Redner(in): Michael Naumann
Datum: 24.03.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/69/11769/multi.htm


Exzellenz, und ich darf gleich, ehe ich zur förmlichen Anrede ( komme ) , sagen, wunderbare Botschafter ihres wunderbaren Ministerpräsidenten, denn solche Worte hier zu hören, nicht nur geschliffen, sondern auch gebildet, nicht nur warmherzig, sondern auch belehrend, ist im Grunde genommen, für uns alle, die wir hier so sitzen, nicht weil es aus Bulgarien kommt, sondern weil es aus Osteuropa kommt, immer noch die große Sensation. Ich bin Ihnen sehr dankbar, und ich bitte Sie auch bei Ihrem Staatspräsidenten in diesem sehr schweren Augenblick, auch der bulgarischen Geschichte, unsere Sympathie, unsere Dankbarkeit und unsere Zuneigung auszurichten.

Applaus

Kosovo liegt 300 Kilometer von Bulgarien entfernt. Ich glaube, wenn es einerseits 10 Jahre her sind, seitdem die Mauer fiel und diese Stadt sich, ja, man glaubt es kaum auszusprechen, man traut sich kaum es auszusprechen, in der Tat nicht eine Heldenstadt sondern eine revolutionäre Stadt war, so ist doch gleichzeitig zu bedenken, daß die Befürchtungen, die damals von den mehr sicherheitspoltischen Überlegungen denn der Freiheit, dem freiheitlichen Gedanken Osteuropas, sich widmenden Großstrategen der westlichen Sicherheitspolitik, daß diesen Bedenken doch zumindest heutzutage unangenehmerweise einiges Gewicht zuwächst. Und was sich jetzt im Kosovo abzu-spielen droht, ist ein außerordentlicher Einschnitt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und ich glaube, daß wir, und das kann ich auch zumindest aus meiner Erfahrung in Bonn sagen, uns überraschenderweise in einer Situation befinden, in der zwischen Opposition und Regierung eine solidarische, dem Gedanken des Menschenrechts verpflichtete, Übereinstimmung existiert, daß eine abermalige schlechte Reihe, wie sie in Bosnien stattfand, von dem zivilisierten Europa nicht hinzunehmen ist. Dies sind vielleicht die falschen Worte zum Beginn der Eröffnung einer Buch-messe, aber wir alle wissen, daß das was wir heute hier ausstellen, und wie der bulgarische Präsident ja auch zum Ausdruck brachte, nicht nur gedruckte Worte sind, nicht nur Papier, nicht nur der Ausdruck einer genialen technischen Erfindung, sondern in Wirklichkeit, die Botschaften, die Nachrichten einer kaum noch weiter zu analysierenden Tatsache sind, nämlich, daß den Menschen die Freiheit gebührt. Und im Kosovo ist es auch die Freiheit des Überlebens. Und darin liegt das eigentliche Gewicht des Buches. Daß dieser Gedanke auch, sogar dort, wo dieser Gedanke mißbraucht worden ist, übrigens auch im Buch und von Autoren, immer wieder langwierige, langzeitige oder langfristige Überlebenskraft bewiesen hat. Ich sag das auch mit dem nicht eitlen sondern im nachhinein gewissen Stolz des Verlegers von Michnik und Vaclav Havel und vielen, vielen anderen, die zu einem Zeitpunkt weiterschrieben, als ein gewisser Zynismus sich im Westen Deutschlands und im Westen Europas längst breitgemacht hatte und man durchaus davon ausging, daß die Welt, so, wie sie nun einmal ist, sicher und in Ordnung sei. Aber sie war nicht frei.

Applaus

Ich wollte aber keine außenpolitische oder gar philosophische Rede halten, sondern ich wollte eigentlich den fröhlichen Anlaß der Eröffnung dieser Messe unter vielleicht etwas anderen Umständen mit meinen Worten begleiten.

Drum fange ich noch einmal von vorne an.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Exzellenz, meine Herren Minister, Herr Vorsteher.

