Redner(in): Angela Merkel
Datum: 18. September 2015

Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Hacker,sehr geehrte Mitglieder der Leopoldina,sehr geehrte Gäste,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/09/2015-09-18-rede-merkel-leopoldina.html


Meine Damen und Herren in diesem Raum, aber auch in dem Raum, in dem die Videoübertragung stattfindet,

Zuletzt war ich, wie schon gesagt wurde, 2011 bei Ihrer Jahresversammlung. Sie sind 2012 in dieses Gebäude umgezogen. Ministerpräsident Reiner Haseloff hat noch einmal gewürdigt, dass dies für Sachsen-Anhalt ein sehr schönes Ereignis war. Ich bin also zum ersten Mal bei einer Jahresversammlung hier auf dem Jägerberg dabei. Auf dieser Anhöhe geht es ja nicht mehr um das Jagen von Wildtieren, sondern mehr um das Erjagen von Trophäen bei Naturrätseln und um das Erkennen von neuen Fakten und das Gewinnen von neuen Erkenntnissen.

Es lassen sich aber einige Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart ziehen. Die Freimaurerloge "Zu den Drei Degen" ließ dieses Haus Anfang des 19. Jahrhunderts errichten. Es wurden Bälle, Kulturabende und andere Zusammenkünfte hier abgehalten. Die Veranstaltungen heute sehen natürlich völlig anders aus, aber es ist nach wie vor Zweck dieses Hauses, Begegnung und Dialog zu fördern. Denn darin liegt ein Schlüssel zum Erfolg der altehrwürdigen Leopoldina. Seit ihrer Gründung als Academia Naturae Curiosorum im Jahre 1652 besteht sie ununterbrochen. Schon allein das macht sie zu einem besonderen Teil der wissenschaftlichen Akademien.

Das Konzept bestand von Anfang an darin, Gelehrte aus unterschiedlichen Forschungsstätten zusammenzurufen, sie zu einer Gesellschaft zu vereinen und fächerübergreifend wissenschaftlichen Fragen auf den Grund zu gehen. Kaiser Leopold I. stattete die Leopoldina dazu mit besonderen Privilegien aus. Diese garantierten ihr Unabhängigkeit und die völlige Zensurfreiheit für ihre Veröffentlichungen. Diese Garantie wurde nicht in allen Phasen der Geschichte gleichermaßen geachtet; aber heute, so denke ich, geht es wieder einigermaßen. So war über die Zeit hinweg eine freie Entfaltung der Gelehrten überhaupt erst möglich.

Seit 1878 hat die Leopoldina ihren festen Platz in der Universitätsstadt Halle. Die Funktion als Nationale Akademie der Wissenschaften haben ihr Bund und Länder im Jahr 2008 übertragen. Ich würde sagen, das war eine Glücksstunde der Arbeit der Wissenschaftsminister, denn es war angesichts der Globalisierung dringend notwendig, eine Nationale Akademie auch in Deutschland zu haben. Ich denke, die Zusammenarbeit mit der acatech, mit der BBAW und mit den anderen Akademien hat sich wie auch im gesamten Wissenschaftssystem in Deutschland dann auf sehr gute Weise ergeben. Aber was die Erkennbarkeit der deutschen Wissenschaftslandschaft im Ausland anbelangt, so haben wir jetzt doch ein besonderes Markenzeichen.

Die Liste der Mitglieder ist eindrucksvoll das wissen Sie. Sie zählt 1.500 Gelehrte weltweit. Der globale Ansatz ist natürlich zentral für die wissenschaftliche Arbeit. Ein früheres Mitglied der Leopoldina, der Physiker Max Planck, hat es mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: "Die Wissenschaft kennt keine Landesgrenzen; denn ihre Grenze ist lediglich die Grenze menschlicher Erkenntnis." Dass sich diese Grenzen menschlicher Erkenntnis immer wieder verschieben, zeigt sich nicht nur an Max Planck und seinem Nobelpreis. Vielmehr haben Sie in Ihren Reihen viele exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die hohe Auszeichnungen erhalten haben. Zuletzt hat das Leopoldina-Mitglied Stefan Hell im Jahr 2014 zusammen mit zwei amerikanischen Kollegen den Nobelpreis für Chemie bekommen.

