Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22. Mai 2014
Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Bauer,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/05/2014-05-23-merkel-tag-bauindustrie.html
Ganz herzlichen Dank für die Einladung. Ich grüße natürlich auch meine Kollegen aus den Parlamenten. Ich bin gerne bei Ihnen zu Gast. Allerdings haben wir heute einen Donnerstag in einer Sitzungswoche; es warten noch Abstimmungen auf mich. Insofern ist es wichtig, dass wir uns die Zeit gut einteilen.
Ich habe gerade meinen Nachbarn gefragt, ob es eine ordentliche Zusammenarbeit zwischen dem Verkehrs- und Bauministerium und dem Verband gibt. Das wurde mir bestätigt. Ich werde hier nicht alle Detailprobleme lösen können, sage aber zu, dass die Bundesregierung weiterhin zu einer guten Kooperation bereit ist. Es bedarf natürlich genauso einer guten Kooperation mit den Ländern.
Meine Damen und Herren, uns verbindet sehr viel, was uns gemeinsam wichtig ist, nämlich Werte von Bestand zu schaffen. Bei Ihnen liegt das ja qua Amt und qua Profession sozusagen auf der Hand. Die Bundesregierung muss oft Überzeugungsarbeit leisten, um Mehrheiten zu finden. Aber ich bin nicht nur deshalb hier. Ich glaube das ist ja auch mit den Worten von Herrn Bauer deutlich geworden, dass das Schaffen von Rahmenbedingungen auch mit dem Realisieren von Bauprojekten eng zusammenhängt. Herr Bauer hat soeben auch von der Einbindung in die Gesellschaft gesprochen. Das gilt, glaube ich, gemeinschaftlich sowohl für die Politik als auch im Hinblick auf das, was Sie an Werten schaffen. Sie sind sozusagen Mitgestalter unseres öffentlichen Erscheinungsbildes im Lande. Beim Tiefbau mag nicht alles sichtbar sein, aber immerhin ist der Hochbau doch meistens ziemlich gut erkennbar.
Wir teilen die Analyse das hat Herr Bauer auch gesagt, dass wir wirtschaftlich relativ gut dastehen und dass wir der Wachstumsmotor Europas sind. Aber wenn wir uns in der Welt umschauen, dann gehört noch mehr dazu, um ein wettbewerbsfähiger Standort zu sein. Deshalb dürfen wir uns natürlich nicht darauf ausruhen, dass wir weniger als drei Millionen Arbeitslose haben, dass wir die geringste Jugendarbeitslosenquote in Europa haben und dass zurzeit auch der Trend der Erwerbstätigen noch weiter nach oben weist.
Sie haben darauf hingewiesen, wie Sie seit der deutschen Wiedervereinigung auch viele Jahre der Krise zu verzeichnen hatten. Gewiss war es zu erwarten, dass der Bauboom in den neuen Ländern nicht permanent anhalten würde. Aber es ist gut, dass die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe mittlerweile wieder angewachsen ist 756.000 waren es im vergangenen Jahr und dass zum Beispiel die Baugenehmigungen im Wohnungsbau auf ein Zehn-Jahres-Hoch angestiegen sind. Wir machen uns nichts vor: Der milde Winter hat natürlich Ausnahmeeffekte mit sich gebracht. Aber dennoch die Realeinkommen sind gestiegen und die Zinsen sind niedrig, was natürlich die Konjunktur fördert. Da besteht eher die Sorge, ob das alles nachhaltig ist. Aber ich glaube, wir können sagen, dass die deutsche Bauindustrie recht wettbewerbsfähig ist.
Ich unterstreiche Ihr Motto: Investition, Wachstum und Beschäftigung sind das, was Deutschland voranbringt. Deshalb teile ich auch Ihre Mahnung, die Herausforderungen für die Zukunft ernst zu nehmen: die demografische Veränderung, die Energiewende und Investitionen in die Zukunft.
