Redner(in): Monika Grütters
Datum: 06. Juli 2014
Untertitel: Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski hat den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigte Safranski in ihrer Laudatio als "Botschafter der Demokratie, der einerseits die Freiheit der Kultur und des Geistes mit Verve verteidigt, zugleich aber andererseits - um der Freiheit willen! - ihre politischen Ansprüche begrenzt."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/07/2014-07-16-gruetters-laudatio-safranski.html
Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski hat den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigte Safranski in ihrer Laudatio als "Botschafter der Demokratie, der einerseits die Freiheit der Kultur und des Geistes mit Verve verteidigt, zugleich aber andererseits - um der Freiheit willen! - ihre politischen Ansprüche begrenzt."
Es gehört zu den empirisch belegbaren Gesetzmäßigkeiten, dass Literaturpreise häufig nicht allein, sondern in Gesellschaft daher kommen, und dass die Wahrscheinlichkeit dafür mit der Zahl der Auszeichnungen steigt, die ein Autor, eine Autorin zuvor bereits erhalten hat. Der Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ist da ein gutes Beispiel: Er muss sich seinen Preisträger in diesem Jahr mit dem Josef-Pieper-Preis und mit dem Thomas-Mann-Preis teilen, was weniger dramatisch ist als es klingt, denn schließlich bescheinigt der eine Preis dem anderen ja, eine ausgezeichnete Wahl getroffen zu haben.
Für das rhetorische Genre der Laudatio allerdings ergibt sich aus der dreifachen Bekränzung mit Lorbeeren eine ganz besondere Herausforderung: Sie besteht insbesondere darin, den Preisträger nicht zu langweilen, der ja in den zahllosen Hymnen auf sein Werk, die solche Preise nach sich ziehen, alles schon gehört und gelesen hat, nur noch nicht von jedem.
So gerne ich mich also heute einreihen würde in den Chor derjenigen, die dem Preisträger bescheinigen, ein fesselnder und inspirierender Erzähler der Lebensgeschichte deutscher Geistesgrößen zu sein, so gerne ich aus vollem Herzen einstimmen würde in den Lobpreis seiner intellektuellen Souveränität, seiner beeindruckenden Belesenheit und seiner stilistischen Eleganz, so gerne ich - wie passend im Musikgymnasium Belvedere! - den Refrain der langen und vielstimmigen Lobeshymne anstimmen und darin, wie so viele es schon vor mir getan haben, seinen beeindruckenden Werdegang nachzeichnen und das Geheimnis seines Erfolgs darlegen würde, so sehr verbietet sich das Naheliegendste gerade in Ihrem Fall, lieber Herr Professor Safranski.
Denn Sie selbst sind ein Meister auch und besonders darin, das Neue, das Außergewöhnliche, das "Un-erhörte" dort zu entdecken, wo eigentlich schon alles gesagt und geschrieben scheint. Das haben Sie gerade mit Ihrer Goethe-Biographie wieder unter Beweis gestellt, von der bis zum Erscheinungstag niemand dachte, dass wir sie unbedingt brauchen. Dann kamen 750 Seiten, die den großen deutschen Dichter, dessen Leben und Wirken bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet schien, dann doch in völlig neuem Licht erscheinen lassen, und kaum auf dem Markt, stürmte die Biographie auch schon die Bestseller-Liste und löste einen wahren Sturm der Begeisterung in den Feuilletons aus, eine bekanntlich eher seltene Koinzidenz. Wer so etwas auf vielfach vermessenem Terrain fertig bringt, kann von seiner Laudatorin erwarten, dass sie der Lobeshymne eine neue, eigene Strophe hinzufügt - eine Herausforderung, die ich allein schon deshalb mit großer Freude übernommen habe, weil ich als Literaturwissenschaftlerin und Literaturliebhaberin zu Ihren begeisterten Leserinnen und Lesern zähle.