Der Frankfurter Dauergast, der ich zehn Jahre lang, eigentlich noch viel länger in meinem Leben, war, auf der Buchmesse, weiß, daß auf der Leipziger Buchmesse etwas ganz anderes, etwas Besonderes immer von statten gegangen ist. Übrigens auch unter verschiedenen politischen Vorzeichen. Nämlich ein geradezu inniger, intensiver Austausch von verschiedenen Welten, Ideen und natürlich und vor allem - von Büchern. Vor zehn Jahren saß ich hier in der Thomaskirche, zutiefst bewegt als Köthener, an dem anderen Ort barschen Wirkens, und dachte mir, wir haben es geschafft. Nicht wir, nicht ich, die Autoren, die Leipziger. Und ich hätte es mir später nicht träumen lassen, daß ich irgendwann einmal selbst die Leipziger Buchmesse eröffnen würde. Heute bin ich zu diesem Anlaß in Leipzig, ich war soeben in den schönen neuen Ausstellungshallen der Messegesellschaft. Und darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich freue mich auch darüber, daß die Leipziger Buchmesse im vergangenen Jahr ein Rekordbesuch von 47.000 Besuchern hatte und sich nun schon wieder ein Stück größer präsentiert. Dies ist ein ermutigendes Zeichen. Und ich möchte es im übrigen auch denjenigen Verlegern nicht nur aus Ost, sondern vor allem aus Westdeutsch-land zurufen: Sie machen einfach einen Geschäftsfehler, wenn sie nicht hierher kommen.

Applaus

Sie machen aber auch, und das sage ich, vielleicht für einige überraschend als Sozialdemokrat, auch einen anderen Fehler. Ich habe einmal Birgit Breuel gefragt, ob sie während ihrer Tätigkeit als Leiterin der Treuhandgesellschaft irgendwann einen patriotischen Unternehmer getroffen hätte. Hat sie sehr traurig gesagt: "Nein". Mich hat das zutiefst bestürzt. Den Verlegern, die hier nicht herkommen, darf ich sagen: Ihr macht nicht nur einen Geschäftsfehler, Ihr macht auch einen patriotischen Fehler - oder einen unpatriotischen Fehler. Kurz und gut, der bisherige Erfolg ist, neben der Anstrengungen der Verlage und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, vor allem der Leipziger Bevölkerung zu danken, die, so kann ich wohl ohne Übertreibung sagen, zu dem Publikum gehört, das sich am meisten für das Buch interessiert. Und den Verlegern unter Ihnen verrate ich keine Neuigkeit, wenn ich sage, eine gute Messe beweist sich an der gehobenen Klau-Rate. Bücher sind das Medium des Gedächtnisses, der Permanenz und der Betrachtung. Das Alphabet, das zu Worten und Sätzen und schließlich zum Buch zusammengefügt, Sinn herstellt, ist die Grundlage der Kommunikation in der offenen Gesellschaft, aber es ist auch die Grundlage der Kommunikation im Geheimen. Und dies gilt heute im Zeitalter der medialen Vernetzung genauso wie im 9. Jahrhundert, als die zwei Brüder Kyrilos, die Sie erwähnten, und Methodios im diesjährigen Partnerland Bulgarien das altbulgarische Schrifttum entwickelten, wie es noch heute von allen slawischen Völkern griechisch-orthodoxer Bekennung benutzt wird. Und im übrigen, soweit ich weiß, immer noch, gewissermaßen, die Einstiegsdroge und die Einstiegssprache für die Slawistikstudenten ist. Worte und Bücher sind eine Brücke zwischen Schreibenden und Lesenden, zwischen individueller und geteilter Erfahrung. In der Stadt Leipzig gewinnt diese Metapher in vieler Hinsicht an Prägnanz im Hinblick auf ihre jüngste Geschichte sowie ihre historische Stellung als Schnittstelle zwischen Nord und Süd, West und Ost, oder, wie mir jemand in meiner gebildeten Be-hörde mitteilte, in Leipzig liegt der Schnittpunkt der Via regia und der Via imperii, man merkt es nur nicht so richtig. Das besondere Gewicht der Leipziger Buchmesse liegt heute daran, daß die Stadt sich zu einem Ost-West-Forum für Schriftsteller, Verleger und Buchhändler und zum wichtigen Lizenzplatz osteuropäischer Verlage entwickelt hat. Insofern war es richtig, die Leipziger Buchmesse nach der Wende nicht nur zu erhalten, und sie nicht nur auf einem Austauschort deutscher Kultur, respektive Literatur, zu beschränken, sondern speziell ihre Kompetenz in den Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern zu nutzen. Nach Rußland, Tschechien, Polen, dem Baltikum und Rumänien bildet nun Bulgarien den Länderschwerpunkt. 120 bulgarische Verlage stellen sich auf der Messe vor. 120 unabhängige freie, bulgarische Verlage. Rund 50 Verleger sind persönlich anwesend. Das Bulgarien von heute ist ein sehr junges Land, das sich gerade auf den Weg einer stabilen, europäischen Demokratie gemacht hat. Seine Kultur indes ist voller Zeugnisse einer jahrtausendealten Geschichte in der Einflüsse östlicher und westlicher Traditionen zu-sammenfließen. Wir hier in Deutschland sollten uns diesem Land mit Offenheit und mit Neugier öffnen. Bulgarien hat aber auch die Stunde der politischen Liberalisierung genutzt. Seine Literatur der 90er Jahre ist vielfältig wie das Leben und die Erfahrungen, die sie widerspiegelt, vielfältig an Stilen und Literaturgattungen, aber auch an Standpunkten, auch an politischen."Die Welt", sagt der bulgarische Romancier Elia Torjanow,"die Welt ist groß und Rettung lauert überall". Dieses Motto nehme ich mir als Mitglied der neuen Bundesregierung zu Herzen.

