Redner(in): Monika Grütters
Datum: 18. September 2015

Untertitel: "Wir brauchen mutige Künstler, wir brauchen die Kunst als Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern!" so Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/09/2015-09-18-gruetters-nationalgalerie.html


Wir brauchen mutige Künstler, wir brauchen die Kunst als Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern! " so Monika Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

das erlebt man selbst in der Hauptstadt nicht alle Tage: Junge Gegenwartskunst in einem der erfolgreichsten Häuser der Staatlichen Museen! Was Berlins Kunst- und Kulturszene so aufregend, so pulsierend, so vielfältig macht, was Berlins Ruf als Sehnsuchtsort für Künstler und Kreative begründet, findet man ja üblicherweise in Ateliers und Off-Räumen, in leerstehenden Häusern und unsanierten Hinterhöfen, natürlich auch in Galerien und privaten Sammlungen, aber jedenfalls nicht - noch nicht! - in den Tempeln des kanonisierten Kunstverständnisses. Umso spannender und auch umso wichtiger ist der Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst, der heute zum achten Mal unter der bewährten Regie der Freunde der Nationalgalerie verliehen wird und der uns einlädt zu einer faszinierenden Werkschau im Hamburger Bahnhof.

Seit 2013 ist der Preis nicht mehr mit einem Geldsegen verbunden, sondern mit einer Einzelausstellung in einem der Häuser der Nationalgalerie im Folgejahr - eine besondere, ja meines Wissens sogar eine einmalige Form der Prämierung! Ich erinnere mich zum Beispiel noch an die Ausstellung der Preisträgerin 2013, an die raumgreifende Installation "Parergon" von Mariana Castillo Debal 2014 hier im Hamburger Bahnhof. Wer diese Arbeit in der historischen großen Halle gesehen hat, wird verstehen können, wie viel ein solcher Rahmen für einen jungen Künstler, eine junge Künstlerin wert ist. Herzlichen Dank Ihnen, liebe Frau Quandt, und dem Verein der Freunde der Nationalgalerie für dieses großartige Engagement im Sinne der jungen Kunst und damit auch im Sinne der Kunstmetropole Berlin!

Nebenbei bemerkt: Die Freunde stiften nicht nur diesen Preis, den der bereits verstorbene Rolf Hoffmann im Jahr 2000 ins Leben gerufen hat. Seine Witwe, Frau Erika Hoffmann-Könige, begrüße ich heute Abend sehr herzlich. Die Freunde finanzieren mit ihren Spenden und Beiträgen auch Ankäufe für die Nationalgalerie, und weil ich die Summe so bemerkenswert finde, sei sie an dieser Stelle genannt: In den 38 Jahren seines Bestehens hat der Verein Ankäufe im Wert von über 55 Millionen Euro ermöglicht.

Besonders freue ich mich über die Zusammenarbeit zwischen dem Verein der Freunde und der Deutschen Filmakademie bei der Verleihung des Preises für junge Filmkunst, den wir heute zum dritten Mal vergeben. Wenn man sich die großen Kunstausstellungen unserer Zeit ansieht - ob es die Biennale in Venedig ist, wo ich im Sommer war, oder die letzte documenta - , stellt man fest, dass die Grenzen zwischen allen Kunstsparten, auch zwischen Bildender Kunst und Filmkunst, fließend geworden sind.

Filmische Arbeiten sind längst Teil der großen Kunstausstellungen unserer Tage. Deshalb ist der Preis für junge Filmkunst nicht nur eine naheliegende Ergänzung zum Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst, sondern auch eine Chance für beide Preise und die Preisträger, noch mehr und noch breitere Aufmerksamkeit zu gewinnen."Man soll die Zuschauer nicht belehren, sondern berühren", so hat es die großartige Schauspielerin Meryl Streep einmal ausgedrückt - und berühren, das kann der Film nun mal besonders gut.

Mehr Aufmerksamkeit, das wünschen wir uns hier in Berlin seit langem auch für die Kunst des 20. Jahrhunderts, dieses größten deutschen Jahrhunderts in der Kunstgeschichte. Die spektakuläre Sammlung der Nationalgalerie lagert bisher größtenteils im Depot, aber wir werden bald die Chance haben, sie endlich angemessen der Öffentlichkeit zu präsentieren - im neuen Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum.

In den vergangenen Monaten sind wir gleich mehrere Riesenschritte weitergekommen. Viele von Ihnen wissen, wie hart und hartnäckig ich dafür gekämpft habe. Wir haben vom Bundestag die Finanzierungszusage erhalten: Wo vorher eine 0 stand, stehen jetzt 200 Millionen Euro. Damit können wir eine große, würdige Erweiterung für die Nationalgalerie mit über 14.000 qm Nutzfläche bauen, und zwar auf dem größeren, zentralen Baufeld an der Potsdamer Straße. Denn nur hier haben wir auch den Platz, um einen Ausstellungsbetrieb dieser Größe vernünftig unterzubringen.

Ich bin sicher, dass das Grundstück vorn an der Potsdamer Straße neben der Matthäuskirche auch aus städtebaulicher Sicht das bessere Baugrundstück ist. Ähnlich sehen das auch der Bundesfinanzminister, die Stiftung und die Sammler, die uns großzügig ihre Konvolute überlassen haben.

Wir wollen für dieses Vorhaben die besten Architekten haben - Persönlichkeiten, die in der Lage sind, auf Augenhöhe mit Mies van der Rohe und Hans Scharoun zu bauen. Der Ideenwettbewerb ist am 3. September gestartet und soll bei der Entscheidung helfen, wem wir diese gewaltige Herausforderung anvertrauen können. In nicht allzu ferner Zukunft jedenfalls können wir die Sammlung der Nationalgalerie endlich in aller Breite zeigen; gleichzeitig ist es uns gelungen, die Sammlungen Pietzsch, Marx und Marzona auf Dauer für Berlin zu bewahren. Das ist - nach jahrelanger Hängepartie - ein Riesenerfolg für diese Stadt und für die Nationalgalerie!

Auch Ihr Erfolg, liebe Nominierte für die heute zu vergebenen Preise, ist ein Erfolg für Berlin - und für ein Land, zu dessen Selbstverständnis es gehört, sich nicht nur im Glanz eines reichen kulturellen Erbes zu sonnen, sondern Freiheiten und Freiräume der künstlerischen Avantgarde zu schützen und zu fördern. Wir brauchen mutige Künstler, wir brauchen die Kunst als Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern! Dabei helfen Verstörung und Trost, Irritation und Hoffnung, Zweifel und Selbstvergewisserung - oder, wie Cees Nooteboom es in seinem Berlin-Roman "Allerseelen" einmal formuliert hat, die Tatsache, dass Kunst - ich zitiere - "den Abgrund sichtbar macht und gleichzeitig einen Schein von Ordnung darüber spannt".

In welcher Weise Ihre Werke, liebe Nominierte, diese Ambivalenz offenbaren, überlasse ich der Einschätzung der zahlreichen Gäste heute Abend. Freuen wir uns also auf einen in jeder Hinsicht spannungsreichen Abend - vor allem aber auf die Bekanntgabe der Preisträger!