Redner(in): Monika Grütters
Datum: 23. März 2015

Untertitel: "Mit dem deutsch-italienischen Übersetzerpreis wollen wir Übersetzerinnen und Übersetzer ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken und ihrer künstlerischen Leistung die verdiente Anerkennung und Wertschätzung verschaffen", so Monika Grütters in Ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/03/2015-03-23-gruetters-dt-ital-uebersetzerpreis.html


Mit dem deutsch-italienischen Übersetzerpreis wollen wir Übersetzerinnen und Übersetzer ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken und ihrer künstlerischen Leistung die verdiente Anerkennung und Wertschätzung verschaffen ", so Monika Grütters in Ihrer Rede.

Anrede,

Wenn ich mich gelegentlich ( auf Buchmessen oder bei Lesungen ) mit Übersetzern über ihren anspruchsvollen Beruf unterhalte, frage ich hin und wieder nach Wörtern, die nicht ins Deutsche oder aus dem Deutschen in die jeweilige Sprache übersetzt werden können. Was in einer Sprache sagbar ist und was nicht, gewährt ja oft Einblicke in die Volksseele und offenbart dabei auch so manche liebenswerte, nationale Verschrobenheit.

In Deutschland nicht unübliche Gemütszustände beispielsweise haben im Italienischen keine Entsprechung: die "Torschlusspanik" etwa die Befürchtung, dass man für irgendetwas demnächst zu alt ist - oder auch der "Weltschmerz", ein von Jean Paul geprägtes Wort für die tiefe Traurigkeit angesichts der Unzulänglichkeit der Welt.

Umgekehrt, habe ich mir sagen lassen, gibt es im Italienischen einen eigenen Begriff für die ganz spezielle Trägheit nach einem reichhaltigen Essen - "l ' abbiocco". Kein Wunder, dass es die grüblerischen Deutschen ins sinnenfrohe "Sehnsuchtsland" Italien zieht: Lieber "l ' abbioco" als Weltschmerz und Torschlusspanik!

Wenn schon solche alltagssprachlichen Petitessen sich in einer anderen Sprache als schwer vermittelbar erweisen können, meine Damen und Herren um wie viel schwieriger ist dann erst die literarische Übersetzung! Sie muss nicht nur die richtige Formulierung finden, sondern auch den richtigen Ton treffen. Sie muss nicht nur den Inhalt vermitteln, sondern auch das, was zwischen den Zeilen anklingt. Sie muss nicht nur der Sprache, sondern auch der Sprachmelodie, den poetischen Stilmitteln eines Textes gerecht werden.

Sie muss nicht nur den wörtlichen Gehalt möglichst vollständig transportieren, sondern auch darauf achten, dass Assoziationen, die ein Wort, eine Redewendung in der einen Sprache eröffnet, in der anderen möglichst nicht verloren gehen. All das erfordert weit mehr als Sprachkenntnisse auf Muttersprachlerniveau in beiden Sprachen. Übersetzen ist eine eigene Sparte der Dichtkunst. Sie sorgt dafür, dass die Seele eines Textes auch in einem anderen Sprachkörper erhalten bleibt. Ihnen, lieber Herr Kahn, ist dieses Kunststück auf besonders eindrückliche Weise gelungen. Dafür verleihen wir Ihnen heute den Preis für die beste Übersetzung.

Mit dem deutsch-italienischen Übersetzerpreis wollen wir Übersetzerinnen und Übersetzer ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken und ihrer künstlerischen Leistung die verdiente Anerkennung und Wertschätzung verschaffen.

Es sind ja nicht nur Schriftsteller und Literaturliebhaber, die sich glücklich schätzen dürfen, dass es Menschen wie Moshe Kahn gibt, die ihr herausragendes poetisches Talent in den Dienst anderer Autorinnen und Autoren stellen. Jenseits des ästhetischen Genusses ist die Arbeit von Übersetzerinnen und Übersetzern auch politisch von Bedeutung. Literarische Übersetzungen tragen dazu bei, dass fremde Gedankenwelten Teil unserer Sprachwelt werden. Auf diese Weise eröffnen sie Räume der Verständigung und des Verstehens.