Applaus

Und während wir, die wir durchaus die Medien zu nutzen und mit ihnen zu arbeiten wußten, nun erleben, daß der Besen keineswegs dann in die Ecke geht, wenn man ihn dort wieder hinwünschen möchte - wir haben trotz der Erfahrung, die wir zur Zeit machen, einige kleinere und größere Erfolge erzielt. Und zwar mit tatkräftiger Hilfe auch des Börsenvereins.

Aufgabe der Politik mußte es in erster Linie sein, die Rahmenbedingungen so zu setzen, daß auch in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts kulturelle Vielfalt und wirtschaftlicher Erfolg gleichzeitig gesichert bleiben. Eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für den Buchmarkt ist hierfür der Erhalt der Buchpreisbindung. Und es hieße hier wirklich Eulen nach zu Athen tragen und für die Buchpreisbindung zu werben, aber vielleicht nehme ich doch die Gelegenheit dieses Podiums wahr, noch einmal darauf hinzuweisen: Die Buchpreisbindung hat nicht nur kulturpolitische Bedeutung ( dies aber vor allem ) , aber auch wirtschaftliche. Ohne den gebundenen Ladenpreis würden in Deutschland, das ist nicht nur meine Prognose nach amerikanischen Erfahrungen, sondern das ist auch die Prognose aller Kenner der Materie, etwa fünfzig, wenn nicht sechzig Prozent der unabhängigen Buchhandlungen, vor allem in den kleineren Städten, aber auch in den großen Städten, schließen. 10.000 Arbeitsplätze würden ohne diesen Schutz des gebundenen Ladenpreises verloren gehen. Das sind nicht irgendwelche Arbeitsplätze, das sind in erster Linie die Arbeitsplätze von Buchhändlerinnen, die mit einer gediegenen zweijährigen Ausbildung ein Kommunikationsnetz, oder, wenn Sie so wollen, ein über das gesamte Land verbreitetes neuronales Zentrum der Information, des Selbstgespräches dieser Gesellschaft, was bisweilen ja auch telefonisch stattfindet, immer öfter - finde ich - ist mir schon mal im Kabinett passiert - pflegen. Diese Arbeitskräfte würden in wenigen, buchstäblich Monaten, sich auf dem Arbeitsmarkt wiederfinden und oft genug verbittert wiederfinden. Es würde zweifellos ein Konzentrationsprozess auch im Verlagsbuchhandel, das heißt auch in den Verlagen in Windeseile sich durchsetzen, und es würde etwas geschehen was ich dem hier für die Regelung des europäischen Wettbewerbsrechts zuständigen Kommissar immer wieder erklärt habe und zwar mit statistischen Materialien an Hand des Großexperimentes England, was er eigentlich zu verhindern trachtet, nämlich, seine Aufgabe ist es ja, die Verbraucher vor den Kartellen zu schützen. Es würde etwas geschehen, was schlicht und ergreifend eine durchschnittliche Buchpreiserhöhung von 15 % bewirken würde. Die Aufhebung des Ladenpreises senkt den Preis für Bestseller, zwingt indes die