Redner(in): Monika Grütters
Datum: 09. Mai 2015

Untertitel: "Die Vielfalt der deutschen Orchester und Theater zu erhalten, mag aufwändig und teuer sein. Und dennoch ist es gerade in unserer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung und Selbstvergewisserung: um zu verstehen, woher wir kommen und was uns ausmacht als Bürger eines Bundeslandes, als Deutsche, als Europäer", betonte Grütters im Bonner Opernhaus.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/05/2015-05-09-gruetters-aids_gala.html


Die Vielfalt der deutschen Orchester und Theater zu erhalten, mag aufwändig und teuer sein. Und dennoch ist es gerade in unserer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung und Selbstvergewisserung: um zu verstehen, woher wir kommen und was uns ausmacht als Bürger eines Bundeslandes, als Deutsche, als Europäer ", betonte Grütters im Bonner Opernhaus.

Anrede, Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt, hat Kultur. Aus ihm kann noch etwas werden."Mit diesen motivierenden Worten aus Oscar Wildes" Dorian Gray "muss ich hier vermutlich niemanden für die Kultur erwärmen. Einen" schönen Sinn "für die" schönen Dinge " haben wir ja alle, die wir uns für die Oper, die Musik begeistern. Ich persönlich habe die Bonner Oper schon in jungen Jahren lieben gelernt - und aus mir ist dann auch prompt etwas geworden: nämlich eine begeisterte Dramaturgie-Mitarbeiterin dieses Hauses. Als solche habe ich während meines Studiums erste Erfahrungen im Kulturbetrieb sammeln können. In einigen alten Programmheften, die Freunde mir geschickt haben, habe ich sogar meinen Namen noch gefunden. Da kommt dann schon ein bisschen Nostalgie auf.. . Allein deshalb habe ich mich über die freundliche Einladung zur heutigen Gala sehr gefreut! -

Dass Kultur noch viel mehr sein kann als die ( von Oscar Wilde beschriebene ) Fähigkeit, in schönen Dingen einen schönen Sinn zu entdecken, erleben wir heute Abend - und das nicht zum ersten Mal. Künstlerinnen und Künstler aus allen Sparten engagieren sich schon seit vielen Jahren für die Ziele der Deutschen AIDS-Stiftung. Aufklären - Vorbeugen - Helfen " hat sich die Stiftung auf die Fahnen geschrieben, und das bleibt auch in Zukunft wichtig. Das HI-Virus mag aus den Schlagzeilen verschwunden sein - aber diese Stille ist trügerisch: HIV ist so tückisch wie eh und je. Deshalb bin ich Euch, lieber Arndt Hartwig, lieber Andreas Hartwig, sehr dankbar für Euren unermüdlichen Einsatz gegen das Verdrängen der Risiken und die Ausgrenzung infizierter und erkrankter Menschen.

Sie sind mit Ihrem Engagement zum Glück nicht allein. Viele Menschen sind an Ihrer Seite: Sie spenden Geld, sie spenden Zeit - oder sie wuchern zugunsten der AIDS-Stiftung mit ihren Talenten. Stars und Künstler nutzen ihre Prominenz, um auf die Situation Betroffener aufmerksam zu machen, für Schutz und Solidarität einzutreten und Hilfe zu organisieren. AIDS-Gala-Veranstaltungen gehören deshalb mittlerweile in so mancher Stadt zu den kulturellen Highlights. Auch das ist ein Verdienst der Deutschen AIDS-Stiftung - aber natürlich wären solche öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen nicht möglich ohne die Künstlerinnen und Künstler, die für ihre Beiträgen auf ihre Gage verzichten, und ohne die großzügigen Sponsoren, die bei der Organisation und Finanzierung helfen.

Sie alle zeigen uns, dass künstlerische Arbeit und menschliche Solidarität, persönlicher Erfolg und soziale Verantwortung ihrem Selbstverständnis nach zusammen gehören. Das finde ich großartig! Deshalb habe ich für den heutigen Abend auch gerne die Schirmherrschaft übernommen.