Im Programm dieser Jahresversammlung zeigen sich nun wieder das hohe Niveau, die Internationalität und auch die thematische Bandbreite: "Symmetrie und Asymmetrie in Wissenschaft und Kunst." Die Politik haben Sie ausgelassen. Dazu hat der Ministerpräsident eben einiges gesagt. Ich habe einmal im Abstract von Herrn Fritzsch nachgelesen. Der erste Satz lautet: "Eine Symmetrie ist die Eigenschaft eines Systems, sich bei Transformation nicht zu verändern." Im 25. Jahr der Deutschen Einheit jagt einem dieser Satz einen kleinen Schreck ein, da ich doch hoffe, bei dieser Transformation hat sich etwas verändert. Aber ich weiß schon, dass es dabei um einfachere Transformationen geht.

Sie gehen also der Frage nach, wie Symmetrie und Asymmetrie zusammenhängen. Ralph Waldo Emerson traf im 19. Jahrhundert die Aussage: "Die menschliche Natur liebt nicht Widersprüche, sondern Symmetrie." Es mag sein, dass sie sie liebt, aber vielleicht sind die produktiveren Phasen doch mit asymmetrischen Vorgängen verbunden. Darüber werden Sie nun intensiv diskutieren; und ich möchte mich nicht allzu sehr mit platten Formulierungen einbringen. Aber politische Prozesse sind, jedenfalls auf den ersten Blick erkennbar, sehr häufig nicht symmetrisch. Es gibt vielmehr Asymmetrien Asymmetrien im sozialen Bereich, Asymmetrien in den Mehrheitsverhältnissen. Wir sprechen neuerdings auch von asymmetrischen internationalen Konflikten. Das sind insbesondere Konflikte, bei denen nicht Staaten gegen Staaten, sondern nichtstaatliche Organisationen gegen Staaten kämpfen. Wir erleben das in diesen Tagen besonders am Beispiel des Islamischen Staats, der sich als Terrororganisation gegen bisherige staatliche Gebilde richtet.

Der Bürgerkrieg in Syrien und jetzt in der Intensität noch einmal angeheizte Konflikte führen seit Monaten auch dazu, dass es eine Vielzahl von Menschen gibt, die ihre Heimat verlassen müssen, die in der Türkei, im Libanon, in Jordanien und bei uns in Europa Zuflucht suchen. Wir sehen, dass auch die Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europäische Union vergleichsweise asymmetrisch sind. Deutschland ist davon sehr stark betroffen.

Uns stellen sich jetzt viele praktische Fragen, mit denen sich Kommunen, Länder und der Bund beschäftigen. Wir brauchen Betten, wir brauchen eine beschleunigte Antragsbearbeitung, wir brauchen Entscheidungen über Bleibeperspektiven und wir müssen darauf achten, dass die Europäische Union nicht in der asymmetrischen Verteilung von Lasten verharrt. Wir brauchen eine faire Verteilung, weil das für das Grundgerüst der Europäischen Union, eine Wertegemeinschaft zu sein und eine gemeinsame Asylpolitik zu haben, entscheidend ist. Ansonsten löst Europa nicht die Versprechen ein, die es gemacht hat. Und ansonsten wird Europa nicht dem Rechtszustand gerecht, den es geschaffen hat.

Wir brauchen also eine faire Verteilung. Wir werden darüber in den nächsten Tagen die Innenminister am nächsten Dienstag, die Staats- und Regierungschefs am nächsten Mittwoch sprechen. Wir dürfen uns natürlich nicht nur auf das konzentrieren, was wir im Augenblick in Deutschland erleben, sondern wir müssen uns vor allen Dingen mit der Bekämpfung von Fluchtursachen befassen. Wir spüren plötzlich, dass in unsere Länder der Europäischen Union die Globalisierung ganz sichtbar in Form von Migration eintritt, die zeigt: Zu große Asymmetrien, auch beim Wohlstand und den Lebensverhältnissen, führen zu Fluchtbewegungen. Wir werden viel Kraft darauf verwenden müssen, zu überlegen, wie wir die Ursachen der Fluchtbewegung bekämpfen. Denn es kann natürlich nicht ein Land in Europa alle Ungerechtigkeiten der ganzen Welt auffangen. Insofern werden als Folge dieser Krise und als Folge dieser Entwicklungen mit Sicherheit Außen- und Innenpolitik sehr viel stärker zusammenwachsen.

Das ist im Grunde etwas, das für Sie selbstverständlich ist. Sie leben in einer internationalen Wissenschaftswelt. Wissenschaft kennt keine Grenzen; und Erkenntnis auch nicht. Aber für staatliche Gebilde ist das immer noch Neuland. Deshalb wird hier sehr viel zu arbeiten sein. Ich freue mich sehr, Herr Hacker, dass Sie tatkräftig Beschlüsse gefasst haben, um sich bestimmte Aspekte der Migrationsbewegung genauer anzuschauen.

