Redner(in): Monika Grütters
Datum: 27. November 2015
Untertitel: In ihrer Rede zur Konferenz "Neue Perspektiven der Provenienzforschung in Deutschland" betonte Monika Grütters: "Wir haben es innerhalb kürzester Zeit geschafft, gemeinsam mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden wichtige Aktivitäten zur Suche nach NS-Raubkunst zu bündeln. In Rekordzeit von weniger als einem Jahr haben wir die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste aufgebaut. Und es freut mich sehr, dass wir nicht nur für die Stiftung, sondern auch für ihre Gremien renommierte und erfahrene Persönlichkeiten gewinnen konnten."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/11/2015-11-27-gruetters-dzkv.html
In ihrer Rede zur Konferenz "Neue Perspektiven der Provenienzforschung in Deutschland" betonte Monika Grütters: "Wir haben es innerhalb kürzester Zeit geschafft, gemeinsam mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden wichtige Aktivitäten zur Suche nach NS-Raubkunst zu bündeln. In Rekordzeit von weniger als einem Jahr haben wir die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste aufgebaut. Und es freut mich sehr, dass wir nicht nur für die Stiftung, sondern auch für ihre Gremien renommierte und erfahrene Persönlichkeiten gewinnen konnten."
Anrede, Ich und van Gogh " heißt ein Buch, das in diesem Jahr zum 125. Todestag Vincent van Goghs erschienen ist. Es zeigt Werke van Goghs aus ungewöhnlicher Perspektive. In 34 abenteuerlichen Geschichten erzählt es von ihrer Herkunft, ihrer Provenienz - und von Menschen, die nur eines gemeinsam haben, nämlich dass sie irgendwann ein Werk van Goghs ihr eigen nannten.
Der Journalist Stefan Koldehoff hat dieses Buch geschrieben - ich begrüße Sie bei dieser Gelegenheit sehr herzlich, lieber Herr Koldehoff - , und er dürfte seinen Lesern damit nicht nur interessante Einblicke in die Welt der Kunstsammler gewähren, sondern ganz nebenbei auch eine leise Ahnung vermitteln, warum die Provenienz berühmter Kunstwerke nicht nur Provenienzforscher interessieren sollte: Im Weg eines Kunstwerks durch verschiedene Hände spiegelt sich oft unsere Geschichte mit all ihren Wendungen und Brüchen.
Aus genau diesem Grund ist es vielfach unendlich kompliziert, die Geschichte eines Werkes lückenlos zurück zu verfolgen: so schwierig, dass sich damit eine eigene Forschungsrichtung beschäftigt - und gleichzeitig so wichtig, dass für ihren Erfolg die Politik mit in der Verantwortung steht. Um Verantwortung und um die Möglichkeiten, ihr gerecht zu werden, soll es im Rahmen der ersten Konferenz des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste gehen.
Auch wenn man den Tag nicht vor dem Abend - und eine Tagung nicht vor der Abschlussrede - loben soll, wage ich die Feststellung, dass allein schon der Umstand ihres Stattfindens ein Erfolg ist: zum einen wegen der hochkarätigen Rednerinnen und Redner, die uns heute "neue Perspektiven der Provenienzforschung" eröffnen, zum anderen, weil sie zeigt, dass Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände bei diesem wichtigen Thema an einem Strang ziehen.
Wir haben es innerhalb kürzester Zeit geschafft, gemeinsam mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden wichtige Aktivitäten zur Suche nach NS-Raubkunst zu bündeln. In Rekordzeit von weniger als einem Jahr haben wir die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste aufgebaut. Und es freut mich sehr, dass wir nicht nur für die Stiftung, sondern auch für ihre Gremien renommierte und erfahrene Persönlichkeiten gewinnen konnten, die ich hier besonders herzlich begrüßen darf!
Heute tritt das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste erstmals mit einer großen Tagung ins Licht der Öffentlichkeit. Ich hoffe, dass sie dazu beiträgt, das gesellschaftliche Bewusstsein für die große, historisch begründete Verantwortung zu schärfen, die uns im Zusammenhang mit der Aufarbeitung unserer Vergangenheit zu Provenienzforschung und gegebenenfalls zur Restitution verpflichtet. Und natürlich nutze ich diese Gelegenheit gerne, um die politischen Überlegungen und Erwartungen zu erläutern, die mit der Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste verbunden sind.
