Redner(in): Monika Grütters
Datum: 10. Oktober 2015
Untertitel: In Ihrer Rede würdigte Monika Grütters den Kaiserring als ein Schmuckstück für jeden zeitgenössischen Künstler, dem die Ehre der Verleihung zuteil wird, der aber längst auch gemeinsames Kulturgut geworden ist, Teil jenes kulturellen Erbes, das die Geschichte und Identität der Kaiserstadt spiegelt und Goslars Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus, mittlerweile bundes- und weltweit ausmacht.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/10/2015-10-10-gruetters-kaiserring.html
In Ihrer Rede würdigte Monika Grütters den Kaiserring als ein Schmuckstück für jeden zeitgenössischen Künstler, dem die Ehre der Verleihung zuteil wird, der aber längst auch gemeinsames Kulturgut geworden ist, Teil jenes kulturellen Erbes, das die Geschichte und Identität der Kaiserstadt spiegelt und Goslars Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus, mittlerweile bundes- und weltweit ausmacht.
Anrede, Walküre in Detmold "- diesen schönen Titel trägt eine der schönsten Liebeserklärungen der letzten Jahre an die deutsche Kulturlandschaft: ein Buch des Journalisten Ralph Bollmann, der in einem Zeitraum von zwölf Jahren sämtliche deutschen Opernhäuser mit festem Ensemble besucht hat. Das sind über 80, wohlgemerkt etwa so viel wie im ganzen Rest der Welt und fast alle abseits der Kulturmetropolen - in Detmold zum Beispiel, in Plauen oder in Ulm." Das Besondere an Deutschland ist nicht ", schreibt Bollmann," dass es mehrere bedeutende Zentren hat. Ungewöhnlich ist, wie viel Wichtiges sich an ganz unwichtigen Orten abspielt." Oder, wie ich persönlich es formulieren würde: wie viel Weltläufigkeit und kulturellen Reichtum es in allen Teilen Deutschlands zu entdecken gibt - ein so dichtes Netz kultureller Erlebnisorte wie vielleicht nirgendwo sonst auf der Welt.
Goslar ist dafür ein wunderbares Beispiel: ein Kleinod der deutschen Kulturlandschaft, der kulturellen Avantgarde ebenso verbunden und verpflichtet wie dem reichen kulturellen Erbe - gemeinsam gepflegt mit hohem bürgerschaftlichen und kommunalpolitischem Engagement. Das hat mich schon bei meinem Besuch im vergangenen Jahr sehr beeindruckt, und deshalb freue mich sehr, heute mit dabei zu sein, wenn der Rat der Stadt mit dem Goslarer Kaiserring zum 40. Mal eine der international bedeutendsten und begehrtesten Auszeichnungen für Bildende Kunst verleiht. Vielen Dank für die Einladung und die freundlichen Begrüßungsworte, lieber Herr Dr. Junk!
Eine Verbindung herzustellen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen kulturellem Erbe und künstlerischer Avantgarde, darum ging es dem Gründer des "Vereins zur Förderung Moderner Kunst", Goslars Ehrenbürger, dem 2010 verstorbenen Unternehmer Theodor Karl Peter Schenning, als er vor 40 Jahren einen internationalen Preis für zeitgenössische Kunst ins Leben rief -und wenige Jahre später dann auch noch das Mönchehaus Museum, ein würdiges Ausstellungsforum für die Kaiserring-Preisträger und für die zeitgenössische Kunst. Dass der Verein heute mit über 1.600 Mitgliedern und dem schönen Motto "Kunst ist für alle da" einer der größten Kunstvereine in ganz Deutschland ist und Sponsoren immer wieder den Ankauf von Werken der Kaiserring-Preisträger für das Mönchehaus Museum ermöglichen, zeugt von der identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Kraft von Kunst und Kultur.