Als Kulturn schätze ich ganz besonders Ihren klaren und ja: nüchternen Blick auf das Verhältnis zwischen Kultur und Politik, auf das Verhältnis zwischen dem Individuellen und dem Öffentlichen, und eben darum soll es heute in meiner "Strophe" für die fortzuschreibende Lobeshymne auf Sie, lieber Herr Professor Safranski, gehen. Dass Sie so überzeugend und aus der Fülle geistesgeschichtlicher Kenntnisse schöpfend für eine Trennung dieser beiden Sphären - des Ästhetischen und des Politischen - plädieren, ist ja keineswegs philosophische Begriffsklauberei. Sie verteidigen damit nicht weniger als die Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie!
Das ist leider keineswegs so selbstverständlich wie es klingt, meine Damen und Herren. Sie erinnern sich vielleicht, dass es vor einem Jahr - wir waren mitten im Bundestagswahlkampf - eine ganze Reihe von Intellektuellen gab, die sich in Feuilletons und Fernsehshows eitel dazu bekannten, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch zu machen. In der ZEIT und im SPIEGEL klagten Philosophen, Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Publizisten und Sozialwissenschaftler über den "kollektiven Verlust der Utopiefähigkeit", über das Fehlen von Visionen, von Antworten auf die großen Zukunftsfragen, über die Belanglosigkeit und Austauschbarkeit politischer Positionen, und Peter Sloterdijk ließ dazu angeblich noch ausrichten, er wisse nicht einmal, wann Wahltag sei. Es mag nur ein kleines Grüppchen sein, das da im Habitus der gesellschaftlichen Avantgarde, im Gewand der aufrechten Intellektuellen Politikverachtung kultiviert. Doch die Demokratie nimmt Schaden, wenn ein Teil ihrer Elite die Zurückweisung eines demokratischen Grundrechts öffentlichkeitswirksam zu einer besonders subversiven Form des "J ' accuse!" stilisiert.
Wer diese Haltung, so wie ich, intellektuell wie politisch für allerunterstes Niveau hält, wer sich eher ratlos fragt, warum kluge Menschen die Demokratie verbal mit Füßen treten statt ihre kreative Kraft in politisches Engagement zu investieren, und wer nach Antworten auf intellektuelle Politikverächter sucht, der wird in den Büchern Rüdiger Safranskis fündig. Denn Rüdiger Safranski gelingt es auf meisterhafte Weise, seine biographischen Erzählungen, seine geradezu sinnlichen Berichte aus Ideenküchen, in denen es dampft und brodelt, zu regelrechten Panoramen ganzer Epochen und Geisteshaltungen zu weiten. Dabei zeigt er immer wieder, dass die Sehnsucht nach dem Wahren, nach ganzheitlicher Sinnstiftung, nach der Ordnung eines geschlossenen Weltbilds tief in der deutschen Seele wurzelt.
In seinem Buch "Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare" beispielsweise beschreibt Safranski, wie drei Geistesheroen des abendländischen Denkens - Rousseau, Kleist und Nietzsche - ihre "Wahrheit des Ich gegen den Rest der Welt" errichten und dabei der suggestiven Macht ihrer eben geschlossenen Weltbilder erliegen. In "Das Böse. Drama der Freiheit" unternimmt Rüdiger Safranski eine Tour d ' horizon durch die abendländische Geistesgeschichte, um die Abgründe der menschlichen Freiheit erkunden. Das Böse trägt, wie sich zeigt, nicht das Antlitz des Teufels, sondern es begegnet uns in den Irrwegen menschlicher Freiheit - auch und gerade in Ideologien und Utopien - vor allem mit dem Ziel, den Menschen zu bessern. Dazu passt auch das grandiose Buch über "Romantik. Eine deutsche Affäre". Ein Kapitel darin ist der Beschäftigung mit einer auf den ersten Blick geradezu tollkühn scheinenden Frage gewidmet: "Wie romantisch war der Nationalsozialismus?". Hitler in einem Atemzug mit den Genies der Romantik - mit Eichendorff, Novalis, Hölderlin und wie sie alle heißen - zu nennen, das provoziert den Widerspruch geradezu reflexhaft, doch die "fatale Verbindung von Weltfremdheit und weltstürzendem Furor" als Gemeinsamkeit im Denken und Wahrnehmen lässt sich dann doch nicht bestreiten. Das Romantische, analysiert Safranski, will mit ästhetischen Mitteln eine neue, schönere Welt schaffen, ein Gegenbild zur Wirklichkeit, und bleibt doch, trotz hehrer Ideale, weltfremd, weil ihm, ich zitiere,"ein auf Realismus, praktischer Klugheit und Weltläufigkeit gründender Humanismus" fehle.
