Redner(in): Monika Grütters
Datum: 10. November 2014
Untertitel: "Wir brauchen sie, die mutigen Dichter, die sprachgewaltigen Schriftsteller, die verwegenen Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft! Sie sind es, die diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen imstande sind!" sagte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/11/2014-11-10-gruetters-80-jahre-exil-pen.html
Wir brauchen sie, die mutigen Dichter, die sprachgewaltigen Schriftsteller, die verwegenen Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft! Sie sind es, die diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen imstande sind! " sagte Monika Grütters in ihrer Rede.
Anrede,
Es gibt hier in Berlin-Mitte vermutlich kaum einen geeigneteren Ort, um anlässlich der Gründung des Deutschen PEN-Clubs im Exil vor 80 Jahren zusammen zu kommen. Das sage ich nicht, weil mir das Liebermann-Haus in meiner Zeit als Vorsitzende der Stiftung Brandenburger Tor sehr ans Herz gewachsen ist - nicht zuletzt wegen der vielen inspirierenden Veranstaltungen ( unter anderem mit Schriftstellern ) , die ich hier organisieren durfte. Was diesen Ort so passend macht, ist seine Geschichte: Hier, im einstigen Elternhaus, Wohnhaus und Atelier des jüdischen Malers Max Liebermann fielen, während am 30. Januar 1933, dem Tag der Machtergreifung Hitlers, der Fackelzug der SA vorbei marschierte, Liebermanns viel zitierte Worte ( der Überlieferung nach im Dialekt des Urberliners ) : "Ick kann jar nich so viel fressen, wie ick kotzen möchte."
Wenige Monate später legte Max Liebermann die Ehrenpräsidentschaft in der Preußischen Akademie der Künste nieder und erklärte dazu: "Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste ( … ) nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat." Liebermann starb 1935 nach zwei Jahren Berufsverbot hier in diesem Haus; sein Tod hat ihm noch schlimmere Repressionen erspart.
Die von den Nationalsozialisten betriebene ideologische Gleichschaltung war zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gang. Formaljuristisch legitimiert durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" - in Kraft getreten im April 1933 - wurden jüdische und regimekritische Wissenschaftler und Lehrkräfte aus Universitäten und Schulen verbannt. Die Eliminierung ihrer Gedanken, ihrer Werte, ihrer Geisteshaltung war der nächste Schritt. Im Mai 1933 inszenierten nationalsozialistisch gesinnte Studenten und Professoren Bücherverbrennungen in den Universitätsstädten des Deutschen Reiches. Als "undeutsche Literatur" diffamierte Werke jüdischer, demokratischer, marxistischer und pazifistischer Wissenschaftler und Schriftsteller gingen öffentlich in Flammen auf, darunter Werke von Bertolt Brecht, Carl Zuckmayer, Erich Maria Remarque, Walter Benjamin, Stefan Zweig und Franz Kafka, um nur einige wenige zu nennen. Auch das Deutsche PEN-Zentrum wurde auf Linie gebracht, die Verbindung zum weltweiten Verband auf Druck der neuen Machthaber gekappt.
Berufsverbot, Enteignung, Verfolgung trafen die besten Dichter, die klügsten Köpfe, die bekanntesten Künstler Deutschlands. In vielen Schicksalen bewahrheitete sich auf verstörende Weise, was Heinrich Heine viele Jahrzehnte zuvor in einem Gedicht geschrieben hatte: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Die Berliner Dichterin Gertrud Kolmar beispielsweise, deren 1938 erschienener Gedichtband "Die Frau und die Tiere" nach der Reichspogromnacht von den Nationalsozialisten eingestampft wurde, hatte in den 1930er Jahren darüber nachgedacht zu emigrieren, blieb dann aber bei ihrem alten, gebrechlichen Vater in Berlin. Sie wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert.
All das lag noch jenseits des Denk- und Vorstellbaren, als der in Berlin lebende Schriftsteller Max Herrmann-Neiße im März 1933 kurz nach dem Reichstagsbrand der Heimat den Rücken kehrte. Er flüchtete nach London, in die Stadt, in der 1921 der Internationale PEN ins Leben gerufen worden war: ein literarischer Freundeskreis von Schriftstellern aus unterschiedlichen Ländern, vereint in dem Wunsch, der Kraft des freien Wortes zum Durchbruch zu verhelfen und über die Literatur zur Völkerverständigung beizutragen.