Es gibt neben den Problemen, die wir nicht verschweigen wollen, auch Chancen, die wir sehen sollten. Diese Chancen haben etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Meine Bitte an Sie ist: Geben Sie denen, die gut ausgebildet sind das sind nicht alle, aber es sind manche, eine Chance im Wissenschaftssystem unseres Landes. Wir brauchen an allen Stellen viel praktische Hilfe. Nicht alles passt für alle. Aber glücklicherweise finden wir auch sehr viel Hilfe. Dafür auch der Leopoldina ein herzliches Dankeschön.

Nehmen wir als ein Beispiel die Situation in den Staaten des westlichen Balkans vor unserer Haustür. Wir haben dort Krieg weitestgehend eingedämmt, damit allerdings noch lange keine wirklich gute Entwicklung auf den Weg gebracht. Aber das dynamische Moment der Zusammenarbeit der Staaten des westlichen Balkans ist ganz wesentlich die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Hieran sieht man noch einmal die Attraktivität der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass Sie unsere Aktivitäten auf dem westlichen Balkan dadurch gestärkt haben, dass Sie eine Wissenschaftskonferenz hierzu durchgeführt haben. Man kann vielleicht gar nicht ermessen, wie wichtig das ist.

Wir haben im vorigen Jahr anlässlich des hundertsten Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs überlegt, was wir außer Gedenkstunden noch veranstalten könnten. Mit Blick auf die Situation auf dem westlichen Balkan auf die Tatsache, dass wir immer noch Hunderte Soldaten im Kosovo haben, dass wir immer noch keine stabile Situation in Bosnien-Herzegowina haben haben wir uns überlegt, eine Konferenz durchzuführen, die Jahr für Jahr in anderen Ländern eine Fortsetzung findet. In diesem Jahr war sie in Wien, in Österreich. Wir haben damit etwas erreicht, was wir gar nicht erwarten konnten. Die Ministerpräsidenten der Länder sagten nämlich: Wir haben uns nach der ersten Konferenz in Berlin noch geschlagene drei Mal getroffen, auch ohne dass einer aus Berlin oder Wien dabei war. Das zeigt: Man arbeitet; man arbeitet miteinander.

Die wissenschaftliche Kooperation ist hierbei sehr wichtig. Wir haben ein Jugendwerk gegründet, das Jugendbegegnungen möglich machen soll. Es sollen auch gemeinsame Infrastrukturprojekte entwickelt werden, sodass die Verbindungen zwischen diesen Ländern selbstverständlich werden. Ich begrüße in diesem Zusammenhang auch das Vorhaben, interdisziplinäre Centers of Excellence in der Region zu entwickeln. Wir wissen angesichts der vielen Flüchtlinge aus dem westlichen Balkan, die alle eine sehr geringe Bleibeperspektive haben, dass wir Hoffnung geben müssen, dass wir Ausbildungschancen geben müssen, dass wir Möglichkeiten zur Arbeit geben müssen.

Meine Damen und Herren, die politische Arbeit wird nicht langweilig. Vor sieben Jahren hatten wir es mit der großen Finanzkrise zu tun. Die europäische Staatsschuldenkrise beschäftigt uns seit fünf Jahren. Aus neuen politischen Herausforderungen ergeben sich immer wieder auch Aufgaben für die Leopoldina und die wissenschaftlichen Organisationen. Deshalb möchte ich Ihre Satzung zitieren: Die Leopoldina "bringt sich in die wissenschaftsbasierte Beratung von Öffentlichkeit und Politik ein." Das ist ein selbstverständlicher Teil Ihrer Arbeit "zum Wohle des Menschen und der Natur". Es ist wichtig, dass hierbei auch die Richtung angegeben wird.

Damit bin ich bei einem Thema, das in diesem Jahr noch eine große Rolle spielen wird: die internationale Klimakonferenz, der Klimawandel. Der Wert der wissenschaftlichen Expertise im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist natürlich von großer Bedeutung. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich erinnert im Jahr 1990 gab es den Film "Der Marsch". In diesem Film sind viele Tausende Menschen aufgrund der Klimaveränderungen aus Afrika geflohen. Manche der Bilder, die wir heute sehen, erinnern an Darstellungen aus diesem Film.