Romantik als Geisteshaltung beschränkt sich dabei keineswegs auf die Epoche der Romantik: Das Romantische als Sehnsuchtsort, als Unbehagen an der Entzauberung der Welt lebt fort - wir erleben es zum Beispiel in Form elitärer Politikverachtung. Wie gehen wir damit um?
Ich will das publizistische Werk unseres Preisträgers nicht reduzieren auf die Lehren, die sich daraus ziehen lassen. Wie Rüdiger Safranski philosophische Reflexion und biografische Anekdoten zu spannenden Erzählungen verbindet, die Millionen Leserinnen und Lesern Zutritt zu den Schatzkammern deutscher Geistesgeschichte gewähren, das ist für sich genommen schon beeindruckend genug. Doch sein nachdrückliches Warnen davor, individuelle Sinnstiftung vergesellschaften zu wollen und damit Politik zu machen, verdient Gehör gerade deshalb, weil die romantisch verklärte Sehnsucht nach kollektiven Utopien zu Frust und Ressentiment führt, wenn sie in den Niederungen des demokratischen Alltags auf die politische Realität trifft.
Rüdiger Safranski erkennt, im Gegensatz zu manch anderem zeitgenössischen Denker, die jeweils eigenen Gesetze des Ästhetischen wie des Politischen an.
Er verteidigt die nüchterne Rationalität der Politik ebenso wie die schöpferische Kraft der Kultur. Ich zitiere: "Wir brauchen die abenteuerlichen Wahrheiten der Kultur und die nüchternen Wahrheiten einer abgemagerten Politik. Wenn wir diese beiden Bereiche nicht trennen, besteht die Gefahr, dass wir entweder eine abenteuerliche Politik oder eine ausgenüchterte Kultur bekommen, und, im schlimmsten Fall, sogar beides." Man muss sicherlich nicht Kulturpolitikerin sein, um diese Vorstellung ebenso beängstigend wie trostlos zu finden!
Rüdiger Safranski vermittelt als kundiger Grenzgänger zwischen den beiden Welten: Er ist ein Botschafter der Demokratie, der einerseits die Freiheit der Kultur und des Geistes mit Verve verteidigt, zugleich aber andererseits - um der Freiheit willen! - ihre politischen Ansprüche begrenzt. Sein Plädoyer für die Trennung zwischen individuellen, ästhetischen Wahrheiten und gemeinsamen, politischen Wahrheiten, für eine Art "Zweikammernsystem" des ( Zusammen- ) Lebens, bringt auf den Punkt, warum gerade die vermeintliche Schwäche der Demokratie - die Nüchternheit ihrer Politik, der Verzicht auf das Beschwören von Utopien - bei Licht betrachtet ihre Stärke ausmacht: weil sie damit unser aller Freiheit sichert.
Der Preis dafür ist, ich zitiere noch einmal Rüdiger Safranski,"eine wahrheitspolitisch abgemagerte Politik; eine Politik ohne Sinnstiftungsambitionen, die es den einzelnen erlaubt, nach ihren Wahrheiten zu suchen; eine Politik ohne geschichtsphilosophisches Pathos und weltanschauliches Tremolo. Eine Politik, die vielleicht gerade wegen dieser lebensdienlichen Enthaltsamkeit ein wenig langweilt, vielleicht sogar unansehnlich ist: ebenso unansehnlich und gewöhnlich wie unsere gewöhnlichen, alltäglichen, kleinkarierten, egoistischen Interessen, um deren vernünftigen Ausgleich untereinander ( … ) sich die Politik zu bemühen hat."
