Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22. April 2015

Anrede: Lieber Volker Kauder,liebe Gerda Hasselfeldt,liebe Gäste aus der Wirtschaft insgesamt,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/04/2015-04-23-bk-deutsche-wirtschaft.html


Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, aber vor allem unsere Gäste, pars pro toto für alle Präsidenten der Wirtschaftsverbände: lieber Herr Grillo,

Ich möchte mit zwei Dankeschön beginnen. Erstens einem Dankeschön an die Bundestagsfraktion, an die CDU / CSU-Fraktion, an Volker Kauder, an Michael Fuchs stellvertretend für alle Wirtschaftspolitiker in unserer Fraktion, denn es ist ei-ne sehr, sehr gute Idee gewesen, die heutige Einladung auszusprechen und nicht nur einen Empfang mit zwei Reden zu veranstalten, sondern eine sehr intensive Diskussion vorzuschalten, die die Dinge noch einmal sehr klar gemacht, aber auch unsere Bereitschaft verdeutlicht hat zuzuhören und das zu tun, was für wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze hilfreich ist.

Ein zweites Dankeschön geht an all die, die heute als Unternehmer oder Unternehmerinnen hier sind, die Arbeitsplätze schaffen. Die vom Staat geschaffenen Arbeitsplätze sind nicht die, die unseren Wohlstand garantieren. Sondern dies tun diejenigen, die etwas unternehmen daher kommt ja der schöne Begriff des Unter-nehmers und damit auch Risiken eingehen, immer wieder Neuland beschreiten, sich in einer sehr schnell verändernden Welt zurechtfinden müssen. Das wird von uns nicht nur anerkannt, sondern es ist uns als Politikern bewusst, dass Menschen nur Wohlstand erarbeiten können, wenn wir für sie die Rahmenbedingungen so fassen, dass sie auch mit ihrem Engagement Unternehmer sein können.

in der vergangenen Woche viele von Ihnen waren dort fand die Hannover Messe statt. Man konnte sehen und hören: Industrie 4.0 Kennzeichen einer industriellen Revolution, die sich in ziemlich massivem Tempo vollzieht. Das hat heute auch in Ihrer Diskussion eine Rolle gespielt. Das Spannende ist, dass wir alle lernen müssen, weil wir in eine neue Welt eintauchen: Sie als Unternehmer, wir als Politiker, um auch das Richtige zu entscheiden.

Der politische Entscheidungsbedarf ist sowohl national als auch europaweit groß, denn viele Dinge können wir nicht allein in Deutschland machen. Im Augenblick sind zwei wichtige Gesetzespakete in der Beratung in Europa: einmal das digitale Paket, das von Günther Oettinger als zuständigem Kommissar zu verantworten ist, wo es zum Beispiel um Netzneutralität geht ganz wichtig für zukünftige Anwendungen, wenn ich zum Beispiel an das fahrerlose Fahren denke, und zum Zweiten die sogenannte Datenschutzgrundverordnung, wo es auch um die Frage geht: Wie gehen wir im Datenmanagement mit Big Data um? Diese Verordnung hat das Kennzeichen, dass sie unmittelbar geltendes Recht sein wird. Da kann man nicht mehr lange verhandeln, sondern die ist dann gültig und wird entscheidend dafür sein, ob Daten nach Amerika übertragen, dort die Anwendungen gemacht und dann von den Bürgerinnen und Bürgern Europas genutzt werden oder ob wir selber in der Lage sind, ein Wettbewerbsfeld zu schaffen, in dem auch hier interessante Anwendungen für das Management großer Datenmengen stattfinden. Das wird ei-ne sehr, sehr wichtige Entscheidung für die Zukunft sein.

Was uns hier zu Hause anbelangt, so haben die Minister Alexander Dobrindt, Sigmar Gabriel und Thomas de Maizière die Digitale Agenda zu verantworten. Wir wer-den für die notwendigen Infrastrukturinvestitionen sorgen. Wichtig ist, dass die Versteigerung der Frequenzen auf den Weg gebracht werden konnte und wir gute Chancen haben, das Ziel, das wir uns gesetzt haben 50 Megabit pro Sekunde für jeden Haushalt in Deutschland im Jahr 2017, zu erreichen. Wir wissen aber, mit 50 Megabit pro Sekunde kann man manches machen, aber große industrielle An-wendungen wird man damit allein nicht machen können. Das heißt, das muss dann natürlich weitergehen.

