Redner(in): Angela Merkel
Datum: 15. März 2015

Anrede: Sehr geehrter Herr Vizepremier Ma Kai, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,liebe Kollegen aus dem Kabinett, sehr geehrter Herr Professor Kempf undsehr geehrter Herr Ma,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/03/2015-03-16-bk-cebit.html


Wie wir miteinander kommunizieren, wie wir lernen, wirtschaften, arbeiten das alles durchdringt der digitale Wandel; und zwar mit rasanter Geschwindigkeit und in allen Wirtschaftsräumen der Welt. Und so kann man sagen, dass sich Digitalisierung und Globalisierung gegenseitig bedingen; beides gehört zusammen. Die CeBIT greift dies mit ihrem diesjährigen Motto "d! conomy" auf. Es verknüpft die Begriffe "digital" und "economy"; und das noch mit einem Ausrufezeichen also eine deutliche Ansage, wie wirtschaftlicher Fortschritt in Zukunft definiert wird.

Auf der CeBIT können wir viele Eindrücke gewinnen, wie digitale Technologien die Wirtschaft geradezu revolutionieren. Deshalb gilt sie auch als das zentrale Schaufenster, in dem Hightech-Unternehmen aus aller Welt ihre neuesten und vielleicht auch bahnbrechenden Entwicklungen präsentieren. Viele deutsche Unternehmen haben Erstaunliches zu bieten. Das zeigt, wie weit wir schon auf dem Weg sind. Erst vor wenigen Tagen konnte ich mich bei einem Unternehmensbesuch in Fragen der digitalen Fabrik näher informieren.

Mir ist zwar seitens der Hannover Messe nahegelegt worden, ich soll nicht wieder sagen, dass CeBIT und Hannover Messe enger zusammenwachsen würden. Aber es sind inzwischen auch wieder einige Industrievertreter auf der CeBIT anwesend. Und digitale Spezialisten werden wahrscheinlich auch auf der Hannover Messe anwesend sein. Die digitale Vernetzung der Industrieproduktion und darauf aufbauende Smart Services scheinen ja auch unendlich neue Möglichkeiten zu bieten. Wir in Deutschland knüpfen besonders an das an, was wir "Industrie 4.0" nennen an die Erwartung, dass unsere hohe Industriekompetenz auch im digitalen Zeitalter fortentwickelt werden kann.

Aber der Wettbewerb ist groß, der Wettbewerb ist global. Inzwischen kommen auch viele starke Wettbewerber aus China. Auch und gerade im Bereich der digitalen Wirtschaft verfügen deutsche und chinesische Unternehmen jeweils über eigene Stärken. Daher bieten sich ich kann das, was hier eben schon gesagt wurde, nur aufnehmen Kooperationen auch geradezu an. Die deutsche Wirtschaft schätzt China nicht nur als wichtigsten Handelspartner außerhalb Europas, sondern auch als Partner bei der Entwicklung anspruchsvoller Technologien. Dies war einer der Gründe, warum wir bei den letzten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen Premierminister Li Keqiang hat in seinem Videogrußwort daran erinnert auch vereinbart haben, dass das Jahr 2015 das Jahr der Innovationspartnerschaft sein soll. Dass China Partnerland der CeBIT ist, ist ein wesentlicher Baustein dieses Jahres der Innovationspartnerschaft.

Ich möchte mich bedanken für die Worte, die der Vizepremier an uns gerichtet hat, und für die Worte, die uns der Premierminister nach Hannover übermittelt hat. Und ich möchte die 600 Unternehmen aus China, die das Partnerland hier verkörpern und sichtbar machen, seitens der deutschen Bundesregierung ganz herzlich auf der CeBIT begrüßen. Sie sind diejenigen, die Innovationen verkörpern.