Im Sinne des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung, der dem schriftstellerischen Engagement für die Freiheit und Würde des Menschen gewidmet ist, besteht das vielleicht größte Verdienst Rüdiger Safranskis darin, immer wieder an die Notwendigkeit dieser einen strikten Trennung zwischen politischer Vernunft und künstlerisch-ästhetischer Radikalität zu erinnern. Im Schöpferischen, im Fantastischen, im Abgründigen, im Überschwänglichen, in der Sehnsucht nach Sinnstiftung gründet die Vielfalt unserer Kultur. In der Nüchternheit, im Pragmatismus, in der Sachlichkeit, in der Distanz zu Utopien gründen die Freiheit des einzelnen und genau damit das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Politische Gestaltung muss sich im Angesicht einer - der menschlichen Freiheit geschuldeten - Vielfalt individueller Wahrheiten und Lebensentwürfe auf die Bedingungen der Freiheit beschränken.
Doch eine Frage bleibt: Rüdiger Safranski hat sie in seiner Dankesrede zum WELT-Literaturpreis 2006 so formuliert: "Politik ( … ) sollte sich fern halten von den sogenannten letzten Fragen. Aber wer sie sich überhaupt abgewöhnt und den Sinn dafür verliert, der wird eindimensional, der verspielt sein Talent für die Transzendenz, den nimmt die Wirklichkeit so gefangen, dass er schließlich, wie Schopenhauer so schön sagt, einem Hamster gleicht, der im Rade läuft. Die Frage ist, wie wir Fühlung behalten können mit jenem Bereich jenseits von Politik, Geschichte und Ökonomie."
Es ist auch meine feste Überzeugung, dass wir Werte und Wahrheiten jenseits von Politik, Geschichte und Ökonomie brauchen. Zwei Milieus sind es, die dazu "Fühlung behalten", zwei Milieus, die eines gemeinsam haben, eben dass sie um Antworten auf letzte Fragen ringen: Es sind die Kirche und die Kreativen. Die Kirchen und die Gläubigen, die Intellektuellen und die Künstler sind es, die Antworten suchen und zuweilen finden auf Fragen nach den Sinn stiftenden Kräften und Werten.
Dies zu ermöglichen, begründet eine Kulturpolitik, die sich der Freiheit der Kultur verpflichtet fühlt. In Deutschland haben wir aus zwei deutschen Diktaturen eine Lehre gezogen, die da lautet: Kritik und Freiheit der Kunst sind konstitutiv für eine Demokratie. Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Und wir brauchen sie, die mutigen Künstler, verwegenen Denker, unbequemen Schriftsteller! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Sie sind imstande, unsere Gesellschaft vor gefährlicher Lethargie und damit auch vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen! Die Freiheiten dieser Milieus zu schützen, ist oberster Grundsatz, ist die vornehmste Pflicht verantwortungsvoller Kulturpolitik.
Wie kann umgekehrt die Kunst "Fühlung behalten", also offen bleiben für Erfahrung und Lebenspraxis in einer Gesellschaft mit vielfältigen Wahrheitsansprüchen? Rüdiger Safranski wäre nicht Rüdiger Safranski, wenn er nicht auch diese Idee in einer eindrucksvollen Biographie entfalten könnte. Er präsentiert uns einen Menschen, dem es auf beeindruckende Weise gelungen ist, sowohl der ästhetischen wie auch der politischen Wahrheit in seinem Leben Raum zu geben, einen Menschen, der zu dieser Lebenskunst imstande ist, bei der man - ich zitiere - "selbst lebendig bleibt und die zugleich das gefährdete Unternehmen des gemeinschaftlichen Lebens am Leben lässt."
Sie ahnen es, meine Damen und Herren: Es ist Johann Wolfgang von Goethe, jener große deutsche Dichter, der mit Mitte 20 als Schriftsteller schon so erfolgreich ist, dass er beschließt, sich auf einem ganz lebenspraktischen Feld zu beweisen und Politiker am Hof von Weimar wird! Die Attitüde moralischer Anmaßung, die seine Sturm-und-Drang-Freunde an den Tag legten, muss ihm gewaltig auf die Nerven gegangen sein, jedenfalls begegnet er den kühnen Visionen Friedrich Schillers von einer Kunst, die den Menschen freiheitsfähig machen soll, mit der lakonischen Feststellung, dass mit ein bisschen mehr Höflichkeit unter den Menschen schon viel erreicht wäre, denn das Ende der Höflichkeit sei der Anfang der Barbarei.