Ich denke, es ist bei allen Zweifeln und bei allen Unsicherheiten klar, dass das Zwei-Grad-Ziel kein Anstieg der durchschnittlichen Temperatur um mehr als zwei Grad weitgehend akzeptiert ist. Wenn wir uns im Dezember in Paris treffen, dann sollten wir ein verbindliches Klimaschutzabkommen verabschieden, um diesem Ziel näher zu kommen."Paris" wird aber noch nicht die Lösung für die Zielerreichung sein. Die freiwilligen nationalen Beiträge, auf die wir uns geeinigt haben, nachdem wir in Kopenhagen einen schweren Rückschlag zu verzeichnen hatten, sind nur ein erster Schritt. Wir brauchen eine wirklich glaubwürdige Perspektive zur langfristigen Dekarbonisierung und einen dynamischen Mechanismus, der es möglich macht, die Schritte immer wieder zu überprüfen, über das gesamte Jahrhundert hinweg.

Wir haben deshalb auf dem G7 -Gipfel in Elmau den Klimaschutz prioritär auf der Tagesordnung gehabt und konnten notwendige Akzente setzen. Eine der großen Herausforderungen wird nicht nur sein, dass die Industrieländer selber mit gutem Beispiel vorangehen. Tatsache ist, dass ohne einen Beitrag der Schwellenländer die Klimaziele unter gar keinen Umständen erreicht werden können. Wir können dabei im Sinne eines Zurverfügungstellens von Technologien vorangehen. Aber es wird auch ein zweiter Punkt wichtig sein: Die Versprechen der Finanzierung von Verbesserungen in Entwicklungsländern. Wir haben uns bereits in Kopenhagen bereiterklärt, 100 Milliarden Euro, private und öffentliche Mittel, ab 2020 jährlich zur Verfügung zu stellen. Der Erfolg in Paris wird wesentlich davon abhängen, ob uns in diesem Zusammenhang ein glaubwürdiges Versprechen gelingt. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet.

Das G7 -Treffen in Elmau war aber auch ein wichtiges Beispiel für den Transfer anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ich möchte mich für die wertvollen Stellungnahmen bedanken, die von allen wissenschaftlichen Akademien der G7 unter der Federführung der Leopoldina zur Zukunft der Meere, zur Bekämpfung von sogenannten vernachlässigten Tropenkrankheiten und von Antibiotika-Resistenzen entstanden sind. Das sind sehr spannende Punkte. Ihre Informationen aus den G7 -Akademien sind nicht nur in die Abschlusserklärung eingegangen, sondern führen uns auch in der Sache wirklich weiter.

Jedes Thema für sich ist von größtem Interesse. Wir haben in diesem Jahr im Zusammenhang mit Ebola erlebt, welche Notwendigkeit besteht, dass Globalisierung auch Antworten auf die Frage von Epidemien und Pandemien gibt. Insoweit sind wir als Weltgemeinschaft überhaupt noch nicht gewappnet. Wir haben uns vorgenommen, an diesem Thema weiterzuarbeiten. Wir haben ein Panel bei den Vereinten Nationen eingerichtet und mit der WHO gesprochen. Die Weltbank wird Notfallpläne mit erarbeiten. Denn so, wie wir uns ein Sicherheitssystem gegen militärische Angriffe erarbeiten und wie es den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gibt der zwar auch nicht immer gut arbeitet; aber immerhin gibt es ihn, so brauchen wir auch ein globales System der schnellen Reaktion auf globale Herausforderungen durch Epidemien.

Dass neues Wissen in medizinischen Fragen für viele Menschen ein Gewinn an Lebensqualität ist, ist selbstverständlich. Das Thema Gesundheit ist auch insofern ein spannendes Thema, weil es ärmere und reichere Länder stark verbindet. Wir erleben ja, dass das Thema Gesundheit mit wachsendem Wohlstand nicht etwa unwichtiger, sondern immer interessanter wird. Es geht um ein längeres Leben, um ein erfüllteres Leben. Auch deshalb sind die Anregungen der Leopoldina zum Thema "Public Health" auf sehr großes Interesse gestoßen. Sie knüpfen unmittelbar an die Versorgungsrealität und Belange von Patientinnen und Patienten an. Es ist sehr wichtig, dass die Möglichkeiten der individualisierten Medizin zunehmen werden. Es geht um maßgeschneiderte Ansätze in der Prävention, Diagnostik und Therapie. Wenn sich die Sozialwissenschaftler dann auch noch damit befassten, wie sich die immer stärker werdende Individualisierung der Diagnosen und Therapien auf die Solidarität in den Versicherungsgemeinschaften auswirken könnte, wäre das ein weiteres sehr spannendes und interessantes Thema.

