Redner(in): Monika Grütters
Datum: 08. Juli 2014

Untertitel: "Wer verstehen will, warum uns mit den USA weit mehr verbindet als eine interessengeleitete Partnerschaft, wer verstehen will, wie zwischen unseren Ländern eine Freundschaft im Sinne tiefer emotionaler Verbundenheit wachsen konnte, der erfährt es in dieser Ausstellung." so Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/07/2014-07-08-gruetters-alliiertenmuseum.html


Wer verstehen will, warum uns mit den USA weit mehr verbindet als eine interessengeleitete Partnerschaft, wer verstehen will, wie zwischen unseren Ländern eine Freundschaft im Sinne tiefer emotionaler Verbundenheit wachsen konnte, der erfährt es in dieser Ausstellung." so Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

Vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen das Buch "Airport" von Alain de Botton, einem Schweizer Philosophen und Historiker. Er verbrachte eine Woche als "writer in residence" auf dem Flughafen Heathrow; sein Schreibtisch stand mitten in der Abflughalle. Aus Eindrücken und Beobachtungen entstand eine Collage, die diesen Ort als Miniaturbild unseres Lebens zeichnet."Der Flughafen ist das imaginative Zentrum unserer Kultur", schreibt Alain de Botton, und das scheint nicht übertrieben angesichts der Leitmotive des Flughafenalltags, die auch Leitmotive des Lebens sind: Abschied und Ankunft, Aufbruch und Heimkehr, Warten und Transit.

Als eine Art Miniaturbild kann man auch den Flughafen Berlin-Tempelhof sehen - als eine Art Miniaturbild deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die amerikanische Perspektive auf diese Geschichte ist ja nicht irgendeine Perspektive, sondern die Perspektive derjenigen, die hier selbst "Geschichte geschrieben" haben. Ich freue mich sehr, dass das AlliiertenMuseum der "amerikanischen Geschichte" des Flughafens Berlin-Tempelhof eine eigene Ausstellung widmet und heiße Sie zur heutigen Eröffnung herzlich willkommen!

Tempelhof, das ist etwas richtig Sentimentales - Tempelhof hat für die Berlinerinnen und Berliner eine hohe emotionale Bedeutung, das wissen wir nicht erst seit dem Volksentscheid über die künftige Nutzung des Tempelhofer Felds. Axel Schultes, der Erbauer des Kanzleramtes in Berlin-Mitte, hat Tempelhof einmal als "Ikone eines Flughafens" bezeichnet. Der zwischen 1936 und 1941 errichtete Komplex, der immer noch eines der größten Bauwerke der Welt ist, offenbart die Hybris der Nationalsozialisten, besticht aber auch durch seine Modernität und Klarheit. Zum Mythos wurde Tempelhof aber natürlich vor allem deshalb, weil der Flughafen ein einmaliger Kristallisationspunkt der deutschen und internationalen Zeitgeschichte ist.

Die Ausstellung zeigt erstmals Ausgrabungsfunde, die dokumentieren, dass Zwangsarbeiter aus 17 Nationen während des Zweiten Weltkriegs auf dem Tempelhofer Flughafengelände Rüstungsgüter produzieren mussten. Sie zeigt, wie sich der Flughafen später im Zentrum der deutschen Hauptstadt, wo der Zweite Weltkrieg sein Ende nahm, zum Schauplatz eines neuen Krieges, entwickelte, der zunächst noch keinen Namen hatte. Sie zeigt, wie Tempelhof als "Heimatflughafen der Luftbrücke" für die Westberliner zum "Tor zur freien Welt" wurde - und schließlich für ganz Deutschland zu einem Symbol für die Freiheit. So dokumentiert die Ausstellung mit beeindruckender historischer Tiefenschärfe die Vielschichtigkeit dieses Erinnerungsortes.

Die Geschichte, die dabei im Vordergrund steht, ist "die amerikanische Geschichte". Sie beginnt mit einem Satz, den der Organisator der Luftbrücke, US-General Clay, auf dem Höhepunkt der Berlinkrise schrieb: "Ich glaube, im Interesse der Demokratie ist es erforderlich, dass wir hier bleiben." Diese nüchternen Worte erwiesen sich als prophetisch. Das Festhalten der Westmächte am Vier-Mächte-Status Berlins wurde tatsächlich zur historischen Voraussetzung für die deutsche Einheit von 1990. Für viele Deutsche, vor allem für die Jüngeren, die das geteilte Europa und den Eisernen Vorhang nicht erlebt haben, mag dies heute wie eine geschichtliche Anekdote klingen - gerade in Zeiten, in denen wir hier in Deutschland über die völlig inakzeptablen Abhörpraktiken der NSA diskutieren. Wir alle sollten aber - bei aller gerechtfertigter Kritik - nie vergessen, was wir den Westalliierten und insbesondere den USA verdanken. Unsere Freiheit ist auch und vor allem ein Geschenk Amerikas!