Von Schiller wiederum können wir lernen, die Freiheit der Kunst zu verteidigen: "Kunst ist eine Tochter der Freiheit", schrieb er im zweiten Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen. Was man von Goethe heute lernen könne, wurde Rüdiger Safranski in einem Interview gefragt: Man lerne von ihm, ich zitiere,"wie gut sich Realismus und Möglichkeitssinn vereinbaren lassen. Er stand mit beiden Beinen auf dem Boden, verlor darüber aber nie aus den Augen, frei zu sein, frei zu denken und nach Chancen Ausschau zu halten, das Bestehende zu verändern." Das, meine Damen und Herren, ist wahrlich ein "Kunstwerk des Lebens", wie es im Titel dieser großartigen Biographie so schön heißt!
Ganz offensichtlich, lieber Herr Professor Safranski, verdanken wir Ihnen viel mehr als glänzend geschriebene und fesselnd erzählte Biographien, die das Werk und die Persönlichkeit deutscher Geistesgrößen in all ihren Facetten zum Leuchten bringen und deren Lektüre ebenso erkenntnisreich wie inspirierend ist. Wir verdanken Ihnen auch die Versöhnung des Ästhetischen mit dem Politischen: Als literarischer Grenzgänger zwischen Kultur und Politik verteidigen Sie den Wert beider Sphären und ihre Bedeutung für ein Leben in Freiheit und ein Zusammenleben in Frieden.
Es gibt vielleicht nur einen einzigen Wunsch, den Ihr Werk bisher noch offen lässt: Sie haben sich Meistern aus Deutschland gewidmet, den Gipfeln wie den Abgründen ihres Denkens, den Sternstunden und den Pathologien ihrer Zeit. Eines haben Sie aber bisher vermieden, nämlich die Beschäftigung mit den Meisterinnen aus Deutschland. Noch nie haben Sie eine Biographie über eine Frau geschrieben - "aus Respekt", wie Sie einmal gesagt haben, weil sie nicht glauben, dass Sie sich gut genug eine Frau hinein versetzen, sie gut genug verstehen können. Ihre Leserinnen trauen Ihnen das sicherlich zu, ich auch, und ich erlaube mir dazu noch den Hinweis, dass man ( n ) in Alice Schwarzers Zeitschrift EMMA mit einer 100 % igen Männerquote ungeachtet aller Meriten schnell in der Rubrik "Pascha des Monats" landet, was Sie nun wirklich nicht verdient hätten... ! Es wäre jedenfalls ein herber Schlag für uns Frauen, wenn den Meisterinnen aus Deutschland vorenthalten bliebe, was den Meistern aus Deutschland vergönnt ist: von Ihnen porträtiert zu werden und damit in den Herzen und Köpfen vieler Menschen lebendig zu bleiben.
Von Jean Paul ( einem Dichter, den ich persönlich sehr schätze und über den ich als Studentin der Literaturwissenschaften meine Magisterarbeit geschrieben habe ) stammt der schöne Satz: "Nie zeichnet der Mensch den eigenen Charakter schärfer, als in seiner Manier, einen fremden zu zeichnen." Ihre Zeichnungen deutscher Dichter und Denker vermitteln die schier grenzenlose Weite des Denkens, die die Freiheit uns Menschen eröffnet - die romantisch-grüblerische Weltflüchtigkeit, die wir von ihnen geerbt haben, ebenso wie den Reichtum an großen Ideen, die sie hervorgebracht haben. Ein großer Geist, der diesen Reichtum zu erfassen in der Lage ist, ein souveräner Charakter, der sich auf allen Gipfeln und in allen Untiefen des Denkens so sicher zu bewegen weiß!
Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung!