Redner(in): Monika Grütters
Datum: 12. Dezember 2015

Untertitel: Thema eines Symposiums des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler war der Umgang mit Künstlernachlässen. "Dabei geht es nicht nur um die spezifischen Interessen einer Berufsgruppe, sondern um ein öffentliches Interesse und nicht zuletzt auch um unser Selbstverständnis als Kulturnation", erklärte Kulturstaatsministerin Grütters zur Eröffnung.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/12/2015-12-14-gruetters-symposium-kuenstlernachlaesse.html


Thema eines Symposiums des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler war der Umgang mit Künstlernachlässen."Dabei geht es nicht nur um die spezifischen Interessen einer Berufsgruppe, sondern um ein öffentliches Interesse und nicht zuletzt auch um unser Selbstverständnis als Kulturnation", erklärte Kulturstaatsministerin Grütters zur Eröffnung.

Gustave Flaubert, Edvard Munch und Frank Sinatra haben etwas gemeinsam:

Erstens: Sie würden, wenn sie noch lebten, alle heute, am 12. Dezember, Geburtstag feiern: Flaubert den 194. , Munch den 152. und Sinatra den 100. Zweitens: Obwohl sie nicht mehr leben, sind sie mit ihrem künstlerischen Vermächtnis immer wieder in den Feuilletons präsent, ganz nach dem Motto des heutigen Symposiums "Anlass: Nachlass". So fand sich von Gustave Flaubert vor nicht allzu langer Zeit ein Konvolut bisher unbekannter Texte, die 2004 und 2008 zur Freude von Liebhabern der französischen Literatur auch auf Deutsch erschienen. Edvard Munch wiederum, der seinen gesamten Nachlass der Stadt Oslo vermacht hatte, wurde 2008 die Ehre eines vierbändigen Werksverzeichnisses des Munch Museums Oslo zuteil. Und auch Frank Sinatra macht posthum von sich reden: Anlässlich seines heutigen 100. Geburtstags erscheinen bisher unveröffentlichte Aufnahmen eines Auftritts im Jahr 1966 in Las Vegas - wenn auch nur als Beigabe einer nach ihm benannten limitierten Whiskey-Sonderedition, denn Whiskey war sein Lieblingsgetränk.

Diese sehr spezielle Form des Andenkens mag für Freunde erlesener Spirituosen und Weine eine reizvolle Vorstellung sein. Doch die meisten Künstlerinnen und Künstler wären wohl schon mit der Gewissheit zufrieden, dass ihr Werk sie selbst überlebt - und zwar nicht in Luftpolsterfolie und Umzugskisten verpackt auf einem staubigen Dachboden oder in einem feuchten Keller, sondern so, dass es lebendig bleibt und nicht in Vergessenheit gerät. Das ist leichter gesagt als getan, und deshalb bin ich Ihnen, lieber Herr Schaub, und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Bundesverband Bildender Künstler außerordentlich dankbar dafür, dass Sie sich der Frage eines angemessenen Umgangs mit Künstlernachlässen annehmen.

Dabei geht es nicht nur um die spezifischen Interessen einer Berufsgruppe, sondern um ein öffentliches Interesse und nicht zuletzt auch um unser Selbstverständnis als Kulturnation. Wie ein Land mit seinem kulturellen Erbe umgeht, sagt viel über die gesellschaftliche Wertschätzung für Künstlerinnen und Künstler und damit über die Verfasstheit einer Demokratie. Es liegt im Interesse der Allgemeinheit, Künstlernachlässe als Teil unseres kulturellen Erbes zu schützen und zu bewahren, denn darin werden unsere Erinnerungen, unsere Werte, unsere Perspektiven auf die Welt sichtbar und erfahrbar. Aus diesem Grund kann ich die Initiative des BBK, erstmals einen umfassenden Überblick zur aktuellen Situation der Sicherung von Künstlernachlässen in Deutschland zu erarbeiten, nur unterstützen. Das gehört zu einer soliden Grundlage für fachwissenschaftliche wie auch kulturpolitische Diskussionen, und deshalb hoffe ich sehr, dass dieses Kompendium mit der heutigen Tagung eine breite ( Kultur- ) Öffentlichkeit erreicht.

Die Bildende Kunst hat hier erheblichen Nachholbedarf. Während die Nachlässe etwa der Schriftstellerinnen und Schriftsteller schon seit Ende des 19. Jahrhunderts - seit der Gründung des ersten deutschen Literaturarchivs in Weimar - Aufnahme in einem dichten Netz nationaler, regionaler und lokaler, staatlicher wie teilweise auch privater Archive finden, ist der Umgang mit Nachlässen Bildender Künstlerinnen und Künstler erst in jüngerer Zeit zu einem kulturpolitischen Thema geworden. Darüber eine breite kulturpolitische Debatte zu führen, ist auch deshalb wichtig, weil es sich dabei um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt. Patentlösungen gibt es nicht - und auch nicht die eine Instanz, an die sich diese Herausforderung delegieren ließe.

