Redner(in): Monika Grütters
Datum: 30. Oktober 2015

Untertitel: In ihrer Rede ging Monika Grütters unter anderem auf die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes ein und beantwortete "die sachlich durchaus berechtigte Frage, wie man überhaupt auf die Idee kommt, zwischen Kunst von Frauen und Kunst von Männern zu unterscheiden und ob das denn nun wirklich sein muss, eine Kunstausstellung ausschließlich mit Werken aus Frauenhand zu zeigen" mit "Ja, es muss sein! Nicht die Kunst - die Geschichte nötigt uns das auf".
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/10/2015-10-30-gruetters-ausstellung-moderne-der-frauen.html


In ihrer Rede ging Monika Grütters unter anderem auf die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes ein und beantwortete "die sachlich durchaus berechtigte Frage, wie man überhaupt auf die Idee kommt, zwischen Kunst von Frauen und Kunst von Männern zu unterscheiden und ob das denn nun wirklich sein muss, eine Kunstausstellung ausschließlich mit Werken aus Frauenhand zu zeigen" mit "Ja, es muss sein! Nicht die Kunst - die Geschichte nötigt uns das auf".

Anrede,

Es hätte ein gewaltiger Schub für die "Moderne der Frauen in Deutschland" werden können: Als das Staatliche Bauhaus in Weimar 1919 seine Pforten öffnete, schrieben sich 84 Frauen und 79 Männer für ein Studium ein. Walter Gropius verkündete zunächst "absolute Gleichberechtigung", aber schon bald bekamen die Bauhaus-Meister kalte Füße: Die große Anzahl von Frauen, fürchtete Gropius, könnte dem Ansehen des Bauhauses schaden. Gerhard Marcks, Formmeister der Töpferei, plädierte dafür,"möglichst keine Frauen in die Töpferei aufzunehmen, beides ihret- und der Werkstatt wegen".

Ähnlich besorgt gab man ( n ) sich in der grafischen Druckerei und in der Metallwerkstatt. Im Gegenzug wurde 1920 großzügigerweise die Weberei zur Frauenklasse erklärt, was den Maler Oskar Schlemmer, ebenfalls einer der Bauhaus-Pioniere ( und auch in der Sammlung der Bielefelder Kunsthalle vertreten ) , gar zum Dichten veranlasste: "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib." Ironie der Bauhausgeschichte, dass ausgerechnet die Weberei - die Frauenklasse! - zu einer der künstlerisch produktivsten und auch noch kommerziell erfolgreichsten Werkstätten wurde … aber das nur nebenbei.

Nein, meine Damen und Herren, in Sachen Geschlechtergerechtigkeit hat die Kunst ihrem Ruf und ihrem Selbstverständnis als gesellschaftliche Avantgarde bis heute leider wahrlich keine Ehre gemacht. Auf die sachlich durchaus berechtigte Frage, wie man überhaupt auf die Idee kommt, zwischen Kunst von Frauen und Kunst von Männern zu unterscheiden und ob das denn nun wirklich sein muss, eine Kunstausstellung ausschließlich mit Werken aus Frauenhand zu zeigen - auf diese Frage, die Sie bestimmt hier und da zu hören bekommen haben, lieber Friedrich Meschede, auf diese Frage kann man nur antworten: Ja, es muss sein! Nicht die Kunst - die Geschichte nötigt uns das auf.

Es muss sein, weil Künstlerinnen, denen die verdiente Wertschätzung lange vorenthalten wurde, besondere Aufmerksamkeit verdienen, und weil auch die Kunstwelt das beherzte Eintreten für mehr Gleichberechtigung braucht - frei nach dem berühmten Protestplakat der Künstlerinnengruppe "Guerilla Girls" ( "Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?" ) : Nackt müssen Frauen nicht sein, um in die Bielefelder Kunsthalle zu kommen … - in ein Haus, dessen Strahlkraft nicht zuletzt wegen seiner exquisiten Sammlungsbestände und seiner innovativen Wechselausstellungen weit über Nordrhein-Westfalen hinaus reicht. Ehrensache also, dass ich heute mit dabei bin, um gemeinsam mit Ihnen die Ausstellung "Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen in Deutschland" zu eröffnen!

Vielen Dank für die Einladung! Schon zu Zeiten meines Studiums der Kunstgeschichte hatte ich ein Faible für die Bilder von Frauen, die nicht malen durften oder sollten und es trotzdem taten - Anna Dorothea Therbusch, Paula Modersohn-Becker und wie sie alle heißen. Umso mehr freut es mich, hier so viele großartige Malerinnen in einer Ausstellung vereint zu sehen!

Die rund 150 Werke, die Sie, liebe Frau Dr. Hülsewig-Johnen, liebe Frau Dr. Mund, als Kuratorinnen so hervorragend ausgewählt und teils aus ihrem jahrzehntelangen Schattendasein ans Licht der Öffentlichkeit geholt haben, ergeben in ihrer Vielfalt ein bestechendes und für die Kunstgeschichte höchst aufschlussreiches Bild weiblichen Kunstschaffens im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die Künstlerexistenz als weiblicher Lebensentwurf lange nicht nur nicht selbstverständlich, sondern kaum realisierbar war.

