Redner(in): Angela Merkel
Datum: 23. April 2015

Anrede: Sehr geehrter Herr Bock,sehr geehrter Herr Hambrecht,sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Frau Dreyer,sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Herr Kohl,sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/04/2015-04-23-merkel-basf.html


Exzellenzen, vor allem: liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BASF,

Ich bin sehr froh, dass ich es heute hierher geschafft habe auch wenn ich etwas verfrüht schon wieder nach Brüssel fliegen werde, um meine und die Glückwünsche der ganzen Bundesregierung zu diesem 150. Jubiläum überbringen zu können.

Wenn die Dinge vor 150 Jahren anders gelaufen wären, müssten wir heute auf der gegenüberliegenden Seite des Rheins feiern. Doch der Geländeerwerb scheiterte in Mannheim und so fiel die Wahl auf das damals noch sehr junge Ludwigshafen. Diese Geschichte von den Anfängen erzählt etwas, das für den Erfolg von BASF wichtig war. Ihr Gründer Friedrich Engelhorn behielt sein Ziel fest im Auge, obwohl die ersten Schritte anders verliefen, als er gedacht hatte. Aufbrüche zu wagen, am Ball zu bleiben und, wenn etwas fehlschlägt, Alternativen zu suchen dies gehört zu den Prinzipien, die die BASF so groß und so erfolgreich gemacht haben.

Die Erfolgsgeschichte nahm rasch ihren Lauf. Was mit einer Fabrik zur Herstellung von Farbstoffen aus Steinkohleteer und 30 Arbeitern begann, wuchs zu einem weltweit tätigen Unternehmen mit vielfältiger Produktpalette und immer mehr Beschäftigten heran. Als 1882 in Ludwigshafen ein öffentliches Telefonnetz entstand, sicherte sich die BASF die Teilnehmernummer eins. Die Firma verfügte über den ersten Telefonanschluss im Königreich Bayern, zu dem die Stadt Ludwigshafen damals gehörte. Dies erscheint im Rückblick als ein gutes Omen. Nummer eins zu sein, ist dem Unternehmen auch wirtschaftlich gelungen.

Schon im Katalog der Weltausstellung im Jahr 1900 fanden sich die Worte: "Die Badische Anilin- & Soda-Fabrik ist unbestritten die größte chemische Fabrik der Welt." Auch heute, über 100 Jahre später, gilt BASF als Nummer eins unter den Chemieunternehmen. Der Umsatz liegt bei über 74 Milliarden Euro. Rund um den Globus beschäftigt der Konzern ca. 113.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dass fast die Hälfte davon in Deutschland beschäftigt ist, freut mich und freut uns alle sehr.

Ludwigshafen bildet nach wie vor den größten Produktionsstandort von BASF. Das Unternehmen hat das Gesicht der Stadt mit geprägt. Das Werksgelände ist das eine. Das andere sind die Wohnungen, die das Unternehmen für seine Beschäftigten gebaut hat. Die ersten Häuser entstanden schon ein Jahr nach der Firmengründung. Später wuchsen ganze Siedlungen im Auftrag von BASF aus dem Boden.

Ob Wohnungen, gesundheitliche Versorgung oder Freizeitangebote die Verantwortung für die Beschäftigten gehörte bei der BASF von Anfang an dazu. Symbolisch dafür steht auch dieses Haus, das Feierabendhaus, das uns heute diesen würdigen Rahmen für die Jubiläumsveranstaltung gibt. 1913 wurde es eingeweiht mit Gastwirtschaft und Kegelbahn, mit Bücherei und Veranstaltungssaal.

1936 fand im Feierabendhaus ein ganz besonderes Ereignis statt: Die Londoner Philharmoniker spielten und Magnetbänder zeichneten zum ersten Mal ein gesamtes Konzert auf. Das Magnetophonband ist eines der Produkte, das viele mit BASF verbinden, genauso das Indigo-Blau für Jeans, Buna-Reifen oder Styropor.

Die BASF steht beispielhaft für innovative Lösungen made in Germany. Rückschläge wie bei den ersten Teerfarbstoffen waren meistens Ansporn, noch intensiver, noch umfassender zu forschen. Viele bahnbrechende Erfindungen und Patente gehen auf BASF zurück. Das Unternehmen hat mit Carl Bosch und Friedrich Bergius sogar Nobelpreisträger in seinen Reihen gehabt.

Meine Damen und Herren, in der Geschichte der BASF spiegelt sich viel von der Entwicklung und ja, auch das von der Geschichte unseres Landes wider, auch von ihren dunklen und schmerzhaften Kapiteln.

