Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26. August 2015

Untertitel: in Glashütte
Anrede: sehr geehrter Herr Schmid,sehr geehrter Herr Lange,sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,lieber Kollege Klaus Brähmig, liebe Kollegen aus dem Landtag,Herr Bürgermeister,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/08/2015-08-26-merkel-lange-uhren.html


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Stanislaw Tillich, werte Gäste,

Einen größeren Kontrast als denjenigen, den ich mit meinem heutigen Besuch hier in Sachsen sehe, erlebe ich selten. Noch vor einer guten Stunde waren wir in Heidenau, um uns ein eigenes Bild von der Lage der Menschen zu verschaffen, die endlich nach zum Teil abenteuerlicher Flucht aus aller Herren Länder in der dortigen Unterkunft Zuflucht gefunden haben. Wir konnten uns davon überzeugen, wie viele ehrenamtliche Helfer, die in Heidenau wirken, ihre Einsatzbereitschaft zeigen. Das ist großartig. All das gibt denjenigen ein Zeichen, die mit Menschenverachtung pöbeln, Flüchtlinge angreifen und alles kurz und klein schlagen wollen. Diese Gewalttäter sind eine Schande für unser Land.

Seit dem Zweiten Weltkrieg waren noch nie so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Doch wir gemeinsam, Bund, Länder und Kommunen sowie die vielen Ehrenamtlichen, werden diese große Herausforderung meistern. Etwas zugespitzt heißt diese Herausforderung: So wie es Europa schafft, Finanzkrisen zu bewältigen, so muss es Europa und uns allen gelingen, Menschen in Not zu helfen und zwar hier, aber auch in den Ländern, aus denen sie kommen, damit sie sich gar nicht erst auf die Flucht begeben müssen. Alles andere wäre der Wertegemeinschaft Europa nicht würdig.

Meine Damen und Herren, genau in diesem Geist bin ich heute nach meinem Besuch in Heidenau gern zu Ihnen nach Glashütte gekommen, wie wir es schon vor längerer Zeit vereinbart hatten. Auch hier wird so etwas wie Zeitgeschichte geschrieben. Das Jubiläumsjahr 2015 kündet davon. Sie feiern den 200. Geburtstag des Namensgebers Ihres Unternehmens, Ferdinand Adolph Lange. Sie feiern das 170. Jubiläum der Unternehmensgründung und schließlich das 25-jährige Bestehen der Lange Uhren GmbH. Diese 25 Jahre deuten darauf hin, dass sich vor 25 Jahren vieles in unserem Land geändert hat. Das war übrigens eine Zeit, in der wir aus aller Welt viel Unterstützung für die Deutsche Einheit bekommen haben. Auch daran muss man noch einmal erinnern.

Dieses dreifache Jubiläum bietet nun wirklich Grund zum Feiern. Sie begnügen sich aber nicht damit, sondern Sie nehmen das zum Anlass, mit einer großen Investition den Grundstock für künftige Jubiläen zu setzen. Deshalb freue ich mich, dass ich heute mit Ihnen gemeinsam dieses neue Manufaktur-Gebäude einweihen kann.

Es ist bereits angeklungen: Der Neubau besticht mit zeitgemäßer Zweckmäßigkeit. Es spiegelt sich aber auch die Verbundenheit mit dem Standort Glashütte wider. Moderne Technologie und traditionelle Kunst der Feinuhrmacherei bilden hier eine Einheit. Bodenständigkeit und Weltoffenheit, Tradition und Moderne ‒ das sind Eigenschaften, die sowohl für Sachsen gelten als auch Unternehmen auszeichnen, ganz besonders dieses Unternehmen.

Dass die Lange Uhren GmbH mit ihren hochwertigen Zeitmessern im internationalen Wettbewerb zu überzeugen weiß, das zeigt sich gerade auch an diesem Neubau. Ich habe zwar gelernt, dass manch einer schon unruhig wird, aber Sie geben der Präzision immer den Vorrang. In den vergangenen drei Jahren wurden im Durchschnitt jeweils rund 60 Fachkräfte neu eingestellt. Es sind inzwischen rund 650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Lange Uhren zu einem Vorzeigeunternehmen entwickelt haben.

In der Fachkräftesicherung überlassen Sie nichts dem Zufall: Sie haben eine hauseigene Uhrmacherschule. Mittlerweile haben hier bereits mehr als 100 Nachwuchstalente ihre Ausbildung erfolgreich absolviert.

Wir alle wissen, Bildung und Qualifizierung von heute entscheiden letztlich über das Fachkräftepotenzial von morgen. Der demografische Wandel fordert von uns geradezu, dass wir die Talente, die wir haben, auch wirklich nutzen. Es gibt zwischen Bund und Ländern eine Allianz für Aus- und Weiterbildung. Damit wird das unterstützt, was Sie konkret vor Ort tun. Wir wollen für möglichst viele junge Menschen das erreichen, was bei Ihnen bereits ganz selbstverständlich vorexerziert wird.

Wir haben es bisher geschafft, den Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter durch eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit auszugleichen. Das hat damit zu tun, dass heute mehr Frauen und mehr ältere Menschen als früher erwerbstätig sind. Wir können und werden auch in Zukunft verstärkt auf das Wissen und Können von Zuwanderern bauen. Wir haben in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür beständig verbessert. Gerade heute haben wir wieder darüber gesprochen, dass gut ausgebildete Asylbewerber eine schnelle Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt bekommen sollten.

