Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 07. Mai 2013
Untertitel: "Die Dauerausstellung hier in Schöneweide beleuchtet mit der komplexen Beziehungsgeschichte zwischen Zwangsarbeitern und Deutschen ein lange verdrängtes Kapitel", erklärte Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/05/2013-05-07-neumann-ns-zwangsarbeit-schoeneweide.html
Die Dauerausstellung hier in Schöneweide beleuchtet mit der komplexen Beziehungsgeschichte zwischen Zwangsarbeitern und Deutschen ein lange verdrängtes Kapitel ", erklärte Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide.
Anrede,
es ist mir eine besondere Ehre, hier im Kreis von so vielen Zeitzeugen und ihren Angehörigen an der Eröffnung der Dauerausstellung "Alltag Zwangsarbeit 1938 - 1945" teilzunehmen. Sie haben weite Wege unter anderem aus der Ukraine, Russischen Föderation, Tschechien, Italien und den Niederlanden auf sich genommen, um zu sehen, wie auch ihre Lebensgeschichten in der ersten zentralen Gedenkstätte zur Zwangsarbeit in Deutschland den nationalsozialistischen Terror dokumentieren. Herzlichen Dank dafür!
Die Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, der die Ausstellung hier in Schöneweide gewidmet ist, hatte viele Gesichter. Es geht um die Entrechtung, Entwürdigung und um die rücksichtslose Ausbeutung von Männern, Frauen und Jugendlichen aus fast allen Ländern Europas. Menschen wurden verschleppt, und auch die Veränderung von politischen Konstellationen wie der Übertritt der Italiener zu den Alliierten konnten Freunde zu Feinden machen. Dies zog dann eine unerbittliche Behandlung der italienischen Militärinternierten nach sich. Sie, lieber Herr Ugo Brilli, werden davon noch persönlich berichten.
Mehr als 13 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge waren allein im Deutschen Reich im Arbeitseinsatz: in der Landwirtschaft, in Privathaushalten und in der Rüstungsindustrie. Die gigantische Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft war unabdingbar für die Fortführung des Krieges. Zwangsarbeiter waren in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Wirtschaftslebens präsent und lebten wie auch in Schöneweide meist in Sichtkontakt zur deutschen Bevölkerung.
Die Dauerausstellung "Alltag Zwangsarbeit" hier in Schöneweide stellt nicht nur die unterschiedlichen Bedingungen dar, unter denen Zwangsarbeit geleistet wurde, sondern auch, wie sehr sie zum täglichen Leben der deutschen Gesellschaft gehörte. Nahezu jeder große und kleine Betrieb beschäftigte mindestens eine ausländische Arbeitskraft. Alle Deutschen begegneten deshalb alltäglich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Jeder einzelne Deutsche musste die persönliche Entscheidung treffen, wie er sich zu Knechtung, Ausbeutung und Erniedrigung verhalten sollte, die sich vor seinen Augen abspielte.
Die Dauerausstellung hier in Schöneweide beleuchtet mit der komplexen Beziehungsgeschichte zwischen Zwangsarbeitern und Deutschen ein lange verdrängtes Kapitel. Sie behandelt grundsätzliche Fragen einerseits von Anpassung und Mitläufertum mit dem nationalsozialistischen Regime, andererseits aber auch von Zivilcourage und Menschlichkeit.
Auch heute muss der Einzelne im Alltag immer wieder seine persönliche Entscheidung treffen, wie er auf Vorurteile, Unwissenheit oder auch offen ausgelebte Fremdenfeindlichkeit reagiert. Jeder Mensch gestaltet durch sein individuelles Verhalten im Alltag, durch Aufmerksamkeit und Zivilcourage unser Gemeinwesen mit. Position gegen Intoleranz und Unmenschlichkeit zu beziehen, ist essenziell für die Verteidigung unserer Demokratie!
Letzten Montag habe ich die Eröffnung der neu gestalteten Gedenkstätte Sandbostel in Niedersachsen miterlebt, deren Dauerausstellung die Geschichte eines der größten Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager dokumentiert. Auch dort war das Zusammentreffen mit den Zeitzeugen sehr bewegend.
Beeindruckt hatte mich auch das Engagement der vielen Menschen, die sich jahrzehntelang auf unterschiedlichste Art für dieses Gedenkprojekt gegen alle Widerstände stark gemacht haben.
Sandbostel ist wie das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Schöneweide und wie zahlreiche andere vom Bund geförderte Gedenkstätten und Erinnerungsorte zu allererst ein Erfolg der bürgerschaftlichen Initiativen, die die gesellschaftliche Notwendigkeit zu einer konkreten Erinnerungsarbeit vor Ort erkannt haben. Dafür sei an diesem Tag allen Beteiligten herzlich gedankt.
Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis sich unsere heutige Erinnerungskultur entwickelt hat. Nach dem Krieg wurden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu "vergessenen Opfern" des Nationalsozialismus, denen eine Anerkennung ihrer Leiden Jahrzehnte lang vorenthalten blieb. Zwangsarbeit galt nicht als spezifisches NS-Unrecht, sondern als Begleiterscheinung des Krieges und wurde erst vergleichsweise spät, seit Mitte der 1980 Jahre, zum Gegenstand der historischen Forschung und noch wesentlich später ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland.
Auch die im Jahr 2000 ins Leben gerufene "Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft", die durch den Bund und die deutsche Wirtschaft gegründet wurde, kann nur als ein später und bescheidener Versuch gesehen werden, durch individuelle humanitäre Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter Anerkennung des Leides zu leisten. Es kann jedoch keine Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht geben, zumal ja auch nicht alle eine Zahlung erhielten.
Erschreckend ist es, dass in ihrer Heimat, besonders in der damaligen Sowjetunion, die Rückkehrenden oft pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt wurden. Einige kamen in stalinistische Lager, andere wurden bei der Berufswahl diskriminiert. Sie, sehr geehrter Herr Rjabtschenko haben diese Verfolgung jahrzehntelang am eigenen Leib erfahren. Viele Menschen, so wie Ihre Mutter, verehrte Frau Abaschina, trauten sich nicht einmal ihrer Familie von der Zwangsarbeit zu erzählen.
Viele leiden bis heute unter den psychischen und physischen Folgeschäden. Es ist ein besonderes Verdienst der Gedenkstätte zur NS-Zwangsarbeit in Schöneweide, dass sie den Zwangsarbeitern ein Stück ihrer Lebensgeschichte zurückgibt und ein internationales Zeichen zur öffentlichen Anerkennung ihres Leids setzt.
Ich wünsche den Mitarbeitern und Förderern des Dokumentationszentrums Zwangsarbeit in Schöneweide bei der weiteren Arbeit viel Erfolg und der Dauerausstellung viele aufmerksame Besucher!