Ich will mit dem Thema Energiewende beginnen. In den nächsten Jahren ist eine Vielzahl von Investitionsmöglichkeiten zu erwarten, insbesondere im Leitungsbau, bei der Erneuerung des Stromnetzes und auch bei Windparkbauten. Ein wichtiger Bereich ist auch die Energieeffizienz. Hierbei gilt als schlafender Riese der Wärmemarkt, insbesondere der gesamte Bereich Gebäudesanierung. Einige Fördermöglichkeiten haben wir leider nie mit dem Bundesrat verabreden können, zum Beispiel die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. Aber ich denke, wir haben mit unseren CO2 -Sanierungsprogrammen doch eine ganze Menge erreicht. Zwischen 2006 und 2013 sind mehr als 3,5 Millionen Wohnungsprojekte gefördert worden. Das Investitionsvolumen dieser Projekte belief sich auf 159 Milliarden Euro. Und es konnte eine beträchtliche Reduktion von CO2 erreicht werden, nämlich um mehr als sieben Millionen Tonnen. Wir werden die betreffenden KfW-Programme natürlich fortsetzen.
Wir müssen bis Jahresende einen Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz aufstellen und auch an Brüssel, an die Europäische Union, abliefern. Wir werden dabei intensiv darüber nachdenken müssen, was wir noch zur Beschleunigung der Verbesserung der Energieeffizienz tun können. Wir werden nämlich unsere Ziele mit den bisherigen Mitteln noch nicht erreichen. Deshalb liegt hier noch ein intensiver Diskussionsprozess vor uns.
Ich denke, auch im Wohnungs- und Städtebau stehen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in der Verantwortung. Wohnraum soll bezahlbar sein. Es gibt vor allem in größeren Städten Bedarf an neuem Wohnraum. Es gibt allerdings durch die demografische Veränderung ganz unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Teilen Deutschlands. Es wird sicherlich in den nächsten zehn Jahren die größte Herausforderung sein: Wir werden auch anderen Wohnraum brauchen, mehr altersgerechten Wohnraum. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Förderung altersgerechter Umbauten über die KfW wieder zu bezuschussen, um diesen Bereich stärker in Gang zu bringen und damit einen Beitrag zur Bewältigung demografischer Herausforderungen zu leisten. Wir haben auch vereinbart, die Programmmittel für die Städtebauförderung insgesamt erheblich aufzustocken. Auch das ist ein Motor für mehr Investitionen. Wir gehen davon aus, dass diese Aufstockung jährlich rund zehn Milliarden Euro an Bauinvestitionen anstoßen kann. Dies dürfte vor allem auch kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort zugute kommen.
Die Attraktivität von Wohnorten hängt natürlich auch von der Qualität und der Quantität der Verkehrsinfrastruktur ab. Herr Bauer hat die Probleme hierbei sehr ausführlich dargelegt. Ich möchte das alles nicht wiederholen. Unser Verkehrswegenetz ist im Grundsatz gut, aber es wird, wie beschrieben, natürlich in Anspruch genommen. Und wenn etwas beansprucht wird, dann unterliegt es einem Verschleiß. Also gibt es einen hohen Bedarf an Investitionen in bestehende Verkehrswege, aber angesichts unserer zentralen Lage in Europa natürlich auch immer wieder an Neuinvestitionen in neue Verkehrsprojekte.
Wir haben hierfür fünf Milliarden Euro mehr in dieser Legislaturperiode veranschlagt. Ich könnte jetzt sagen: Ich hoffe einmal, dass dies nicht durch Mehrkosten bei den einzelnen Projekten wieder aufgefressen wird, sondern dass wir das auch wirklich in zusätzliche Investitionen bringen können. Ich stimme Ihnen zu, dass dies noch nicht dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Allerdings haben Sie uns auch gemahnt, immer auch die Zukunft im Blick zu haben. Für uns ist die Frage des Abbaus der jährlichen Neuverschuldung ein zentrales Projekt. Auch angesichts zunehmender demografischer Probleme wollen wir bereits im Jahr 2015 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Wir sind uns aber einig: Wenn es neue Haushaltsspielräume gibt, dann haben Investitionen im Verkehrsbereich oberste Priorität.
