Redner(in): Monika Grütters
Datum: 02. Juni 2015

Untertitel: "Kulturelle Bildung fördert die Integration - und die Integration fördert mit Sicherheit die kulturelle Vielfalt." betonte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/06/2015-06-02-gruetters-preis-kulturelle-bildung.html


Kulturelle Bildung fördert die Integration - und die Integration fördert mit Sicherheit die kulturelle Vielfalt." betonte Monika Grütters in ihrer Rede.

Wie schön, Sie alle hier versammelt zu sehen! Wie schön, selbst wieder an diesem Ort zu sein! Schlösser und Herrensitze - solche Gebäude waren früher den meisten Menschen verschlossen. In ihnen hielt sich auf, wer wirklich zu denen gehörte, die das offizielle Kulturleben gestalteten. Mindestens die großen hohen Türen waren für die hohen Herrschaften bestimmt, für die Dienstboten gab es einen eigenen Eingang,

An dieser Stelle hat sich unsere Kultur erkennbar verändert. Gutshäuser und Schlösser in unserem Land sind heute oft Orte, an denen die demokratische Kultur, die Kultur für alle, gefeiert wird."KulTür auf!" Diesen Ruf des Bündnisses grenzenlos- e. V. Berlin hören wir nicht nur ausgesprochen gern - wir sind mit voller Stimme dabei.

Schon die Gründung der Stiftung Genshagen vor zehn Jahren durch das BKM und das Land Brandenburg stand ganz im Geiste kultureller Bildung und Integration. Dass wir heute hier zum siebten Mal den BKM-Preis für kulturelle Bildung verleihen, freut mich von Herzen. Ich bin nämlich wie andere Verantwortliche in diesem Land davon überzeugt: Kulturelle Bildung fördert die Integration - und die Integration fördert mit Sicherheit die kulturelle Vielfalt.

Aber was ist das eigentlich genau, kulturelle Bildung? Für mich gehörte, als ich noch eine westfälische Schülerin war, dazu, dass ich natürlich wusste, wer der heilige Augustinus war. Der schrieb in seinen Bekenntnissen - der ersten überlieferten ausführlichen Autobiografie eines einzelnen Menschen im Abendland- über die Zeit: "Was also ist ' Zeit ‘ ? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht."

So ähnlich, meine Damen und Herren, geht es mir mit der kulturellen Bildung und wohl nicht nur mir. Wer könnte in unserer Zeit und in diesem Land erklären, was dazu gehört, was hingegen nicht? Gehört es dazu, dass man Volkslieder singen, mit der Hand hübsch schreiben und gotische von romanischen Kathedralen unterscheiden kann? Das alles sind zweifellos sehr nützliche Fähigkeiten. Auch ich bin froh über alle, die es können.

Aber wenn das schon alles wäre, was über kulturelle Bildung zu sagen ist, dann hätten wir unsere Schlösser nicht öffnen müssen. Wir haben sie ja geöffnet, weil wir uns, wie es im Koalitionsvertrag dieser Bundesregierung steht, zur Kultur für alle bekennen."Kultur für alle", so heißt es da,"umfasst Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit sowie interkulturelle Öffnung. Diese Grundsätze sind auch auf die vom Bund geförderten Einrichtungen und Programm zu übertragen."

Und das machen wir - zum Beispiel - hier und heute. Die Projekte, die es geschafft haben, nominiert und zum Teil besonders ausgezeichnet zu werden, haben viel geschafft. Zunächst in ihrer Arbeit vor Ort. Dann haben sie aber auch mehrere Gremien davon überzeugt, dass ihre Initiatoren und Ausführenden sich selbst kulturell gebildet haben und sich emsig bemühen, davon etwas weiter zu geben. Dazu gehen Sie auch an unwahrscheinliche Orte. Alle hier ausgezeichneten Projekte holen Menschen ab, die bisher noch gar nicht wussten, dass Sie gerade auf sie gewartet haben.

Und plötzlich macht ein ganzer Hamburger Stadtteil "Sehnsuchtsfenster" auf für sein "Balkontheater." Plötzlich macht ein Dorf seine Geschichte zu Geschichten. Plötzlich fangen Menschen an, in Rollstühlen zu tanzen.

Ihre Projekte bringen auf diese Weise nicht nur die kulturelle Bildung der einen in einen tanzenden Austausch mit den anderen - sie leisten auch einen Beitrag zur Weiterbildung der Kultur selbst. Cranach der Jüngere feiert seinen 500. Geburtstag im Kindermuseum des FEZ, junge Menschen aus Iran, Afghanistan und westafrikanischen Ländern probieren das "Gender-Ding" auf renommierten deutschen Bühnen, ein symphonischer Mob lehrt das Deutsche Symphonie Orchester Berlin die Flötentöne, das Art Basic Center Groepelingen zeigt den Bremern, dass ihr Stadtteil "zum Glück nah am Wasser gebaut" ist.