Dafür steht der Flughafen Tempelhof, und dafür steht auch das AlliiertenMuseum, das die Wechselwirkungen zwischen Stadtgeschichte und Weltgeschichte in Berlin als der "Frontstadt des Kalten Krieges" und die Rolle der Westmächte beim Fall der Mauer dokumentiert. Ich nutze die Gelegenheit heute gerne, um den Vertretern der USA, Großbritanniens und Frankreichs herzlich für das beständige Engagement ihrer Länder für das AlliiertenMuseum zu danken! Dieses Engagement hat uns eine umfassende und konkurrenzfähige Sammlung zur deutschen Nachkriegsgeschichte beschert.

Eine solche Sammlung braucht Raum für eine wirkungsvolle Präsentation. Deshalb setze ich mich nachdrücklich für einen Umzug des Museums in den Hangar 7 des Flughafens Tempelhof ein. Das Land Berlin, Eigentümer des ehemaligen Flughafengeländes, befürwortet den Umzug. Der Deutsche Bundestag hat 2012 Mittel bereitgestellt. Es freut mich, dass es gelungen ist, das Vorhaben auch in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. Nach Abschluss der Umzugsplanung wird der Bundestag über das weitere Vorgehen entscheiden.

Liebe Frau Dr. Bavendamm, ich weiß, wieviel Kraft Sie die Umzugsplanungen kosten, die neben dem normalen Betrieb laufen müssen. Für Ihren unermüdlichen Einsatz sei Ihnen herzlich gedankt! Ich bin sicher: Mit Ihrer Kompetenz und Energie wird das neue AlliiertenMuseum in Tempelhof zu einem Highlight in der deutschen und internationalen Museumslandschaft.

Auch die Botschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs machen sich schon lange für den Umzug des AlliiertenMuseums nach Tempelhof stark. Darüber freue ich mich sehr, auch wenn wir alle es sicher bedauern, dass dieses wunderschöne Outpost-Theater, in dem wir heute zu Gast sind, nicht mehr den Alltag der US-Streitkräfte in Berlin illustrieren wird.

Für mich ist das gemeinsame Engagement für den Umzug ein klarer Beleg für die Wertschätzung, die der Flughafen Tempelhof als Erinnerungsort in unserer gemeinsamen Freiheitsgeschichte erfährt.

Meine Damen und Herren, letzten Donnerstag haben wir im Deutschen Bundestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedacht. In wenigen Monaten werden wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Licht und Dunkel des letzten Jahrhunderts liegen in diesem Gedenkjahr 2014 dicht beieinander. Es ist eine der großen moralischen, politischen und gesellschaftlichen Errungenschaften unseres Landes, dass wir beidem Raum in unserer Erinnerung geben, dass wir die Erinnerung an die Barbarei der nationalsozialistischen Diktatur und an die Schrecken der kommunistischen Diktatur ebenso wach halten wie das Gedenken an die Freiheitstradition, in die auch das AlliiertenMuseum und der Flughafen Tempelhof gehören. All das lässt sich nicht staatlich verordnen. Dennoch ist die Bewahrung der Erinnerung eine gemeinsame, auch politische Aufgabe. Denn Geschichte vergeht nicht. Der Umgang mit unserer Geschichte prägt die Zukunft unserer Gesellschaft. Die Gedenkstätten, die Ausstellungen, die Institutionen und Museen sind Ausdruck unseres gemeinsamen Willens, die Vergangenheit lebendig zu halten, und viele, die heute hier mit im Publikum sitzen, tragen mit ihrem großen Engagement maßgeblich dazu bei!

Die Sonderausstellung "Flughafen Berlin-Tempelhof" ist eine Bereicherung dieser Erinnerungskultur. Sie weckt bei vielen Berlinerinnen und Berlinern, die das Ende der Berliner Luftbrücke vor 65 Jahren miterlebt haben, große Dankbarkeit: nicht zuletzt wegen der Rosinenbomber, die Westberlin über ein Jahr lang versorgten - mit 2,3 Millionen Tonnen Lebensmittel und Kohle, verteilt auf rund 280.000 Flüge. Die später Geborenen spüren hier etwas vom Geist dieser beispiellosen Hilfsaktion und der amerikanischen Unterstützung, der wir so viel verdanken. Wer verstehen will, warum uns mit den USA weit mehr verbindet als eine interessengeleitete Partnerschaft, wer verstehen will, wie zwischen unseren Ländern eine Freundschaft im Sinne tiefer emotionaler Verbundenheit wachsen konnte, der erfährt es in dieser Ausstellung, der ich auch und besonders aus diesem Grund viele - und vor allem auch junge - Besucherinnen und Besucher wünsche!

Als überzeugte Transatlantikerin hoffe ich, dass wir auf der gemeinsamen Erinnerung an das, was Deutschland und Amerika verbindet, Brücken bauen, die uns in Konflikten immer wieder zueinander finden lassen. Das zeichnet eine reife Partnerschaft aus, und darauf sind wir, Amerikaner wie Deutsche, heute mehr denn je angewiesen und auch stolz!