Redner(in): Monika Grütters
Datum: 21. April 2015

Untertitel: "Ich möchte Ihren Beitrag zum Erhalt und zur weiteren Verbreitung der unausrottbaren Leselust, der Freude am Buch, würdigen, ermuntern, unterstützen." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/04/2015-04-21-gruetters-jahreshauptversammlung-verband-deutscher-bahnhofsbuchhaendler.html


Ich möchte Ihren Beitrag zum Erhalt und zur weiteren Verbreitung der unausrottbaren Leselust, der Freude am Buch, würdigen, ermuntern, unterstützen." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.

Für die Älteren unter uns ist es eine liebe Erinnerung aus Kindertagen: Im Zug sitzen und, während Städte und Landschaften vorbeirauschen, eine Geschichte aus einer fernen oder nahen Welt zu hören: Vorgelesen von der Mutter, dem Vater, der Großmutter, dem Onkel. Undenkbar, eine Zugreise ohne Geschichte. Wer aus Versehen ohne Buch aufgebrochen war, konnte am Bahnhof in der Buchhandlung noch schnell etwas finden. - Manchem mag eine ähnliche Szene wieder einfallen, wenn er auf der Reise von den gebrüllten Gesprächen seiner Mitreisenden belästigt ist und schließlich Zuflucht sucht im Waggon mit dem Handyverbot wo allenfalls die Zeitungen rascheln, die sich der eine oder andere Fahrgast noch schnell in der Bahnhofsbuchhandlung besorgt hat.

Meine Damen und Herren, für mich ist Lesen und Reisen immer noch eine schöne Verbindung, und die schönste Verbindung von Reise- und Lesekultur ist eine entspannte Zugfahrt. Da geht es, glaube ich, vielen Reisenden wie mir. Insofern ist es kein Wunder, dass es den Bahnhofsbuchhandel seit immerhin 110 Jahren gibt, obwohl sich an der Art und Weise des Reisens in dieser Zeit ziemlich viel verändert hat. Dabei haben Inhaberinnen und Inhaber der Läden allerdings mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie andere Buchhändler auch. Allein die Bezeichnung des traditionellen Buchhandels mit Ladenregalen und Büchern zum Blättern und Anfassen als "stationär" tut ja fast ein bisschen weh. Im Unterschied zum Online-Handel, der für viele Menschen die bequemere Variante ist, mag "stationär" ein zutreffender Begriff sein. Aber er klingt so, als wären der gute alte Buchladen und mit ihm das Buch etwas wie ein Pflegefall - "stationär" zu behandeln.

Wie auch immer, Sie und ich - wir alle haben ein gemeinsames Interesse: Wir wollen, dass die Bahnhofsbuchhändler weiterhin Teil der Verbindung von Reise- und Lesekultur bleiben. Darum habe ich die Einladung zu Ihrer Jahreshauptversammlung gern angenommen. Ich möchte Ihren Beitrag zum Erhalt und zur weiteren Verbreitung der unausrottbaren Leselust, der Freude am Buch, würdigen, ermuntern, unterstützen. Sie leisten wichtige Arbeit im Sinne der Lesekultur.

Dafür gibt es ein schönes Beispiel aus der 110-jährigen Geschichte des Bahnhofsbuchhandels: Es waren die Reisenden, die vor der Abfahrt am Bahnhof noch schnell ein Taschenbuch für unterwegs kauften und damit das in den 1950er Jahren zunächst verpönte Taschenbuch,"buchhandlungsfähig" machten. So ein Taschenbuch war ja nicht nur preisgünstig, es ließ sich vor allem leicht einpacken. Die Qualitäts-Verlage nutzten diese Chancen des kleinen Formats bald für sich, indem sie "das gute Buch für Jedermann" anboten. Das Taschenbuch hat sich bis heute bewährt, so dass auch Leute mit kleinem Geldbeutel - mit etwas zeitlicher Verzögerung - Neuerscheinungen kaufen können.

Ebenfalls Tradition hat das außergewöhnlich breite Angebot an Presseerzeugnissen. In Zahlen ausgedrückt heißt das heute: Mit nur 0,4 Prozent aller Presseverkaufsstellen erzielt der deutsche Bahnhofsbuchhandel circa acht Prozent des gesamten Umsatzes im Presseeinzelhandel. Mit bis zu 8.000 verschiedenen deutschen und fremdsprachigen Zeitungs- und Zeitschriftentiteln bieten Sie die größte Auswahl unter allen Handelszweigen. Acht Millionen Kunden kaufen wöchentlich in den Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen ein. Und gar nicht mal wenige von ihnen suchen auch ohne Reiseabsichten den Bahnhof auf, um aus dem Angebot der internationalen Printmedien das für sie geeignete zu erwerben. Es ist insofern nur folgerichtig, dass sich der VDBB ( mit seinen 29 großen und kleinen Mitgliedsfirmen, die insgesamt 500 Bahnhofsbuchhandlungen repräsentieren ) , in der Nationalen Initiative Printmedien der Bundesregierung engagiert.

Gerade letzte Woche wurden Zahlen veröffentlicht, die man als Erfolg für unsere Pressevielfalt verbuchen kann. 133 neue Zeitschriften sind im letzten Jahr entstanden. Das ist eine gute Nachricht. Denn demokratische Kultur lebt von der Meinungsvielfalt. Deshalb ist auch das Presse-Grosso - unser höchst effizientes Vertriebswesen für Presseprodukte, das international als vorbildlich gilt - so wichtig. Es sorgt dafür, dass nahezu jede Zeitung oder Zeitschrift an nahezu jedem Ort in Deutschland zu einem erschwinglichen Preis zu kaufen ist, garantiert also flächendeckend die in unserer Verfassung festgeschriebene Meinungs- , Presse- und Informationsfreiheit.