Dass die gesamte Entwicklung sehr stark von den Informations- und Kommunikationstechnologien getrieben wird, ist klar. Der Wohlstand Deutschlands und vieler anderer Länder wird davon abhängen, inwieweit wir in der Lage sind, Informations- und Kommunikationstechnologien mit klassischen industriellen Wertschöpfungsmöglichkeiten und zum Beispiel auch mit klassischen medizinischen Möglichkeiten zu verbinden.

Hierbei hat Europa noch nicht die Spitzenposition in der Welt erreicht. Wir müssen diesbezüglich aufholen. Und wir müssen vor allen Dingen verstehen ich bitte die Leopoldina, uns dabei zu helfen, dass Daten ein Rohstoff sind, dass die Verarbeitung von Daten notwendig ist, um neue Produkte zu ermöglichen, dass Datenprodukte im Wesentlichen das Verbindungsglied zwischen Konsumenten und Produkte der klassischen Art sein werden und dass wir an dieser Schnittstelle vorne mit dabei sein müssen und den Anschluss nicht verlieren dürfen.

Die Europäische Union hat sich in einer langen Debatte mit der sogenannten Datenschutzgrundverordnung befasst. Diese Datenschutzgrundverordnung wird darstellen, wie wir mit Daten umgehen können. Das Ganze muss noch im Europäischen Parlament diskutiert werden. Dort ist eine gewisse Tendenz zum Datenschutz ausgeprägt ich würde sagen, eine asymmetrische Tendenz zum Datenschutz. Wir müssen mehr Symmetrie zwischen der Kreativität bei der Schaffung neuer Produkte und dem Schutz vor Missbrauch von Daten erreichen. Das wird für die Wertschöpfungsmöglichkeiten in der Europäischen Union von zentraler Bedeutung sein.

Wir haben heute eine sehr asymmetrische Situation, muss ich wieder sagen. In den Vereinigten Staaten kann man grob sagen: Alles, was im Umgang mit Daten nicht verboten ist, ist erlaubt. In Europa ist alles verboten, was nicht explizit erlaubt ist. In dieser Unterschiedlichkeit besteht eine Situation, in der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union amerikanischen Unternehmen Daten zur Verfügung stellen, die auf amerikanischem Boden verarbeitet werden und dann in die Europäische Union zurück transferiert werden. Aber die Art der Verarbeitung, wie sie in Amerika stattfindet, könnte niemals in Europa stattfinden. Deshalb ist es ganz wichtig, über das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen so zu verhandeln, dass die Datenschutzgrundsätze, die auf europäischem Boden in Zukunft gelten werden, auch für die Produktion gelten müssen, sodass dann auch amerikanische Unternehmen auf europäischem Boden zu europäischen Konditionen produzieren. Das ist an vielen Stellen der Realwirtschaft heute schon ganz selbstverständlich; und das müssen wir im Umgang mit Daten natürlich auch schaffen.

Meine Damen und Herren, es gibt also viele Aufgaben gerade auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Wir sind dankbar für die Zuarbeit und Beratung. Auch Sie, Herr Professor Hacker, sind bei unserem Innovationsdialog mit dabei, in dem wir diese Fragen ja sehr intensiv diskutieren. Wir haben den IT-Gipfel und viele andere Plattformen.

Meine Damen und Herren, zum Wohlstand gehört auch, dass wir wissenschaftlichen Nachwuchs und ausreichend qualifizierte Fachkräfte haben. Wir werben für die sogenannten MINT-Fächer in den verschiedensten Varianten. Sie tun das mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ja auch. Ich denke, es lohnt sich, früh anzusetzen. Ich habe vor kurzem eine Grundschule, eine sogenannte MINT-Garage, im bayerischen Buch besucht. Es sind großartige Angebote, die es an vielen Stellen gibt. Ich möchte allen Wissenschaftlern und auch jenen Studierenden danken, die sich die Mühe machen, junge Menschen frühzeitig an diese Berufe heranzuführen.

Es gibt viele vernünftige Gemeinschaftsprojekte wie die Allianz für Aus- und Weiterbildung, den Hochschulpakt, den Qualitätspakt Lehre und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Der Bund, die Bundesregierung also, hat im vergangenen Jahr die BAföG-Kosten vollständig übernommen, um einer asymmetrischen Entwicklung entgegenzuwirken, nämlich der zwischen den nichtuniversitären Forschungsinstitutionen und den Forschungsmöglichkeiten an Universitäten. Es sind knapp 1,2 Milliarden Euro pro Jahr freigeworden, um stärker in die Universitäten investiert zu werden. Wir loben die Länder, die das auch getan haben, und tadeln die, die es nicht getan haben. Ich will jetzt keine Beispiele nennen, habe aber an Sachsen-Anhalt nichts auszusetzen.