Die Bundesregierung hat zusammen mit Forschungsinstitutionen und der deutschen Wirtschaft eine Plattform für die Industrie 4.0 vorgestellt. Und es ist der Welt klargeworden: Wir schlafen nicht. Es ist aber auch uns klar: Wir haben noch nicht die eindeutige Vorreiterposition, wie wir sie als wichtiger Industriestandort haben sollten. Wir müssen also weiterarbeiten.

Natürlich heißt das auch, in die Zukunft zu investieren. Der Anteil der Investitionen, die durch Unternehmen getätigt werden, liegt mit Blick auf die gesamten Investitionen in Deutschland bei 90 Prozent. Das heißt, wenn wir staatliche Investitionen haben, dann ist das wichtig, und da wollen wir uns auch nicht drücken ich sage gleich noch etwas dazu. Aber ganz wichtig ist das, was Herr Grillo gesagt hat: Das Umfeld für private Investitionen muss stimmen.

Im Übrigen ist es auch bei den Forschungsausgaben so, dass zwei Drittel durch die Wirtschaft geleistet werden und ein Drittel durch staatliche Institutionen.

Wir wissen um die Defizite gerade im Infrastrukturbereich. Aber wir können auch mitteilen, dass wir in dieser Legislaturperiode nicht nur sieben Milliarden Euro zusätzlich für die Infrastruktur vorgesehen haben, sondern durch die finanziellen Spielräume jetzt noch einmal ab 2016 zehn Milliarden obendrauf legen. Und wir unterstützen die Kommunen. Das darf nicht vergessen werden. Denn in den Kommunen findet am meisten statt. Jetzt muss aber auch sichergestellt werden, dass das Geld in den investiven Bereich geht und die zusätzlichen Ausgaben nicht weiter im sozialen Bereich erfolgen.

Der Wirtschaftsminister hat eine Kommission beauftragt, die sich mit den Fragen der Investitionen beschäftigt. Gestern gab es einen großen Kongress dazu. Ich denke, gerade für unsere Infrastrukturinvestitionen wird das noch weitergehende Bedeutung haben. Wolfgang Schäuble hat gestern auch daran teilgenommen.

Zentral sind die Energiekosten Herr Grillo hat auch darüber gesprochen. Wir wissen um die Ambitionen der Energiewende. Wir haben in enger Abstimmung auch mit der deutschen Wirtschaft das Erneuerbare-Energien-Gesetz neugemacht. Wir haben einige Elemente eingeführt, die sehr hilfreich sind: verpflichtende Direktvermarktung, klare Ausbaukorridore für die nächsten Jahre. Wir testen jetzt in einem Pilotvorhaben das Thema, das noch in dieser Legislaturperiode auf uns zukommt, nämlich die Ausschreibung zukünftiger Investitionen in erneuerbare Energien. Diesen Test machen wir am Beispiel der Photovoltaik. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit.

Wir haben bis zum Sommer entscheidende Dinge zu regeln, die für die Zukunft des Energiemarktes von allergrößter Bedeutung sind. Das sind die Entscheidungen zum Netzausbau im Gleichspannungsbereich, das sind die Fragen des Strommarktdesigns Kapazitätsmarkt ja oder nein, und wie muss das aussehen, das sind die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes und die Frage der Klimaschutzziele, die im Augenblick im Kohlebereich zu erheblichen Diskussionen führt. Da will ich ganz deutlich sagen, dass wir uns natürlich und das weiß ich auch vom Wirtschaftsminister anschauen, welche Wirkung das hat, dass man über die Annahmen reden muss, dass die Szenarien gerechnet werden. Natürlich gibt es da Diskussionen. Wir müssen auf der einen Seite den Klimaschutz im Auge haben, auf der anderen Seite aber auch die Arbeitsplätze und die heimische Rohstoffbasis.

Meine Damen und Herren, diese Entscheidungen plus die Fragen, die mit der Entsorgung des Nuklearmaterials zusammenhängen, wenn die Kernkraftwerke einmal abgeschaltet sind, wird man nur in einer Gesamtschau entscheiden können. Des-halb sind die nächsten zwei, drei Monate da von großer Bedeutung.