Verleger, das wesentlich höhere Geschäftsrisiko, was mit der Produktion von Bestsellern schon aufgrund der Einkaufspreise der Manuskripte von den vielleicht achtzig Autoren, die es in der ganzen Welt, gibt, dieses Einkaufsrisiko auf die gesamte Produktpalette zu strecken - zwingt darum die Verleger, die Preise jener Bücher zu erhöhen, die eine feste Ziel-gruppe haben und auf alle Fälle, so hoffen sie, gekauft werden. Die werden dann aber meisten auch nicht gekauft werden, weil sie zu teuer geworden sind. Dieses resultiert in einer schweren Verlagskrise, wie es sie in England gegeben hat, wo kaum noch ein Verlag einem englischen Besitzer gehört. Es sind deutsche Konzerne, amerikanische Konzerne, holländische Konzerne, die diesem großen, liberalen Wirtschaftsexperiment von Margret Thatcher gezeigt haben, welche Konsequenzen es aufzeigt - welche Konsequenzen es haben kann. Ich rede hier nicht einem - wenn Sie so wollen - antiglobalistischen, patriotischen Kapitalismus das Wort. Ich weise lediglich darauf hin, daß die Effekte, die die europäische Kommission zu erzielen versucht, nämlich Aufrechterhaltung eines pluralistischen Angebotes bei möglichst gerechter Preisgestaltung durch die Aufhebung des Ladenpreises ( er meint wohl: gebundenen Ladenpreises ) der sich seit über einem Jahrhundert bewährt hat, nicht dient.

Und nicht nur das. Hier geht es nicht nur um Wirtschaftspolitik. Hier geht es buchstäblich auch um das kulturelle Selbstverständnis eines Landes, was auf einige Dinge stolz sein kann. Wir haben drei Mal so viele Neuerscheinungen von Büchern pro Jahr als zum Beispiel die Vereinigten Staaten, pro Jahr - pro Kopf gerechnet. Wir haben pro Kopf gerechnet mindestens vier Mal so viele Buchhandlun-gen als die Vereinigten Staaten, das große, wenn Sie so wollen, auch in der Buch-produktion außerordentlich erfolgreiche - und in der Produktion übrigens auch von Autoren außerordentlich erfolgreiche Vorbild einer marktwirtschaftlich funktionieren-den Buchlandschaft. Wir haben in diesen Buchgeschäften, die in den Nachbar-schaften der großen und kleinen Städte sich befinden, Treffpunkte - formelle und informelle Zirkel, in denen die Gesellschaft, wenn Sie so wollen, zur Ruhe des Gespräches über ein Buch kommt. Das kann Rosamunde Pilcher sein, das kann aber auch eine Gesamtausgabe von Goethe sein. Und im Übrigen können Sie davon ausgehen, daß bei solcher angedeuteten Veränderung, die aus Brüssel kommt, die Gesamtausgabe, die zur Zeit, wie ich finde, in exemplarischer und wunderschöner Art, wie es sie kaum noch in der ganzen Welt gibt, im Suhrkamp Verlag vorgestellt wird, nämlich in der Klassik-Edition, die wird es dann auch nicht mehr geben. Das ist alles dann nicht mehr zu finanzieren.