Hier in London gründete Max Herrmann-Neiße 1934 zusammen mit Lion Feuchtwanger, Ernst Toller und Rudolf Olden den Deutschen PEN-Club im Exil, dessen erster Präsident Heinrich Mann wurde. Sie waren fest entschlossen, das geistige Erbe Deutschlands und die Werte einer humanen Gesellschaft in der Fremde zu bewahren und zu verteidigen, während in Deutschland die Freiheit der Künste zu Grabe getragen und die Grundfeste der Demokratie in Schutt und Asche gelegt wurden. Dabei ging es ihnen darum, das "wirkliche, wesentliche Deutschland" - so drückte Max Hermann-Neiße es in einem Brief an den nach Frankreich emigrierten Schriftsteller Herrmann Kesten aus - hinaus zu retten "in das Obdach einer noch freiheitlichen Fremde".
Es ist dieser verzweifelte Wille, die Freiheit der Gedanken zu verteidigen und dabei im gesprochenen und geschriebenen Wort die eigenen Wurzeln fern von Vaterland und Muttersprache zu erhalten, der den Deutschen PEN-Club im Exil geprägt und für lange Jahre zu einem Obdach in einer freiheitlichen Fremde für politisch verfolgte Autorinnen und Autoren gemacht hat. So schrieb die Dichterin Rose Ausländer: Mein Vaterland ist tot.
Sie haben es begraben im Feuer.
Ich lebe in meinem Mutterland Wort."
Deutsch, die Sprache der Mörder ihrer Familie, blieb ihre Zuflucht, die Heimat in der Fremde, die ihr das Fortleben im Wort ermöglichte. So war es auch für Paul Celan, für Lion Feuchtwanger, für Ernst Toller und viele andere. Sprache schafft Freiheitsräume und Lebensräume, daran hat auch Marcel Reich-Ranicki erinnert, als er anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2012 davon erzählte, wie ihn der deutsche Idealismus, die Erinnerungen an das geliebte Deutsch aus Goethes "Faust", am Leben hielten.
Heute gibt es keine deutschen Autorinnen und Autoren im Exil mehr. Für uns, vor allem für die jüngere Generation, ist dies Normalität, ein Umstand, der nicht weiter erwähnenswert erscheint. Tatsächlich aber ist es ein großes Glück: Die verfassungsrechtlich garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit, das Zensurverbot verbürgen eine Freiheit, die aus der Perspektive vieler anderer Nationen alles andere als selbstverständlich ist. Und so ist Deutschland heute selbst Obdach für verfolgte Autorinnen und Autoren, und aus dem "Exil-PEN" ist das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland geworden. Gründe genug, das 80jährige Bestehen des Clubs - so traurig die Umstände seiner Gründung sind - in Dankbarkeit feierlich zu begehen. Gründe genug aber auch, dies nachdenklich zu tun und die Freude über den Sieg der Freiheit in Deutschland mit dem Nachdenken darüber zu verbinden, was uns diese Freiheit wert ist und wo wir sie neu verteidigen müssen.
Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Prof. Stern und allen Mitgliedern des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, zum 80jährigen Bestehen sprachlicher Heimat in der Fremde, und ich freue mich sehr, dass dieses Symposium "Sprache ist Freiheit - Freiheit der Sprache" dank der Unterstützung durch die Moses-Mendelssohn-Stiftung und die Bundeszentrale für politische Bildung stattfinden kann.
Deutschland, meine Damen und Herren, hat aus zwei Diktaturen eine Lehre gezogen, die da lautet: Die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Kunst ist konstitutiv für eine Demokratie."Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei", heißt es in Artikel 5, Absatz 3 unseres Grundgesetzes. Wir brauchen sie, die mutigen Dichter, die sprachgewaltigen Schriftsteller, die verwegenen Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft! Sie sind es, die diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen imstande sind! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Die Freiheiten der Kunst zu schützen, ist deshalb heute oberster Grundsatz, vornehmste Pflicht verantwortungsvoller Kulturpolitik.
