Redner(in): Monika Grütters
Datum: 25. September 2015

Untertitel: In ihrer Rede ging Kulturstaatsministerin Grütters unter anderem auf den digitalen Wandel und das Urheberrecht,die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft, die Künstlersozialversicherung und die Buchpreisbindung ein.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/09/2015-09-25-gruetters-bku.html


In ihrer Rede ging Kulturstaatsministerin Grütters unter anderem auf den digitalen Wandel und das Urheberrecht, die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft, die Künstlersozialversicherung und die Buchpreisbindung ein.

Anrede,

Kultur und Unternehmertum - das klingt verdächtig nach dem erfahrungsgemäß nicht unbedingt harmonierenden Begriffspaar "Kunst und Kommerz". Der feingeistige Kulturfreund rümpft da erst einmal indigniert die Nase. Ist es nicht gerade die Unabhängigkeit von den Kriterien wirtschaftlichen Erfolgs, die Weigerung, sich den Regeln des Marktes zu unterwerfen, die den Künstler von einem Unternehmer unterscheidet?

Pablo Picasso hat für das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz salomonische Worte gefunden: "Ein Maler …", so Picasso "ein Maler ist ein Mann, der malt, was er verkauft. Ein Künstler ist ein Mann, der verkauft, was er malt." Diese Aussage deckt die Bandbreite der Schönen Künste nicht annähernd ab und entspricht, nebenbei bemerkt, auch nicht den zeitgenössischen Standards des Gender Mainstreaming. Sie fasst aber recht anschaulich zusammen, dass Kunst und Kommerz, künstlerische Freiheit und unternehmerischer Erfolg sich zumindest nicht ausschließen - auch wenn es natürlich nicht jedem Künstler vergönnt ist, zu verkaufen, was er malt.

Gerade diejenigen, die sich "zum Unternehmer berufen" fühlen - wie es im Titel der BKU-Bundestagung so schön heißt - sind es oft, die Kunst und Kommerz zusammen bringen und der Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen Jahren ein enormes Wachstum beschert haben. Es freut mich deshalb sehr, dass der Bund Katholischer Unternehmer im Rahmen seiner Bundestagung auch die Künstler und Kreativen in den Blick nimmt, und ich hoffe, dass ich Ihnen für Ihre Diskussionen heute und für Ihre weitere Verbandsarbeit vielleicht den einen oder anderen Impuls geben kann.

Vielen Dank für die Einladung, liebe Marie-Luise Dött!

Die Kultur- und Kreativwirtschaft, meine Damen und Herren, lebt von der Kommerzialisierung, vom unternehmerischen Erfolg kreativer Leistung. Das ist keine Erfindung unserer Zeit - auch wenn Kreativität gerne als der "Rohstoff des 21. Jahrhunderts" gepriesen wird. Schon Albert Einstein, einer der größten Verteidiger der Phantasie unter den Naturwissenschaftlern, hat zutreffend bemerkt, dass Probleme sich niemals mit derselben Denkweise lösen lassen, durch die sie entstanden sind. Künstler haben insofern immer schon zum gesellschaftlichen Fortschritt beigetragen, indem sie ihre Zeitgenossen die Wirklichkeit neu sehen lehrten.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren fast 250.000 Unternehmen, mit ihren über eine Million Beschäftigten und ihrem Umsatz von 145 Milliarden Euro im Jahr 2013, ( die sich mit einer Bruttowertschöpfung von 65,3 Milliarden Euro übrigens durchaus mit der Automobilindustrie messen lassen kann ) , ist insofern weit mehr als eine Branche neben anderen Branchen. Sie liefert nicht nur bestimmte Handelsgüter oder Dienstleistungen. Sie liefert den immateriellen Rohstoff für Innovationen in allen gesellschaftlichen Bereichen, indem sie uns in die Lage versetzt, die Perspektive zu wechseln und neue Verbindungen herzustellen. Um es bildlich auszudrücken: Die Künstler und Kreativen tragen die Fackel, an der viele andere das Feuer eigener schöpferischer Kraft entzünden.

