Redner(in): Monika Grütters
Datum: 04. Juni 2015
Untertitel: "Die Zuwanderung hat auch unsere Gesellschaft und unser Selbstverständnis verändert. Deutschland sieht sich heute viel mehr als früher als weltoffenes Land, das stolz ist auf seine Vielfalt" betonte Monika Grütters in Ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/06/2015-06-04-gruetters-dw-immigration.html
Die Zuwanderung hat auch unsere Gesellschaft und unser Selbstverständnis verändert. Deutschland sieht sich heute viel mehr als früher als weltoffenes Land, das stolz ist auf seine Vielfalt " betonte Monika Grütters in Ihrer Rede.
Vor ein paar Monaten, es muss Ende des letzten Jahres gewesen sein, bin ich auf eine zunächst harmlos anmutende, kleine Statistik gestoßen, die auf den zweiten Blick eine ganze Menge aussagt über das Verhältnis des Einwanderungslands Deutschland zu multikultureller Vielfalt. Gefragt wurde nach Themen, über die keine Witze gemacht werden sollten.
Was, meinen Sie, steht ganz oben auf der Liste der humoristischen "No-gos" ? Sie ahnen es vielleicht: Über die Hälfte der Befragten finden, dass es über Religionen und über Ausländer nichts zu Lachen geben sollte.
Es erfordert keine vertieften Kenntnisse der Psychoanalyse, um aus dem kategorischen Ausschluss von Humor auf einen nicht ganz unverkrampften Umgang mit kultureller Vielfalt zu schließen. Nicht umsonst gilt die Formulierung "Da versteh ich keinen Spaß" als Synonym für eine niedrige Toleranzschwelle. So gesehen ist es wohl eindeutig als gesellschaftlicher Fortschritt zu werten, dass in den letzten Jahren vermehrt Kabarettisten mit dem berühmten "Migrationshintergrund" die Kleinkunst- und Fernsehbühnen erobert haben und dabei auch gängige Klischees zum Gegenstand von Witz und Ironie machen - ein erstes Beispiel für einen gemeinsamen Beitrag von Kultur und Medien in der Integrationsdebatte!
Welche Rolle also spielen Kultur und Medien für gesellschaftliche Integration? Sie können zunächst einmal das Schweigen brechen, den Finger in die Wunde legen, vermeintliche Gewissheiten in Frage stellen, Illusionen entlarven, unterschiedlichen Meinungen Gehör verschaffen, notwendige Auseinandersetzungen provozieren, kurz und gut: Debatten anstoßen, und damit ist schon viel gewonnen, nämlich Raum für Austausch und Verständigung.
Deshalb freue ich mich, dass die Deutsche Welle sich im Rahmen ihres Themenschwerpunkts "The Age of Migration" dem Thema "Immigration als gegenseitige Verpflichtung" widmet - ein großes Thema, das angesichts anschwellender Flüchtlingsströme in Folge von Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen traurige Brisanz gewonnen hat, das aber gleichzeitig auch einen Gesprächsfaden aufnimmt, den wir in den letzten Jahren geknüpft und immer wieder weitergesponnen haben.
Lange hat ja allein schon die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, für kontroverse Debatten gesorgt. Der Begriff der "Leitkultur" betonte die notwendige Verständigung auf gemeinsame Werte, brachte aber auch das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung durch Abgrenzung zum Ausdruck. Umgekehrt vernebelte die Vision eines heiter-bunten "Multikulti" oft den Blick auf Konflikte, die im "Schmelztiegel der Kulturen" gären. Mittlerweile begreifen wir uns, auch dank intensiver Auseinandersetzungen, als Einwanderungsland - und die kulturelle Vielfalt als Teil unserer Identität.
Die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte hat insofern nicht nur die Zuwanderer verändert, die teils in der zweiten und dritten Generation hier leben. Die Zuwanderung - genauer: der öffentliche Diskurs über Zuwanderung - hat auch unsere Gesellschaft und unser Selbstverständnis verändert. Deutschland sieht sich heute viel mehr als früher als weltoffenes Land, das stolz ist auf seine - auch durch Zuwanderer geprägte - Vielfalt.
Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt kulturelle Vielfalt eine politische Herausforderung - und zwar nicht nur eine innenpolitische, eine sozialpolitische und eine bildungspolitische, sondern auch und gerade eine kulturpolitische Herausforderung: Zum einen, weil die diffuse Angst vor der vermeintlich drohenden Dominanz kultureller Minderheiten ( Stichwort Pegida: "Islamisierung des Abendlandes" ) das große Bedürfnis nach Vergewisserung unserer eigenen kulturellen Identität offenbart. Zum anderen, weil kulturelle Teilhabe eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass Zuwanderer in der Fremde heimisch werden. Das von meinem Haus maßgeblich geförderte und 2012 erschienene Interkulturbarometer belegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Lebenssituation in Deutschland vor allem dann als positiv empfinden, wenn sie in das kulturelle Geschehen vor Ort eingebunden sind.
