Redner(in): Monika Grütters
Datum: 12. September 2014
Untertitel: Bei der Ausstellungseröffnung kündigte Kulturstaatsministerin Grütters an, Mittel für die Erwerbung einer Autographensammlung Heinrich Manns zur Verfügung zu stellen. Damit werde auch das Engagement der Lübecker Bürgerinnen und Bürger gewürdigt, die sich - so Grütters - mit so viel Herzblut für das Buddenbrookhaus und für das kulturelle Leben Lübecks einsetzen.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/09/2014-09-18-gruetters-bunddenbrookhaus.html
Bei der Ausstellungseröffnung kündigte Kulturstaatsministerin Grütters an, Mittel für die Erwerbung einer Autographensammlung Heinrich Manns zur Verfügung zu stellen. Damit werde auch das Engagement der Lübecker Bürgerinnen und Bürger gewürdigt, die sich - so Grütters - mit so viel Herzblut für das Buddenbrookhaus und für das kulturelle Leben Lübecks einsetzen.
Anrede,
Kennen Sie das besondere Gefühl freudiger Überraschung, das sich einstellt, wenn man dort etwas Neues entdeckt, wo man glaubte, schon alles Wesentliche gehört und gesehen zu haben? Ein bisher unbekanntes Detail, eine ungewöhnliche Perspektive, eine unentdeckte Facette kann geradezu elektrisierend wirken, wenn man sich für ein Thema begeistert.
So wird es - das wage ich nach meinem Rundgang eben zu prognostizieren - den Liebhabern der Werke Thomas Manns mit der Ausstellung "Augen auf! Thomas Mann und die bildende Kunst" gehen.
Neue Perspektiven auf das Werk des großen Schriftstellers gibt es zum einen im Buddenbrookhaus. Die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten und Zugänge wird in den Illustrationen bildender Künstler im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich, und damit auch der ungeheure Facettenreichtum seiner Romane und Erzählungen. Dass sich auch 26 Studierende der HAW Hamburg mit ihren Illustrationen beteiligen konnten, freut mich sehr. Das ist ein schöner Beitrag zur Förderung junger Künstlerinnen und Künstler - zumal die Hans-Meid-Stiftung, wie ich gehört habe, am 21. September Preise für die drei besten Illustrationen vergeben wird.
Zum anderen erleben wir im Behnhaus den Blick des Schriftstellers auf die bildende Kunst - eine ganz neue Perspektive auf den Menschen Thomas Mann. Es ist faszinierend zu spüren, wie die Bilder dieser Ausstellung über sich selbst hinausweisen, indem sie den Blick des Betrachters auf denjenigen lenken, der sich einst durch sie angesprochen, berührt, in den Bann gezogen fühlte.
Thomas Mann war ja bekanntlich kein wirklicher Kunstkenner. Er selbst attestierte sich auf diesem Gebiet in einem Brief an einen Freund "skandalöse Unbildung", so dass ein Bild, das "großen Eindruck" auf ihn machte,"malerisch nicht fünf Pfennig wert" sein mochte. Er müsse sich ein "Armutszeugnis" ausstellen, schrieb er an anderer Stelle, er habe "zur modernen Malerei, ja zur Malerei überhaupt wenig Verhältnis". Das mag überraschen, weil kaum jemand sonst in der deutschen Literatur solche Meisterschaft darin bewiesen hat, Beschreibungen nach bildlichen Vorlagen auszuarbeiten. Hans Castorps Großvater im Zauberberg beispielsweise hat Thomas Mann nach Max Liebermanns Bildnis des Bürgermeisters Petersen beschrieben, und in Hans Castorps Schneetraum sind detailgetreu Bilder des Malers Ludwig von Hofmann wiedergegeben. Dennoch liest man auch bei Kunsthistorikern, Thomas Manns künstlerischer Geschmack sei konservativ, sein Sachverstand auf diesem Gebiet begrenzt.
Für uns sind die Bilder, die ihn beeindruckt und begleitet haben, aber vielleicht gerade dadurch umso interessanter - weil sie eben nicht mit dem geübten Kennerblick eines Kunstsammlers oder Kurators ausgewählt wurden, sondern gewissermaßen im Affekt: weil Thomas Mann sich von ihnen in Bann gezogen fühlte. So schrieb er vor ziemlich genau 100 Jahren, am 27. Juni 1914, an den Maler Ludwig von Hofmann: "Ich bin in Sorge um ein Bild, in das ich mich diesen Winter bis über beide Ohren verliebte." Es folgt eine Erklärung, warum er sich das ersehnte Bild - "Die Quelle", es ist auch in der Ausstellung zu sehen - im Moment nicht leisten kann. Dann heißt es weiter: "Ich liebe die hohe, neue, festliche Menschlichkeit Ihrer Kunst von Jugend auf, ich fand und liebte sie in jeder Leinwand, jedem Blatt und Blättchen, das mir von Ihnen zu Gesichte kam […] . Ich bitte Sie nur um Eins: Erweisen Sie mir […] die Ehre, mir ein gewisses Vorkaufsrecht auf dieses Bild einzuräumen. […] Den Preis kenne ich. Er ist niedrig, verhältnismäßig, aber ich kann ihn im Augenblick nicht aufbringen. In dem Augenblick jedoch, wo ich Gefahr laufe, das Bild an einen anderen Liebhaber zu verlieren, werde ich ihn wahrscheinlich dennoch aufbringen."
Die Bilder, die Thomas Mann umgaben, waren also keine Sammelobjekte, sondern Liebhaberstücke, und gerade deshalb ist es so interessant, sie in dieser Ausstellung zu erleben: weil sie uns zeigen, was das Herz des großen Schriftstellers aufgehen ließ, weil sie uns spüren lassen, was ihn berührte, und weil wir ihn damit in seinen Bildern, wenn wir - "Augen auf!" - genau hinschauen, von einer sehr persönlichen, ja intimen Seite kennen lernen.