Wir haben oft darauf hingewiesen: Wir haben keine Steuern erhöht. Das ist für die Berechenbarkeit und das Vertrauen, das Sie haben können, und auch bezüglich dessen, was wir im Wahlkampf gesagt haben, wichtig. Jetzt haben wir das Thema Erbschaftssteuer. Mir ist die Brisanz bewusst. Das ist ein Thema, das viel mit dem Selbstverständnis zu tun hat: Arbeite ich an einem Standort, an dem mein Unter-nehmen von Generation zu Generation weitergegeben wird? Es gibt eine intensive Diskussion mit dem Bundesfinanzminister. Wir müssen zum Schluss die Länder überzeugen, dass das okay ist. Aber ich glaube, dass die Bereitschaft besteht, hier eine vernünftige Lösung zu finden.

Es ist richtig: Es steht nirgends in dem Urteil, dass sich die Erbschaftssteuer erhöhen muss. Es steht aber schon drin, dass Bedürftigkeitsprüfungen durchzuführen sind, wenn die Verschonungsregel für Unternehmen angewandt wird. Was eine Bedürftigkeitsprüfung in dem Zusammenhang ist, das ist ein weites Feld, das wir politisch zu bearbeiten und zu entscheiden haben. Wir sind uns einig: Nichts wäre schlimmer, als wenn wir in drei Jahren wieder vor dem Bundesverfassungsgericht stünden und das Thema Erbschaftssteuer jetzt nicht verfassungsfest hinbekämen.

Ich kenne auch die verschiedenen Diskussionen über den Mindestlohn. Wir sind in diesen Tagen dabei, in der Koalition zu schauen: Wo können und müssen wir Veränderungen vornehmen? Die Unionsfraktion das ist kein Geheimnis hat sehr stark auf die auch unserer Meinung nach zum Teil zu hohen Bürokratiekosten hin-gewiesen. Wir müssen jetzt sehen, was in der Koalition möglich ist. Ich will hier vor den entscheidenden Sitzungen keine Prognosen abgeben, aber wir haben in unse-ren Reihen eine sehr klare Vorstellung, was verändert werden müsste.

Das Thema Bürokratieabbau hat gerade heute bei uns im Kabinett eine Rolle gespielt. Die Entscheidung für das Prinzip "One in, one out" ist eine gute Entscheidung, die wir gefällt haben. Ich möchte Staatsminister Braun ganz herzlich danken, der in vielerlei Hinsicht zusammen mit dem Normenkontrollrat, dem ich auch danke, darauf achtet, dass wir auch wirklich vorankommen.

Wir haben Sie seit 2007 deutlich entlastet bezüglich der Berichts- und Informations-pflichten. Aber manchmal habe ich bei Investitionen den Eindruck: Man tut etwas, aber es ist ein so allgemeiner Befund, dass wir ein recht verregeltes Land sind, dass das Erreichte gar nicht so ins Gewicht fällt. Aber die Methode ist vergleichsweise wissenschaftlich. Sie wird international angewandt. Deshalb muss ich Ihnen ein-fach sagen: Es ist bei den Informationspflichten weniger geworden. Das ist eine gute Nachricht.

Fachkräftesicherung ist sicherlich ein Thema, das uns in den nächsten Jahren an-gesichts der demografischen Entwicklung intensiv beschäftigen wird. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben immer noch fast drei Millionen Arbeitslose und darunter einen wachsenden Anteil von Langzeitarbeitslosen. Es muss unser politisches Interesse sein, diese Zahl zu senken. Wir haben im Bereich der Alleinerziehenden durch den Ausbau der Kinderbetreuung schon einiges erreicht. Aber wir müssen weitermachen. Wir müssen jetzt auch aufpassen, dass wir im Zusammenhang mit der Integration von Asylbewerbern das Fachkräftepotenzial nutzen. Wir haben ins-besondere mit dem Handwerk darüber gesprochen. Ich bedanke mich für die Bereitschaft, diese Integration durchzuführen. Sie brauchen dafür berechenbare Bedingungen. Daran arbeiten wir. Aber wir dürfen auch den Teil der Langzeitarbeitslosen, die aus Deutschland kommen, nicht vergessen. Denken wir immer daran: Wir geben nach wie vor Milliarden für Hartz IV aus. Allein der Gedanke, man könnte davon einen relevanten Teil in Investitionen stecken, ist sehr spannend und interessant.