Künstlerische Fähigkeiten wurden Frauen schlicht abgesprochen, von der künstlerischen Ausbildung waren sie ausgeschlossen - allein schon deshalb, weil es ihnen lange nicht erlaubt war, am für die großen Sujets so wesentlichen Aktstudium teilzunehmen. Wo es Frauen gelang, auf eigenen Gebieten zu reüssieren - etwa in der Portraitmalerei oder in der Landschaftsmalerei - bremsten gesellschaftliche Konventionen die weibliche Schaffenskraft."Sie haben", stellte der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke 1862 mit Befriedigung fest,"sie haben über Pinsel und Palette nicht die Sorge für die Kinder und den Mann, über den Farbtöpfen nicht die Kochtöpfe […] vergessen […] . Solange sie so treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter sind, mögen wir, dünkt mich, es leichter ertragen, wenn sie keine Raffaels und Michelangelos werden."

Zum Glück für die Kunst gab es zu allen Zeiten Frauen, die sich nicht damit begnügten,"treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter" zu sein, und die den Mut hatten, ihren eigenen Stil zu finden statt Raffaels oder Michelangelos sein zu wollen! Es ist das besondere Verdienst dieser Ausstellung, solche Frauen und ihren immer noch unterschätzten Anteil an der Entstehung der Moderne hervor zu heben - und das nicht nur anhand lang bekannter Namen wie Käthe Kollwitz und Hannah Höch, sondern auch anhand von Namen, die nie bekannt waren oder längst vergessen sind und auch am Beispiel zeitgenössischer Künstlerinnen: Ich freue mich sehr, Leiko Ikemura, Karin Kneffel, Christa Näher und Sophie von Hellermann begrüßen zu können.

Als Indiz dafür, dass die Anerkennung für weibliche und männliche Leistungen leider auch im Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts noch sehr ungleich verteilt ist, darf der Anteil der Bilder weiblicher Künstlerinnen in Museen, Sammlungen und Galerien gewertet werden. Hier heißt es für uns Frauen - wie auch in der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien: hartnäckig bleiben! Dass es vereinzelt immer noch Männer gibt, die Frauen bescheinigen, nicht malen zu können, wie Georg Baselitz dies vor nicht allzu langer Zeit zum wiederholten Male zu Protokoll gab, sollte uns allerdings nicht weiter irritieren - sagt dies doch mehr über das Kunstverständnis eines Herrn Baselitz aus als über die Fähigkeiten von Künstlerinnen. Woran nämlich sieht man seiner Auffassung nach, dass Frauen nicht malen können? Nicht an ihren Bildern, nein! - am Preisschild. Unter den teuersten Künstler fänden sich ja kaum Frauen.

Diese krude These wäre mir nicht weiter der Erwähnung wert, wenn eben dieses Argumentationsmuster - die Gleichsetzung von Wert und Preis eines Kunstwerks - nicht seit Wochen den Streit um ein Gesetz befeuern würde, das für uns alle wichtig ist: die Novellierung des Kulturgutschutzes. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen; es gibt ja nur selten Gelegenheiten, Sie alle auf einmal zu erreichen - Künstlerinnen, Sammlerinnen und Sammler, Galeristinnen und Galeristen.

Worum geht es? - Als Kulturstaatsministerin stehe ich in der Verantwortung, den quantitativ geringen, qualitativ aber umso bedeutenderen Teil unseres nationalen kulturellen Erbes, der für unsere kulturelle Identität emblematisch ist, vor Abwanderung ins Ausland zu schützen - so, wie es das Grundgesetz will und fordert. Wir reden hier über wenige, sehr wenige, besonders bedeutsame Kunstwerke, über Einzelstücke, die als national wertvoll einzuordnen sind, also über einen verschwindend kleinen Teil des riesigen Kunstmarktes - denken Sie beispielsweise an Holbeins Schutzmantelmadonna.

Nur wenn ein Kunstwerk besonders bedeutsam und damit identitätsstiftend für das kulturelle Erbe Deutschlands ist und seine Abwanderung einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, wenn also sein Verbleib im Bundesgebiet im qua definitionem "herausragenden kulturellen öffentlichen Interesse" liegt, kann es national wertvoll sein. Um das festzulegen, bedarf es der Zustimmung ( bisher nur Anhörung ) eines mit Sachverständigen besetzten Gremiums in den Ländern, in dem wie bisher Museen, der Kunsthandel und auch Sammler vertreten sind. Die Möglichkeit der Eintragung eines Werks als national wertvolles Kulturgut ist geltendes Recht seit 1955 - hier ändert sich gar nichts.