Dass Ideen ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Wirtschaftsgut in einer rohstoffarmen Gesellschaft sind, dass Künstler und Kreative zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen, dass ihre Arbeit den Boden bereitet für die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen, für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und dass blühende Kulturlandschaften Deutschland in vielerlei Hinsicht attraktiver machen, dass Kultur also ein wichtiger Standortfaktor ist … - all das gehört längst zu den ökonomischen und politischen Binsenweisheiten. Vor allem aber ist Kultur Ausdruck von Humanität.

Deshalb unterstützt die Bundesregierung im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft Unternehmerinnen und Unternehmer dabei, mit ihren Ideen auch ökonomisch erfolgreich zu sein. Die Initiative hat sich über die Jahre zu einer erfolgreichen Kooperation zwischen meinem Haus und dem Bundeswirtschaftsministerium entwickelt. Zu den zentralen Projekten der Initiative gehört das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft, das eine Plattform für Information, Dialog und Vernetzung bietet und den Branchenwettbewerb "Kultur- und Kreativpiloten Deutschland" begleitet. Beides sind Angebote, die gut angenommen werden und kreativen Köpfen vielerorts nicht zuletzt auch mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung bescheren.

Das Kompetenzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes sowie die Kultur- und Kreativpiloten arbeiten übrigens bereits seit Längerem gemeinsam mit UNICEF an neuen Ideen und Projekten rund um das Thema Flüchtlingshilfe. Da gibt es zum Beispiel die Aktion "Kochen für Freunde" von UNICEF und die "Datenbank für Kindheitserinnerungen" - beides ist mit Hilfe von ausgezeichneten Kreativpiloten entstanden. Schön ist auch die preisgekrönte Idee von "Room in a box", die ganze Möbelkollektionen aus Pappe bauen; sie haben Papp-n gespendet. Das nur nebenbei - weil das Thema Flüchtlingshilfe uns alle ja im Moment sehr bewegt.

Mir ist aber auch wichtig, dass ein Bewusstsein entsteht für den Wert geistiger Leistung jenseits der direkten ökonomischen Verwertbarkeit, meine Damen und Herren. Künstler und Kreative haben einen geradezu "avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen" - eine griffige Formulierung von Jürgen Habermas. Diesen Spürsinn brauchen wir umso mehr angesichts des digitalen Wandels, der unsere Gesellschaft in noch nie dagewesenem Tempo verändert. Die Künstler und Kreativen, die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereiten hier nicht nur den Boden für Innovationen, sondern helfen uns mit ihrem Mut zum Experimentieren auch dabei heraus zu finden, wie wir in Zukunft leben wollen und welche Möglichkeiten wir haben. Dafür brauchen sie Freiraum: die Freiheit, sich dem Diktat des Marktes, des Zeitgeists und des Massengeschmacks, also den Kriterien des wirtschaftlichen Erfolgs, zumindest vorübergehend auch einmal widersetzen zu dürfen.

Diese Freiheit zu sichern ist Aufgabe der Politik, insbesondere der Kulturpolitik. Dabei geht es aus naheliegenden Gründen zunächst einmal darum, dass man von kreativer Arbeit leben kann. Ein wichtiges Instrument, um das sicherzustellen, ist die Künstlersozialversicherung, eingeführt vor 31 Jahren. Seitdem gilt: Wer künstlerische Leistungen in Anspruch nimmt, der muss auch dafür Sorge tragen, dass Künstler von ihrer Arbeit nicht nur knapp überleben können, sondern angemessen bezahlt und sozial abgesichert werden. Deshalb übernimmt der Staat einen Teil der Versicherungsleistung - um den sehr spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen des künstlerischen Milieus Rechnung zu tragen.

Ich bin froh, dass wir es in dieser Legislaturperiode in sehr kurzer Zeit hinbekommen haben, ein Gesetz zu verabschieden, das die KSK durch bessere Prüfpflichten der Deutschen Rentenversicherung stabilisiert. Der Künstlersozialabgabesatz bleibt auch im Jahr 2015 bei 5,2 Prozent - ein wichtiges kulturpolitisches Signal.

