Redner(in): Monika Grütters
Datum: 29. April 2014

Untertitel: Es sei erstaunlich, wie wenig sich die großen Kirchen in Deutschland in kulturpolitische Debatten einmischten, bemerkte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei einer Veranstaltung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Tag der Diakonin am 29. April 2014 in Berlin.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/04/2014-04-29-gruetters-diakonin.html


Es sei erstaunlich, wie wenig sich die großen Kirchen in Deutschland in kulturpolitische Debatten einmischten, bemerkte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei einer Veranstaltung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Tag der Diakonin am 29. April 2014 in Berlin.

Anrede,

Es heißt in der Einladung zu diesem Tag der Diakonin: "Die Zuwendung zu den Nächsten gehört zu den Grunddimensionen der Kirche. Nöte und Sorgen von Menschen in den Blick zu nehmen, ist Teil der Sendung von Christinnen und Christen." Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Grundsätze 1: 1 auch auf das politische Amt übertragbar sind. Dieser Fokus auf den Nächsten liegt zumindest auch meiner persönlichen Vorstellung von politischem Engagement zugrunde.

Ich verstehe politisches Engagement und Politik als Dienst an der polis, an der Stadt als StadtGEMEINSCHAFT, und in meiner christlichen Auslegung heißt das: als Dienst am Nächsten. Diakonisches Handeln wird als die Verbindung von Seelsorge und sozialem Dienst verstanden, also im besten Sinne als Dienst am Nächsten. Und auch wenn es nicht immer offensichtlich ist: politisches Engagement und diakonisches Handeln haben viel gemeinsam. An diesem DIENST-Tag geht es um die zentrale Frage des Dienens, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven: ministrare ist das lateinische Wort für dienen: in diesem Sinne leisten sowohl Ministrantinnen als auch Ministerinnen einen Dienst an der Gemeinschaft.

Mit welchem Anspruch bin ich religiös, welches, auch öffentliche Handeln wird mit meiner religiösen Überzeugung begründet? Darauf kann es keine allgemeingültigen Antworten geben, nur sehr persönliche. Das darzustellen, will ich gern versuchen. Im Sinne des Petrus-Briefes verstehe ich es als meine Christen-Pflicht, Zeugnis abzulegen und anderen erfahrbar zu machen, dass ein Leben aus dem Glauben innere Stabilität, Orientierung und Zukunft schenkt. In diesem Geist bin ich eine politisch engagierte Christin.

Wenn wir, gerade als gläubige Christen, nicht nur vordergründig tagespolitisch handeln, sondern wir uns in der Aktualität auch immer wieder auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens besinnen, dann heißt das nicht nur, aber insbesondere in der heißen Debatte dieser Tage: Wir müssen den Kernansatz unserer Verfassung "die Würde des Menschen ist unantastbar" lebendig halten und versuchen, ihn als allgemein verpflichtende Orientierung im Bewusstsein unserer Bevölkerung zu verankern. Dieses Menschenbild hat seine Quelle im christlichen Glauben, in dem der Mensch Ebenbild Gottes ist und daraus abgeleitet jeder Mensch dieselbe Würde und alle damit verbundenen Ansprüche und Verpflichtungen hat.

Eine humane Zukunft wird es nur geben, wenn wir uns dieser Überzeugung immer wieder vergewissern. So jedenfalls kann eine christlich begründete Kultur des Zusammenlebens aussehen. Sie fordert uns, die Starken, zum Dienst an der Gemeinschaft heraus, diesem Menschenbild sind politische Fürsorge und diakonisches Handeln geleichermaßen verpflichtet.

Für die Christen aber geht es um weit mehr noch: wir wollen das Gebot der Nächstenliebe anerkennen als das eigentliche Motiv für das menschliche Engagement, das so eben auch weit über reine Nützlichkeitserwägungen eines Gegenseitigkeitsprinzips hinausweist. Und das gilt nicht nur für die Privatsache Religion, sondern erst recht im öffentlichen Leben. Hat nicht die jüngste große Krise einmal mehr zu der Erkenntnis geführt, dass purer Pragmatismus und auch ein besserer Mix ökonomischer und sozialer Maßnahmen auf Dauer nicht ausreichen, um den notwendigen Zusammenhalt zu definieren? Geht es nicht vielmehr um die Werte jenseits von Angebot und Nachfrage? Nicht nur auf dem Finanzmarkt wurde Vertrauen als die entscheidende Größe für den Erfolg festgestellt Vertrauen ist in jeder Hinsicht die Basis für ein gelingendes Miteinander.