Sie haben auch von nutzungsbezogenen Gebühren oder Einnahmen gesprochen. Sie kennen die verschiedenen Mautpläne, die zum einen die Erweiterung der Lkw-Maut betreffen und zum anderen eine Pkw-Maut für nichtdeutsche Nutzer unserer Straßen. Es wird ein langer Weg sein, um die Erwartungen das muss ich hier ganz offen sagen, die Sie haben und die man auch haben müsste, um die Investitionsversäumnisse der Vergangenheit wiedergutzumachen, zu erfüllen. Nehmen wir es positiv: Wir sind dabei, hier etwas zu tun; und ich empfinde Ihre Rede als eine Ermunterung, mehr zu tun.
Meine Damen und Herren, wir stehen des Weiteren vor der riesigen Aufgabe, auch Verkehrsinvestitionen mit Investitionen in die IT-Struktur zu verbinden und insbesondere die Breitbandversorgung unserer Bevölkerung auszubauen. Wir haben das Verkehrsministerium extra zu einem Infrastrukturministerium ausgebaut, um hierbei zügig voranzukommen. Unser Ziel ist, bis 2018 die Breitbandverfügbarkeit überall, auch in den ländlichen Räumen, zu sichern. Wir werden auch mit der Europäischen Kommission darüber sprechen, wie wichtig unbürokratische Fördermöglichkeiten sind. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir zu einer schnellen Versteigerung der Digitalen Dividende, also von bestimmten Frequenzbereichen, kommen; das wäre dann die zweite Versteigerung. Diesbezüglich hat der Finanzminister zugesagt, dass der Erlös dieser Versteigerung dann auch zu großen Teilen in den Ausbau der IT-Infrastruktur gegeben werden kann. Das ist ganz wichtig.
IT-Lösungen sind für unser Land essenziell. Wenn wir über "Industrie 4.0" sprechen, dann sprechen wir über die Verschmelzung der klassischen Industrie mit der IT-Industrie zur digitalen Industrie. Die Bundesregierung das Ministerium für Wirtschaft, das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und das Innenministerium, das im Bereich des Datenschutzes federführend ist erarbeitet eine "Digitale Agenda 2014 - 2017", die wir Schritt für Schritt umsetzen werden.
Meine Damen und Herren, Großbauprojekte ebenfalls von Herrn Bauer angesprochen sind natürlich auch ein zentrales Thema. Einerseits entscheidet sich daran die Reputation der ganzen Branche. Andererseits handelt es sich oft um öffentliche Bauprojekte, weshalb also auch die Reputation des öffentlichen Bereichs davon abhängt. Ich verzichte hier an diesem Ort einmal darauf, Namen zu nennen und wo Probleme schon einmal vorgekommen sein sollen und in denen wir noch mittendrin sind. Wir haben als Bundesregierung jedenfalls eine Reformkommission zum Bau von Großprojekten ins Leben gerufen, um die Probleme, die sich ergeben auch die Frage der Risikoverteilung, die Sie so anschaulich beschrieben haben, miteinander zu diskutieren und Handlungsempfehlungen zu entwickeln, wie die Kosten- und Termintreue bei der Realisierung von Großprojekten verbessert werden kann.
Meine Bitte an Sie ist Sie haben viele an uns, ich habe eine an Sie: Machen Sie keine Kostenvoranschläge im Bereich von öffentlichen Bauten, von denen Sie vorher schon wissen, dass es echt eng wird. Die Frage, wie man sozusagen an einen Auftrag kommt, ist ja eine spannende; das verstehe ich. Wir sind natürlich relativ hart dazu gehalten, das billigste Angebot zu nehmen. Aber der Weg, erst einmal anzufangen und dann zu sagen "Nun sind wir schon so weit, nun müssen wir eh weitermachen", wird beiden Seiten sowohl der Politik als auch der Wirtschaft auf Dauer nicht guttun und Deutschland insgesamt einen großen Reputationsschaden zufügen. Daher müssen wir wirklich einmal miteinander hinter verschlossenen Türen darüber diskutieren, wie wir hierbei wieder zu mehr Ehrlichkeit und mehr Klarheit kommen.
