Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11. November 2014

Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Fischer, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/11/2014-11-11-merkel-branchentag.html


Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,

Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein. Wir alle haben am letzten Wochenende den 25. Jahrestag des Falls der Mauer gefeiert. Was am 17. Juni 1953 noch von sowjetischen Panzern blutig niedergeschlagen wurde, konnte am 9. November 1989 nicht mehr aufgehalten werden. Sie erinnern sich, wie viele Menschen im Sommer und Herbst des Jahres 1989 protestiert haben und wie sich dann die Ereignisse entwickelt haben. Am 9. November 1989 hat sich mit dem Fall der Mauer ein Freiheitstraum verwirklicht. Jeder von Ihnen ich natürlich auch weiß, was wir an diesem Tag gemacht haben.

Mit diesem Datum hat sich unser aller Horizont erweitert. Und das hat auch für das deutsche Hotel- und Gaststättengewerbe große Auswirkungen gehabt. Von der Küste in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Thüringer Wald, von der Sächsischen Schweiz bis zum Erzgebirge, Dresden, Leipzig, Weimar, der Osten Berlins all das wurde aus westlicher Sicht wiederentdeckt. Ich denke, zumindest die Hoteliers in Berlin müssten am letzten Wochenende wirklich zufrieden gewesen sein Mehrwertsteuer hin oder her oder rauf oder runter.

Mit der Wiedervereinigung setzte ein riesiger Boom ein. Ohnehin ist Deutschland insgesamt als Reiseland attraktiver geworden. Ich habe es in meinem Videopodcast anlässlich Ihrer Tagung nochmals gesagt: Wir sind nach Spanien inzwischen das zweitbeliebteste Reiseland in Europa. Viele deutsche Urlauberinnen und Urlauber bleiben hierzulande. Aber nicht nur sie sind treu, sondern man kann auch sagen: Ihre Kunden insgesamt sind treu und freuen sich über gute Angebote für Reisen in und nach Deutschland. Das ist ein Riesenerfolg. Dafür der ganzen Branche ein herzliches Dankeschön.

Der Boom des Inlandstourismus und dass die Menschen ihre Heimat wiederentdecken das hat auch etwas mit der Deutschen Einheit zu tun. Sie wissen, dass zu meinem Wahlkreis der Darß, die Insel Rügen, die Hansestädte Stralsund und Greifswald gehören. Wir hatten in diesem Jahr im Norden das beste Wetter, was nicht immer vorkommt. Deshalb ist die Stimmung dort eigentlich auch recht gut.

Der Binnenkonsum läuft im Augenblick recht gut. Wir wissen aber, dass die Binnennachfrage immer sehr eng an die Situation der Wirtschaft insgesamt gekoppelt ist. Es gibt eine ganze Reihe von Risiken, die sich auch in den Wachstumsprognosen bemerkbar machen. Dazu gehören natürlich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, die Sanktionen, die wir nicht als Selbstzweck, sondern als Antwort auf die Verletzung des Völkerrechts verhängen mussten, sowie die Konflikte im Irak und in Syrien. Dazu gehören die zum Teil eingetrübten Wachstumsaussichten von Schwellenländern sowie die Tatsache, dass die europäische Staatsschuldenkrise noch nicht überwunden ist.

Deshalb ist es wichtig, dass wir für unser aller Wohlstand in Europa den Weg solider Haushalte weitergehen und solide Haushalte mit wachstumsorientierten Impulsen verknüpfen. Deutschland ist bereit, hierbei seinen Beitrag zu leisten. Wir werden in Europa zum Teil dafür kritisiert, dass wir für das Jahr 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollen. Sie alle kennen die demografische Situation, die Sie zum Beispiel in der Zahl der offenen Stellen oder nicht besetzten Ausbildungsplätze widerspiegelt. Ich glaube, wir stimmen darin überein, dass wir, um Vorsorge zu treffen, als Staat endlich das leisten müssen, was für Sie ganz normal ist dass man nämlich mit dem, was man einnimmt, auch auskommt und damit für die Zukunft vorsorgt, meine Damen und Herren.

