Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11. Januar 2016
Anrede: sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Frau Dreyer,sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,sehr geehrte Mitglieder des rheinland-pfälzischen Landtags,liebe Julia Klöckner und liebe Fraktionsvorsitzende,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/01/2016-01-12-jahresempfang-wirtschaft.html
Sehr geehrte Präsidenten der Wirtschaftsverbände und Kammern stellvertretend möchte ich Herrn Günster, Herrn Leverkinck und Herrn Friese nennen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und aus dem Europäischen Parlament und natürlich vor allem Sie, die Mitglieder der Kammern, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer,
Es ist für mich eine große Ehre, heute bei Ihnen zu sein. Sie sind relativ einzigartig was Rheinhessen sowieso ist darin, wie Sie Ihren Neujahrsempfang strukturieren. Man muss nicht die verschiedenen Organisationen aufsuchen, sondern sie alle kommen zusammen, was für die Interaktion der verschiedenen Unternehmen sicherlich ebenso gut ist wie für die Besucher. Herzliche, gute Wünsche zum Jahr 2016 von meiner Seite, Gesundheit für Sie alle, Erfolg und man muss es in diesen Zeiten sagen uns allen ein friedliches Jahr, ein Jahr mit weniger Kriegen auf der Welt und mehr Frieden. Das würde uns allen zugutekommen.
Meine Damen und Herren, für Sie beginnen die Feierlichkeiten zu 200 Jahren der Region Rheinhessen und das angesichts einer über 2000-jährigen Geschichte. Diese Region präsentiert sich heute in voller Blüte. Da muss ich nicht erst ein Fan werden, sondern da kann man wirklich ein Fan sein, selbst wenn man nicht hier lebt. Wo ich herkomme, ist es auch schön, aber bei uns war vor 2000 Jahren nicht so viel los, wenn es um kulturelle Entwicklung ging; das muss man sagen. Einen großen Beitrag zur Prosperität der Region hier leisten natürlich die, die in Unternehmen arbeiten, die Arbeitsplätze schaffen, die Steuern zahlen, die diese Region stark machen und sich damit auch um das Gemeinwohl in Deutschland verdient machen.
Die Wurzeln reichen also sehr lange zurück, aber erst nach dem Wiener Kongress wurde schließlich die Provinz Rheinhessen geschaffen. Sie hat sich gut entwickelt ich sagte es schon. Fast hellseherisch schrieb zur 100-Jahr-Feier der damalige Großherzog Ernst Ludwig ich möchte ihn zitieren: "Die stolzen, unter meiner Regierung erbauten Rheinbrücken sind Wahrzeichen des wachsenden Verkehrs und Wohlstandes." Der Mann muss gewusst haben, was auch 100 Jahre später los ist. Jedenfalls spielen die Rheinbrücken auch heute noch eine beträchtliche Rolle. Ich glaube, das Thema Schiersteiner Brücke hat auf etwas aufmerksam gemacht, das uns alle in Deutschland bewegt, nämlich: Auch wenn es uns gut geht, müssen wir immer wieder an die Investitionen der Zukunft denken und einiges dazu beitragen.
Es geht uns im Augenblick vergleichsweise gut: stabiler wirtschaftlicher Aufschwung, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Wir haben über 43 Millionen Erwerbstätige. Es wird heute mehr darüber gesprochen, wo wir Fachkräfte herbekommen, als über die Fragen der Arbeitslosigkeit, obwohl ich daran erinnern möchte: Wir haben immer noch fast drei Millionen Arbeitslose, darunter sehr viele Langzeitarbeitslose. Auch das dürfen wir in Deutschland nicht vergessen. Wir kennen hierbei auch unsere staatliche Verantwortung.
