Redner(in): Angela Merkel
Datum: 25. Februar 2013

Untertitel: in Ankara
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,sehr geehrte Präsidenten, Herr Yilmaz und Herr Grillo, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/02/2013-02-25-merkel-tuerkei.html


Ich möchte Sie ganz herzlich zu diesem Wirtschaftssymposium begrüßen und freue mich, dass dieses stattfinden kann, nachdem wir bereits eine ausführliche Diskussion zwischen CEOs aus Deutschland und der Türkei hatten. Es geht hier bei unserem Treffen um erfolgreiche Zusammenarbeit, die auf gegenseitigem Vertrauen gründet. Die Türkei hat den Unternehmen aus Deutschland verlässliche Investitionsbedingungen zu bieten. Das gilt umgekehrt auch für Deutschland. Das heutige Wirtschaftsforum der beiden großen Verbände und auch die Vorbereitungen, die dazu getroffen wurden, zeigen, dass die Zusammenarbeit sehr intensiv ist.

Das Handelsvolumen ist groß es sind über 30 Milliarden Euro, aber es kann noch mehr werden. Auch die Investitionen aus Deutschland sind durchaus beträchtlich. Wir haben die Gebiete identifiziert, in denen wir die Dinge voranbringen können. Ich glaube, es gibt ein großes Bedürfnis der Kooperation in der Energiewirtschaft. Das ist sowohl auf der deutschen Seite als auch auf der türkischen Seite gesagt worden. Wenn man sieht, mit welchen Wirtschaftswachstumsraten und mit welchem Wohlstandswachstum hier insgesamt gerechnet werden kann etwa mit dem Ausbau der Städte und der gesamten Infrastruktur, dann bietet sich hier ein sehr interessantes Feld.

Es ist nicht nur über klassische Energieträger gesprochen worden, sondern auch über den Bereich der erneuerbaren Energien, für die jetzt auch in der Türkei bestimmte Rahmenbedingungen vorliegen. Ich glaube, das schafft Investitionssicherheit. Wir können auch im Bereich der Infrastruktur kooperieren. Hier ist durch Siemens und andere Unternehmen deutlich gemacht worden, dass ein großes Interesse am Ausbau der Schieneninfrastruktur besteht. Genauso ist großes Interesse im Bereich der Luftfahrt bekundet worden. Ich glaube, unsere Unternehmen haben hier einen sehr großen Bereich an Erfahrung.

Wir haben mit dem Präsidenten der Deutschen Industrie- und Handelskammer hier auch einen Vertreter des Mittelstandes neben einzelnen Unternehmensvertretern des Mittelstandes. Hier ist die Kooperation noch nicht so weit gediehen, wie es möglich wäre. Hier haben wir noch große Bereiche, in denen wir unsere wirtschaftliche Kooperation intensivieren können. Gerade mittelständische Unternehmen sind in Deutschland an vielen Stellen das Rückgrat unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Sie haben sich oft auch als Puffer in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten erwiesen. Natürlich würden wir gern am Aufschwung in der Türkei durch gute Kooperation teilhaben. Ich sage allerdings auch, dass türkische Unternehmen in Deutschland recht herzlich willkommen sind. Es ist nicht so, dass unsere Kooperation eine Einbahnstraße sein soll. Wir sind ein Land, die Bundesrepublik Deutschland, das sich immer dem Wettbewerb gestellt hat.

Ich habe mich gefreut, dass heute auf türkischer Seite noch einmal gesagt wurde, dass man daran interessiert ist, an den europäisch-amerikanischen, also an den transatlantischen Verhandlungen teilzunehmen und seine Erfahrungen einzubringen. Deutschland setzt auf diese transatlantische Kooperation sehr viele Hoffnungen. Wir wissen, dass da noch sehr viele Hürden zu überwinden sind, wenn ich zum Beispiel an den Agrarbereich denke. Aber insgesamt bietet sich für beide Seiten ein großes Wachstumspotenzial. Und dabei soll die Türkei ein Partner sein, der dabei ist. Bis jetzt hat sie Beobachterstatus. Es ist darum gebeten worden, dass sie sich möglichst aktiv einbringen kann. Ich kann gerade auch mit Blick auf den Transatlantic Business Council versprechen, dass wir es jedenfalls von politischer Seite aus immer fördern werden, dass die Türkei mit ihren Erfahrungen und Verbindungen daran teilhaben kann.