Die Aufgabe der Politik besteht ja darin, staatliche Hindernisse für Handel, Investitionen und gemeinsame Innovationen so weit wie möglich zu beseitigen. Dazu gehört auch, geeignete rechtliche Grundlagen dafür zu schaffen, dass neue Ideen und neue Patente geschützt werden. Unternehmen und Investoren haben ein natürliches Interesse daran, zu wissen, unter welchen Rahmenbedingungen sie arbeiten Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Gleichbehandlung der verschiedenen Unternehmen in unseren Ländern. Deshalb würden wir uns auch freuen, wenn die Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und China vorangebracht werden. Deutschland setzt sich für einen baldmöglichen Abschluss ein.

Die Wirtschaftsnation Deutschland versteht sich in der Welt als innovativer Partner, der nicht nur gute Ideen entwickelt, sondern diese auch immer wieder in hervorragende Marktlösungen umsetzen will. Das gilt natürlich für den digitalen Bereich genauso wie für die klassische Industrie. Wir müssen dafür aber auch grundlegende Voraussetzungen schaffen. Deshalb hat die Bundesregierung die umfassende "Digitale Agenda 2014 - 2017" verabschiedet. Wir greifen all die Themen auf, die für die digitale Transformation von Relevanz sind. Wir wollen zeigen: Deutschland kann das. Wir haben uns zehn Handlungsschwerpunkte vorgenommen, auf die ich kurz eingehen möchte.

Wir forcieren erstens den Breitbandausbau. Wir wollen, dass 2018 überall in Deutschland mindestens 50 Mbit / s verfügbar sind. Wir setzen dabei auch auf funkgestütztes, mobiles Breitband. Hierfür sind Frequenzversteigerungen notwendig. Diese werden spätestens ab Juni erfolgen können. Hierfür laufen jetzt die Vorbereitungen. Mit den Erlösen aus der Versteigerung werden wir dann weitere Anreize auch für Investitionen gerade in ländlichen Regionen geben, wo der Breitbandausbau wirtschaftlich noch wenig attraktiv ist. Damit Wertschöpfung auch im ländlichen Raum stattfinden kann, sollen hier auch die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Zweitens. Auch bei der Verfügbarkeit von WLAN im öffentlichen Raum wollen wir aufholen. Wir haben hierbei im Vergleich zu anderen Ländern im Augenblick noch einen Rückstand. Einen wichtigen Schritt für mehr WLAN-Spots in Deutschland geht die Bundesregierung jetzt mit einer Klarstellung von Haftungsregeln. Damit wird es sehr viel leichter werden, im öffentlichen Raum einen kostenlosen Zugang zu WLAN anzubieten. Das gilt für die öffentlichen Anbieter. Wir haben den Entwurf eines entsprechenden Telemediengesetzes auf den Weg gebracht.

Drittens. Wir haben in Deutschland viele kluge Köpfe, die mit neuen Ideen ihr eigenes Unternehmen gründen. Berlin und andere Städte sind Zentren für Existenzgründer in der digitalen Wirtschaft geworden. Für neue oder junge Unternehmen ist der Zugang zu Wagniskapital entscheidend. Wir haben daher die Zuschüsse an Business Angels von der Steuer freigestellt. Das heißt, der Zuschuss kommt bei Business Angels in voller Höhe an und kann entsprechende Wirkung entfalten. Die Steuerfreistellung gilt rückwirkend seit dem Jahr 2013.

Wir planen zudem, dass mit dem ERP-Sondervermögen und dem Europäischen Investitionsfonds eine gemeinsame Wachstumsfazilität von 500 Millionen Euro eingerichtet wird. Diese Mittel stehen neben Privatgeldern dann auch für großvolumige Wagniskapitalfinanzierungen zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die KfW ihr Engagement für junge, technologieorientierte Unternehmen und ihre Förderung von Wagniskapital neu ausrichten und erhöhen wird.

Wir wollen außerdem die Börse als Finanzierungsquelle für junge Unternehmen attraktiver machen. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat einen runden Tisch eingerichtet, um entsprechende Möglichkeiten auszuloten.