Ich sage auch: Wir können die Zahl der Zollbeamten noch so sehr aufstocken und noch so viele Baustelleninspektionen durchführen, aber es bedarf auch sozusagen einer moralischen Bereitschaft aller Akteure, die Richtlinien nicht zu umgehen und Niedriglohnarbeit nicht doch durch die Hintertür zuzulassen. Auch das ist ein Thema, das jeder von Ihnen kennt. Ich weiß auch, dass es sicherlich vielerlei Versuchungen gibt. Aber denken Sie immer an den langfristigen, nachhaltigen Weg. Das ist meine Bitte an Sie. Dann werden wir auch miteinander besprechen, was wir gemeinsam noch verbessern können.
Meine Damen und Herren, die Baubranche das wird oft unterschätzt ist eine ausgesprochen innovative Branche. Wenn ich sehe, was allein im Bereich der Baustoffe und bei vielen anderen Dingen an Innovationen dazugekommen ist, kann ich feststellen, dass sich da in den letzten Jahren sehr, sehr viel getan hat. Deshalb will ich auch an dieser Stelle sagen: Wir haben uns vorgenommen, am Ziel festzuhalten, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unserem Land für Forschung und Innovationen auszugeben. Wir sind jetzt fast bei drei Prozent. Bei positivem Wirtschaftswachstum, das wir hoffentlich weiterhin haben werden, müssen wir natürlich jedes Jahr mehr investieren. Wir investieren auch in Bildung, um den nötigen Fachkräftenachwuchs zu bekommen. Auch Sie sind angewiesen auf gute Ingenieure und auf gute Facharbeiter.
Insofern, meine Damen und Herren, gibt es vieles, was wir an gemeinsamen Anliegen haben. Mahnen Sie uns an den Stellen, bei denen Sie glauben, dass es noch der Unterstützung bedarf, denn die Interessen, wofür der Staat sein Geld und des Steuerzahlers Geld ausgeben soll, sind vielfältig.
Dazu, was aktuelle Diskussionen anbelangt, die Herr Bauer ja sehr höflich mit der Frage der Umverteilung angesprochen hat, möchte ich abschließend nur eines sagen: Die Bauindustrie und die deutsche Wirtschaft insgesamt stehen auch deshalb so gut da, weil es ein Jahrzehnt großer Lohnzurückhaltung und großer Vernunft im tariflichen Bereich und eine Vielzahl von Einschnitten gegeben hat ich denke einmal an Rentenniveaus und Ähnliches. Wenn man sich einerseits die Reallohnentwicklung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insgesamt anschaut und wenn man sich dann andererseits die Reallohnentwicklung in manchen großen Unternehmen ich meine hier nicht Sie und bei deren Chefs anschaut, dann sieht man, dass auf die Politik natürlich auch die Frage zukommt: Wie geht das alles zusammen? Wir als Politiker sind einerseits für die Zukunft für die wirtschaftliche Zukunft, für die innovative Zukunft unseres Landes verantwortlich, wir sind aber immer auch mit der Frage der Gerechtigkeit konfrontiert. Ich glaube, in den letzten Jahren und auch in Krisenzeiten hat sich die Soziale Marktwirtschaft bewährt. Sie wird in vielen Ihrer Unternehmen gelebt. Aber gerade Sie in der Bauindustrie wissen doch auch, was diejenigen, die zwischen dem 16. und 63. Lebensjahr auf dem Bau standen, geleistet haben. Insofern bitte ich abschließend einfach darum, auch unsere Entscheidungssituation nachzuvollziehen.
Wir werden stark bleiben, wenn wir in einem kreativen, manchmal auch etwas spannungsgeladenen Dialog bleiben. Deshalb bin ich heute sehr gerne zu Ihnen gekommen. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Verbandstag und eine weiterhin gute, intensive Zusammenarbeit mit der Bundesregierung.