Also in anderen Worten, ich bin nun drei- oder viermal bereits in Brüssel gewesen und habe mit Engelszungen auf die Kommissariate - es sind ja mehrere, die da mitreden - und auch auf die Generaldirektionen - und es sind mehrere, die auch hier mitreden - geredet und habe dann zu mei-ner großen Verblüffung, als es mir dann mehr oder weniger klar gelungen war, den Herrschaften - oder den Herren - darzulegen, daß eine Auflösung des gebundenen Ladenpreises in einer Konzentration - also dem Gegenteil des Avisierten - resultieren würde, gehört: Aber die ist doch sowieso nicht aufzuhalten.

Diese Art der Logik der Politik, mit dem Anspruch, Konzentration zu verhindern, sie zu befördern unter dem Hinweis, geradezu hegelianischen Hinweis, daß dieses nun gewissermaßen der Lauf der Geschichte sei und wir in die dritte Phase der Endgeschichte des Buches eintreten, nämlich der der Konzentration und.... dem gesamten europäischen Parlament. Sie verstehen, daß der Rücktritt der Kommission, bei mir zumindestens eine kurze Atempause und auch möglicherweise in den Generalkommissaren eine kurze Denkpause provoziert hat.

Ich habe über die Folgen eines Systems ohne Buch-preisbindung gesprochen aber es gibt auch noch andere Gefährdungen des Buches. Weitere wichtige Rahmenbedingungen für eine prosperierende Verlags- und Buchhandelslandschaft schafft bekanntlich die Steuergesetzgebung. Nun, ein Begriff hat in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen und Monaten Irritationen ge-schaffen und ich kann ohne jegliche Selbstzufriedenheit sagen, ich glaube, seit dem es einen Bundeskulturpolitiker gibt, gibt es auch den Begriff der Teilwertabschreibung in den deutschen Feuilletons. Viele von Ihnen haben durch Ihre Eingaben und Ihre gesunden Proteste, die mit zum demokratischen Diskurs gehören, und das sage ich als Mitglied der Regierung, übrigens auch im Zusammenhang mit allen anderen Diskussionen über von uns vorgelegte Gesetze, die Diskussion und auch die Revision von Gesetzen im Gesetzgebungsprozeß in den ersten und zweiten und dritten Lesungen und in der Beratung des Bundesrates, das gehört mit zur Demokratie, darum gibt es diese verschiedenen Lesungen. Die Unzufriedenheit, die sich vor allem, glaube ich, in den Medien entfaltete, vis-à-vis des Sachverhaltes, daß Gesetzesvorlagen korrigiert worden sind, mag etwas damit zu tun haben, daß wir zwar permanent den parlamentarischen und den öffentlichen politischen Diskurs fordern, aber wenn er eintritt, dann doch mit den guten alten deutschen Obrigkeitssehnsüchten ungern anhören. Streit wirkt unangenehm - aber Streit im Parlamentarismus und auch in der Gesetzgebung muß sein. Und wenn ich mich hier jetzt also oute als ein Gegner eines gewissen Teils des Steuerentlastungsgesetzes, dann tue ich das in diesem Selbstverständnis unserer Regierung: Ja, es darf über eigene Gesetzesvorlagen diskutiert werden - solange diese Diskussion loyal und nicht persönlich wird.

Applaus.

Viele von Ihnen, ich wiederhole es, vor allem aus dem Börsenverein, aber eben auch aus dem allgemeinen Sortiment, haben dadurch beigetragen, daß das vorgesehene Verbot der Teilwertabschreibung nun nicht mehr festgehalten wird. Teilwertabschreibung wird in den Bereichen Handel, Verlag und Buchhandlung grundsätzlich weiterhin möglich sein.

Lassen Sie mich zum Schluß für die Bundesregierung die Bedeutung einer weiteren wichtigen Rahmenbedingung unterstreichen, die für den Erhalt einer vielfältigen Verlagslandschaft in Deutschland und Europa nicht angetastet werden sollte.