Mögen die Ideen von Start-ups noch so vielversprechend sein wirtschaftliche Erfolge sind dennoch nicht automatisch vorprogrammiert. Daher ist ein wichtiges Thema auch der steuerliche Umgang mit Verlusten, der EU-rechtlichen Vorgaben unterliegt. Wir werden alles daransetzen die Minister Gabriel und Schäuble tun das, um hierbei mit der EU-Kommission eine gemeinsame Lösung zu finden.

Meine Damen und Herren, das heißt, wir wollen die Gründerkultur vorantreiben von der Anfangsphase in der Hochschule bis nach dem Ausstieg der Venture-Capital-Fonds. Wir sind durchaus dazu bereit, in Deutschland Konkurrenz und Wettbewerb zuzulassen. Die Gründerszene in Berlin habe ich genannt. Ich sehe den sächsischen Ministerpräsidenten; Dresden ist natürlich auch immer mit dabei. Ich vermute, der bayerische Ministerpräsident, auch wenn er heute nicht da ist, will auch mitziehen. Und wenn ich den niedersächsischen Ministerpräsidenten sehe, dann glaube ich, Hannover möchte nicht nur zu Zeiten der CeBIT vorne mit dabei sein. Die heutige Auszeichnung durch Ministerin Wanka zeigt ja, welche interessanten Ideen auch in Niedersachsen geboren werden.

Viertens. Anwendungen wie Cloud Computing oder Big Data bieten erhebliche Chancen für Innovationen. Zugleich bergen sie aber auch neue Gefahren der Diskriminierung, der Manipulation, der Fremdbestimmung des Einzelnen. Es sind neue Schutzkonzepte erforderlich wie etwa Transparenzgebote, Widerspruchsrechte, Maßnahmen der Anonymisierung. Aber wir müssen eine richtige Balance finden. Hierüber laufen die Verhandlungen, die der Bundesinnenminister zur EU-Datenschutzgrundverordnung führt. Diese Datenschutzgrundverordnung wird ja die Eigenschaft haben, dass sie, wenn sie verabschiedet sein wird, in ganz Europa unmittelbar gelten wird. Das heißt, wenn wir kein richtiges Big-Data-Management hinbekommen, dann werden wir in Europa, nicht nur in Deutschland, für lange Zeit eine schlechte Regelung haben, was Dynamik und Wachstum anbelangt. Aber wenn wir es klug machen und das gebotene Sicherheitsbedürfnis mit einem innovativen Big-Data-Management vereinbaren, dann könnten wir ganz vorne auf der Welt mit dabei sein.

Fünftens. Ich kann die EU-Kommission in ihrem Bestreben nur unterstützen, einen einheitlichen europäischen digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Es ist ganz besonders wichtig, dass dies schnell geschieht. Ich habe hierüber auch mit Kommissar Günther Oettinger gesprochen. Wir brauchen geeignete Rahmenbedingungen, die europaweit das Investitionsumfeld für digitale Dienstleistungen verbessern egal wer diese Dienstleistungen anbietet.

Sechstens. Zur Vollendung des digitalen Binnenmarkts gehört auch die schrittweise Integration im Bereich Telekommunikation. Ein erster Schritt ist ein rascher Abschluss der derzeit in Brüssel verhandelten Regelungen zur Netzneutralität und zum Roaming. Herr Professor Kempf hat auf die Fragestellung der Netzneutralität hingewiesen. Ich darf Ihnen sagen: Die Bundesregierung vertritt hierbei eine Position, die nicht einfach nur auf Best Effort abstellt, sondern die auch bestimmte Dienste, die sicher funktionieren müssen, genau im Blick hat. Ich glaube, mit dieser Position gibt es gute Möglichkeiten, auch in Europa einen Abschluss zu finden. Wir müssen hierbei jedenfalls schnell vorankommen. Ich sehe gerade, dass Herr Gabriel und Herr Kempf sich die Hand reichen; das ist ein gutes Zeichen. Man hat so einige Privilegien, wenn man hier vorne steht.