Die Museen, Sachverwalter des materiellen Kulturerbes, sind allein schon aus Gründen räumlicher Beschränktheit überfordert mit kompletten Künstlernachlässen, zu denen einerseits Schriftgut wie Briefe und Aufzeichnungen und andererseits Werke ganz unterschiedlicher Größe - das meine ich im wörtlichen wie im übertragenen, qualitativen Sinne - zählen. Sie wollen aus nachvollziehbaren Gründen nur wenige repräsentative Werke oder Werkgruppen, und kaum ein Künstler darf sich Hoffnungen machen auf ein eigenes Museum wie Edvard Munch in Oslo... .

Auch Kunsthändler und Galeristen eignen sich als Garanten einer der künstlerischen Leistung angemessenen Nachlassverwaltung nur bedingt. Entscheidend ist der Marktwert eines Künstlers, einer Künstlerin, doch schützenswert und bewahrenswert ist nicht nur das, was einen Marktwert hat."Das ist häufig der Lauf der Avantgarden", schrieb der Schriftsteller Martin Mosebach über eine der spät entdeckten und publizierten Schrift Gustave Flauberts,"- aus den ausweglosen Verzweiflungen missverstandener Einzelgänger geboren zu werden, um nach hundert Jahren in den Strom der offiziellen Kultur einzumünden." So mancher Künstler ist seiner Zeit voraus, so manches Werk erfährt erst spät die verdiente Anerkennung.

Deshalb ist es ein großer Fortschritt für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes, dass in den vergangenen Jahren eine Vielzahl lokal oder regional verwurzelter und von ehrenamtlichem Engagement getragener Initiativen zur Nachlasspflege entstanden sind. Es sind Vereine, Initiativen und Einrichtungen, deren Mitglieder sich dem kulturellen Erbe ihrer Heimat verpflichtet fühlen. Sie bewahren künstlerische Vermächtnisse nicht nur vor dem Vergessen, sondern leisten auch eine Menge für die Beratung der Erben und - wenn zu Lebzeiten gewünscht - auch der Künstlerinnen und Künstler selbst. Schön, dass der BBK ihnen mit dem heutigen Symposium die Möglichkeit gibt, sich vorzustellen!

Neben Museen, Kunsthändlern, Galeristen und privaten Initiativen ist nicht zuletzt auch der Staat gefordert. Das fällt zunächst und vorrangig in die kulturhoheitliche Zuständigkeit der Länder; es gibt hier keine Kompetenz des Bundes. So wird das finanzielle Engagement meines Hauses für das Archiv für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds in Brauweiler bei Köln eine Ausnahme bleiben. Denn bisher übernimmt nur dieses Archiv Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern, über deren nationale und internationale Bedeutung breiter Konsens besteht. Wenn das Land Nordrhein-Westfalen in gleicher Höhe fördert, werden wir 2,5 Millionen Euro für einen Erweiterungsbau zur Verfügung stellen. Zumindest zwei kulturföderalistisch erlaubte Umwege gibt es aber, über die auch der Bund zu einem für eine Kulturnation angemessenen Umgang mit Künstlernachlässen beitragen kann: Mein Haus fördert sowohl die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts ( KEK ) als auch den Deutschen Museumsbund - und damit zwei Institutionen, deren Unterstützung sowohl bestehende als auch in Gründung befindliche Archive zur Sicherung dokumentarischer und künstlerischer Nachlässe in Anspruch nehmen können.

Jenseits ganz praktischer Aspekte des Umgangs mit Künstlernachlässen, die heute Ihr Thema sein werden - von der Finanzierung bis zur Vorsorge zu Lebzeiten - , müssen wir uns schon angesichts offensichtlicher Kapazitäts-grenzen immer wieder auch darüber verständigen, was möglich und was nötig ist, um Künstlernachlässe als Teil unseres kulturellen Gedächtnisses zu erhalten, welche Auswahl zu treffen ist und nach welchen Kriterien dies geschehen soll. Dass darüber nicht allein die Politik bestimmt, sondern dass die Verantwortung in vielen verschiedenen Händen liegt - in den Händen von Kulturpolitikern, Kunstmuseen, Kunsthändlern und Galeristen und auch von privaten, ehrenamtlich getragenen Initiativen - das ist aus meiner Sicht kein Nachteil, sondern ganz im Gegenteil ein kulturpolitischer Gewinn. Denn eine breite Auseinandersetzung mit Künstlernachlässen hilft uns nicht zuletzt, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Kunst nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert hat - und dass es im so genannten Kunstbetrieb eben nicht nur um die erzielbaren Preise, sondern auch um die Bedeutung eines Œuvres für eine bestimmte Zeit, für eine bestimmte Region, für unsere Kulturgeschichte und unsere Identität geht ( oder jedenfalls gehen sollte ) .

Zum Künstlerdasein gehört, frei nach Heinrich Böll gesprochen, immer auch "eine bestimmte Art verrückten Mutes - der Wunsch, diesem unendlichen Ozean von Vergänglichkeit einen freundlichen oder zornigen Fetzen Dauer zu entreißen". In diesem Sinne hoffe ich, meine Damen und Herren, dass das BBK-Symposium zur Auseinandersetzung mit dem Wert der Kunst und der Bedeutung unseres kulturellen Erbes in einem "Ozean der Vergänglichkeit" anregt, und all jenen, die mit Künstlernachlässen zu tun haben, dabei hilft, diesem Ozean der Vergänglichkeit "einen Fetzen Dauer" abzutrotzen.