Europa steht besser da als zuvor, ist aber nach meiner festen Überzeugung noch nicht über den Berg. Die negative Wirkung der sehr niedrigen Zinsen und des niedrigen Ölpreises ist die Gefahr, dass man nicht mehr so entschlossen reformiert, wie das einige Länder gemacht haben. Auf der anderen Seite gibt es Ländern, die sehr harte Programme durchlaufen haben, auch ein Stück Spielraum, wenn ich an Spanien und an Portugal denke. Wir können immerhin sagen: Irland ist jetzt Wachstumsmotor Europas. Da zeigt sich, was Reformen in der Kombination mit soliden Finanzen ausmachen. Deshalb wird die Bundesregierung weiter für diesen Kurs werben, obwohl wir international zum Teil erheblichem Druck ausgesetzt sind.

International ist das Stichwort für die Freihandelsabkommen. Wir müssen hier vielleicht den Blick noch einmal weiten. Wir haben eine Vielzahl von Freihandelsabkommen. Das letzte, das die Europäische Union abgeschlossen hat, war das mit Südkorea. Es gab so viele Bedenken gerade auch von der deutschen Wirtschaft, von der Automobilwirtschaft zu diesem Freihandelsabkommen. Das Ergebnis aber ist, dass wir sofort nach Inkrafttreten wachsende Exportmöglichkeiten haben.

Wir sind in einem weiten Stadium mit dem Freihandelsabkommen mit Indien. Und der indische Premierminister hat mir versprochen, dass die Gespräche mit der Kommission wiederaufgenommen werden. Wir sind mit Japan im Gespräch. Da wäre es auch sehr wünschenswert, dass wir das hinbekommen insbesondere mit Blick darauf, dass die USA das Freihandelsabkommen mit dem asiatischen Partner innerhalb dieses Jahres abschließen werden. Wir haben dem russischen Präsidenten angeboten, dass wir auf längere Frist über Freihandel von Wladiwostok bis Lissabon sprechen können. Und da wäre es doch geradezu befremdlich, wenn wir nun ausgerechnet mit den Vereinigten Staaten von Amerika nicht über ein solches Freihandelsabkommen sprechen würden.

Wir haben im Übrigen in keinem der Freihandelsabkommen jemals unsere Verbraucherschutzstandards, unsere Umweltstandards irgendwie nivelliert, weil natürlich weiter alle Richtlinien gelten, die wir innerhalb der Europäischen Union schon beschlossen haben. Deshalb werden wir von der Unionsseite sehr intensiv argumentieren und dafür werben, dass es um etwas geht, das Arbeitsplätze sichert. Wir werden der Kommission auch Mut machen, dass sie die Verhandlungen zügig führt.

Meinen Damen und Herren, der heutige Kongress und der heutige Empfang leisten etwas, das in der Sozialen Marktwirtschaft ganz wichtig ist. Ludwig Erhard hat von Anfang an die Soziale Marktwirtschaft auch als ein Projekt des Vertrauens angesehen. Wohlstand für alle wurde erlebbar. Legendär ist die Aussage, dass man immer schauen muss, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist und man mit der Rede vom halbvollen Glas das Glas eher vollkriegt, als wenn man die ganze Zeit darüber redet, dass es halbleer ist. Deshalb ist das Gespräch zwischen uns so wichtig.

Das heißt, die Basis unseres Dialogs muss Vertrauen sein: Vertrauen, dass Sie uns sagen, wo der Schuh drückt und wo Dinge irgendwann so sein könnten, dass man nicht mehr in Deutschland investiert. Da haben wir Verantwortung. Aber auch Vertrauen in uns, dass wir politisch die Verantwortung für rund 80 Millionen Menschen haben und schauen müssen, dass diese Gesellschaft zusammenhält, weil eine zusammenhaltende Gesellschaft wiederum für Sie eine berechenbare Basis des Arbeitens ist. Das wird in den nächsten Jahren nicht unbedingt einfacher, wenn man die demografische Veränderung oder die große Herausforderung an Bildung im Zusammenhang mit der Digitalisierung bedenkt. Deshalb sage ich Ihnen genauso wie die Fraktion es heute gemacht hat auch vonseiten der Bundesregierung und aller anwesenden Regierungskollegen zu: Wir wollen diese vertrauensvolle Zusammenarbeit. Danke, dass Sie alle da sind. Und jetzt uns allen gute Gespräche.

Herzlichen Dank.