So ist der Goslarer Kaiserring mit den illustren Namen seiner bisherigen Trägerinnen und Träger ein Schmuckstück nicht nur für jeden zeitgenössischen Künstler, dem die Ehre der Verleihung zuteil wird. Er ist längst auch gemeinsames Kulturgut geworden, Teil jenes kulturellen Erbes, das die Geschichte und Identität der Kaiserstadt spiegelt und Goslars Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus, mittlerweile bundes- und weltweit ausmacht.
Dazu hat nicht zuletzt die hochkarätig besetzte Jury beigetragen, die bei der Auswahl der Preisträger nicht nur immer wieder Kunstverstand und Sachkunde, sondern auch Mut, Unabhängigkeit und Weitblick bewiesen hat, so auch in diesem Jahr. Der ukrainische Fotograf Boris Mikhailov, der den schlichten, kunsthandwerklich gefertigten Kaiserring heute entgegen nehmen darf, hat mit seinen schonungslosen, oft verstörenden, teils schockierenden, teils grotesken Bildern den Zerfall der Sowjetunion dokumentiert - Bilder vom Leid der Menschen, die alles verloren haben, selbst die Sichtbarkeit für ihre Mitmenschen."Erst wenn man das Elend im Bild sieht, beginnt man es auch auf der Straße wahrzunehmen", haben Sie einmal gesagt, lieber Herr Mikhailov.
In diesem Sinne öffnen Sie uns die Augen, werden wir mit Ihnen zu Anteil nehmenden Beobachtern. Das ist schmerzhaft, das ist irritierend, unter bestimmten politischen Umständen auch gefährlich, denn wer genau hinschaut, wird unbequem."Die Illusion, die uns schmeichelt, ist uns lieber als zehntausend Wahrheiten" so hat es der große russische Dichter Alexander Puschkin einmal ausgedrückt.
In Deutschland haben wir aus zwei deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert eine Lehre gezogen, die da lautet: Kritik und Freiheit der Kunst sind konstitutiv für eine Demokratie. Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Überall auf der Welt braucht es mutige und unbequeme Künstler wie Sie, die hinschauen, wo andere wegschauen, und damit verhindern, dass Schönfärberei und Illusionen, emotionale Abgestumpftheit und geistige Trägheit die Demokratie einschläfern.
Ihre Auszeichnung mit dem Kaiserring der Stadt Goslar erinnert uns daran und wird - da bin ich sicher! - nicht nur dazu beitragen, unseren Blick auf Ihr Heimatland, die Ukraine, zu schärfen, sondern auch unsere Sensibilität für menschliches Leid und existenzielle Not - was angesichts der vielen Menschen, die im Moment mit nichts als ihrer Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben nach Deutschland kommen, vielleicht nötiger ist denn je.
In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen herzlich zum Kaiserring der Stadt Goslar und freue mich, Ihnen das Glückwunschschreiben der Bundeskanzlerin überbringen zu dürfen:
Sehr geehrter Herr Mikhailov,
zu Ihrer Ehrung mit dem renommierten Goslarer Kaiserring 2015 übermittle ich Ihnen meine Glückwünsche.
Wieder einmal hat die Jury dieses international begehrten Kunstpreises ein mutiges Votum getroffen.
Die Auszeichnung mit dem diesjährigen Goslarer Kaiserring ist eine Würdigung Ihrer Entwicklung vom fotografischen Autodidakten zu einem international hochgeschätzten zeitgenössischen Künstler.
Als Fotograf haben Sie die gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungsprozesse in der Ukraine nunmehr seit fast einem halben Jahrhundert kritisch reflektiert und anteilnehmend dokumentiert. Mit der Kamera wurden Sie nicht nur zu einem künstlerischen Chronisten des Endes der Sowjetunion, sondern auch der sozialen Lage der Menschen, die von den post-sowjetischen Änderungsprozessen betroffen waren. Ihre Arbeiten vermitteln konkrete Einblicke in das Alltagsleben einer Gesellschaft im Wandel.
Für die Zukunft wünsche ich Ihnen sowohl für Ihr persönliches Leben als auch für Ihre weitere Arbeit alles erdenkliche Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Angela Merkel