Doch wir alle sind gefordert, diese Freiheit immer wieder neu zu verteidigen. Verteidigen müssen wir sie gegen Versuche der Zensur, gegen religiöse Fundamentalisten, die Angst schüren, um Künstler und Andersdenkende zum Verstummen zu bringen, denn Exil beginnt in der Sprache, im gedimmten Licht unscharfer Begriffe und im Beschweigen von Fakten. Verteidigen müssen wir sie aber auch gegen Spardiktate und rechtliche Regelungen auf Kosten künstlerischer Unabhängigkeit und kultureller Vielfalt. Verteidigen schließlich sollten wir die künstlerische Freiheit darüber hinaus nach außen - in unseren politischen Beziehungen zu Ländern, in denen der Staat die Freiheit des Denkens einschränkt.
Viele Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstler sind auch heute gezwungen, ins Exil zu flüchten - aus Diktaturen, aus autoritär regierten Staaten, aus Kriegs- und Krisengebieten. Gerade mit Blick auf unsere Geschichte und die Exilerfahrungen deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller stehen wir besonders in der Pflicht, der künstlerischen Freiheit und der Freiheit der Sprache heute in unserem Land Zuflucht zu bieten. Deshalb finanziert mein Haus das Programm "Writers in Exile" des Deutschen PEN-Zentrums, das wir 1999 gemeinsam ins Leben gerufen haben. Es bietet verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern bis zu zwei Jahre lang eine sichere Bleibe und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland.
Darüber hinaus hat sich der Bund der Auseinandersetzung mit Exilkunst und dem Schicksal von Künstlerinnen und Künstlern im Exil in seiner ganzen thematischen Breite angenommen und 2012 den Aufbau des virtuellen Museum "Künste im Exil" unter der Federführung der Deutschen Nationalbibliothek angestoßen. Dieses bewusst dezentral angelegte Netzwerkprojekt bietet Einblicke in das Leben und Werk exilierter Künstler und greift dabei auf Bestände zahlreicher renommierter Kultur- und Forschungseinrichtungen des Netzwerks zurück. Das virtuelle Museum wird kontinuierlich ergänzt und auch das Netzwerk wird weiter wachsen, damit möglichst viele Menschen verstehen, was es bedeutet, im Exil zu leben und zur Heimatlosigkeit verurteilt zu sein.
Max Hermann-Neiße hat über diese Erfahrung im Sommer 1936 ein Gedicht geschrieben."Heimatlos" heißt es, und es beschreibt die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies - in einer Weise, wie "Heimat" vielleicht nur diejenigen empfinden können, die daraus vertrieben wurden:
Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen
und lässt uns in die lang entbehrte Ruh
des sichren Friedens einer Stube sehen
und schließt sie vor uns grausam wieder zu.
Die herrenlosen Katzen in den Gassen,
die Bettler, nächtigend im nassen Gras,
sind nicht so ausgestoßen und verlassen
wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren
und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen träumen vor den Toren
und wissen nicht, dass wir ihr Schatten sind.
Das Exil, ein Schattendasein menschlicher Existenz in einer fremden, heilen Welt - solche Worte lassen uns nachempfinden, wie es sich anfühlt, heimatlos zu sein. Sie machen uns, den fest in ihrem Leben Verwurzelten, aber auch das Privileg des Beheimatetseins bewusst.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, verdienen die Geschichte des Exil-PEN und das Vermächtnis seiner Mitglieder einen festen Platz in unserem Erinnern an die nationalsozialistische Schreckensherrschaft, an die Methoden der ideologischen Gleichschaltung in beiden deutschen Diktaturen - aber auch an die Freiheitsgeschichte eines demokratisch geeinten Deutschland, die wir gestern, am 25. Jahrestag des Mauerfalls und der friedlichen Revolution, feiern durften. Der Exil-PEN hat die lebendige Kraft des freien Wortes im Ausland erhalten können, als die deutsche Sprache in Deutschland als Werkzeug für Ideologie und Propaganda missbraucht und ihrer Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten beraubt wurde. Für diese Leistung sollten wir dem Exil-PEN und seinen Mitgliedern von Herzen dankbar sein!