Jugendliche von der Straße kreieren aus zerlegten Couture-Kleidern von Prominenten ihre eigene Mode - und unter der Frage "Was kann ich für eure Welt?" verwandelt eine Theatertruppe zusammen mit 70 Dorfbewohnern die sächsische Schweiz in eine phantastisch-historische Bühne. Auf diese Weise bringen Sie Leben in den Begriff "kulturelle Bildung" und machen uns vor, was damit gemeint sein kann. Genau dafür wollen wir uns heute bei Ihnen bedanken.

Bei allem, was ich bis jetzt schon gesagt habe, wird Ihnen aufgefallen sein, dass ein frischer Wind in den alten Gemäuern unserer europäischen und nationalen Kultur herzlich willkommen ist. Erst kürzlich - am 21. Mai - habe ich Vertreter verschiedener Organisationen zur Vorbereitung für eine bundesweite Initiative zum UNESCO-Tag der kulturellen Vielfalt eingeladen. Wir diskutieren dabei über Fragen, die uns in der Bundesregierung ebenso wie in allen bestehenden Kultureinrichtungen beschäftigen. Wie öffnet Kultur Welten? Wie hat die Zuwanderung die Zuwanderer selbst, aber auch unsere Gesellschaft und unser Selbstverständnis verändert?

Meine Damen und Herren, Kulturelle Vielfalt ist mittlerweile Teil unserer Identität geworden. Mit dem Humboldt-Forum wollen wir sie mitten in die Hauptstadt einladen. Da wird dann nicht einfach ein altes Schloss wieder auf gebaut und museal als Ort einer vermeintlich guten alten Zeit inszeniert. Die Idee ist vielmehr, das neu zu verwirklichen, was im Namen Humboldt anklingt: die Tradition der Aufklärung, die Idee der selbstbewussten, weltoffenen Annäherung der Völker, das Ideal eines friedlichen Dialogs.

Der Universitas-Gedanke eines Wilhelm von Humboldt, Sprachwissenschaftler und Bildungsforscher, und der Kosmos-Gedanke eines Alexander von Humboldt, Naturforscher und Universalgelehrter, verdankten ihre umfassende Bildung einer schier unerschöpflichen Neugier auf die Welt - dem Wunsch, sie im wahrsten Sinne des Wortes zu "begreifen". Im Humboldt-Forum soll das Schloss also nicht zu einer Festung werden, aus der alle ausgeschlossen bleiben, die nicht ganz dazu gehören. Es soll vielmehr ein Zentrum sein, in dem Menschen aller Kulturen sich über ihr kulturelles Selbstverständnis mit anderen austauschen können. Es soll ins ganze Land ausstrahlen - und die Strahlen, die aus den einzelnen Projekten im Lande kommen, bündeln und neu auf den Weg schicken.

In diesem Sinne verstehe ich Kultur als das Strahlen im Gesicht einer Gesellschaft. Unserer Gesellschaft, zu der Sie alle hier mit Ihrer herausragenden Arbeit beigetragen haben und noch weiter beitragen werden.

Aber das Bündeln dieser Strahlen macht Arbeit. Der Fachjury unter dem Vorsitz von Frau Reinwand-Weiss mit Herrn Braun, Frau Darian, Frau Hartmann-Fritsch, Frau Krings, Herrn Lübking, Frau Mian, Herrn Saad sowie Herrn Walz möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihre engagierte Arbeit danken! Sie haben aus dem, was Ihnen von 50 vorschlagsberechtigten Organisationen vorgelegt wurde, durch Ihre Recherchen, Ihre Nachfragen und Ihre Ermutigung dazu beigetragen, dass das Engagement für die Kulturelle Bildung die verdiente Wertschätzung erhält. Auch dafür ist dieser Preis wichtig - nicht nur zur Würdigung der drei Preisträger, sondern für die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber Menschen, die sich mit viel Herzblut für die Kulturelle Bildung einsetzen!

Diese Arbeit ist kein Hobby. Und ihr Gegenstand, die Kultur, ist auch nicht einfach schmückendes Beiwerk zu den wichtigeren anderen Dingen. Sie stiftet gegenseitiges Verständnis - und hält uns zusammen.

Dafür schicken wir unsere Kulturagenten an die unwahrscheinlichsten Orte - dafür öffnen wir die Tore unserer Kulturtempel und -schlösser ganz weit für alle, die kommen wollen.

So wollen wir die Zeit, in der Menschen sich mit Kunst und Kultur auseinandersetzen, eine "blühende Flur" sein lassen ( Schiller sagt: "Die Zeit ist eine blühende Flur" ) . Zeit, die man mit kultureller Bildung verbringt, ist nie vergeudet. Kulturelle Bildung macht Spaß. Dabei fördert sie, wie Sie alle aus Ihren Projekten wissen, neben der Sprachfähigkeit, der Musikalität und dem guten Blick fürs Schöne auch die Disziplin und die Ausdauer. Und so führt die Arbeit an den ausgezeichneten Projekten dazu, dass wir einander und uns selbst besser kennen und lieber zusammen leben.