rund 50 Kinoproduktionen, Kurzfilme, Dokumentarfilme und TV-Serien, die er bislang realisiert hat, einer cineastischen Chronik, bei deren Durchstöbern man fast allen wichtigen gesellschaftlichen Debatten der jeweiligen Entstehungszeit begegnen kann.

Das Bemerkenswerte dabei ist und diese Tatsache lässt sich für einen politischen Künstler nicht stark genug herausstellen, dass all diese Filme die thematischen Diskurse nicht nur als filmische Reflexe dokumentiert und nachgezeichnet haben, sondern sie oft ganz maßgeblich mitgeprägt und teilweise sogar erst initiiert haben.

Nicht umsonst galt Michael Verhoeven manchem verbohrten Kulturkritiker lange Zeit als "Skandalfilmemacher" ein Begriff, den man in seinem Fall allerdings eher als Auszeichnung, denn als Aburteilung betrachten muss.

Meist nämlich war das Skandalöse, das Unerhörte an seinen Filmen heilsam, da ihre thematische Brisanz auf schwelende soziale Konfliktherde und unbewältigte gesellschaftliche Traumata verwies. Eines der frühen Beispiele dafür ist der bereits erwähnte Anti-Vietnam-Kriegsfilm "O.K.", der 1970 als Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale für Aufruhr sorgte.

Der Regisseur verlegte darin eine wahre Begebenheit die Vergewaltigung einer Einheimischen durch amerikanische Soldaten, aus dem vietnamesischen Dschungel in den Bayerischen Wald und holte so das Grauen des Krieges in unsere eigene Mitte. Der Tumult, den der Film auslöste, führte zum bisher ersten und einzigen Mal! zum Abbruch der Berliner Filmfestspiele. Es ist eine Folge dieser Vorgänge, dass sich das Festival stärker für den künstlerischen, unabhängigen und auch politischen Film öffnete und genau das ist bis heute sozusagen das Markenzeichen der Berlinale!

In den 70er und 80er Jahren wuchs Michael Verhoeven in eine Rolle hinein, die eine amerikanische Journalistin einmal, wie ich finde, höchst zutreffend als "das kinematografische Gewissen Deutschlands" beschrieben hat. Dabei hat Michael Verhoeven keine Debatten und auch die finanziellen Risiken für die Produktionsfirma "Sentana" nicht gescheut, die er 1965 gemeinsam mit seiner Frau gegründet hat.

Hinter all diesen Projekten wird vor allem eines deutlich: die Überzeugung, dass Filme auch das politische und gesellschaftliche Klima in einem Land verändern, dass sie in den Köpfen ein Umdenken auslösen und Themen auf die öffentliche Agenda setzen können.

Bis heute hat sich an dieser Maxime von Michael Verhoeven nichts geändert. Das belegt unter anderem sein bislang letzter Film, die Dokumentation "Die zweite Hinrichtung", die sich mit dem Thema Todesstrafe in den Vereinigten Staaten befasst. Besondere Verdienste hat sich Michael Verhoeven bei der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit erworben. Hier möchte ich vor allem auf die drei Filme "Das schreckliche Mädchen","Die weiße Rose" sowie "Mutters Courage" verweisen.

Der Film "Das schreckliche Mädchen" wurde als bester ausländischer Beitrag für einen Oscar nominiert und 1990 erhielt Michael Verhoeven für ihn den Silbernen Bären auf der Berlinale.

Stellvertretend wohl für die gesamte deutsche Filmförderung kann ich heute Unverständnis und Bedauern ausdrücken, dass es Michael Verhoeven damals, im Jahr 1982, mit seinem Projekt "Die weiße Rose" so schwer gemacht wurde. Fünfmal, so hat er uns verraten, wurden Anträge bei verschiedenen Filmförderinstitutionen abgelehnt. Schließlich setze sich seine Hartnäckigkeit durch, und der Film wurde dann doch von der FFA und der Bayerischen Filmförderung unterstützt.

Dieser Film über die Geschwister Scholl und ihre studentische Widerstandsgruppe avancierte zu einem großen Erfolg und räumte mit vielen falschen Vorstellungen auf, die bis dato über sie kursierten.

Doch der Film tat noch mehr: Er wies in berechtigter Empörung auf den offensichtlichen Nachbesserungsbedarf im Umgang mit der juristischen Hinterlassenschaft des berüchtigten Volksgerichtshofs hin. Insbesondere der kritische Vermerk im Abspann des Films setzte eine überfällige Debatte in Gang, die schlussendlich mit der Annullierung sämtlicher vom Volksgerichtshof erlassener Urteile endete.

Die Gründe für Michael Verhoevens unermüdliche Produktivität bei der Vergangenheitsbewältigung hat der Filmemacher in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" einmal wie folgt benannt: " Die Vergangenheit berührt mich als nicht erledigtes Phänomen meiner Gegenwart und darüber hinaus meiner Zukunft.

Es ging und geht mir immer um die Gegenwart auf diese Feststellung lege ich großen Wert." Angesichts der erschütternden Ergebnisse einer Studie des Berliner Professors Klaus Schröder über die Geschichtskenntnisse von Jugendlichen in Deutschland, die vor einer Woche veröffentlich wurde, und die nachweist, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen in der Lage sind, zwischen Diktatur und Demokratie zu unterscheiden kann ich ihm nur beipflichten.

Ich möchte Michael Verhoeven auch meinen ganz persönlichen Dank aussprechen. In seiner langen Karriere hat er als Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent, vor allem aber als Regisseur Bedeutendes und Bleibendes für den deutschen Film geleistet. Als Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie und des Bundesverbands Regie hat er die Geschicke des hiesigen Kinoschaffens über viele Jahre hinweg engagiert mitbegleitet und sich bei vielfältigen Gelegenheiten für das Kino als Hort und Künder eines menschlichen Miteinanders eingesetzt.

Zu den vielen Preisen, die Michael Verhoeven im Laufe seiner Karriere erhalten hat, und von denen ich an dieser Stelle nur das Bundesverdienstkreuz und den Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises hervorheben möchte, kommt heute Abend also noch eine weiterer, ganz herausragender hinzu. Der Ort der heutigen Verleihung ist für Michael Verhoeven wohl geeigneter als jeder andere.

Zum einen, weil er mit seiner Familiengeschichte verknüpft ist: Das Cuvilliès-Theater, in dem wir uns befinden, ist heute eine von drei Spielstätten des Bayerischen Staatsschauspiels, dessen erster Nachkriegsintendant niemand anderes als Paul Verhoeven war. Zum zweiten, stand Michael Verhoeven vor zwei Jahren selbst hier oben, um die Wicki-Preis-Laudatio für die Regisseurin des Films "Zwischen uns das Paradies" zu halten.

Meine Damen und Herren,

für sein Werk, das dem Kampf gegen Unmenschlichkeit und Unterdrückung bis heute seine kreative Stimme leiht, gebührt Michael Verhoeven der Ehren-Friedenspreis des Deutschen Films mit vollem Recht. Verbunden mit dem Wunsch, dass uns diese Stimme noch lange erhalten bleiben wird, möchte ich ihm zu dieser Auszeichnung ganz herzlich gratulieren.