Genau gestern vor 100 Jahren setzte Deutschland im Ersten Weltkrieg in der Schlacht von Ypern erstmals Giftgas ein. Obwohl international geächtet, griffen die verfeindeten Staaten im Ersten Weltkrieg fortan verstärkt auf diese grausame Waffe zurück. Auch an einem Tag wie heute vergessen wir nicht, dass für dessen Lieferung ein Unternehmen wie BASF verantwortlich war.

Wir denken auch daran, dass sich in gut zwei Wochen am 8. Mai das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 70. Mal jährt. Wir gedenken der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager vor 70 Jahren. Das Bild, das sich den Befreiern bot, war ein einziges Grauen. Die Gaskammern stehen für das systematische Auslöschen von Menschenleben und den von Deutschland begangenen Zivilisationsbruch der Schoah.

Wir gedenken auch des traurigen Kapitels der Zwangsarbeit, das im Zweiten Weltkrieg auch in Werken wie in Ludwigshafen gegenwärtig war.

Es ist deshalb sehr wichtig, dass ein Unternehmen wie die BASF eines der Gründungsmitglieder der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft Erinnerung, Verantwortung und Zukunft war. Das Engagement diente dazu, noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter und andere Opfer des Nationalsozialismus zu unterstützen. Außerdem fördert die entstandene Stiftung bis heute Projekte wider das Vergessen und für die Verständigung zwischen den Nationen. Das sind wir den Opfern schuldig, und das sind wir uns allen schuldig.

Meine Damen und Herren, Richtschnur unseres Handelns muss immer sein, dem Leben zu dienen. Gerade auch Entwicklungen aus der Chemie sind und bleiben ein Schlüssel, um viele Herausforderungen zu bewältigen.

Die Weltbevölkerung wächst. Schätzungen gehen davon aus, dass 2050 über neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Jeder für sich hat das Recht auf ein würdiges Dasein. Das heißt zuallererst, die Chance auf genug zu essen und zu trinken zu haben. Die Grundlagen für die Ernährung sicherzustellen darin liegt unser gemeinsamer Auftrag.

Die Bundesregierung zum Beispiel stellt sich dieser Herausforderung auch in dem Jahr, in dem wir die G7 -Präsidentschaft innehaben. Wir wollen unter den G7 -Ländern Maßnahmen vereinbaren, um die Zahl der hungernden und mangelernährten Menschen in der Welt weiter zu reduzieren. Wir in der Politik brauchen dazu die Unterstützung sowohl der Zivilgesellschaft als auch der Unternehmen in Industrie und Landwirtschaft.

Die BASF hat vor rund 100 Jahren mit der industriellen Agrarchemie in Deutschland begonnen. Das Unternehmen kann auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Und zugleich sind neue Ansätze gefragt. Die BASF bietet zum Beispiel auch Innovationen, um Lebensmittelverluste zu vermeiden. Das ist ein Thema, das wie so viele andere Themen, wie wir heute schon gehört haben, jeden Einzelnen bei uns etwas angeht.

BASF ermuntert in seinem Jubiläumsjahr mit einem besonderen Programm, sich zum Beispiel mit Fragen wie diesen auseinanderzusetzen. Dieses Programm nennt sich "Creator Space" und lädt dazu ein, mit Branchenexperten zu diskutieren. Neben der Ernährung stehen städtisches Leben und intelligente Energie im Vordergrund. Ich begrüße dieses Engagement außerordentlich. Wir brauchen mehr Aufgeschlossenheit für neue Technologien. Sie helfen uns, zukunftsweisende Vorhaben umzusetzen und vor allen Dingen, den Wohlstand auch für die Zukunft zu sichern.

Gerade dort, wo wir weltweit vorangehen wie beim Umstieg auf erneuerbare Energien, haben wir die Chance zu zeigen, wie innovationsstark Deutschland ist. Etliche Entwicklungen aus der Chemieindustrie dienen einer nachhaltigen Stromproduktion, einer besseren Energieeffizienz und dem Klimaschutz. Ich denke dabei zum Beispiel an hochwertige Dämmmaterialien, leistungsstarke Batterien oder neue Techniken und Materialien, mit denen Solarzellen mehr Strom erzeugen können und länger halten.

Zugleich ist der Umbau der Energieversorgung für uns als Industrienation auch eine große Herausforderung. Meistern können wir diese Herausforderung, indem wir unsere Ziele fest im Blick behalten: die Umweltverträglichkeit, die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit. Alles drei gehört zusammen, damit Deutschland ein attraktiver Industriestandort bleiben kann.

Gerade die Chemieindustrie mit ihren mehr als 400.000 Beschäftigten ist eine unserer traditionellen Stärken. Sie gehört zu den energie- und ressourcenintensiven Branchen. Umso wichtiger ist es, auf den Erhalt ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu achten. Denn wir wissen, dass die Welt um uns herum nicht schläft.