Mit der in der vorigen Legislaturperiode eingeführten kartellrechtlichen Ausnahmeregelung für Branchenvereinbarungen beim Pressevertrieb haben wir eine Voraussetzung für den Erhalt des Presse-Grosso geschaffen. Sie räumt dem Grosso-Verband ein gemeinsames Verhandlungsmandat für seine Mitgliedsunternehmen ein, damit branchenweit einheitliche Vertriebskonditionen vereinbart werden können. Mir ist es wichtig, dass die Tragweite dieser Regelung höchstrichterlich festgestellt wird.

Zugang zur Pressevielfalt ist das eine - Interesse an dieser Pressevielfalt das andere. Wo Zeitungen und Zeitschriften keine Leserinnen und Leser mehr finden, nützt auch das beste Vertriebssystem nichts. Lassen Sie uns deshalb weiterhin zusammen in der Nationalen Initiative Printmedien ( NIP ) nach neuen Wegen suchen, um, erstens, Interesse zu wecken am Zeitunglesen, und um, zweitens, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters in unserem Sinne zu gestalten. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass viele junge Leserinnen und Leser in erster Linie über digitale Medien zu erreichen sind. Ein Ziel der NIP ist es, sie auf diesem Weg auch für Printmedien zu gewinnen. So wie das Taschenbuch seinerzeit keineswegs den Druck und Verkauf gebundener Bücher ersetzt, sondern neue Leserkreise erschlossen hatte, so kann auch das Internet helfen, neue Zielgruppen zu gewinnen.

Unser gemeinsames Interesse an der Förderung der Lesekultur macht uns auch beim bundesweiten Vorlesetag zu Partnern. Wie schon in den vergangenen Jahren wird auch in diesem Herbst - am 20. November - der 2004 von der Stiftung Lesen ins Leben gerufene bundesweite Vorlesetag stattfinden. Die Bahnhofsbuchhändler mit ihrem vielfältigen Programm sind wieder dabei wie schön! Mit ausgewählter Literatur werden Sie an verschiedenen Bahnhöfen in Deutschland das Publikum in Bann ziehen. Dieses Jahr streben wir an, zum ersten Mal die Marke von 100.000 Vorleserinnen und Vorlesern, unter ihnen über 130 Prominente, zu überschreiten und Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland zu erreichen. Für Ihre Unterstützung danke ich Ihnen!

Zum Schluss möchte ich noch auf den Deutschen Buchhandlungspreis hinweisen, der in diesem Jahr erstmals ausgelobt wird. Mir ist es ein Herzensanliegen, die Garanten der verlegerischen und literarischen Vielfalt zu unterstützen, zu denen insbesondere die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen vor Ort gehören. Sie fördern quer durch alle Altersgruppen die Lust am Lesen und das Gespräch über Literatur - durch kompetente Beratung und inspirierende Veranstaltungen. Sie stellen sicher, dass auch solche Bücher und Autoren sichtbar werden, die abseits der Bestsellerlisten Aufmerksamkeit verdienen. Sie tragen auf diese Weise zur künstlerischen Freiheit und zur weltweit anerkannten und geschätzten literarischen Vielfalt in Deutschland bei.

Gerade sie, die kleinen Buchhandlungen, stehen aber durch Internethändler wie Amazon unter enormem Wettbewerbsdruck. Ich persönlich habe noch nie ein Buch im Internet bestellt, aber mit meiner Treue zum Buchhändler meines Vertrauens bin ich selbst in meinem kulturaffinen Bekanntenkreis eher die Ausnahme. Es ist ja auch bequem, von zuhause aus zu bestellen und das gewünschte Buch versandkostenfrei ein, zwei Tage später im Briefkasten zu haben.

Wie können die Buchhandlungen vor Ort sich gegen die Konkurrenz im Internet erfolgreich behaupten? Letztlich ist es das Kaufverhalten der Kunden, das darüber entscheidet, wie der klassische Buchhandel künftig fortbesteht. Um das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für die Bedeutung dieser "geistigen Tankstellen", dieser kulturellen Begegnungsorte in unseren Städten zu schärfen, vergibt der Bund den Deutschen Buchhandlungspreis - ausgestattet mit rund einer Million Euro, analog zu den anderen Branchenpreisen meines Hauses, dem Kinoprogrammpreis im Filmbereich und dem Spielstättenprogrammpreis im Musikbereich.

Meine Damen und Herren, wir "Zugleserinnen" und "Zugleser" wussten es ja immer schon: Wer liest, hält eine Muschel in der Hand, in der er eine ganze Welt zu hören glaubt.

So heißt es in Nelly Sachs ' Gedicht "Der Spinozaforscher" : Du last und hieltest eine Muschel in der Hand.

Der Abend kam mit zarter Abschiedsrose.

Dein Zimmer wurde mit der Ewigkeit bekannt

Und die Musik begann in einer alten Dose."

Das Gedicht ist aus dem Band "Fahrt ins Staublose". Gibt es auch als Taschenbuch. Wenn Sie mal Zeit zum Reisen und zum Lesen haben unbedingt empfohlen! Hier und jetzt wünsche ich Ihnen aber erst einmal eine erfolgreiche und auch inspirierende Jahreshauptversammlung. Vielen Dank!