Redner(in): Monika Grütters
Datum: 08. Oktober 2015
Untertitel: In ihrer Rede sagte Monika Grütters "Es sind nicht zuletzt die Übersetzer, die uns Zugang zum Hintergrund, zu anderen Sprach- und Gedankenwelten eröffnen und es uns auf diese Weise ermöglichen, den Vordergrund zu verstehen.".
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/10/2015-10-08-gruetters-deutsch-hebraeischer-uebersetzerpreis.html
In ihrer Rede sagte Monika Grütters "Es sind nicht zuletzt die Übersetzer, die uns Zugang zum Hintergrund, zu anderen Sprach- und Gedankenwelten eröffnen und es uns auf diese Weise ermöglichen, den Vordergrund zu verstehen.".
Anrede, Lost in translation "ist nicht nur ein ausgezeichneter Film mit Bill Murray und Scarlett Johannsen, sondern auch eine griffige Formulierung für Bedeutungsverluste beim Übersetzen - zum Beispiel bei Wörtern, die nur in einer Sprache existieren, in anderen jedoch nicht. Dazu gehört zum Beispiel das schöne deutsche Wort" Torschlusspanik "die Befürchtung, dass es für wichtige Veränderungen im Leben zu spät ist. In Israel dagegen scheint man weniger sich schließende als vielmehr sich öffnende Türen und Tore zu sehen; jedenfalls kennt das Hebräische mit dem Wort" titradesh "einen eigenen" Glückwunsch zum Neuen ", eine Gratulation für Neuerungen aller Art im Leben. Ob" titradesh "auch zum heutigen Anlass passt, entzieht sich meiner Kenntnis - neu jedenfalls ist der deutsch-hebräische Übersetzerpreis, den wir heute zum ersten Mal vergeben. Ich gehe aber lieber auf Nummer sicher und sage statt" titradesh " ganz einfach: Herzlich Willkommen zur Preisverleihung im Bundeskanzleramt!
Wenn schon alltagssprachliche Petitessen sich in einer anderen Sprache als schwer vermittelbar erweisen, meine Damen und Herren um wieviel schwieriger ist dann erst die Übersetzung eines Romans oder eines philosophischen Textes! Eine Übersetzung muss nicht nur die richtige Formulierung finden, sondern auch den richtigen Ton treffen - mit viel Gefühl für das, was zwischen den Zeilen anklingt, so wie Ruth Achlama es als Übersetzerin zweier Romane von Yoram Kaniuk und David Vogel gezeigt hat. Eine Übersetzung muss dabei nicht nur der Sprache, sondern auch der Sprachmelodie, den poetischen oder rhetorischen Stilmitteln eines Textes gerecht werden - oder gar einen epischen Hexameter auf ein fremdes Sprachsystem einstimmen, so wie Nitza Ben-Ari dies kongenial mit Goethes "Hermann und Dorothea" gelungen ist. Und wer sich jemals vergeblich bemüht hat, die "Transzendentale Deduktion" in Kants "Kritik der reinen Vernunft" zu verstehen, wird ermessen können, was für eine großartige Leistung die Übertragung dieses Schlüsselwerks der Aufklärung in ein verständliches und lebendiges Hebräisch ist.
Für Ihre großartigen Übersetzungsleistungen verleihen wir Ihnen, liebe Frau Prof. Ben-Ari, liebe Frau Achlama, und Herrn Prof. Yovel, der heute leider nicht dabei sein kann, den deutsch-hebräischen Übersetzerpreis. Ein herzliches Dankeschön den Mitgliedern der Jury, die sich der schwierigen Auswahl mit viel Engagement gewidmet haben; ein herzliches Dankeschön auch Ihnen, lieber Herr Becker, für die gute Vorbereitung. Vor allem aber danke ich Ihnen, liebe Frau Ministerin Regev, für die hervorragende Zusammenarbeit mit dem israelischen Kultusministerium! Ich freue mich, dass wir diesen Preis künftig alle zwei Jahre vergeben werden!
Damit, meine Damen und Herren, wollen wir gemeinsam diejenigen fördern, die ganz entscheidend dazu beitragen, dass Israelis und Deutsche einander immer besser kennen und verstehen lernen. 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz und 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sind wir von Herzen dankbar, Israel zu unseren engen Partnern und Freunden zählen zu dürfen - im Bewusstsein, dass es niemals "normale" Beziehungen sein werden. Und doch ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten Nähe entstanden und Vertrauen gewachsen. Wir sind nicht nur in Schuld und Schmerz aneinander gebunden, sondern fühlen uns auch in Freundschaft und Versöhnung verbunden.
Warum es dafür immer wieder Übersetzer braucht, will ich mit den Worten der amerikanischen Autorin Eva Hoffman, Tochter polnischer Holocaust-Überlebender, so formulieren: "Because I don ' t know the background, I don ' t always grasp the foreground." So steht es in ihrem autobiographischen Buch "Lost in Translation", und so erleben wir es immer wieder in der Begegnung mit anderen Sprachen und Kulturen. Es sind nicht zuletzt die Übersetzer, die uns Zugang zum Hintergrund, zu anderen Sprach- und Gedankenwelten eröffnen und es uns auf diese Weise ermöglichen, den Vordergrund zu verstehen. Danke dafür, liebe Preisträgerinnen, lieber Preisträger, herzlichen Glückwunsch zum deutsch-hebräischen Übersetzerpreis und weiterhin viel Freude und Erfolg bei Ihrer Arbeit!