Fachkräftesicherung das ist ein Thema, das Sie sehr stark beschäftigt. Bei allen Investitionen, bei allem, was wir tun, müssen wir vor allem alles daransetzen, dass wir auch in Zukunft die Arbeitskräfte haben, die notwendig sind. Auch ich werde später noch zur Digitalisierung Stellung nehmen, die den Fachkräftebedarf nochmals erheblich verschieben wird. Ich stimme auch dem zu, was soeben gesagt wurde, nämlich dass die Balance von akademischer und dualer Ausbildung eine wichtige Sache ist nicht, dass wir eines Tages unser duales Ausbildungssystem global bekannt gemacht haben, aber in Deutschland keiner mehr eine Berufsausbildung machen möchte.
Deshalb geht es sicherlich darum, dass die staatlichen Institutionen zeigen, was sie tun, um auch die berufliche Ausbildung akzeptabel zu machen. Die Verbesserung des Meister-BAföG scheint den Handwerkern noch nicht auszureichen; ich will trotzdem erwähnen, dass wir hierfür einiges getan haben. Aber ich will auch sagen: Es kommt darauf an, dass wir Erfolge haben. Wir haben zurzeit eine Entwicklung, in der zwar vielleicht nicht so viele, wie Sie wünschen, eine berufliche Ausbildung antreten, aber die allermeisten beenden dann auch die Lehre. Das aber kann man von der universitären Ausbildung nicht unbedingt sagen. Wir haben leider noch zu viele Studienabbrecher. Es wäre gut, wir hätten nicht nur viele gute Studienanfänger, sondern auch viele gute Abschlüsse. Darauf hinzuwirken, müssen wir in Zukunft noch mehr Wert legen.
Meine Damen und Herren, wir werden die Potenziale, die Möglichkeiten, die wir haben, um mehr Fachkräfte zu gewinnen, ausschöpfen müssen. Da geht es erstens um gute Schulabschlüsse. Es geht zweitens um Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Möglichkeiten für Frauen, heute erwerbstätig zu sein, sind in den letzten Jahren verbessert worden, aber die Frage, wie wir das weiter verbessern können, wird auch in Zukunft die politische Diskussion bestimmen.
Viele von Ihnen waren nicht zufrieden mit den Beschlüssen der Bundesregierung zur Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren. Deshalb haben wir in einer Koalitionsarbeitsgruppe über flexible Möglichkeiten des Renteneintritts diskutiert. Ich hoffe, dass wir diese bald in Gesetzesform gießen können. Wer möchte ich betone ausdrücklich: wer möchte, soll auch nach dem offiziellen Renteneintrittsalter die Möglichkeit haben, weiterzuarbeiten und dafür entsprechende Rahmenbedingungen vorzufinden.
Wir werden natürlich auch weiter über den Zuzug ausländischer Fachkräfte reden müssen. Deutschland hat seine Offenheit in den letzten Jahren deutlich verbessert. Nach OECD-Aussagen stehen wir hierbei sehr viel besser da als vor einigen Jahren. Es weiß vielleicht noch nicht jeder auf der Welt, aber wir sind schon ganz gut aufgestellt.
Die Bundesregierung konnte jetzt zum dritten Mal hintereinander einen Haushalt ver-abschieden, der keine neuen Schulden aufweist. Das ist mit Blick auf den demografischen Wandel natürlich etwas sehr Wichtiges, nämlich ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Solide Haushalte schaffen auch wieder Spielräume für Investitionen in Infrastrukturen. Wie wichtig das ist, hatte ich ja schon erwähnt.
Wir werden im Verkehrsbereich und im Bereich der digitalen Infrastruktur unsere jährlichen Ausgaben bis 2018 um 40 Prozent steigern; das heißt, auf etwa 14 Milliarden Euro. Wir konnten im vergangenen Jahr die Baufreigabe für 72 Bundesfernstraßenprojekte erteilen. Rheinland-Pfalz ist auch mit dabei. Die Mittel für das Brückensanierungsprogramm werden auf zwei Milliarden Euro verdoppelt. Das wird sicherlich auch Brücken über den Rhein zugutekommen.