Christliche Glaubensüberzeugungen im Privaten wie im Politischen sind für mich wesentliche Grundorientierungen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind keine leeren Floskeln. Sie sind der Maßstab all unseren ( partikularen ) Handelns, an dem sich einzelne politische Maßnahmen immer wieder messen lassen müssen. Das Prinzip der Subsidiarität, die Soziale Marktwirtschaft als das humanste Gesellschaftsmodell weltweit, der Verzicht des Staates auf allzu kleinliche Gängelung, die Freiheit des Einzelnen und seine Möglichkeiten zur freien Entfaltung, differenzierte, begabungsgerechte Bildungsangebote, eine Kulturpolitik, die gesellschaftliche Zusammenhänge und Vielfalt im Blick hat die Liste konkreter, am christlichen Menschenbild orientierter Politikbeispiele ließe sich verlängern …

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung in eigener kulturpolitischer Sache: Die notwendige Einheit einer Gesellschaft und einer Nation setzt eine Selbstvergewisserung durch die eigene Kultur und Identität voraus. Nur wer seine eigene Kultur kennt und schätzt, kann mit Menschen anderer kultureller Prägungen in einen fruchtbaren Dialog treten. Kultur-Politik sucht -mehr als andere Politikfelder- ähnlich wie es die Kirchen und ihre Gläubigen tun, immer nach Antworten auf diese Frage nach den Zusammenhängen, nach den Kräften und Werten, die unsere Gesellschaft verbindet. Und gerade die Kunst -in allen Sparten- , die Künstler selbst sind es, die auch immer die Grenzen ausloten, die um Antworten auf letzte Fragen nach dem Leben, nach dem Tod, nach dem Wesen des Menschen ringen.

Und -erlauben Sie mir an dieser Stelle eine leise Kritik- : Es ist gerade vor diesem Hintergrund schon erstaunlich, wie wenig die großen Kirchen in Deutschland sich in kulturpolitische Debatten einmischen viel weniger jedenfalls als in sozialpolitische. Dabei wäre es so wichtig! Auch als Staatsministerin werbe ich immer wieder für diesen erweiterten Kulturbegriff. Nicht nur die Fürsorge für die Einrichtungen in unserer Verantwortung ist dort gefragt, sondern um nationale Identität in welcher Ausprägung auch immer geht es. Und die erwächst zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes.

Das kulturelle Erbe und die Ermöglichung der intellektuellen und künstlerischen Avantgarde das sind unsere Aufgaben. Hier spielt die Religion, spielen die Religionen eine evidente Rolle. Mehr denn je sind meine ich - die Kirchen buchstäblich gefragt: Beispiele dafür gibt es genug: Humboldt-Forum, Integration, multiethnische Gesellschaften, alle Fragen des Gedenkens und der Aufarbeitung auch unserer schwierigen Vergangenheit in Deutschland, kommunale Kulturfinanzierung als Gesellschaftsaufgabe, kulturelle Bildung, Umgang mit Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern, niederschwellige Kultur- und Bildungsangebote, Musikunterricht als Instrument der Sozialisierung, usw. Die Kulturpolitik weiß, dass sie es mit einem wichtigen Gesellschafts- und Standortfaktor zu tun hat. Vielmehr aber ist Kultur aber immer auch Ausdruck von Humanität das verbindet uns.

Wenn Religion nicht nur Privatsache ist, stoßen wir Politiker immer wieder auch an die Grenzen des eigenen Handelns. Eine am christlichen Menschenbild orientierte Politik muss sich solcher Grenzen nicht nur des Könnens, sondern auch des Dürfens bewusst sein. Zum Glück können wir nicht alles, was wir wollen aber: wir dürfen auch nicht alles, was wir können. Und sicher gibt es auch immer wieder Gewissensfragen, die nicht einfach zu beantworten sind: Stammzell-Import, Spätabtreibung oder Schwangerschaftsberatung, um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen. Dem damaligen Ausstieg der Amtskirche aus der Schwangerenkonfliktberatung steht die Initiative sozial und politisch engagierter katholischer Laien zum Schutz ungeborenen Lebens durch Gründung von "Donum vitae" gegenüber. Beide Seiten verwirklichen so ihre christlichen Überzeugungen in der modernen Welt.

