Redner(in): Monika Grütters
Datum: 01. Juni 2015

Untertitel: Mit Blick auf den ersten Träger des traditionsreichen Ordens pour le mérite nutzte Kulturstaatsministerin Grütters die Gelegenheit, eine ihrer kulturpolitischen Herzensangelegenheiten zu bewerben - das im Entstehen befindliche Humboldt-Forum. Dort solle die Humboldtsche "Neugier auf das Andere, das Fremde, das Neuartige" Gestalt annehmen, sagte sie.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/06/2015-06-01-gruetters-orden-pour-le-merite.html


Mit Blick auf den ersten Träger des traditionsreichen Ordens pour le mérite nutzte Kulturstaatsministerin Grütters die Gelegenheit, eine ihrer kulturpolitischen Herzensangelegenheiten zu bewerben - das im Entstehen befindliche Humboldt-Forum. Dort solle die Humboldtsche "Neugier auf das Andere, das Fremde, das Neuartige" Gestalt annehmen, sagte sie.

Eine Rede vor dem Hauptgang ist - da mache ich mir trotz Ihres höflichen Beifalls keine Illusionen - ungefähr so beliebt wie der Werbeblock an der spannendsten Stelle eines Spielfilms. Beim Fernsehen kann man ja wenigstens das Programm wechseln. Der vergleichsweise trockenen rhetorischen Kost zwischen Vor- und Hauptspeise hingegen entkommt man nicht. Ich hege deshalb den leisen Verdacht, dass das wiederholte Erdulden länglicher Tischreden der Anlass war, der einem Mitglied des Ordens pour le mérite den Seufzer entlockte, ich zitiere: "Die meisten Orden werden nicht verdient, sondern erdient, erdienert oder - erdiniert."

Diesen Verdacht hätte der Urheber dieser Worte - immerhin niemand Geringerer als Otto von Bismarck! - für sich selbst vermutlich weit von sich gewiesen, zumal ihm als Mitglied des Ordens pour le mérite ja bestens bekannt war, dass diese höchste akademische Adelung nur den Verdientesten unter den Geistesgrößen zuteil wird. Doch als Politiker wird er verstanden haben, dass kein Redner sich die Gelegenheit entgehen lässt, die Aufmerksamkeit eines solch erlesenen Kreises für die Dauer einer Tischrede zu beanspruchen.

So darf ich Sie heute als Gastgeberin nicht nur herzlich willkommen heißen zum Abendessen an diesen wunderschön gedeckten Tafeln. Ich hoffe auch, Sie für eines meiner kulturpolitischen Herzensanliegen begeistern zu können, zu dessen geistigen Vätern und Namensgebern der erste Kanzler des Ordens, Alexander von Humboldt, gehört - neben seinem Bruder Wilhelm von Humboldt.

Alexander von Humboldt, Naturforscher und Universalgelehrter, und Wilhelm von Humboldt, Sprachwissenschaftler und Bildungsforscher, verdankten ihre umfassende Bildung einer schier unerschöpflichen Neugier auf die Welt - dem Wunsch, sie im wahrsten Sinne des Wortes zu "be-greifen". Die gefährlichste Weltanschauung, so schrieb Alexander von Humboldt einmal in einem Brief an den Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense, sei die Weltanschauung derjenigen, die die Welt nicht angeschaut haben. Aus seinem Drang nach Welterkenntnis heraus hat Humboldt die deutsche Wissenschaft zu internationalisieren begonnen - nicht nur, aber auch und insbesondere im Orden pour le mérite, dessen Weltläufigkeit ihm ein großes Anliegen war.

Alexander von Humboldts Begriff des Kosmos und der Universitas-Gedanke Wilhelm von Humboldts sind in der Internationalität Berlins gut aufgehoben und stehen gleichsam Pate für das Humboldt-Forum, das 2019 hier nebenan auf dem Schlossplatz seine Pforten öffnen soll. Es ist das derzeit ambitionierteste Kulturvorhaben unseres Landes. Wir machen damit erfahrbar, wofür der Name "Humboldt" steht: für die Tradition der Aufklärung, die Idee der selbstbewussten, weltoffenen Annäherung der Völker, das Ideal eines friedlichen Dialogs.

Eben diese Neugier auf das Andere, das Fremde, das Neuartige soll im Humboldt-Forum Gestalt annehmen: die außereuropäischen Künste sollen sich hier selbstbewusst darstellen, im stadträumlichen Bezug zu den Zeugnissen unserer europäischen Kunst- und Kulturgeschichte, die sich direkt gegenüber auf der Museumsinsel befinden. Neuartige Kultur- und Kunsterfahrungen sollen den Blick schärfen für unterschiedliche, gleichberechtigte Weltkulturen; sie sollen einladen zu Diskussionen über Europa und die Welt und über die großen Themen menschlicher Existenz, die uns über kulturelle Grenzen hinweg verbinden.