Es ist immer wieder eine Reihe von Rahmenbedingungen angesprochen worden, die aus Sicht der türkischen Unternehmen von Wichtigkeit sind. Das ist auf der einen Seite die Frage der Visa. Hierzu gibt es ein Dialogprogramm, das wir seitens der EU ich spreche hier ja nur für ein Mitgliedsland, für die Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei aufgelegt haben. Es ist ein bisschen ins Stocken geraten, weil man sich nicht ganz einig ist, was das Rückübernahmeabkommen anbelangt, also die Frage der Rückführung von Bürgerinnen und Bürgern aus der Türkei, die sich nicht rechtlich korrekt in anderen Staaten aufhalten. Dieses Abkommen ist fertig verhandelt, es ist paraphiert. Jetzt stellt sich eigentlich die Frage: Muss erst der Unterzeichnungsprozess beginnen oder muss man erst den Dialogprozess für die Visa beginnen? Irgendwie werden wir auch dieses Problem noch lösen. Vielleicht muss beides gleichzeitig beginnen. Es wäre eine der möglichen Lösungsformen. Auf jeden Fall wollen wir da vorankommen.

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland hat hier im Lande verschiedene Visa-Vergabestellen eingeführt, sodass wir Visa leichter erteilen können. Wir wollen versuchen, gerade für Geschäftsleute möglichst viel Rechtssicherheit zu schaffen, solange wir noch keine europäischen Regelungen haben.

Natürlich stellt sich andererseits auch immer wieder die Frage: Wie kann die Wirtschaft im Zuge der Beitrittsverhandlungen ihre Kontakte zur Europäischen Union insgesamt intensivieren? Es gibt ja bereits sehr enge Verbindungen. Ich habe mich heute dafür ausgesprochen, dass wir ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen öffnen. Ich muss allerdings sagen: Solange die Ankara-Protokoll-Frage, die engstens mit Zypern zusammenhängt, nicht gelöst ist, werden wir Schwierigkeiten haben, so viele Kapitel zu öffnen, wie es vielleicht richtig und gut wäre. Wir wollen einen ergebnisoffenen Beitrittsprozess. Von mir ist bekannt, dass ich zu einer Vollmitgliedschaft eine skeptische Haltung habe. Aber ich stehe voll dazu, dass dieser Prozess ergebnisoffen geführt wird. Wir haben da noch eine lange Wegstrecke zu gehen.

Insgesamt darf ich Ihnen politisch versichern es ist auch das Ziel meiner Reise, das deutlich zu machen: Es gibt viele Brücken zwischen der Türkei und Deutschland. Dazu gehören 250 Jahre diplomatische Beziehungen und auch, dass wir jetzt seit rund 200 Jahren wirtschaftliche Kooperationen zwischen Deutschland und der Türkei haben. Wir haben über drei Millionen türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger in Deutschland viele mit deutscher Staatsbürgerschaft, andere noch mit türkischer Staatsbürgerschaft. Sie sind eine Brücke zwischen unseren Ländern.

Wir wollen, dass unsere Beziehungen sehr, sehr intensiv sind. Wir sehen, welchen dynamischen Weg die Türkei geht. Wir sehen, welche Wirtschaftswachstumsraten Sie haben. Wir sehen, wie der Wohlstand in Ihrem Land wächst. Es ist ein Beispiel und sicherlich auch ein Hoffnungszeichen für viele Länder in der Europäischen Union, wie schnell Sie Ihre Staatsverschuldung abgebaut haben und damit auch für Investoren ein gutes Pflaster bieten. Das ist sicherlich auch für manch anderen in Europa ein großer Ansporn. Deutschland hat übrigens eine Gesamtverschuldung von noch rund 80 Prozent. Also können auch wir von Ihnen lernen und schauen, wie Sie Ihr Wachstum hinbekommen haben.

Herzlichen Dank Ihnen allen, die Sie heute da sind und durch Ihre Anwesenheit zeigen, dass Sie an guten deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen interessiert sind. Ich wünsche Ihnen noch gute Gespräche im Anschluss und werde dem Premierminister natürlich von den Erfahrungen, die ich heute hier gesammelt habe, berichten. Herzlichen Dank.