Es geht also nicht nur um Neubau, sondern es geht vor allen Dingen auch darum, die Qualität unserer Verkehrsnetze zu erhalten. Gerade in den alten Bundesländern hat sich dieses Thema in den letzten Jahren als ein großes Thema herausgestellt. Wir haben in den neuen Bundesländern viel erreicht, aber in den alten muss auch viel getan werden. Der Bundesverkehrswegeplan wird im ersten Halbjahr des Jahres 2016 vorgelegt werden. Und dann werden wir auch Klarheit haben.
Es ist heute schon vor mir, jetzt auch noch einmal von Herrn Leverkinck, darüber gesprochen worden: Was bedeutet nun die Herausforderung der Digitalisierung? Da ist in der Tat etwas im Gange, das man mit Fug und Recht revolutionär nennen darf. Ich glaube, wir müssen vom kleinsten Unternehmen bis zum größten Unternehmen lernen, damit zu leben, dass einer der bedeutenden Rohstoffe, wenn nicht vielleicht der bedeutendste Rohstoff des 21. Jahrhunderts, Daten sein werden.
Wenn ich darüber gesprochen habe, dass Deutschland heute wirtschaftlich stark aufgestellt ist, dann ist das eine Momentaufnahme. Es findet im Augenblick ein weltweiter Wettbewerb statt, und zwar im Grunde zwischen denen, die in der Realwirtschaft führend sind dazu gehört Deutschland, dazu gehört Ihre Region, und denen, die heute mit ihren IT-Unternehmen weltweit führend sind. Davon gibt es leider zu wenige in Europa. Viele sind in Asien oder vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika angesiedelt.
Der Kampf geht im Grunde darum, ob wir es schaffen, die Verbindung zwischen der Realwirtschaft und den digitalen Möglichkeiten selbstbestimmt bei uns stattfinden zu lassen und damit unsere Unternehmens-Kunden-Beziehung selbst aufrechtzuerhalten. Ansonsten schieben sich vor realwirtschaftliche Unternehmen digitale Firmen, die die Kundenbeziehungen aufbauen und uns mehr oder weniger wenn ich es etwas vereinfacht sagen darf zu einer verlängerten Werkbank werden lassen, weshalb wir nicht mehr in dem Maße wie früher an der Wertschöpfung teilhaben könnten. Das ist der eigentliche Kampf, wenn ich es mal so sagen darf.
Jetzt geht es um die Frage: Was muss der Staat leisten? Dazu gehört, für die digitale Infrastruktur zu sorgen. Es ist ein bisschen skeptisch gefragt worden: Na, werden wir 50 Megabit pro Sekunde für jeden Haushalt bis 2018 schaffen? Ich glaube, auch gerade durch die Versteigerung der Frequenzen, durch die Tatsache, dass wir 2,7 Milliarden Euro Fördermittel haben, durch ein sehr gutes aktuelles Förderprogramm werden wir das schaffen. Aber, meine Damen und Herren, das allein reicht nicht. Wir werden eine weitaus besser ausgebaute Infrastruktur brauchen, wenn es dann darum geht, dass für das, das wir Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge nennen das heißt, wenn alle Maschinen miteinander vernetzt sind, auch die entsprechenden Datenübertragungsmöglichkeiten bestehen.
Im Augenblick lesen Sie ja jeden Tag von der Messe in Las Vegas für Konsumgüter inklusive Automobile. Da geht es nicht um 50 Megabit pro Sekunde, sondern da geht es um Übertragungsformen wie 4 G, 5 G. Wer hat als Erster 5 G? Wer kann in Echtzeit übertragen? Wer kann Telemedizin machen? Wer kann das autonome Autofahren voranbringen? Das sind für Deutschland natürlich wesentliche Herausforderungen. Europa insgesamt muss sich hierbei besser aufstellen, aber wir als größte Volkswirtschaft müssen unseren Beitrag dazu leisten. Wir haben eine, wie ich finde, ambitionierte Digitale Agenda, aber wir müssen immer wieder rückkoppeln, weil man an vielen Stellen an mehr denken muss, als wir das vielleicht heute an einigen Stellen tun. Wir sind auf den Austausch mit Ihnen als Unternehmen unglaublich stark angewiesen.