Erkenntnisse in Kultur und Wissenschaft gehen der gesellschaftlichen Wirklichkeit voraus. Es ist diese Avantgarde der Kulturnation, die wir im Humboldt-Forum demonstrativ ermöglichen und fördern wollen. Der Name "Humboldt" verpflichtet zu weltweit beachteter Erstklassigkeit, zum Diskurs, zur Interdisziplinarität und zum Experiment. Als Schauplatz des internationalen wissenschaftlichen und kulturellen Diskurses auf höchstem Niveau könnte das Humboldt-Forum im wieder aufgebauten Berliner Schloss zu einem Katalysator von Meinungsbildungsprozessen im Ästhetischen wie im Politischen werden - genau dort also, wo Friedrich Wilhelm IV. von Preußen vor beinahe exakt 173 Jahren ( am 31. Mai 1842 ) den Gründungserlass für die so genannte "Friedensklasse" des Ordens pour le mérite unterzeichnete und die neu ernannten Mitglieder einst ( bis 1918 ) aus der Hand des Königs von Preußen ihr Ordenszeichen überreicht bekamen.

Es ist ein bisschen wie Eulen nach Athen tragen, ausgerechnet bei Ihnen, den verdientesten Repräsentanten und Vordenkern der Wissenschaften und der Künste, für die kulturpolitische Vision des Humboldt-Forums zu werben. Doch wer, wenn nicht Sie mit Ihrem universalen Wissen, Ihrem reichen Erfahrungsschatz und Ihrem weltweiten Netzwerk, könnte dazu beitragen, das Humboldtsche Vermächtnis als kulturpolitische Vision für Berlin und für Deutschland, für eine der bedeutendsten Kulturnationen der Welt, lebendig werden zu lassen? Da ist das Humboldt-Forum doch allemal - und nicht nur aus Gründen historischer Verbundenheit mit dem Orden! - einen kurzen "Werbeblock" während dieses schönen Abendessens wert … .

Vor kurzem haben wir "intellektuelles Richtfest" gefeiert und die Gründungsintendanz vorgestellt. Es freut mich sehr, dass wir für deren Leitung mit Neil MacGregor einen exzellenten Kenner Deutschlands und international versierten Museumsexperten gewinnen konnten. Am British Museum war Neil MacGregor bisher für die weltweiten Sammlungen zuständig und hat die Kulturgeschichte der Menschheit erzählt. An seiner Seite stehen zwei Mitglieder des Ordens pour le mérite: Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Horst Bredekamp, Kunsthistoriker, den ich als neues Mitglied des Ordens pour le mérite willkommen heiße - ebenso wie die britische Philosophin Lady Onora O ' Neill, den deutschen Rechtshistoriker Michael Stolleis sowie den italienischen Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, Claudio Magris. Sie alle haben gestern in Gegenwart des Bundespräsidenten Ihr Ordenszeichen erhalten. Herzlichen Glückwunsch!

Auch wenn man sich diese große Ehre nicht im Sinne Otto von Bismarcks "er-dinieren" kann, sind wir doch alle dem sinnlichen Vergnügen des Dinierens an sich nicht abgeneigt. Deshalb will ich nach meinem rhetorischen Amuse-Gueule, diesem Gruß aus der kulturpolitischen Küche, nun ohne weitere Umwege zum kulinarischen Höhepunkt des Abends überleiten - die Menükarte klingt ja sehr vielversprechend. Sie offenbart, nebenbei bemerkt, mit der Auswahl der Weine auch, wie sehr sich die Zeiten seit Bismarcks Aufnahme in den Orden 1896 geändert haben.

Damals nämlich - der genaue Zeitpunkt und Anlass ist unbekannt - soll Bismarck sich bei einem Essen mit Kaiser Wilhelm II. über den ungewöhnlichen Geschmack des Schaumweins gewundert haben. Das sei deutscher Schaumwein, erklärte der Kaiser, er trinke ihn aus Sparsamkeit und aus Patriotismus. Worauf Bismarck geantwortet haben soll: "Bei mir, Majestät, macht der Patriotismus kurz vor dem Magen halt."

Heute können wir zum Glück dank hervorragender deutscher Köche und Winzer nicht nur im Geiste und im Herzen, sondern auch im Magen Patrioten wie auch Weltbürger sein, meine Damen und Herren - ganz im Sinne des ersten Ordenskanzlers Alexander von Humboldt! Freuen wir uns also auf kulinarischen Genuss und inspirierende Gespräche!

Auf Ihr Wohl, liebe Mitglieder des Ordens pour le mérite!