Um national wertvolle Einzelstücke zu schützen, braucht es Regeln - Ausfuhrregeln. Neu hinzu kommen soll allein die Pflicht, solche Ausfuhrgenehmigungen für den Verkauf ins außereuropäische Ausland - EU-weit gibt es solche Ausfuhrregeln seit 23 Jahren - künftig auch für den Verkauf innerhalb des EU-Binnenmarkts einzuholen. Konkret bedeutet das: Die EU-Vorgaben, denen Kunsthändler schon jetzt bei der Ausfuhr von Kulturgut nach New York oder Basel genügen müssen, gelten künftig auch für die Ausfuhr nach London oder Madrid. Um den Kunsthandel so wenig wie möglich zu belasten, ist in unserer deutschen Regelung die gesamte zeitgenössische Kunst überhaupt nicht betroffen. Kein Künstler, kein Eigentümer wird gegenüber der geltenden Rechtslage schlechter gestellt.

Als Staatsministerin, aber auch und vor allem als Bürgerin unseres Landes ist mir der Schutz unseres gemeinsamen kulturellen Erbes wichtig, bin ich stolz auf die Leistungen der Künstlerinnen und Künstler, dankbar für die Zeugnisse unserer Geschichte, die sie uns hinterlassen haben - und ja: Beim Anblick einer Beethoven-Handschrift bekomme ich eine Gänsehaut, und eine Riemenschneider-Figur rührt mich auch mal zu Tränen.

Auch Sie sind Bürgerinnen und Bürger dieser Kulturnation, viele von Ihnen haben sich in besonderer Weise um sie verdient gemacht und als Sammler ein enges Verhältnis zur Kunst gefunden. Wie wichtig das bürgerschaftliche, private Engagement für die Kunst ist und wie sehr die Kulturnation Deutschland vom Engagement privater Sammler und Mäzene profitiert, sehen wir ja gerade hier in Bielefeld: Den Bau der Kunsthalle hat Rudolf August Oetker initiiert und finanziert, zu den Trägern und Gesellschaftern der Kunsthalle gehört die Stiftung "Pro Bielefeld", und beim Erwerb von Kunstwerken und bei Ausstellungsprojekten leistet ein hochrangig besetzter Förderkreis großartige Unterstützung. Dieses Engagement ist Ihr Ausdruck der hohen Wertschätzung für die Kunst.

Deshalb hoffe ich auf Ihr Verständnis, wenn ich sage: Kunst ist keine Ware wie jede andere. Sie hat eben nicht nur einen Preis, sie hat für uns alle auch und vor allem einen hohen Wert. Wegen ihrer Bedeutung für unsere eigene, für unsere nationale Identität darf sie einerseits besondere Förderung des Staates, andererseits aber auch besonderen Schutz erwarten. Unterschiedliche Auffassungen, auch mal konkurrierende Interessen sollten dabei unter uns verhandelbar bleiben und miteinander lösbar sein, und eben deshalb habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten unzählige Gespräche geführt, deren Ergebnisse in unsere Arbeit an der Gesetzesnovelle eingeflossen sind.

Auch in Deutschland - die Hoffnung gebe ich noch nicht auf! - muss doch ein Einvernehmen möglich sein zwischen dem Gemeinwohl ( dem Kulturgutschutz ) und den Einzelinteressen des Handels. Bei den Regeln, die wir im Gesetz vorschlagen, orientieren wir uns an dem, was fast alle anderen europäischen Länder längst praktizieren - nur wesentlich großzügiger haben wir sie vorgesehen.

Zurück zu den Malerinnen! Mag der Preis eines Kunstwerks auch nicht gleichzusetzen sein mit dem ideellen Wert, meine Damen und Herren: Mit Genugtuung darf uns Frauen freilich der Trend erfüllen, dass die Werke so mancher einst gut bezahlter Künstler heute in den Depots verstauben, während einst unter Wert gehandelte Künstlerinnen heute sehr hohe Preise erzielen.

Anton von Werner beispielsweise war wie Georg Baselitz der Meinung, dass Frauen nicht malen können; 1904 verweigert er als Berliner Akademiedirektor 200 Künstlerinnen den Zugang zum Studium. Eine dieser Frauen war Käthe Kollwitz. Ein kleines Aquarell von ihr kostet heute zehnmal so viel wie ein großformatiges Ölbild von ihm - und wie gut, dass wir sie beide haben! Ihre Werke begeistern uns noch heute in Museen, sie hat sich ihren Platz in der Kunstgeschichte erobert - so wie viele andere Frauen, die wir in dieser großartigen Ausstellung in Bielefeld ( neu ) entdecken.

Dafür will ich Ihnen die Worte der Künstlerin Paula Modersohn-Becker mitgeben: "In mir fühle ich es wie ein leises Gewebe, ein Vibrieren, ein Flügelschlagen, ein zitterndes Ausruhen, ein Atemanhalten: wenn ich einst malen kann, werde ich auch das malen", notierte sie 1899 in einem Brief. Ich wünsche Ihnen, verehrte Damen und Herren, wenn Sie gleich durch die Ausstellung gehen, einen Sinn auch für solche Töne, für das "zitternde Ausruhen", für das "Atemanhalten" ! Viel Freude, viel Kunstgenuss beim Entdecken der "Moderne der Frauen in Deutschland" !