Wolfgang Schäuble hat gesagt, dass wir auf Wachstum achten und privates Kapital mobilisieren müssen. Herr Fischer hat eben darauf hingewiesen, wie gut das mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz im Hotelbereich funktioniert hat. Die politische Schelte war groß, aber die Tatsache ist richtig, dass es in vielen europäischen Ländern jetzt fairere Wettbewerbsbedingungen in diesem Bereich gibt. Ich weiß, dass Sie sich das weitergehend wünschen. Deshalb will ich an dieser Stelle sagen: Ich komme heute nicht hierher, um Ihnen zu versprechen, auch im Restaurantbereich etwas mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu machen. Ich glaube, dass Sie auf diese dramatische Nachricht schon vorbereitet waren. Ich nehme die Anregung aber auf; es muss ja immer noch etwas sozusagen als Forderung bleiben. Es gibt ja durchaus rationale Argumente, die ich nicht beiseite wischen will. Sie wissen aber auch, was das an Einnahmenausfällen bedeuten würde. Das heißt, ich kann Ihnen das im Augenblick nicht in Aussicht stellen, sehe aber natürlich, dass die europäische Situation an anderen Stellen Schwierigkeiten bereitet. Deshalb müssen wir insgesamt darauf achten, dass die Wettbewerbsbedingungen für Sie einigermaßen fair sind.

Ich will damit beginnen, dass wir Ihnen verlässliche Rahmenbedingungen versprochen haben. Ich habe mich auch in den Koalitionsverhandlungen stark dafür eingesetzt wenn ich einmal eine Sekunde lang in die Rolle der Parteivorsitzenden schlüpfen darf. Neben den Haushaltszusagen nämlich alles daranzusetzen, ohne neue Schulden auszukommen haben wir versprochen: Wir werden keine Steuererhöhungen vornehmen. Daran haben wir uns gehalten und daran halten wir uns auch. Ich glaube, das ist für viele, die in Personengesellschaften arbeiten, eine sehr wichtige Nachricht. Diese verlässliche Rahmenbedingung garantieren wir Ihnen, meine Damen und Herren.

Ein zweites Thema, das uns und auch Sie beschäftigt, ist das Thema Erbschaftsteuer. Ich glaube, wir haben eine gute Regelung gefunden, die nach Meinung der Bundesregierung verfassungsgemäß ist. Diese Regelung stellt sicher, dass der Übergang von einer Generation auf die nächste durch die Erbschaftsteuer nicht infrage gestellt wird. Wir brauchen Familienunternehmen, gerade auch im Hotel- und Gaststättenbereich. Deshalb werden wir diese Regelung mit aller Kraft verteidigen. Wir wissen aber: Es kommen auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Ich sage Ihnen jedenfalls zu, dass wir alles daransetzen werden egal, wie die Dinge kommen; ich rechne allerdings mit einer positiven Entscheidung, dass die Erbschaftsteuer nicht zu einer Bremse für die Weitergabe von Eigentum über die Generationen hinweg wird.

Ein weiteres Thema, das Sie sehr beschäftigt, sind die Energiepreise. Auch hierzu haben wir in der Großen Koalition erste Entscheidungen getroffen, die dazu führen, dass die EEG-Umlage nicht immer weiter und dynamisch steigt. Wir haben zwar einerseits ambitionierte, anspruchsvolle Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien, setzen aber alles daran, dass auf der anderen Seite die Dynamik bei der EEG-Umlage und auch bei den Netznutzungsentgelten gestoppt wird. Das ist uns in diesem Jahr bei der EEG-Umlage gelungen. Auch das ist ein wichtiger Punkt, denn Sie profitieren ja nicht wie die energieintensive Industrie von den Ermäßigungen, aber der Strompreis spielt natürlich in der Gesamtkalkulation durchaus eine Rolle.

Da ich gerade auf einer Bädertagung war, darf ich Ihnen sagen, dass wir auch versuchen, im gesamten Sauna- und Wellnessbereich vernünftige Lösungen zu finden. Dabei spielt auch die Mehrwertsteuer wieder eine Rolle. Da das auch mit Stromkosten zu tun hat, wollte ich das hier wenigstens leise einfließen lassen, obwohl das, glaube ich, nicht jeden Gaststättenbesitzer besonders interessiert.