Ich sage auch ganz offen: Junge Menschen wachsen in diese Zeit hinein, haben aber noch nicht die Führungspositionen in den Unternehmen inne. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Jüngere und Ältere in diesen Fragen austauschen, dass wir in den Unternehmen manchmal umgekehrte Hierarchien haben müssen. Ich finde es interessant, wenn ein Unternehmen wie Bosch jeder älteren Führungskraft einen Jüngeren an die Seite stellt, der ihr sagt, was es an digitalen Möglichkeiten und digitalen Herausforderungen gibt. Nur wenn wir in der großen Breite vom Handwerksbetrieb über den mittelständischen Betrieb bis zu unseren großen DAX-Unternehmen auch die digitale Denkweise sozusagen inkorporieren, werden wir erfolgreich sein. Ich rede darüber so, weil ich der Meinung bin, dass wir uns bereits in einem wichtigen Zeitabschnitt befinden. Ich will mich jetzt nicht festlegen, aber in den nächsten fünf bis zehn Jahren werden entscheidende Weichen gestellt. Da stellen sich auch dem Gesetzgeber erhebliche Aufgaben.
Wir müssen das Auto neu definieren. Das Auto hängt am Fahrer. Wenn nun aber der Fahrer nicht mehr fährt, was ist dann noch ein Auto? Wie unterscheide ich das jetzt sozusagen von einer Einmann-Disco, die sich auf Rädern bewegt? Wir haben die ersten Teststrecken auf der A 9, aber jetzt muss das autonome Fahren auch in Städten getestet werden. Wie werden die Versicherungsfragen geklärt? Wie fälle ich bei den Algorithmen in den Autos die Entscheidungen? Wer entscheidet wann was? Wie entscheide ich mich im Fall von Risiken? Es geht um all das, was der Mensch intuitiv gemacht hat, wobei man die Versicherungsprämien danach ausgerichtet hat, wo die geringsten Schäden entstehen. Das ist natürlich beim autonomen Fahren, wenn der Mensch nicht mehr als Fahrer direkt dabei ist, eine Frage des Algorithmus.
Daran sehen Sie schon, dass der Verbrennungsmotor und der Elektromotor vielleicht in Zukunft auch noch eine Rolle spielen werden, aber eine mindestens so große Rolle wird die digitale Ausstattung des Autos spielen. Wer die Software liefert, wer da der Erste ist, der bietet natürlich das Mobilitätsobjekt der Zukunft. Und wer da hinten ansteht, dem kann es schnell passieren, dass der Kunde dann nur noch sagt: Ich will jetzt einen vernünftigen Algorithmus haben, der mir das autonome Fahren ermöglicht; und es ist schön, wenn nebenbei noch jemand die Räder drangemacht und den Motor eingebaut hat. Ich sage das jetzt etwas plastisch.
Ein wenig Distanz zu vielen Daten ist okay. Aber die Welt wird sich in eine bestimmte Richtung ändern. Und ich möchte, dass Deutschland auch in zehn Jahren noch ein führender Industriestandort sein wird, der die Möglichkeiten der Digitalisierung mit aufgenommen hat. Natürlich wird das auch die Arbeitswelt verändern. Die IG Metall zum Beispiel hat das bereits sehr früh erkannt. Andrea Nahles als Sozialministerin hat ein Grünbuch zur Arbeit 4.0 entwickelt. Was bedeutet Digitalisierung für die Arbeitsverhältnisse? Wo brauchen wir Flexibilität? Wie viel müssen wir dabei der betrieblichen Entscheidungsebene überlassen? Wie viel an gemeinsamen Rahmenregelungen brauchen wir? Solche Fragen werden uns in den nächsten Jahren sehr, sehr stark beschäftigen.