Diese beiden maßgeblichen Herausforderungen kultureller Vielfalt - das Bedürfnis nach kultureller Identität und Selbstvergewisserung einerseits, das Bedürfnis nach kultureller Teilhabe andererseits - stecken den Bereich der Mitverantwortung der Kulturpolitik und der Kultureinrichtungen für Integration und Zusammenhalt ab. Kultur ist dabei Brückenbauerin und Türöffnerin, aber auch Ausdruck und Spiegel unserer Identität.
Ob Poesie, ob Malerei, ob Musik, Theater oder Tanz:
Kunst kann gemeinsame Sprache sein, wo unterschiedliche Begriffe Schweigen oder Missverstehen provozieren.
Kunst kann gemeinsame Erfahrungen bescheren, wo unterschiedliche Herkunft ab- und ausgrenzt.
Kunst kann uns helfen zu verstehen, was uns ausmacht, wer wir sind - als Individuen, als Deutsche, als Europäer.
Kunst kann uns aber auch nötigen, die Perspektive zu wechseln und die Welt aus anderen Augen zu sehen.
Die Kultur in ihrer Rolle als Spiegel und als Brückenbauerin zu stärken, ist das Ziel zahlreicher Maßnahmen und Projekte meines Hauses. Dazu gehört beispielsweise die Förderung deutscher Kultureinrichtungen im Ausland, dazu gehören Literatur- und Übersetzerpreise oder auch der neue Theaterpreis, den ich in diesem Jahr erstmals ausgelobt habe. Für das Gelingen von Integration entscheidend ist unter allen kulturpolitischen Maßnahmen aber vor allem die Förderung kultureller Bildung. Sie muss Menschen in ihrer Lebenswelt erreichen, um erfolgreich zu sein - mag diese auch noch so weit weg sein von öffentlich geförderten kulturellen Angeboten.
Vor große Herausforderungen stellt uns dabei nicht nur die Einwanderung nach Deutschland. Auch in sogenannten bildungsfernen Familien deutschen Ursprungs lassen sich Phänomene der Kulturferne beobachten, die ich als bedrückend empfinde. Insofern wäre es kurzsichtig, die kulturelle Integration an Fragen allein der ethnischen Herkunft festzumachen.
Bei unserem "BKM-Preis Kulturelle Bildung" jedenfalls, mit dem ich als Kulturstaatsministerin einmal im Jahr - zuletzt vorgestern! - besonders originelle Ansätze der kulturellen Bildungsvermittlung auszeichnen darf, finden sich viele Beispiele für Integration in ihrer ganzen Bandbreite, auch wenn das oft gar nicht explizit beabsichtigt ist. Mich beeindruckt immer wieder, wie viel sich auf diese Weise vor Ort im Kleinen bewegen lässt.
Wie viel unsere Kultureinrichtungen landauf landab zum Gelingen kultureller Vielfalt beitragen, ist uns leider nicht immer bewusst. Umso wichtiger ist es, den Beitrag der Kulturinstitutionen stärker sichtbar zu machen: als Einladung zu interkulturellen Begegnungen vor Ort, aber auch als Ausdruck des Selbstverständnisses einer weltoffenen Gesellschaft. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und Kommunen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen meiner Anregung gefolgt sind, in einer gemeinsamen Initiative sichtbar zu machen, was es bereits an einzelnen Aktionen, Programmen und Ideen gibt.
Ob es uns gelingt, damit eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, hängt auch vom Interesse, von der Berichterstattung der Medien ab. Ich finde es gut und wichtig, dass es in der Presse wie auch im Rundfunk und im Fernsehen inzwischen viel Aufmerksamkeit für die Lebenswirklichkeit von Migrantinnen und Migranten und insbesondere für Probleme und Konflikte gibt. Nicht weniger wichtig als das Aufdecken von Scheitern und Versagen ist aus meiner Sicht aber auch das Entdecken von Erfolgen und Fortschritten.
Deshalb erlaube ich mir - bei allem Respekt vor der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien und vor dem journalistischen Selbstverständnis als Kritiker und Kontrolleure - den Hinweis, dass der Debatte über Migration und Integration mehr Aufmerksamkeit für Erfolgsbeispiele, für das ernsthaftes Bemühen um ein gutes Miteinander der Kulturen sehr gut tun würden.
Wir sollten uns jedenfalls bewusst sein, meine Damen und Herren, dass Kultur und Medien wegen ihrer herausgehobenen Rolle im öffentlichen Diskurs eine Verantwortung dafür haben, wie kulturelle Vielfalt in Deutschland wahrgenommen wird - als fremd oder als vertraut, als einladend oder als trennend, als bedrohlich oder als bereichernd."Heimat ist da, wo ich verstehe und verstanden werde", hat der Philosoph Karl Jaspers einmal gesagt.
Ich bin überzeugt: Eine Gesellschaft, in der Kultur und Medien zur Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt einladen, mit ihren lichten Seiten genauso wie mit ihren Schattenseiten, stärkt das Verstehen und Verstanden werden. In diesem Sinne freue ich mich auf eine interessante und inspirierende Podiumsdiskussion!