Siebtens. Inwieweit die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, hängt natürlich auch vom Vertrauen in die Verlässlichkeit neuer digitaler Lösungen ab. Um dieses Vertrauen zu untermauern, hat die Bundesregierung den Entwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll dafür Sorge tragen, dass die kritische Infrastruktur Energieversorgung, Verkehr, Gesundheitswesen auch wirklich verlässlich funktioniert. Ich glaube, dass dieses IT-Sicherheitsgesetz damit auch die Blaupause dafür liefert, wie wir uns dann in Brüssel bei den entsprechenden Themen aufstellen.

Achtens. Wir brauchen einen einfachen und sicheren Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen. Der deutsche Föderalismus, so gut er insgesamt ist, ist nicht immer ein Geschwindigkeitstreiber, wie ich sagen würde. Wir sollten lernen, vom Bürger aus zu denken, dem meistens nicht genau bewusst ist, wer gerade zuständig ist, der aber einfache Handhabungen möchte. Die Nutzung des neuen Personalausweises bietet bessere Möglichkeiten. Und die Behördennummer 115 will ich auch noch einmal anpreisen. Je einheitlicher wir vorangehen, umso besser verstehen die Menschen, was wir tun.

Neuntens. Forschung und Innovation sind grundsätzlich von allergrößter Bedeutung. Wir haben die große Chance, Lösungen auch im Bereich IT-Sicherheit voranzubringen. IT-Sicherheit made in Germany kann zu einem überzeugenden Markenzeichen werden. Dem dient das neue Forschungsrahmenprogramm zur IT-Sicherheit, das wir jüngst im Kabinett beschlossen haben. Hierbei geht es um neue Lösungen für sichere Hardware, vertrauenswürdige IKT-Systeme und IT-Sicherheit für die Industrie. Es geht darum, das gesamte Know-how der Unternehmen zu schützen. Deshalb ist dieses Thema natürlich auch von größter Bedeutung.

Zehntens. Von den vielen Möglichkeiten der Digitalisierung möchte ich nur eine herausgreifen pars pro toto: Die vernetzte Mobilität. Deutschland als Autoland genießt einen hervorragenden Ruf. Und so soll es auch bleiben, wenn es um einen grundsätzlichen Wandel der Automobilindustrie hin zu völlig neuen Anwendungen geht. Bis zur Internationalen Automobil-Ausstellung im September werden wir erste Eckpunkte vorlegen, mit denen wir das automatisierte Fahren in Deutschland stärken. Auf der A 9 wo anders als in Bayern? richtet das Verkehrsministerium derzeit das sogenannte digitale Testfeld Autobahn ein, um automatisiertes Fahren praktisch zu erproben.

Meine Damen und Herren, ich habe diese zehn Punkte hier präsentiert, um Ihnen auch deutlich zu machen: zwischen der CeBIT im letzten Jahr und der diesjährigen CeBIT gibt es auch im Regierungshandeln deutliche Fortschritte. Ich hoffe, im nächsten Jahr auch über europäische Lösungen berichten zu können, die dringend erforderlich sind, um die Binnenmarktfähigkeit Europas, die Möglichkeiten und Potenziale, die sich aus dem Markt von 500 Millionen Menschen ergeben, noch besser zu nutzen.

Zunächst aber wünsche ich Ihnen jetzt eine erfolgreiche CeBIT, eine erfolgreiche Präsentation der chinesischen Unternehmen. Wir wissen, dass wir mit Ihnen, mit China im Wettbewerb stehen. Sehr geehrter Herr Stellvertretender Ministerpräsident, das belebt das Geschäft, wie wir in Deutschland sagen. Das verhilft uns auch immer wieder zu guten neuen Ideen. Ich wünsche Ihnen allen hervorragende, erfolgreiche Messetage, allen Ausstellern aus den 70 Ländern alles Gute, gute Geschäfte, neue Erkenntnisse und erkläre mit all diesen Wünschen die CeBIT 2015 für eröffnet.

Herzlichen Dank.