Wir wissen seit langem, dass zahlreiche Sammler von Kunst- und Kulturgütern, vor allem jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihr Eigentum verloren haben: Sie wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, sie wurden beraubt, sie wurden enteignet. Andere mussten ihren Besitz unter Wert veräußern oder bei Flucht und Emigration zurücklassen.
Doch viele Jahre fragte niemand nach der Herkunft von Kunstwerken - auch beim Erwerb für öffentliche Sammlungen nicht. Das hat sich erst mit der Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 geändert, deren Grundsätze durch die "Gemeinsame Erklärung" von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999 für Deutschland umgesetzt worden sind - ein leider sehr spätes Bekenntnis zur rückhaltlosen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs. Und es sollte noch weitere Jahre dauern,
bis sich allmählich ein breiteres Bewusstsein für die moralische Verpflichtung Deutschlands zu Provenienzforschung und Restitution entwickelte.
Die Koordinierungsstelle Magdeburg mit der Lost-Art-Datenbank, die Beratende Kommission unter Leitung von Frau Prof. Jutta Limbach und die Arbeitsstelle für Provenienzforschung haben dazu mit ihrer Arbeit maßgeblich beigetragen - im Bewusstsein der Verantwortung Deutschlands für die Aufarbeitung des
NS-Kunstraubs. Das gleiche gilt für die vielen verdienstvollen Forscherinnen und Forscher des Arbeitskreises Provenienzforschung, die vielfach als "Einzelkämpfer" der ersten Stunde in ihren jeweiligen Häusern und später im Zusammenschluss Pionierarbeit geleistet haben und immer noch leisten. Sie haben die Grundlage gelegt für erfolgreiche Provenienzforschung in Deutschland!
Mit dem "Schwabinger Kunstfund" vor zwei Jahren allerdings war klar: Wir brauchen für diese gewaltige Aufgabe einen zentralen Ansprechpartner - eine Institution, die die Anstrengungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien bündelt und koordiniert, um auf diese Weise die Rahmenbedingungen für Provenienzforschung weiter zu verbessern. Als ich dazu im Februar 2014 die Gründung eines Deutschen Zentrums Kulturgutverluste vorgeschlagen habe und im März - zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände - beim ersten kulturpolitischen Spitzengespräch im Bundeskanzleramt eine "Arbeitsgruppe Provenienzforschung" eingesetzt habe, waren wir uns einig, dass wir geschehenes Unrecht nicht länger fortdauern lassen wollen und bessere Strukturen für die Aufklärung der Herkunft von Kunstwerken brauchen.
Unser Land - und damit meine ich Staat und Verwaltungen genauso wie Organisationen, Einrichtungen und Privatpersonen - darf keinen Zweifel daran lassen, welche immense Bedeutung für uns alle die rückhaltlose Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs hat. Hinter einem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht ja immer auch das individuelle Schicksal eines Menschen. Diesen menschlichen Schicksalen wollten wir nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch gerecht werden.
Es geht um die Anerkennung der Opferbiografien, um die Anerkennung des Leids und des Unrechts, dem Verfolgte des NS-Regimes, insbesondere Menschen jüdischen Glaubens, unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ausgesetzt waren. Deshalb fördert der Bund die Provenienzforschung. Die Mittel des Bundes für die dezentrale Suche nach
NS-Raubkunst wurden immer wieder erhöht. Ich habe das zur Verfügung stehende Budget verdreifacht gegenüber dem Haushaltsansatz bei meinem Amtsantritt.