Wir versuchen, auch die Berufsentwicklungen im Wissenschaftsbereich besser zu regeln. Dem durchaus vorhandenen gewissen Missbrauch von Zeitverträgen muss entgegengewirkt werden, wenngleich ich weiß, dass es eine sehr schwierige Aufgabe ist, es auf der einen Seite nicht zu einer Verstopfung des Wissenschaftssystems kommen zu lassen und auf der anderen Seite jungen Menschen irgendwann auch eine vernünftige Perspektive zu geben. Es laufen Gespräche mit den Ländern zu einem Tenure-Track-Programm. Alles, was man aus der internationalen Erfahrung weiß, ist, dass damit, wenn man es gut aufstellt, vernünftige Möglichkeiten zu erreichen sind.

Die Exzellenzinitiative, die Gutes gebracht hat, wird jetzt überprüft und ab 2017 fortgesetzt. Wir haben uns nach langem Ringen auch entschlossen, Artikel 91 b des Grundgesetzes zu ändern. Das heißt, es gibt das hört sich eigentlich ganz normal an die Möglichkeit der institutionellen Förderung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und von Universitäten. Das ist für die Cluster-Bildung der internationalen Forschungslandschaft extrem wichtig. Irgendwann hatte auch kaum noch jemand außerhalb unseres Landes dafür Verständnis, dass man das quasi nur verbotenerweise machen konnte. Jetzt aber ist es möglich.

Wir haben uns seitens der Bundesregierung entschlossen, den Aufwuchs der außeruniversitären Forschungsmittel von drei Prozent jährlich voll zu übernehmen, die Länder also davon zu entlasten. Das gibt unserem Wissenschaftssystem, so denke ich, eine gute Berechenbarkeit, die auch dazu geführt hat, dass es viele Wissenschaftler durchaus attraktiv finden, nach Deutschland zu kommen. Wir sind immer so gut wie dabei, das Drei-Prozent-Ziel also drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben zu erfüllen. Dabei sind ein Drittel staatliche Leistungen und zwei Drittel Forschungsleistungen der Wirtschaft, was wiederum bedeutet, dass wir alles tun müssen, um die Forschungsressourcen der Wirtschaft möglichst in Deutschland zu halten, was angesichts des globalen Drucks aber nicht mehr ganz selbstverständlich ist.

Wir haben die Hightech-Strategie zu einer ressortübergreifenden Innovationsstrategie weiterentwickelt. Ich denke, das kommt den Forschungsaktivitäten sehr zugute. Außerdem bekennen wir uns zu einer breiten wissenschaftlichen Freiheit. Wir glauben, je größer die Freiräume für wissenschaftliches Arbeiten sind, desto größer ist auch der Ertrag. Das heißt natürlich auch, dass wir auf die Verantwortung der Wissenschaftsorganisationen setzen. Dazu will ich sagen: Der Verantwortung kommt die Leopoldina in herausragender Weise nach. Trotz ihres Standorts auf einer wenn auch überschaubaren Anhöhe hat sie die Bodenhaftung nicht verloren; sie steht mitten im Leben der Forschung.

Deshalb möchte ich Sie zum Abschluss bitten, Ihrem Ruf, den Sie genießen, durch interessante, spannende Projekte, durch das Einbringen in gesellschaftliche Diskussionen, durch hohe wissenschaftliche Qualität, aber auch durch die Fähigkeit von Wissenschaftlern, eine Sprache zu pflegen, die auch die nicht wissenschaftlich Gebildeten erreicht, ohne dass es zu einer groben Verfälschung des wissenschaftlichen Inhalts kommt, weiterhin Rechnung zu tragen. Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind außerordentlich wichtig, weil wir es ansonsten nicht schaffen werden, Menschen für die Wissenschaft zu begeistern.

Wenn Sie sich dann noch durch eine Reise nach Wittenberg stärken, die Fragen der Reformation studieren, sich die Cranach-Bilder anschauen können und sich dann immer noch fragen, ob nach Transformationen Systeme immer noch unverändert sind oder ob manche auch verändert sein könnten, dann ist alles gut.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit hier. Danke für die Einladung.