Ich spreche vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Bücher und Verlagserzeugnisse. Er muß im Interesse der 80 Millionen Verbraucher in Deutschland und der 370 Millionen Verbraucher in der Europäischen Union, sowie im Interesse der Vielfalt des Buchangebots in Europa erhalten bleiben. Die Steuerharmonisierung Europas ist sicherlich eine sinnvolle Sache um ein gemeinsames Europa herzustellen, aber es muß und es sollte die verletzliche Kultur in ganz Europa als das anerkannt werden, was sie eigentlich ist: sie ist - oder sie konstituiert und sie liefert uns, mit ihren mitgeschleppten und mitgeführten und gepflegten Traditionen, ihren Geschichten über uns selbst, ihren Kodices des moralischen und auch persönlichen Verhaltens - den eigentlichen Sinn gesellschaftlichen Zusammenlebens in Europa, in Gesellschaft, in Geschichte. Ohne dieses Ziel - nämlich ein gutes Leben zu führen und ohne die Leistungen der Kultur, die vor allem sich manifestieren im Text der Bücher, im Gespräch, das zum Buch geworden ist, aber auch in der Phantasie und ein bißchen auch in der Träumerei der Musik und der Malerei und der Künstler - ohne dieses Ziel, ohne die Rahmenbedingungen einer vernünftigen Existenz in Gesellschaft werden wir eine ökonomistische, allein der Wohlstandssicherung, allein der Karriere, allein dem Wachstum, allein einer alles in allem dann doch unbefriedigenden, weil, mit Keynes gesprochen, im Tod endenden politischen Existenz - reduzierten Existenz - anheimfallen. Politisches Leben ohne das Angebot, was wir in den Buchregalen finden, ohne das Angebot eines Gedichtes, ohne das Angebot guter Musik, die im übrigen auch ohne den Buchhandel nicht überleben würde, denn dort werden die Noten vertrieben; ein politisches Leben in anderen Worten, was einzig und allein sicherheitspolitischen Maximen folgt, wird nicht nur öd` und langweilig, sondern wird dann sehr schnell anderen und meistens diktatorischen, dogmatischen oder politisch-religiösen Sinngebungen anheimfallen. Darum fordere ich die Beibehaltung auch so profaner Dinge wie des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Bücher.

Applaus.

Es genügt nicht nur, die Vorteile der kulturellen Vielfalt zu erkennen, wir müssen sie auch mit Leben erfüllen. Wir wollen zum Beispiel helfen, die Spurensuche in der Buchlandschaft Mittel- und Ost-europas zu erleichtern. Ein ganz wichtiges Projekt in diesem Zusammenhang ist das Verzeichnis lieferbarer Bücher. Die Bundesregierung hat die Herausgabe eines Verzeichnisses lieferbarer Bücher mit Polen, Tschechien und Ungarn gefördert. Die Projekte erhielten eine Anschubfinanzierung und sind inzwischen erfolgreiche Selbstläufer geworden, die keiner staatlichen Förderung mehr bedürfen. Inzwischen gibt es Pläne, auch das französische Verzeichnis mit dem deutschen, tschechischen, polnischen und ungarischen zu vereinheitlichen. Die französische Regierung hat dafür eine Million Franc zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis wäre ein gemeinsames, zentraleuropäisches Verzeichnis lieferbarer Bücher. Diese erfreuliche Entwicklung, meine Damen und Herren, kann eigentlich, so klein sie dem Nichtkenner scheint, nicht genug gewürdigt werden. Wir schaffen damit nämlich gesamteuropäische Strukturen im Buchhandel, in den Bibliotheken und im Verlagswesen. Damit wird Ihre Branche zu einer Vorreiterin, gerade in dem eben geschilderten kulturpoliti-schen Sinne eines europäischen Integrationsprozesses. Der Fehlschlag eines solchen Integrationsprozesses - nun genau dieser Fehlschlag, dieses Versagen - ist zur Zeit im Kosovo zu beobachten.

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Leipziger Buchmesse mit den besten Wünschen für viele neue Entdeckungen, anregenden Gesprächen und auch im Sinne der Inschrift da oben: mit Spaß - für viel Spaß - und vergessen Sie dabei nicht das Motto zumindest meiner Rede: "Die Welt ist groß und die Rettung lauert überall". Danke.