Insgesamt gilt: Ob mit oder ohne ausländische Wurzeln, ob jüngere oder ältere Menschen, ob Frauen oder Männer, jede und jeder Einzelne verfügt über Fähigkeiten, die eingebracht und genutzt werden sollten. Gerade die Vielfalt an Erfahrung, Wissen und Können bildet den Schlüssel für Innovation und Fortschritt.

Lange Uhren scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Sie haben einen hohen Anteil an Frauen sowie an Beschäftigten aus verschiedenen Ländern. Auch Ihr Engagement für Ausbildung kann sich sehen lassen. Deshalb haben Sie ein gutes Stück dessen, was Sachsen und was Deutschland braucht. Ich bin gern hier, und wir sollten Ihr Beispiel nehmen, um Vorsorge für ganz Deutschland zu treffen. Denn wir wollen, dass unsere Innovationsfähigkeit auch langfristig erhalten bleibt. Ihr Betrieb und Ihr Unternehmen sind ein wunderbares Beispiel dafür, dass man sich niemals auf Erfolg ausruhen kann, sondern dass man immer weitergehen muss.

Dass wir auch seitens der Politik versuchen, Vorbild zu sein, zeigt die Haushaltspolitik sowohl Sachsens als auch des Bundes. Wir kennen die Herausforderungen der Zukunft, und wir wollen nicht auf Kosten der Zukunft leben. Daher werden wir weiterhin alles tun, um Wachstum und solide Haushaltspolitik zusammenzubringen und damit für ganz Europa ein gutes Beispiel zu sein.

Dass wir 25 Jahre nach der Deutschen Einheit mit so einem Befund aufwarten können, zeigt, dass die Geschichte der Deutschen Einheit in vielen Bereichen eine wirkliche Erfolgsgeschichte ist. Wir haben noch Probleme, wir haben noch Arbeitslosigkeit. Vieles ist uns aber gelungen, und all das sollte uns Ansporn sein, weiterzugehen und mit Mut und Weitsicht etwas zu bewegen.

Mut und Weitsicht ‒ davon kann Herr Walter Lange persönlich ein Lied singen. Nach der Enteignung des alten Unternehmens im Jahr 1948 haben Sie sich 1990 daran gemacht, die von den Vorfahren aufgebaute Feinuhrmacherei wiederzubeleben. Das war nun alles andere als ein sicheres Unterfangen. Man musste den gesamten Glauben an die Familiengeschichte noch einmal in die Waagschale werfen. So darf man sagen, dass der Neuanfang nicht einfach war, aber es ist Ihnen und Ihren Mitstreitern gelungen, der Traditionsmarke A. Lange & Söhne wieder Weltrang zu verschaffen ‒ nicht mehr und nicht weniger.

Erfolgsgeschichten wie dieser ist der gute Ruf ostdeutscher Länder zu verdanken, den diese heute als innovative, flexible und moderne Standorte genießen. Es kommt nicht von ungefähr, das zum Beispiel die Wirtschaftsleistung Sachsens seit der Finanzkrise 2009 immerhin um rund 19 Prozent gewachsen ist. 2014 lag Sachsen mit seinem Wirtschaftswachstum deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Ich will nicht verkennen, dass noch immer Wünsche offen sind, aber gerade Sachsen ist ein gutes Beispiel dafür, was alles auch bei einer schwierigen Ausgangssituation gelingen kann.

Nicht zu unterschätzen ist, dass viele Schäden, die aufgrund von jahrzehntelanger Misswirtschaft hinterlassen wurden, noch nicht zur Gänze wieder gutgemacht werden konnten. Es fehlt immer noch an Konzernzentralen, und das hat Auswirkungen auf die Steuereinnahmen. Darüber reden wir zurzeit in Bezug auf den Bund-Länder-Finanzausgleich. Wir haben den Willen, einen vernünftigen Anschluss an die Regelungen des auslaufenden Solidarpakts II zu finden. Wir wollen die Erfolgsgeschichte der Deutschen Einheit fortschreiben und sie nicht etwa zum Stoppen bringen.

Meine Damen und Herren, im vergangenen Vierteljahrhundert mag nicht alles reibungslos verlaufen sein. Der wirtschaftliche Aufbau und der tiefgreifende Strukturwandel waren für die Menschen in den neuen Bundesländern eine unglaubliche Bewährungsprobe. Aber wir dürften uns wohl einig sein: 25 Jahre Deutsche Einheit sind eine Erfolgsgeschichte. Das gilt ebenso für 25 Jahre Lange Uhren GmbH. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die bei weitem noch nicht zu Ende ist.

Deshalb möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellvertretend für viele, viele andere ganz besonders danken. Eine Unternehmensführung kann manches bewegen, aber ohne die entsprechend motivierten Menschen, die jeden Tag mitgestalten, ist das nicht möglich. Auch das gute Miteinander von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist eine Stärke deutscher Unternehmen.

Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen Erfolg zu wünschen und mich anschließend darauf zu freuen, dass meine Neugier befriedigt wird, wie denn nun die neue Manufaktur aussieht. Ich freue mich darüber, dass Sie ein kleines Symbol einer Tugend sind, die wir grundsätzlich in Deutschland schätzen und die ich auch persönlich sehr schätze: Pünktlichkeit. Sie leisten einen Beitrag dazu, dass man immer informiert ist. Tun Sie das auch in Zukunft. Ich wünsche Ihnen alles Gute und noch einen schönen Tag.