Der Deutsch-Italienische Übersetzerpreis ist insofern auch Ausdruck der gemeinsamen Überzeugung Deutschlands und Italiens, dass Literatur, dass Kultur Brücken zu bauen vermag, selbst dort, wo Politik und Diplomatie an ihre Grenzen stoßen. Ich bin sehr froh, verehrter Herr Minister Franceschini, dass unsere beiden Länder aus ihrem Selbstverständnis als europäische Kulturnationen heraus den traditionell starken und vielfältigen kulturellen Austausch lebendig halten. Dazu tragen die von meinem Haus geförderten Einrichtungen in Italien bei. In keinem anderen Land der Welt unterhält die Bundesrepublik so viele kulturelle Einrichtungen.

Kulturinstitutionen wie die Villa Massimo und die Casa di Goethe in Rom, die Villa Romana in Florenz und das Deutsche Studienzentrum in Venedig sind tragende Pfeiler der Brücken zwischen unseren Ländern. Hier fördern wir nicht zuletzt den künstlerischen Nachwuchs so wie die Literaturübersetzerin Julia Dengg, die dank des Nachwuchsförderpreises im Rahmen des Übersetzerpreises einen Monat lang in der Villa Massimo in Rom an neuen Übersetzungen arbeiten kann.

Wir Deutschen schätzen uns glücklich, verehrter Herr Minister Franceschini, uns in den künstlerischen Werken, die aus der kulturpolitischen Zusammenarbeit unserer Länder hervorgehen, immer wieder der deutsch-italienischen Freundschaft versichern zu dürfen. Ich danke Ihnen, dass das italienische Kulturministerium im Rahmen des deutsch-italienischen Übersetzerpreises den Preis für das Lebenswerk übernommen hat. Über diese hohe Anerkennung Italiens, die wir heute an die vielfach ausgezeichnete deutsche Übersetzerin Ragni Maria Gschwend vergeben, freue ich mich sehr!

Ein herzliches Dankeschön verdienen auch das Auswärtige Amt für die gute Zusammenarbeit und natürlich die Mitglieder der Jury, die sich der schwierigen Auswahl der Preisträger mit so viel Kompetenz, Begeisterung und vor allem Zeit gewidmet haben! Dass die Mühe sich lohnt, die Sie - liebe Jurymitglieder, liebe Preisträgerinnen, lieber Preisträger in die Kunst literarischer Übersetzungen investieren, können wir beim österreichischen Dichter Franz Grillparzer nachlesen.

Er hat 1872 in seinen ästhetischen Studien "Zur Literaturgeschichte" vor dem Übel wortgetreuer Übersetzungen gewarnt. Ich zitiere: "Die in einer solchen Übersetzung kaum zu vermeidenden verrenkten Redensarten und das daraus entstehende Wort-Gepolter erzeugen bei den der Originalsprache Unkundigen die Meinung, Dichter selbst hätten sich auf eine so ungeschickte und verworrene Art ausgedrückt, was in der Nachahmung dieser Vorbilder die schauerlichsten Wirkungen hervorbringt. Vielleicht ist unsere poetische Sprache hauptsächlich durch solche wortgetreuen Übersetzungen verdorben worden."

Im Nachhinein hat Franz Grillparzers Blick auf die Entwicklung der deutschen Sprache und den verderblichen Einfluss wortgetreuer Übersetzungen sich zum Glück doch als etwas zu defätistisch erwiesen. Den Einfluss literarischer Übersetzerinnen und Übersetzer hat er aber ganz gewiss nicht überschätzt.

Ihr literarisches Talent, ihr Einfühlungsvermögen und ihre Sorgfalt entscheidet zu einem ganz wesentlichen Anteil mit darüber, welche Autorinnen und Autoren Weltliteraturgeschichte schreiben und mit ihren Eigenheiten auch andere Sprachwelten prägen.

Ich bewundere die Leistungen, für die wir Sie liebe Frau Gschwendt, liebe Frau Dengg, lieber Herr Kahn heute im Rahmen des Deutsch-Italienischen Übersetzerpreises auszeichnen. Herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Freude und Erfolg bei Ihrer Arbeit!