Die Suche nach NS-Raubkunst in Museen, Bibliotheken und Archiven und die Aufarbeitung des in seiner Systematik, in seinen Zielen und Auswirkungen einzigartigen NS-Kunstraubs zu fördern - das sind die Kernaufgaben des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Hinzu kommt die Förderung der Aufarbeitung verwerflicher Praktiken des Kulturgüterentzugs, denen Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR ausgesetzt waren - ein Thema, das morgen, am zweiten Konferenztag, mit auf der Tagesordnung steht. Außerdem kümmert sich das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste um Aufgaben im Zusammenhang mit Beutekunst. Mit dem Konzept und dem Auftrag der Einrichtung sind ganz konkrete Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Provenienzforschung verbunden:
Erstens, eine Verbesserung des Angebots für privat getragene Einrichtungen und Privatpersonen: Bei der Konzeption des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste bestand Einigkeit, dass wir Privatpersonen stärker als bisher für das Thema sensibilisieren und bei der Suche nach NS-Raubkunst unterstützen müssen. Ihr Engagement ist eine unverzichtbare Ergänzung zur geplanten Intensivierung der Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven. Der Förderbeirat wird noch in diesem Jahr Förderrichtlinien beschließen, in denen die Unterstützungsmöglichkeiten für Private näher bestimmt werden.
Zweitens, ein Förderkonzept für die Aufarbeitung verwerflicher Praktiken des Kulturgüterentzugs, denen Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR ausgesetzt waren. Mit der Erarbeitung der Grundlinien ist das Zentrum bereits befasst.
Drittens, die Verankerung der Provenienzforschung in Forschung und Ausbildung an wissenschaftlichen Hochschulen: Wenn das erforderliche Wissen und die Sensibilität für die Aufgabe schon im Rahmen der wissenschaftlichen Ausbildung vermittelt werden, stärkt das die Provenienzforschung nachhaltig. Deshalb gehören die Kooperation mit den Forschungseinrichtungen und der Auf- und Ausbau entsprechender Forschungsverbünde ebenfalls zum Auftrag des Zentrums Kulturgutverluste.
Viertens, die stärkere Vernetzung der Provenienzforschungsprojekte: Das betrifft die Kommunikation, die Zusammenarbeit und die Auswertung und Dokumentation von Erkenntnissen aus den geförderten Projekten: Die Gemeinschaft der Provenienzforscher soll auf die gesammelten Forschungsresultate zugreifen können. Von der Vernetzung profitieren vor allem die kleinen Museen, weil es oft deren einzige Chance ist, Forschung zu etablieren.
Während so manches große Museum ( etwa das Frankfurter Städel Museum oder - unter Uwe Schneede - schon sehr früh die Hamburger Kunsthalle ) eigens eine Stelle für die Provenienzforschung eingerichtet hat, sind kleine Museen häufig personell nicht in der Lage, Provenienzuntersuchungen durchzuführen. Solche Schwierigkeiten lassen sich nur lösen, wenn wir es schaffen, Projekte zu vernetzen und die Zusammenarbeit zwischen großen und kleinen Häusern - etwa in Forschungsverbünden - zu verbessern.
Klar ist jedenfalls, dass die deutschen Museen spätestens seit dem Fall "Gurlitt" nicht mehr nur an ihrer Ankaufs- und Ausstellungspolitik gemessen werden, sondern auch daran, wie sie ihre Geschichte und die ihrer Sammlungen aufarbeiten. Ich habe deshalb alle vom Bund finanzierten oder mitfinanzierten Museen aufgefordert, in ihren Museumsberichten jährlich Rechenschaft über den Stand ihrer Provenienzrecherche abzulegen.
Und schließlich noch ein fünfter Punkt: Die Provenienzforschung soll stärker als bisher auch von Kooperation und Austausch auf internationaler Ebene profitieren. Die geraubten und entzogenen Werke sind ja in alle Welt verstreut. Deshalb kann der nationalsozialistische Kunstraub nur mit Hilfe internationaler Kooperation vollständig aufgearbeitet werden. Israel ist dabei ein besonders wichtiger Partner.
Gemeinsam mit meiner damaligen Amtskollegin, der israelischen Kulturministerin Livnat, habe ich ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das eine enge Kooperation bei der Provenienzforschung vorsieht. Als eine große Geste der Anerkennung und des Vertrauens empfinde ich es auch, dass sich die israelische Regierung bereit erklärt hat, ein Mitglied für das Kuratorium zu benennen - nämlich Herrn Prof. Azaryahu, den ich heute ebenfalls herzlich willkommen heiße.