Lübeck, meine Damen und Herren, ist mit dieser Ausstellung zweifellos um ein weiteres kulturelles Highlight reicher! Es freut mich, dass wir dazu mit Mitteln aus meinem Etat beitragen konnten. Das Engagement des Bundes für den Erhalt des reichen kulturellen Erbes der prächtigen Weltkulturerbestadt hat ja eine lange Tradition. Lübeck steht in Schleswig-Holstein mit großem Abstand an erster Stelle, was die Vergabe von Fördermitteln meines Hauses betrifft: Für die Häuser der beiden Literaturnobelpreisträger - das Buddenbrookhaus und das Grass-Haus - stellen wir der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck jährlich rund 100.000 Euro zur Verfügung. Auch das Vermächtnis des Lübecker Friedensnobelpreisträgers fördern wir. Für baulichen Investitionen und die Dauerausstellung im Willy-Brandt-Haus hat mein Haus Projektmittel in Höhe von 1,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen jährlich rund 440.000 Euro aus dem institutionellen Bundeszuschuss für die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, eine unserer fünf Politikergedenkstiftungen. Im Rahmen des Denkmalpflegeprogramms National wertvolle Kulturdenkmäler hat Lübeck bisher insgesamt rund 8,5 Millionen Euro erhalten: für den Dom, für St. Petri, für St. Marien, für die Katharinenkirche, für den Rathaus-Germanistenkeller, für den Rettungsgraben und das St. Annen Museum. Aus den Denkmalschutzsonderprogrammen wurden das Museums-Wohn-Gästehaus Engelsgrube ( 200.000 Euro ) , die Jakobipastorenhäuser ( 100.000 Euro ) , das Gaedertz-Stift ( 320.000 Euro ) und die Hafendrehbrücke ( 100.000 Euro ) gefördert. Und auch in diesem Jahr stehen beträchtliche Fördermittel im Bereich des Denkmalsschutzes zur Verfügung, insbesondere für den Substanzerhalt der Lübecker Carlebach-Synagoge.
Angesichts dieser Fördersummen wurde es wirklich Zeit für meinen ersten Besuch hier als Kulturstaatsministerin - und ich komme heute auch nicht mit leeren Händen. Mein Haus wird die Mittel für den Ankauf der Autographensammlung aus dem Heinrich-Mann-Nachlass zur Verfügung stellen. Der Teilnachlass von Heinrich Mann, um den es hier geht, umfasst insbesondere mehr als 400 Briefe, die er unter anderem an seinen Bruder Thomas geschrieben hat.
Solche privaten Dokumente lassen Leben und Werk der großen Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann an der einen oder anderen Stelle natürlich auch - genau wie die Ausstellung - in ganz neuem Licht erscheinen und sind deshalb ein wahrer Schatz, vor allem für Wissenschaftler, aber auch für Literaturliebhaber. Wo wäre dieser Schatz besser aufgehoben als im Buddenbrookhaus, dem Thomas-und Heinrich-Mann-Zentrum? Wir haben in Deutschland kaum ein Literaturmuseum, das in seiner Bedeutung mit dem Buddenbrookhaus vergleichbar ist. Deshalb empfinde ich es nicht nur als Ehre, sondern auch als Verpflichtung, seine Entwicklung als wissenschaftliches Literaturzentrum zu unterstützen.
Damit würdigen wir im Übrigen auch das großartige Engagement der Lübecker Bürgerinnen und Bürger, die sich mit so viel Herzblut für das Buddenbrookhaus und für das kulturelle Leben Lübecks einsetzen. Es beeindruckt mich sehr, in welch hohem Maße sich Menschen hier mit verantwortlich fühlen für den Erhalt des kulturellen Erbes und wie selbstverständlich die lange Tradition des Mäzenatentums in Lübeck fortgeführt wird. Die Possehl-Stiftung beispielsweise gibt für den Ankauf der Autographensammlung von Heinrich Mann die gleiche Summe wie der Bund, und auch die Dräger-Stiftung fördert großzügig den Erhalt des literarischen Erbes der Hansestadt, aber auch die Vielfalt des Kulturangebots: mit Unterstützung beispielsweise für die Stadtbibliothek oder das Theater. Zusammen mit den vielen Menschen, die sich täglich im Kleinen für "ihr" Lübeck engagieren, tragen sie zu einer blühenden Kulturlandschaft bei, die Kulturliebhaber von überall her in die Stadt lockt.
Gut möglich also, dass es vielen Lübeck-Reisenden ähnlich geht wie Lübecks großem Sohn Thomas Mann, wenn er von seiner Wahlheimat München aus Richtung Berlin schaute, wo der Maler Max Liebermann lebte: "In Liebermann bewundere ich Berlin, das man von München aus viel besser bewundert, als wenn man dort lebt. Ich finde es königlich, dass er den geweckt schnoddrigen Berlin Jargon spricht, frank und unverfälscht, und wenn ich bei ihm bin, in seinem Haus am Pariser Platz, fühle ich mich am Brenn- und Sammelpunkt erheiternder und mächtiger Charakterkräfte, an repräsentativ- symbolischem Ort, in der Residenz des genius loci."
Dieselbe faszinierende Kraft, die Thomas Mann im Liebermann-Haus spürte, wünsche ich auch dem Buddenbrookhaus und der neuen Ausstellung über "Thomas Mann und die bildende Kunst" : Möge sie viele Besucherinnen und Besucher, darunter auch und vor allem ein junges Publikum, für unser künstlerisches und literarisches Erbe begeistern!