Redner(in): Monika Grütters
Datum: 26. September 2014

Untertitel: In ihrer Rede sprach Monika Grütters über das Leben und Werk Oskar Kokoschkas und ging in diesem Zusammenhang auf die Themen Provenienzrecherche und Raubkunst ein.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/09/2014-09-26-gruetters-kokoschka.html


In ihrer Rede sprach Monika Grütters über das Leben und Werk Oskar Kokoschkas und ging in diesem Zusammenhang auf die Themen Provenienzrecherche und Raubkunst ein.

Anrede,

wer die Kunst liebt, hat meist eine ganz persönliche "Kunstgeschichte" zu erzählen: eine Kunstgeschichte, die nicht nach Epochen und Strömungen geordnet ist, sondern gleichsam biographisch - nach eigenen Begegnungen mit den Werken der Künstlerinnen und Künstlern, die einem etwas bedeuten. So geht es mir jedenfalls, und ich bin Ihrer Einladung zur heutigen Ausstellungseröffnung ins schöne Regensburg auch deshalb so gerne gefolgt, liebe Frau Dr. Tieze, weil Oskar Kokoschka in meiner persönlichen "Kunstgeschichte" immer wieder eine besondere Rolle gespielt hat.

Dass Oskar Kokoschka mir viel bedeutet, liegt nicht nur daran, dass ich seinen kühnen, beinahe ekstatischen Stil schon lange schätze. Kokoschka ist mir auch in meiner ehrenamtlichen und in meiner politischen Arbeit immer wieder begegnet. Sein Gemälde "Pariser Platz" zum Beispiel: Sie kennen es vielleicht, es zeigt den Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin vom Dach der Akademie der Künste aus gesehen. Man sieht darauf auch das Atelier des Malers Max Liebermann, das heutige Max-Liebermann-Haus, in dem die Stiftung Brandenburger Tor ihren Sitz hat. Diese Stiftung habe ich viele Jahre ehrenamtlich geführt und mich immer wieder gefreut, wenn wir das herrliche Kokoschka Gemälde "Pariser Platz" in unseren Ausstellungen im Liebermann-Haus zeigen konnten.

Es galt als legal erworbenes Eigentum der Berliner Nationalgalerie und hing ansonsten im Büro des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz - bis dieses Jahr im April der Verdacht aufkam, dass es sich dabei um NS-Raubkunst handeln könnte. Das hat mich, wie Sie sich vorstellen können, gerade auch unter dem Eindruck des "Fall Gurlitt", wirklich schockiert. Ich habe die Provenienzrecherche ja gleich nach meinem Amtsantritt ganz oben auf meine politische Agenda gesetzt. Und dann wurde ausgerechnet Oskar Kokoschkas "Pariser Platz" - ein Gemälde, mit dem ich persönlich so viel verbinde und das ich als Stiftungsvorsitzende mehrfach ins Liebermann-Haus geholt habe - nachträglich gewissermaßen zum Kronzeugen dieser politischen Entscheidung.

Mir liegt das Thema Raubkunst deshalb besonders am Herzen, weil es hier nicht nur um materiellen Ausgleich geht, sondern auch und vor allem um die Anerkennung der Opferbiographien. Deshalb habe ich die Ausgaben meines Hauses für die Provenienzrecherche von zwei auf vier Millionen in 2014 verdoppelt; für 2015 planen wir eine Steigerung um weitere zwei Millionen auf dann sechs Millionen Euro. Aber auch die Einrichtungen sind in der Pflicht. Ich bin überzeugt: Künftig werden die deutschen Museen nicht nur an ihrer Ankaufs- und Ausstellungspolitik gemessen, sondern auch daran, wie sie ihre Geschichte und die ihrer Sammlungen aufarbeiten.

Auch Kokoschkas Zeit von 1934 bis 1938 in Prag, meine Damen und Herren, ist - wie das Gemälde "Pariser Platz" - eng mit den Abgründen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts verknüpft. Prag bot Kokoschka Zuflucht, als er von den Nazis als "Entartetster unter den Entarten" diffamiert wurde, Prag bot ihm aber auch den kreativen und intellektuellen Freiraum, den er als Künstler suchte und brauchte. Ich war gerne in Prag ", schrieb er später über diese Zeit, [ich zitiere weiter]:" Wie schon einmal nach den dreißigjährigen verheerenden Religionskriegen war Prag abermals ein kosmopolitisches Zentrum geworden, in dem sich zum letzten Mal Europa traf. […] Dort hatten im Mittelalter, in der Renaissance und nach den Glaubenskriegen im Barock in Kirchen, Palästen und Bürgerhäusern Baumeister, Bildhauer, Maler, Goldschmiede, Holzschnitzer aller Nationen Europas, Italiener, Franzosen, Flamen, Deutsche, Tiroler, mit den einheimischen Künstlern gewetteifert, wie um zukünftige Generationen vor Zwietracht zu warnen und zu beweisen, was Völker, benehmen sie sich menschlich, in Eintracht und Zusammenarbeit geschickter Hände leisten können."