Zur Sicherung der künstlerischen Freiheit gehört auch ein modernes, an das digitale Zeitalter angepasstes Urheberrecht, das dem Urheber einen fairen und gerechten Anteil an der Wertschöpfung aus seiner kreativen Leistung sichert - und damit seine Existenzgrundlage. In diesem Sinne setze ich mich für eine kultur- und medienpolitische Handschrift der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter ein. Dazu habe ich im Frühjahr ein ausführliches Positionspapier mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen vorgelegt. Es formuliert kultur- und medienpolitische Positionen, für die ich mich bei den anstehenden Gesetzgebungsvorhaben zum Urheberrecht einsetzen werde.

Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, ist Freiheit aber auch eine Frage des Geldes: Kreativität und Experimente muss man sich leisten können. Viele so genannte "Kulturschaffende", viele Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Überzeugungstäter, die aus persönlicher Leidenschaft heraus ihr Ding machen und damit zum Teil auch ein hohes ökonomisches Risiko eingehen manchmal bis an die Grenze zur Selbstausbeutung. Ohne solche "Überzeugungstäter" würde unserem Land die Kraft zur Veränderung fehlen.

Davon einmal abgesehen gehört es auch zu unserem Selbstverständnis als Kulturnation, dass sich in Deutschland neben massentauglichen, kulturellen Angeboten auch kulturelle Angebote für künstlerische und intellektuelle "Feinschmecker" behaupten können. Kunst und Kultur dürfen, ja sie sollen und müssen zuweilen Zumutung sein. Insofern müssen wir Politiker alles daran setzen, ihre Freiheit und ihre ästhetische Vielfalt zu sichern - indem wir dafür sorgen, dass Kulturgüter auch künftig anders behandelt werden als bloße Handelsobjekte, als Gartenmöbel oder Staubsauerbeutel.

Aus diesem Grund gibt es Regelungen wie die Buchpreisbindung, und aus diesem Grund loben wir auch für verschiedene Branchen jedes Jahr Preise und Preisgelder aus, die über die finanzielle Unterstützung und die regionale Wirkung hinaus bundesweit Aufmerksamkeit für eine Branche und für den Doppelcharakter ihrer Werke als Wirtschaftsprodukt und als Kulturgut erzeugen. Dazu gehören die Spielstättenprogrammpreise für Musikclubs und die Kinoprogramm- und Verleiherpreise für kleine Kinos.

Letzte Woche habe ich außerdem erstmals auch Preise für unabhängige, inhabergeführte Buchhandlungen vergeben. Mir ist es ein Herzensanliegen, die Garanten der verlegerischen und literarischen Vielfalt zu unterstützen, zu denen insbesondere die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen vor Ort gehören. Gerade sie stehen durch Internethändler wie Amazon unter enormem Wettbewerbsdruck. Der Deutsche Buchhandlungspreis soll das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für die Bedeutung dieser "geistigen Tankstellen", dieser kulturellen Begegnungsorte in unseren Städten, aber gerade auch jenseits der Metropolen schärfen. Er ist ausgestattet mit rund einer Million Euro, analog zu den anderen Branchenpreisen meines Hauses. Solche Preise sensibilisieren Kunden und wirken wie ein Dünger für eine vielfältige Kulturlandschaft, und genau darum geht es: um einen fruchtbaren Boden, in dem nicht nur der Mainstream, das am leichtesten Kommerzialisierbare gedeiht.

Dazu tragen im Übrigen auch die Kirchen bei. Kirche schafft kulturelle Identität weit über den Kreis ihrer Mitgliedschaft hinaus. Sie tut das seit 2000 Jahren mit einer Prägekraft wie sie keine zweite Institution je entwickelt hat. Ohne die große künstlerische Inspirationskraft der christlichen Theologie wäre die Kultur des Abendlandes ärmer an Geist und Sinnlichkeit. Kirche und Kultur sind keineswegs deckungsgleich, doch gemeinsam ist beiden, dass sie neue Perspektiven eröffnen, den Blick über Vordergründiges hinaus lenken, das Leben deuten wollen. Dazu gehören alle kulturellen Ausdrucksformen, die Unbedingtheit, Authentizität und geistiges Ringen um letzte Fragen verkörpern.