Dies gilt ebenso mit Blick auf unsere ambitionierten Ziele in der europäischen Klima- und Energiepolitik. Wir haben uns in der Europäischen Union darauf geeinigt, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Das zentrale Element der europäischen Klimapolitik ist der Emissionshandel. Er muss so gestaltet sein, dass er wirksam ist, Planungssicherheit bietet und Anreize für Investitionen in effiziente Technologien setzt.

Wir in Deutschland haben schon viel erreicht. Wir gehören zu den Industrienationen, bei denen sich der Energieverbrauch sichtbar vom Wirtschaftswachstum entkoppelt hat. 2014 lag die Energieproduktivität temperaturbereinigt um fast drei Prozent niedriger als im Vorjahr. Die Industrie leistet hier Immenses. Und das Verbundsystem der BASF ist beispielhaft für nachhaltiges Wirtschaften.

Nachhaltigkeit spielt in der deutschen Wirtschaft eine zentrale Rolle, natürlich auch in der Chemieindustrie. Die Initiative "Chemie hoch drei" mit konkreten Leitlinien für die Branche ist ein gutes Beispiel. Es ist auch lobend hervorzuheben, dass BASF bei der Berichterstattung nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex zu den Vorreitern gehört. Dieses Engagement für mehr Nachhaltigkeit kann ein Markenzeichen der deutschen Chemieindustrie im globalen Wettbewerb sein. Denn wir wissen, dass viele Schwellenländer auch in diese Richtung arbeiten.

Wir wissen auch: Vom Erfolg auf den globalen Märkten hängt viel ab. Erleichterungen im internationalen Geschäft verspricht die geplante transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Sie wird es Unternehmen noch leichter machen, die großen Chancen zu nutzen, die ihnen auch der US-amerikanische Markt bietet. Berechnungen zufolge zahlen die deutschen Chemieunternehmen rund 140 Millionen Euro jährlich an Zöllen für Exporte in die USA. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, dass dieses Geld anders angelegt werden kann, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung.

Der Bund wird in dieser Legislaturperiode im Bereich der Forschung und Entwicklung natürlich auch seinen Beitrag leisten. Denn wir wissen, dass dies der Schlüssel für zukünftigen Erfolg ist und die BASF ist das gelebte Beispiel dafür. Wir werden drei Milliarden Euro zusätzlich in Forschung und Entwicklung investieren. Gemeinsam mit der Wirtschaft wollen wir einen Forschungs- und Entwicklungsanteil von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Wir sind schon fast da.

Um unsere Mittel zielgerichtet einzusetzen, hat die Bundesregierung die Hightech-Strategie zur übergreifenden Innovationsstrategie weiterentwickelt. Sie konzentriert das Engagement auf zentrale Herausforderungen der nächsten Jahre. Viel entscheidet sich daran, ob wir genügend kluge Köpfe mit frischen Ideen und Forschergeist finden. Insbesondere der Nachwuchs in den MINT-Fächern ist gefragt.

Heute ist Übrigens Girls ‘ Day. Und wir werben dafür, dass das nicht nur bei der BASF so ist, wo es hier vorne eine Quote von Forscherinnen gab, sondern dass das überall so wird. Deshalb ist mir nicht bange, dass die BASF ein wunderbarer Arbeitgeber für interessierte Forscherinnen und Forscher ist.

Junge Menschen zum Forschen zu ermuntern, war und ist Sinn und Zweck des bekannten Jugendwettbewerbs "Jugend forscht". Er feiert in diesem Jahr auch ein Jubiläum: Vor 50 Jahren startete er unter dem Motto "Wir suchen die Forscher von morgen" zum ersten Mal. Ein Partner der ersten Stunde war die BASF. Sie richtet den Wettbewerb in diesem Jahr zum dritten Mal aus. Am 29. Mai wird hier im Feierabendhaus die Präsentation der besten Projekte stattfinden. Damit sind dann zwei Jubilare vereint, die, wie ich finde, hervorragend zueinander passen.

Lieber Herr Bock, Sie haben die BASF einmal folgendermaßen beschrieben: "Wir sind ein naturwissenschaftlich geprägtes Unternehmen. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt wenn man forscht." Diese Überzeugung ist der Motor Ihres Unternehmens. Er hat dafür gesorgt, dass 150 Jahre BASF für 150 Jahre Innovation stehen. Und er ermöglicht es der BASF, ihre Erfolgsgeschichte in die Zukunft fortzuschreiben. Offene Fragen und Herausforderungen gibt es genug. Ich kann Ihnen und uns nur wünschen, dass Sie diese Herausforderungen annehmen, sie erfolgreich bewältigen und weiter ein tolles Stück Deutschland sind. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.