37 Werke aus seiner Prager Zeit zeugen davon, wie dieser Schmelztiegel europäischer Kulturen Kokoschka inspirierte und wie die Freiheit der Kunst, die die Nationalsozialisten mit Füßen traten, seiner kreativen Kraft in der Tschechoslowakei wieder zur Blüte verhalf. Ich bin dem Kunstforum Ostdeutsche Galerie sehr dankbar, dass es dieser besonderen Schaffensphase Kokoschkas und seinem Wirken in der zu dieser Zeit so lebendigen und vielfältigen Prager Kulturszene eine eigene Ausstellung widmet.

Dabei wird auch deutlich, dass Oskar Kokoschka ein politisch denkender und handelnder Künstler war. Sicher auch deshalb stand ihm klar vor Augen, dass die Mobilmachung in der Tschechoslowakei im Mai 1938 noch viel mehr als das Ende der künstlerischen Freiheit auch in Prag bedeutete. Seine Worte zum Abschied zusammen mit seiner künftigen Ehefrau ins Londoner Exil lassen daran keinen Zweifel. Ich zitiere: "Als ich mit Olda Palkovská im Oktober 1938 Prag für immer verließ, meinte ich, in der Abendröte über dem Fluss die letzten Stunden Europas zu sehen."

Es ist eine traurige Ironie der Geschichte, dass die neuen Machthaber Kokoschka nach dem Zweiten Weltkrieg seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft wieder aberkannten - einem Künstler, der Prags Kulturszene in schweren Jahren mitgeprägt und zum Glanz dieser Stadt beigetragen hatte. Oskar Kokoschka war insofern nicht nur ein von den Nationalsozialisten diffamierter und verfolgter Künstler; er erlebte auch die Vertreibung von Deutschen in Folge des Zweiten Weltkriegs aus der Tschechoslowakei.

Spätestens hier stehen wir auf der Brücke, die von der Lebensgeschichte Oskar Kokoschkas, von Verfolgung, Flucht und Vertreibung hierher in das Kunstforum Ostdeutsche Galerie führt. Wie Sie vielleicht wissen, hat dieses herausragende Kunstmuseums Ostbayerns ein bundesweit einzigartiges Profil: Es hält wie kein anderes Museum die Erinnerung an die ehemals deutsch geprägte Kultur im östlichen Europa wach und würdigt Künstler und ihre Werke, die in diesem historischen Kontext stehen. In diesem Sinne hat seine Sammlung gesamtstaatliche Bedeutung und erfüllt damit die Voraussetzung für eine Förderung aus dem Kulturhaushalt des Bundes.

Ich freue mich sehr, dass wir die Stiftung Kulturforum Ostdeutsche Galerie zusammen mit dem Freistaat Bayern und der Stadt Regensburg finanzieren und dafür die Hälfte der Mittel zur Verfügung stellen können - neben den Fördermitteln in beträchtlicher Höhe, die Regensburg insbesondere aus den Denkmalschutzprogrammen meines Hauses für die Bewahrung seines reichen kulturellen Erbes erhalten hat.

Es zeugt vom gewachsenen Renommee des Hauses als Kunstmuseum internationalen Ranges, dass in der neuen Ausstellung dank großzügiger Unterstützung der Leihgeber aus dem In- und Ausland erstmals auch Gemälde aus Kokoschkas Prager Zeit gezeigt werden können und wir den großen Wegbereiter des Expressionismus damit aus einer ganz neuen Perspektive erleben. Allen, die daran Anteil haben, danke ich herzlich für Ihre Unterstützung und Ihr Engagement!

Meine Damen und Herren, wir alle kennen Oskar Kokoschka als Künstler, der die Provokation liebte, der sich zu inszenieren wusste, und der Sinn hatte für Ironie. Insofern dürfen wir wohl annehmen, dass ihm die Rezeptionsgeschichte eines seiner Werke in der Berliner Politikszene durchaus Vergnügen bereitet hätte. Ihm ist ja die besondere Ehre vergönnt, mit einem Gemälde das Büro Angela Merkels zu schmücken - also sozusagen "hinter dem Rücken" der Kanzlerin im politischen Berlin präsent zu sein, und zwar mit einem Porträt des ersten deutschen Kanzlers Konrad Adenauer, das bei selbigem wiederum auf wenig Gegenliebe gestoßen war.

Kokoschka habe wohl Probleme mit den Augen, lautete sein Urteil, das aber ohne Folgen blieb, weil es dem Prestige Adenauers dienlich war, von Kokoschka gemalt zu werden. Ist das nicht eine verdiente, späte Genugtuung, nach dieser wechselvollen Lebensgeschichte mit einem Porträt des ersten deutschen Kanzlers im Büro der ersten deutschen Kanzlerin im politischen Berlin präsent zu sein?

Genau das - eine verdiente Genugtuung - ist mit Blick auf Kokoschkas persönliche Geschichte der Flucht und Vertreibung auch die Ausstellung über sein Wirken in der Prager Kulturszene. Möge sie viele Besucherinnen und Besucher für diesen großen Maler begeistern und die Erinnerung an die Erfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern während und nach dem 2. Weltkrieg wach halten!