Überwältigend ist ja allein schon das materielle kulturelle Erbe - die Kunstwerke von Malern, Bildhauern und auch Komponisten, die über Jahrhunderte im Auftrag der Kirche entstanden sind; dazu die 45.000 vielfach denkmalgeschützten Kirchengebäude der evangelischen und katholischen Kirche, deren Erhalt mein Haus mit erheblichen Mitteln aus den Denkmalschutz-Sonderprogrammen unterstützt.

Beeindruckend ist aber auch das finanzielle Engagement der Kirchen für die Kultur. Ein Gutachten für die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages hat vor einigen Jahren ergeben, dass sich die Kulturfördermittel der Kirchen auf rund 4,4 Milliarden Euro jährlich belaufen - jeweils rund 20 Prozent der Kirchensteuereinnahmen und Vermögenserlöse.

Zum Vergleich: Der deutsche Staat - Bund, Länder und Kommunen - fördert seine Kultur mit rund 9,1 Milliarden Euro jährlich. Der Löwenanteil davon entfällt auf Länder und Kommunen. Der Bund kann wegen der grundgesetzlich geregelten Kulturhoheit der Länder nur kulturpolitische Aufgaben von überregionaler Bedeutung übernehmen - aktuell, im Jahr 2015, stehen mir dafür rund 1,34 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit dem finanziellen Engagement der Kirchen kann ich als Kulturstaatsministerin also nicht mithalten. Doch im internationalen Vergleich steht Deutschland gut da, und Bundestag und Bundesregierung haben den Kulturetat in den letzten Jahren trotz des strikten Sparkurses kontinuierlich erhöht.

Dass wir uns in Deutschland eine staatliche Kulturförderung leisten, die ihresgleichen sucht, kann man, kultur- und kreativwirtschaftlich betrachtet, schlicht als kluge Investition in die Förderung des Rohstoffs "Kreativität" sehen. Das mag die eine oder andere Verhandlung mit dem Finanzminister erleichtern; sollte aber niemanden dazu verleiten, Kulturpolitik als verlängerten Arm der Wirtschaftspolitik zu verstehen. Davor, meine Damen und Herren, kann ich nur warnen."Kunst und Wissenschaft ( … ) sind frei", heißt es in Artikel 5 unseres Grundgesetzes.

Die Erhebung der Kunstfreiheit in den Verfassungsrang ist kein Beitrag zur Steigerung des Bruttosozialprodukts, sondern eine Lehre aus unserer jüngeren Geschichte. Unsere Demokratie ist auf den Trümmern des Totalitarismus gebaut - das sollten wir auch 70 Jahre nach der Befreiung von der Diktatur der Nationalsozialsten und 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, mit der auch die kommunistische Diktatur auf deutschem Boden Geschichte wurde, nicht vergessen. Aus zwei deutschen Diktaturen haben wir eine Lehre gezogen, die da lautet: Die Freiheit der Kunst ist konstitutiv für eine Demokratie. Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Wir brauchen experimentierfreudige Künstler und unbequeme Denker! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Sie sind es, die unsere Gesellschaft vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen imstande sind.

Jean Paul, ein Autor, der mir persönlich viel bedeutet, hat das lange vor den totalitären Schrecken des 20. Jahrhunderts erkannt. In seinen "Politischen Fastenpredigten" heißt es: "Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar." Dieses Selbstverständnis wünsche ich nicht nur den Künstlern, den Kreativen, den Kulturschaffenden, sondern unserer Gesellschaft insgesamt, und ich hoffe, dass die interessanten Vorträge, Diskussionen und Begegnungen im Rahmen der heutigen Tagung Sie nicht zuletzt auch in diesem Sinne inspirieren!