Werner Remmers hat dazu gefragt, ob die Kirche von der Politik und den Parteien eigentlich etwas verlangen soll und darf,"was sie selber nicht ausreichend leistet" ich lasse diese Frage im Raum stehen …

Die Kirchen halten aus gutem Grund an Glaubenswahrheiten unabhängig von gesellschaftlicher Akzeptanz und Mehrheit fest. Leider kommt es daher selten zum Kompromiss, wenn es um die Umsetzung eigener Überzeugungen in die gesellschaftliche Wirklichkeit geht was das aller Hauptprinzip politischen Wirkens ist. Die regelmäßigen Aufforderungen des jetzt emeritierten Kölner Kardinals Meisner, die CDU möge endlich das "C" aus ihrem Parteinamen streichen, sind hier dann auch wenig hilfreich. Ermutigender ist da ein sehr aufgeklärtes Verständnis von Politik und Religion des damaligen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle: "Politisches und Christliches können nur dann füreinander fruchtbar werden, wenn sie sich einander freigeben, wenn sie sich voneinander unterscheiden, um in solcher Unterscheidung Impuls füreinander zu werden. Impuls füreinander: Denn auch das Christliche kann in seinem Verständnis und in seiner Realisierung vom Politischen lernen."

Norbert Lammert, unser Bundestagspräsident, hat das Verhältnis von Politik und Religion auf die griffige Formel gebracht: "Der Glaube handelt von Wahrheiten, die nicht abstimmungsfähig sind; Politik handelt von Interessen, die nicht wahrheitsfähig sind. Allein dieser fundamentale Unterschied zwischen Wahrheiten und Mehrheiten, Prinzipien und Interessen definiert die spezifischen Aufgaben und Kompetenzen von Kirchen und Parteien, die weder aufgebbar noch austauschbar sind."

Interessenausgleich, für den wir in der Politik streiten, verlangt eine große Flexibilität im Denken und Handeln die Orientierung aber an ganz bestimmten ethischen Maßstäben - für uns, für mich die Ausrichtung am christlichen Menschenbild ist dagegen nicht verhandelbar. Am Ende müssen Lösungen sachlich angemessen und ethisch verantwortbar sein. Eine besondere Herausforderung liegt zudem darin, dass ein Parlamentarier zwar bei Entscheidungen nur seinem Gewissen verpflichtet ist, sein Handeln aber stets in der Verantwortung für sich selbst und andere begreifen muss. Dieser Gedanke der Eigen- wie der Fremdverantwortung ist durchaus nicht selbstverständlich, wir müssen vielmehr immer wieder aufs Neue darum ringen.

Menschen in öffentlichen Ämtern gehen den schwierigeren Weg: sie verstehen ihre religiöse Bindung zugleich als öffentliche Orientierung. Diese Berufung auf das "C" in unserem Parteiprogramm und für viele in ihrer Weltanschauung gibt dem Denken Kategorien und Richtungen. Im Miteinander von Politik und Religion sind wir immer gefordert, uns auf das Gemeinsame und das jeweils Besondere zu besinnen. Es ist eine hervorragende staatsbürgerliche Tugend, sich jenseits der privaten auch für die allgemeinen Angelegenheiten verantwortlich zu fühlen. Beides miteinander zu verbinden Christ und Staatsbürger, das ist die konkrete Verantwortung des Christen mitten in dieser Welt und hier, wo es um den Gemeindienst-Charakter der Politik und also um das Ethos auch einer verantwortungsbewussten Politikerin geht, begegnen sich die diakonische und die politische Haltung in der Zuwendung zum Nächsten. Und damit sich dieses Engagement nicht im Einzelfall erschöpft, braucht es immer wieder das Bekenntnis gerade in der Diaspora sind gerade Prominente gefragt ganz wie Petrus mahnt stets bereit zu sein,"jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt. die euch erfüllt." In dieser Tradition stehen wir politisch engagierten Christen, in diesem Selbstverständnis handeln wir.

Ich danke Ihnen.