Redner(in): Monika Grütters
Datum: 03. November 2015

Untertitel: "Kunst und Kultur können und müssen zur Integration der Menschen beitragen, die Zuflucht suchen und Asyl erhalten in Deutschland; deshalb liegt mir die Unterstützung solcher Projekte ganz besonders am Herzen, und ich weiß Sie bei Ihnen, liebe Frau Duve, und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern auch in den besten Händen. Für Ihr großes Engagement für die Filmbildung danke ich Ihnen herzlich!" betonte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/11/2015-11-03-gruetters-jubilaeum-vision-kino.html


Kunst und Kultur können und müssen zur Integration der Menschen beitragen, die Zuflucht suchen und Asyl erhalten in Deutschland; deshalb liegt mir die Unterstützung solcher Projekte ganz besonders am Herzen, und ich weiß Sie bei Ihnen, liebe Frau Duve, und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern auch in den besten Händen. Für Ihr großes Engagement für die Filmbildung danke ich Ihnen herzlich! " betonte Monika Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

Die meisten von Ihnen - jedenfalls die meisten von Euch Schülerinnen und Schülern - haben bestimmt "Fack ju Göhte" gesehen, stimmt ' s? - Bankräuber Zeki Müller wird Aushilfslehrer an einem Gymnasium, um an die unter der Turnhalle vergrabene Beute heranzukommen, und erweist sich in einer Klasse mit bildungsfernen Totalverweigerern als pädagogisches Naturtalent. Warum? Weil er sich bei Chantal, Danger und wie sie alle heißen auf unkonventionelle Art Respekt verschafft, weil er ihre Sprache spricht, ihre Probleme kennt und angestaubte Klassiker wie "Romeo und Julia" kurzerhand in ein trostloses Plattenbau-Viertel verlegt, um den Schülern die Relevanz dieses Dramas nahe zu bringen. So kann Bildungsvermittlung aussehen, wenn man junge Leute in ihrer Lebenswelt abholt.

Medienkompetenz und Filmbildung auf eine Weise zu vermitteln, die Euch interessiert und neugierig macht, liebe Schülerinnen und Schüler, das war auch die Idee, als die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss zusammen mit der Filmförderungsanstalt ( FFA ) , der Stiftung Deutsche Kinemathek, den Filmtheaterverbänden und dem Verleiherverband "VISION KINO" ins Leben gerufen hat.

Wir haben für dieses Projekt der kulturellen Bildung zwar keine so - sagen wir: markanten - Persönlichkeiten wie den herumproletenden Hilfslehrer Zeki Müller, die beflissene Referendarin Lisi Schnabelstedt oder die kratzbürstige Direktorin Gudrun Gerster. Aber auch VISION KINO ist ganz gewiss eine Klasse für sich! Deshalb freue ich mich über die Einladung zum "Klassentreffen" und über das besondere Vergnügen, das erste und vermutlich einzige Mal in meinem Leben einen Auftritt als "Rektorin" zu haben. Das Erreichen des Klassenziels kann ich schon mal feststellen - nach Euren beeindruckenden Stummfilmvertonungen, die wir eben erlebt haben! Für den Klassentest "Film", der uns gleich noch bevorsteht, braucht also niemand die Ansage zu fürchten, die wir von Rektorin Gudrun Gerster aus "Fack ju Göhte" kennen: "Wer abschreibt, wird erschossen!"

Gönnen wir uns stattdessen einen kurzen Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre. Am Anfang stand eine Filmkompetenzerklärung - Ergebnis des Kongresses "Kino macht Schule". Filmkompetenzerklärung, das klingt nach unverbindlichen Absichtsbekundungen, aber es war auch von der Einrichtung einer zentralen Stelle die Rede, und diese zentrale Stelle - VISION KINO - wurde nicht geschaffen, um einfach nur Bestehendes zu verwalten. Sie hat der Filmbildung in Deutschland Richtung und Antrieb gegeben; sie hat politisch notwendige Maßnahmen mit angeschoben, etwa mit der Erklärung der Kultusministerkonferenz zur "Medienbildung in der Schule" von 2012;

sie hat gemeinsam mit Partnern aus den Ländern ein Filmbildungskonzept entwickelt und seine Anwendung unterstützt; und sie hat mit Projektbüros in allen Bundesländern Schulkino bis in den letzten Winkel der Republik gebracht.