Das Haus ist voll, wir sind mit den Herzen bei jenen, denen Ihre Spenden zugute kommen sollen - und gleichzeitig ganz Ohr für das wunderbare Beethoven-Orchester unter seinem Chefdirigenten Stefan Blunier, den Opernchor des Theaters Bonn und namhafte Solistinnen und Solisten. Das Programm verspricht mit Mozart, Verdi, Puccini und Rossini einen Abend, der unseren "schönen Sinn für die schönen Dinge" mit ausgesuchter musikalischer Feinkost ansprechen wird.

Doch manch einem, da bin ich sicher, wird im Hinterkopf ein Szenario Sorgen bereiten, das auch mir zu schaffen macht. Was wäre, wenn es dieses Opernhaus nicht mehr gäbe? Was wäre, wenn das Beethovenorchester auf die Größe von Orchestern der Beethovenzeit geschrumpft würde? Was wäre, wenn die Kammerspiele in Bad Godesberg aufgegeben würden und das Theater damit wieder ein Stück wegrückte von den Menschen, für die es doch eigentlich offen sein will? Alle diese Szenarien - und einige mehr - wurden und werden hier ja leidenschaftlich diskutiert. Ich habe mir erst kürzlich bei meiner deutschlandweiten Theaterreise mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der Bonner Theaterszene darüber gesprochen. Es macht mir Sorgen - nicht nur aus alter ( studentischer ) Verbundenheit mit Bonn.

Denn: Kultur ist das Strahlen im Gesicht einer Stadt. Deshalb ist es mir ein Herzensanliegen, heute an die Kulturverantwortlichen zu appellieren: Setzen Sie dieses Strahlen in Bonn nicht leichtfertig aufs Spiel! Ausgerechnet beim Kulturetat den Rotstift anzusetzen, kostet mittel- und langfristig viel mehr, als es kurzfristig an Einsparungen bringt! Allein schon deshalb, weil eine lebendige Kulturszene mit Oper und Theatern junge, gut ausgebildete Menschen genauso wie Touristen und auch Unternehmen anlockt, eine Stadt und eine Region also ökonomisch voranbringt.

Von Mark Twain stammt der schöne Satz ( ich zitiere ) : "Kultur ist das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar ausgegeben ist." Auch jenseits der Maßstäbe ökonomischer Verwertbarkeit schafft Kultur bleibende Werte. Gerade erst vor ein paar Wochen haben Bund und Länder die vielfältige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Tatsächlich ist die Vielfalt der deutschen Orchester und Theater weltweit so einmalig, dass sie sich auch auf der Weltliste gut ausnehmen würde. Sie begründet - wie die vielfältige deutsche Kulturlandschaft überhaupt - Deutschlands Ruf als Kulturnation. Andere Länder beneiden uns darum.

Sie zu erhalten, mag aufwändig und teuer sein. Und dennoch ist es kein dekorativer Luxus, den wir uns leisten, sondern gerade in unserer heutigen pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung und Selbstvergewisserung: um zu verstehen, woher wir kommen und was uns ausmacht als Bürger eines Bundeslandes, als Deutsche, als Europäer.

Bonn ohne eigene Oper, ohne die Kammerspiele Bad Godesberg oder ohne sein Schauspiel wird vielleicht mit der Kraft engagierter Bürgerinnen und Bürger weiter festliche Galas ausrichten können. Aber es wird immer weniger Menschen eine Heimat sein, die eine Ahnung von der inspirierenden Kraft des Musiktheaters haben oder wissen, dass Theater wie ein Spiegel des Menschseins sein kann, in dem man sich erkennen und befragen kann.

Kultur ist ein Modus unseres Zusammenlebens, Ausdruck der Humanität einer Gesellschaft. Nicht umsonst ist es ja auch heute die Kultur, in deren Geist sich Künstler, Sponsoren, Gäste, Förderer zusammen finden, um AIDS-Kranke und HIV-Infizierte zu unterstützen.

Frei nach Oscar Wilde darf ich den eingangs zitierten Satz deshalb vielleicht so formulieren, meine Damen und Herren: "Eine Stadt, die in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt, hat Kultur. Aus ihr kann noch viel mehr werden." Hier sind viele Menschen, die dazu beitragen können und wollen.

Dafür bin ich Ihnen dankbar! Kämpfen Sie weiter für das Strahlen im Gesicht Ihrer Stadt - und für eine Kultur, die Gesicht zeigt, so wie heute im Kampf gegen AIDS. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine inspirierende und genussvolle Operngala!