Ein Punkt, bei dem ich Ihnen heute gerne schon Vollzug gemeldet hätte, an dem wir aber noch mit Hochdruck arbeiten, hat etwas mit der Digitalisierung zu tun: Das ist die Frage des WLAN und die Frage, wie wir Ihnen hier Angebote unterbreiten bzw. einen Rahmen unterbreiten können, der für Ihre Gäste attraktiv ist. Wir müssen ja auf der einen Seite Nachvollziehbarkeit im Auge haben, weshalb der Innenminister ein scharfes Auge hierauf legt. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die WLAN-Verbreitung in Deutschland nicht so gut ist wie in anderen europäischen Ländern. Ich plädiere dafür, dass wir zu einem wettbewerbsfähigen Angebot kommen. Sie müssen noch einige Wochen warten, aber ich bin auch persönlich daran interessiert, dass wir das hinbekommen.

Von riesiger Bedeutung ist für Sie natürlich auch ein ordentlicher Ausbau der Breitbandnetze, eine ordentliche Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen. Denn wer heute werben will, der will das auch über das Internet tun können. Deshalb ist die Digitale Agenda der Bundesregierung auch für das Hotel- und Gaststättengewerbe von entscheidender Bedeutung. Wir wollen 50 Megabit pro Sekunde für alle Haushalte bis 2018. Aber da dürfen wir natürlich nicht stehenbleiben, denn 2018 werden 50 Megabit pro Sekunde bei den möglichen Angeboten, die die Kunden haben wollen, schon nicht mehr ausreichen. Insofern müssen wir mit großer Dynamik am Ausbau der Netze arbeiten.

Meine Damen und Herren, wir werden in Zukunft ein großes Problem haben, das auch Sie sehr schnell erreicht, und zwar das Problem der Fachkräftesicherung. In diesem Zusammenhang will ich auch das Thema Mindestlohn ansprechen. Ich weiß aus meinem eigenen Wahlkreis das gilt auch für die neuen Bundesländer insgesamt, welche Kostensteigerungen der Mindestlohn mit sich bringt. Ich weiß allerdings auch, dass sich viele Hoteliers und Gaststättenbetreiber dieser Herausforderung sehr entschlossen stellen. Richtig ist auch, dass eine gute Fachkräfteversorgung letztendlich auch mit der Bezahlung zusammenhängt. Ich weiß, vor welchen Schwierigkeiten Sie dabei stehen, aber es ist nicht gut, wenn die Leute wissen: Ich muss erst in die Schweiz oder nach Österreich fahren, um ordentlich bezahlt zu werden. Das muss vielmehr auch ein Markenzeichen unserer Angebote sein. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn ein Koch auf Rügen, der wirklich hart arbeiten muss, am Ende des Monats noch zur Arbeitsagentur gehen muss, um sich dort einen Aufstockerbetrag zu holen, dann ist das kein Modell für eine langfristig erfolgreiche Bewirtschaftung.

Deshalb sage ich Ihnen zu, Herr Fischer, dass wir genau beobachten werden, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf die Arbeitsplatzentwicklung haben wird. Ich bin nicht sehr zufrieden, dass die Übergangsregelungen im Hotel- und Gaststättengewerbe letztlich nicht wirklich genutzt werden können, weil die Verhandlungen mit den Gewerkschaften doch nicht so weit geführt haben, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber ich sage ganz deutlich: Ich habe mich sehr entschieden dafür eingesetzt, dass wir nicht erst nach zwei oder drei Jahren einen Bericht bekommen, wie sich das Ganze auswirkt, sondern dass wir ihn sehr schnell nach Einführung des Mindestlohns bekommen, um gegebenenfalls überlegen zu können, was wir tun können. Denn der Mindestlohn darf kein Jobkiller werden. Das kann nicht der gewünschte Effekt sein.

Das Hotel- und Gaststättengewerbe schafft sehr viele zukunftsfähige Arbeitsplätze. Allein in den letzten zehn Jahren sind rund 200.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. An vielen Stellen hätten Sie sehr viel mehr Ausbildungskapazitäten, als sich heute überhaupt Jugendliche anbieten. Deshalb liegt mir sehr daran, dass wir eine neue Ausbildungsallianz hinbekommen, mit der wir die Ausbildung von jungen Fachkräften genau in Augenschein nehmen. Ich hoffe, dass uns das auch zusammen mit den Gewerkschaften gelingen kann; das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Wir müssen auch immer wieder darüber sprechen, dass Arbeitsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe zukunftsfähige Arbeitsplätze sind.

Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Denn auch aus eigener Erfahrung weiß ich, wie Sie sich für das Programm "MobiPro-EU" eingesetzt haben, im Rahmen dessen wir jungen Menschen aus europäischen Ländern, in denen die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch ist, sehr gute Perspektiven durch Ausbildung geben. Ich habe mich neulich über die Schwierigkeiten und über die Dinge, die gut laufen, informiert. Man muss ganz klar sagen: Die Berufsausbildung junger Leute aus Spanien, aus Portugal, aus Griechenland und aus anderen Ländern läuft im praktischen Bereich gut. Herzlichen Dank all denen, die sich auf dieses, sage ich einmal, neue Vorgehen eingelassen haben. Schwierigkeiten haben wir noch in den Berufsschulen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass auch die Curricula nicht nur auf Deutsch vorhanden sind, sondern dass man den jungen Leuten ab und zu, ohne dass sie Google-Übersetzungsprogramme nutzen müssen, etwa auch die portugiesische Übersetzung von "Kasserolle" und "Spezialbratpfanne" an die Hand gibt. Denn es ist ja nicht einfach für sie, alles auf Deutsch sofort fachkundig zu erkennen.

Aber wir können uns ja jetzt nicht nur auf spanische und portugiesische Jugendliche kaprizieren, sondern wir müssen und dabei bitte ich Sie auch um Mithilfe neben den Fachhochschulausbildungen auch wieder dazu kommen, mehr und gut über die Berufsausbildung zu sprechen. Wir laufen Gefahr, in die Falle zu tappen, in der andere schon lange sind, die sich heute über unser duales Ausbildungssystem informieren. Wir haben im Kanzleramt, im Wirtschaftsministerium und im Bildungsministerium auch sehr kritische Diskussionen mit der OECD geführt, die immer und immer wieder sagt: Wenn das Kind eines Facharbeiters nicht studiert, dann ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems in Deutschland sozusagen nicht gut. Nein, meine Damen und Herren. Wenn jemand Meister oder Inhaber eines privaten Unternehmens ist und sein Kind einen Fachberuf im Hotel- und Gaststättengewerbe oder sonst wo lernt, dann ist das auch ein Aufstieg im Bildungsbereich, weil die Anforderungen heute viel höher sind. Und das muss endlich auch die OECD begreifen.

Abschließend möchte ich Ihnen noch einmal danke schön sagen. Die Menschen erleben Deutschland ganz wesentlich durch Unternehmen, die zu Ihrem Verband gehören. Restaurants, Biergärten und Hotels in Stadt und Land tragen wesentlich dazu bei, wie sich die Lebensqualität in Deutschland darstellt. Ihre Betriebe sind so etwas wie die öffentlichen Wohnzimmer unseres Landes und unserer Gesellschaft sowohl für die, die aus anderen Teilen Deutschlands kommen, als auch für die, die uns aus dem Ausland, vor allem aus dem europäischen Ausland, besuchen. Gelebte Gastfreundschaft ist sozusagen Ihr Beruf. Sie haben Freude daran, anderen eine Freude zu machen; selbst dann, wenn Sie arbeiten müssen und andere ihren Urlaub oder Feierabend genießen.

Deshalb nehme ich die Anregung zur Arbeitszeitregelung auch gerne noch einmal auf. Es gibt eine EU-Arbeitszeitrichtlinie. Vielleicht können Sie das heute auch noch einmal den Vertretern der anderen Parteien zurufen. Damit könnten Sie mir ein kleines bisschen Arbeit abnehmen. Wir arbeiten gerade an der Entbürokratisierung verschiedener Bereiche. Und deshalb könnte das vielleicht auch etwas sein, das wir uns nochmals genauer anschauen.

Ich danke Ihnen für das, was Sie für Deutschland tun. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich eingeladen haben. Alles Gute und auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.