Das Ergebnis kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen: An den SchulKinoWochen nehmen mittlerweile 783 Kinos in ganz Deutschland teil ( fast die Hälfte aller Kinos! ) , von den Löwen-Lichtspielen Kenzingen im Schwarzwald bis zum Filmtheater "Mitten im Meer" auf Borkum. Ein herzliches Dankeschön den Länderpartnern und Projektleitern, die für die SchulKinoWochen ein perfektes Zusammenspiel von Bund und Ländern hinbekommen! Fast 800.000 Schülerinnen und Schüler haben im Schuljahr 2014/2015 mit ihren Lehrkräften einen pädagogisch begleiteten Kinobesuch mitgemacht - ein Rekord!

Ich selbst habe vergangenes Jahr in meiner Heimatstadt Münster erlebt, wie VISION KINO seinem Kultur- und Bildungsauftrag mit Bravour gerecht wird, nämlich bei einer Vorführung des Ost-Roadmovies "Wir können auch anders!" - einer meiner Lieblingsfilme! - für Schulklassen. Für die Schülerinnen und Schüler war das zwar eine Art zu erzählen, die nicht ihren heutigen Sehgewohnheiten entspricht, die sie aber ganz offensichtlich als spannend empfanden.

Ein weiterer schöner und mir besonders wichtiger Erfolg der VISION KINO ist, dass die verdienstvolle Arbeit des Netzwerks kulturpolitischen wie medienpolitischen Ansprüchen gleichermaßen gerecht wird. Der Film ist ja nicht nur einfach ein Medium zur Vermittlung von Inhalten. Er ist auch ein Kunstwerk, ein Kulturgut. Filmbildung ist deshalb nicht nur Medienbildung. Filmbildung heißt auch: die kulturelle Bedeutung des Films, den künstlerischen Wert eines Films zu verstehen. Wie die Kunst insgesamt ist auch die Filmkunst avantgardistisch im besten Sinn, sie darf unbequem sein, sie gehört zum kritischen Korrektiv gesellschaftlicher Entwicklungen. Wenn sie dann auch noch unterhaltsam ist, umso besser! VISION KINO fördert das Bewusstsein dafür und damit auch die Wertschätzung für das Kulturgut Film und seinen originären Erlebnisort, das Kino - das ist pädagogisch wie kulturpolitisch ein Gewinn.

Deshalb hat VISION KINO als Pilot- und Vorzeigeprojekt der kulturellen Bildung in diesem Jahr eine quasi-institutionelle Förderung in Höhe von 625.000 Euro aus den Mitteln der Filmförderung meines Hauses erhalten. Für 2016 sind 630.000 Euro vorgesehen und dazu eine wichtige Sonderförderung in Höhe von 50.000 Euro für das Erstellen einer didaktischen CD zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Außerdem - das wurde gerade erst entschieden - soll VISION KINO 2016 noch eine Sonderförderung in Höhe von 107.000 Euro für drei Projekte für und mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen erhalten.

Kunst und Kultur können und müssen zur Integration der Menschen beitragen, die Zuflucht suchen und Asyl erhalten in Deutschland; deshalb liegt mir die Unterstützung solcher Projekte ganz besonders am Herzen, und ich weiß Sie bei Ihnen, liebe Frau Duve, und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern auch in den besten Händen. Für Ihr großes Engagement für die Filmbildung danke ich Ihnen herzlich! Danke auch all jenen, die mit Rat und Tat dazu beigetragen haben, dass VISION KINO von der Vision zu einem sehr erfolgreichen Netzwerk der kulturellen Bildung geworden ist, allen voran Dir, lieber Bernd ( Neumann ) , der Du gleich doppelt beteiligt warst - erst als Kulturstaatsminister und nun als FFA-Präsident! Schön, dass sich auch die FFA von Beginn an ebenso stark wie BKM für VISION KINO engagiert hat. Mein Haus, das kann ich Ihnen angesichts der Erfolge der vergangenen zehn Jahre versprechen, wird die Arbeit von VISION KINO auch weiterhin politisch und finanziell unterstützen! Denn kulturelle Bildung / Filmbildung ist die Voraussetzung dafür, dass der Film nicht nur als Wirtschaftsgut, sondern auch als Kulturgut eine Zukunft hat.

Thomas Edison, meine Damen und Herren, der an der Erfindung der Kinematografie nicht unwesentlich beteiligt war, hat 1913 in einem Interview gesagt: "Books will soon be obsolete in the public schools. Scholars will be instructed through the eye." Mit dieser Einschätzung lag der große Erfinder - zum Glück für das Kulturgut Buch! - zwar nicht ganz richtig, aber wahr ist: Die Schule des Sehens hat an Bedeutung gewonnen, und im digitalen Zeitalter brauchen wir sie mehr denn je für Medienkompetenz und in der kulturellen Bildung. Ich hoffe, dass VISION KINO auch in Zukunft Teil einer "Schule des Sehens" ist! In diesem Sinne: Weiterhin viel Erfolg!