Redner(in): Monika Grütters
Datum: 03. Juli 2015

Untertitel: "Literaturfestivals wie die LIT:potsdam, die Schriftsteller aus ihren Schreibstuben und Literaturliebhaber aus ihren Lesesesseln holen, tragen dazu bei, die ein wenig antiquiert anmutende Leidenschaft für Bücher auch im digitalen Zeitalter zu erhalten." sagte Frau Grütters bei der Eröffnung.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/07/2015-07-03-gruetters-eroeffnung-lit-potsdam.html


Literaturfestivals wie die LIT: potsdam, die Schriftsteller aus ihren Schreibstuben und Literaturliebhaber aus ihren Lesesesseln holen, tragen dazu bei, die ein wenig antiquiert anmutende Leidenschaft für Bücher auch im digitalen Zeitalter zu erhalten." sagte Frau Grütters bei der Eröffnung.

Was für eine wunderbare, was für eine malerische Kulisse hier am Hochufer des Jungfernsees! Theodor Fontane, der wohl berühmteste Wanderer durch die Mark Brandenburg, hat für die Schönheit der Natur in seiner geliebten Heimat immer wieder poetische Worte gefunden, aber am treffendsten scheint mir das Lebensgefühl in der viel gepriesenen "Märkischen Dichterlandschaft" mit seinem wohligen Seufzer charakterisiert: "Was ist Glück? Dass man gut geschlafen hat und dass einen die neuen Stiefel nicht drücken." Mehr braucht es hier vielleicht tatsächlich nicht. Wir Glücklichen haben dazu noch den blauen Brandenburger Himmel über uns, ein Gläschen Wein neben uns und einen inspirierenden Abend vor uns. Herzlichen Dank für die Einladung!

Mit Ausblick auf den Jungfernsee und auf drei Tage "literarischen Sommer im Garten, in der Stadt und am Wasser" beantwortet sich zumindest eine Frage ganz von selbst, der wir uns im Zusammenhang mit der Rolle der Literatur im digitalen Zeitalter heute sicher noch widmen werden: die Frage nämlich, ob gedruckte Bücher und Tagebuch schreibende Schriftsteller nicht hoffnungslos anachronistisch sind, wo heutzutage doch mehr gebloggt, gepostet und getwittert als auf Papier geschrieben wird."Vergessen Sie endlich Goethe, Heine und Mann. Die hatten nicht einen einzigen Follower", hieß es kürzlich ironisch in der Zeitung DIE WELT. Das gilt ja nun leider auch für Sie, lieber Herr Walser. Aber wenn ich mich hier umschaue, dann sehe ich live und in Farbe unzählige Literaturfreunde … - und wer braucht schon Follower, wenn man für seine Werke auch leidenschaftliche Liebhaber haben kann!

Literaturfestivals wie die LIT: potsdam, die Schriftsteller aus ihren Schreibstuben und Literaturliebhaber aus ihren Lesesesseln holen, tragen dazu bei, die ein wenig antiquiert anmutende Leidenschaft für Bücher auch im digitalen Zeitalter zu erhalten. Sie machen Literatur als sinnliche Freude erlebbar - sei es beim Stöbern und Schmökern auf dem Büchermarkt, sei es beim Zuhören in den zahlreichen Lesungen, sei es bei persönlichen Begegnungen. Deshalb freut es mich sehr, dass die LIT: potsdam heute mit einem abwechslungsreichen und hochkarätig besetzten Programm in die dritte Runde geht. Und weil ein solches Festival nicht zuletzt auch vom Engagement und Enthusiasmus seiner Organisatoren und Förderer lebt, ein herzliches Dankeschön dem Vorstand und den Mitgliedern des Vereins lit: pots, außerdem allen Kooperationspartnern und Sponsoren!

Die Lust am Lesen, da bin ich sicher, sie wird uns ( wenn wir sie pflegen und kultivieren wie Sie es hier in Potsdam tun ) auch im digitalen Zeitalter erhalten bleiben. Die Freiheit der Literatur, die literarische Vielfalt jedoch müssen wir im digitalen Zeitalter mit allen politischen Kräften schützen und verteidigen: zum Beispiel, indem wir durch das Festhalten an der Buchpreisbindung dafür sorgen, dass Bücher auch künftig anders behandelt werden als bloße Handelsobjekte, als Gartenmöbel oder Staubsaugerbeutel; zum Beispiel, indem wir durch ein modernes Urheberrecht und durch die Künstlersozialversicherung dafür sorgen, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller von ihrer Arbeit nicht nur knapp überleben können, sondern angemessen am Erfolg ihrer Werke verdienen und sozial abgesichert sind; zum Beispiel, indem wir durch den neuen Buchhandlungspreis meines Hauses die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen vor Ort als Garanten der verlegerischen und literarischen Vielfalt im harten Wettbewerb gegen Internetkonzerne wie Amazon unterstützen.

Deutschland, meine Damen und Herren, hat aus zwei Diktaturen eine Lehre gezogen, die da lautet: Die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Kunst ist konstitutiv für eine Demokratie. Wir brauchen sie, die mutigen Dichter, die sprachgewaltigen Schriftsteller, die verwegenen Vordenker, die Geistesgrößen einer Gesellschaft! Sie sind es, die diese vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen imstande sind! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Kunst, Kultur, Literatur dürfen, ja sie sollen und müssen deshalb zuweilen Zumutung sein.

Franz Kafka, dessen Geburtstag sich heute zum 132. Mal jährt, hat es in einem Brief an einen ehemaligen Mitschüler, den Kunsthistoriker Oskar Pollak, noch radikaler formuliert, ich zitiere: "Ich glaube, man sollte überhaupt nur noch solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? […] Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

In diesem Sinne, meine Damen und Herren: auf literarische Bisse und Stiche, auf publizistische Faustschläge, auf den Mut zum künstlerischen Wagnis und natürlich auf "starke Worte an schönen Orten" im Rahmen der LIT: potsdam!