Mit all diesen Veränderungen kann das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste neue Perspektiven der Provenienzforschung in Deutschland eröffnen und wird, da bin ich sicher, insbesondere die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs in den nächsten Jahren ein gutes Stück voran bringen. Von Ihren Perspektiven, von Ihren Meinungen und auch von Ihrer konstruktiven Kritik, meine Damen und Herren, kann das noch junge Zentrum nur profitieren. Deshalb freue ich mich, nationale und internationale Kooperationspartner des Zentrums mit so viel wissenschaftlicher Expertise für die Diskussionen heute und morgen versammelt zu sehen.
Die Zusammenführung der Koordinierungsstelle Magdeburg und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung ist geglückt; der Übergang auf das Zentrum ist trotz aller - für eine Startphase ganz normalen - Schwierigkeiten gelungen; die Weichen für eine Stärkung der Provenienzforschung sind gestellt. Ich danke allen, die dazu in den vergangenen eineinhalb Jahren mit viel Sachverstand und Engagement beigetragen haben - nicht zuletzt den ehemaligen Leitern der "Vorläufer" -Einrichtungen, Herrn Dr. Franz und Herrn Dr. Hartmann. Sie haben mit Ihrer Arbeit eine solide Basis für die Provenienzforschung in Deutschland geschaffen, auf der wir heute weiter aufbauen können.
Zu den konkreten Projekten des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zählen die Taskforce Schwabinger Kunstfund und ab 2016 auch die Fortsetzung der Provenienzrecherche im Zusammenhang mit der Sammlung Gurlitt. Ziel der Bundesregierung ist und bleibt es, die Herkunft der Bilder aufzuklären, die sich im Besitz Cornelius Gurlitts befanden - im Sinne der rechtmäßigen Erben von Werken, die sich NS-Raubkunst erweisen, aber auch im Sinne der Aufarbeitung unserer NS-Vergangenheit und der Verpflichtung zu Transparenz.
Wie von Anfang an vorgesehen, schließt die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" ihre Arbeit Ende 2015 ab - wenn auch leider nicht ganz so,
wie wir alle es uns wohl erhofft hatten, als Bund und Freistaat Bayern sie vor knapp zwei Jahren eingesetzt haben. Dennoch danke ich der Vorsitzenden der Taskforce, Frau Dr. Berggreen-Merkel, sehr herzlich, dass Sie diese komplexe und auch komplizierte, anspruchsvolle Aufgabe übernommen hat. Damals war schnelles Handeln gefragt, weil es noch keine Struktur gab, um die Herkunft der Bilder zu klären.
Seit diesem Jahr haben wir mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste die damals noch fehlenden Strukturen. Das von meinem Haus getragene Folgeprojekt für die Sammlung Gurlitt weiß ich deshalb beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in besten Händen. Zu Aufarbeitung und Transparenz soll auch die für Ende 2016 geplante Ausstellung von Werken der Sammlung Gurlitt beitragen, bei denen nicht auszuschließen ist, dass es sich um NS-Raubkunst handeln könnte. Sie soll an die Opfer erinnern, den Berechtigten die Möglichkeit geben, ihre Ansprüche geltend zu machen, aber auch die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.
Eine Erfahrung wird uns dabei sicher auch in Zukunft nicht erspart bleiben: Es ist mühsam, langwierig und oft ungeheuer schwierig, die Herkunft eines Kunstwerks über Jahrzehnte zurück zu verfolgen und zweifelsfrei zu klären. Sie, lieber Herr Prof. Schneede, haben deshalb kürzlich über die Provenienzforschung gesagt, ich zitiere: "Anfangs dachte ich, das wäre in zwei, drei Jahren erledigt. Heute sehe ich: Es geht vielleicht um eine endlose Aufgabe."
Dass wir uns dieser "vielleicht endlosen Aufgabe" stellen, meine Damen und Herren, das sind wir den ihres Eigentums und ihrer Rechte beraubten, von den Nationalsozialisten verfolgten und vielfach ermordeten Menschen schuldig. Ich danke all jenen, die uns dabei mit Ihrer Expertise unterstützen und zur Seite stehen! Ihnen allen wünsche ich einen inspirierenden Gedankenaustausch über neue Perspektiven der Provenienzforschung!