Natürlich müssen viele Menschen neu qualifiziert werden. Es wird nicht reichen, wenn nur die jungen Nachwachskräfte die richtigen Berufsausbildungen bekommen sicherlich müssen wir auch neue Berufsbilder zügig definieren, sondern es wird auch darauf ankommen, dass die, die heute 30, 35, 40 sind, die Chance bekommen, neue Dinge zu lernen und mit der Entwicklung zu gehen. Das heißt, Dynamik ist gefragt. Es ist ausgesprochen wichtig, dass wir hierbei vorankommen.
Ein Weiteres: Wir müssen den Binnenmarkt Europas auch zu einem digitalen Binnenmarkt weiterentwickeln. Ein zerfleddertes Datenschutzrecht von 28 Mitgliedstaaten wäre schlecht. Deshalb ist es gut, dass die Minister im Rat der Justiz- und Innenminister eine europäische Datenschutz-Grundverordnung verabschiedet haben, die dann sozusagen unser Wettbewerbsfeld ist auch für ausländische Unternehmen, auf dem dann in jedem europäischen Land gleichermaßen gearbeitet werden kann. Auch das, was wir bis jetzt noch nicht geschafft haben, zum Beispiel vereinheitlichte Frequenzsysteme gerade auch Sie in den grenznahen Regionen wissen, was es bedeutet, wenn es unterschiedliche Frequenzen gibt, wird von extremer Wichtigkeit sein, wenn wir 5 G als nächsten Übertragungsstandard überhaupt handhabbar machen wollen. Das heißt, sehr viel Arbeit liegt hierbei vor uns.
Meine Damen und Herren, das ist ja nicht die einzige Herausforderung. Ich will neben der Verkehrsinfrastruktur und der Digitalisierung Ihnen hier noch kurz sagen: Wir sind immer noch in intensiven Diskussionen über das Thema Erbschaftsteuer. Wir alle hätten uns gewünscht, dass das Bundesverfassungsgericht die Verschonungsregelung so akzeptiert hätte, wie wir sie im Gesetz verankert hatten. Dann hätten wir weniger Aufregung und weniger Arbeit. Das hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht getan. Deshalb müssen wir jetzt eine Lösung finden, die Ihnen in den Familienunternehmen, den Traditionsunternehmen, den Generationenübergang möglich macht, ohne dass Sie den Eindruck haben, dass der Staat Ihnen hierbei etwas wegnimmt, das Sie für die Weiterentwicklung des Unternehmens brauchen. Dem fühlen wir uns verpflichtet.
Die Zeit drängt. Im Sommer dieses Jahres müssen wir eine Lösung haben. Wir arbeiten mit Hochdruck. Wenn wir keine Lösung haben, dann ist die gesamte Verschonungsregelung weg. Auch das muss man wissen. Das fänden Sie gut? Wer es ebenfalls gut findet, soll klatschen, dann überlege ich mir alles nochmals. Vereinzelter Beifall unter 5.000 Menschen; na ja, da kann ich noch nicht zufrieden nach Hause gehen. Also: Wir müssen weiter daran arbeiten und dabei eben auch in Anlehnung an Ludwig Erhards Aussage, dass Wirtschaft 50 Prozent Psychologie sei vor allem den Familienunternehmern den Eindruck vermitteln, dass wirklich eine akzeptable Lösung für sie gefunden wird.
Meine Damen und Herren, dann gibt es das Thema Energie, das Sie sehr beschäftigt. Wir kommen Schritt für Schritt auf einem Weg voran, der zu mehr Berechenbarkeit in der Energiewende führt. Wir sind auf einem Weg, die erneuerbaren Energien schrittweise an den Markt heranzuführen. Ein nächster Schritt wird in diesem Jahr zu gehen sein, wenn wir nämlich statt der bisherigen Vorgehensweise die Ausschreibung der Neubaukapazitäten für die Leistungen im Erneuerbare-Energien-Bereich gesetzlich verankern. Das ist eine ziemlich große Herausforderung, wie Sie sich vorstellen können, denn heute gibt es einfach für alles, was gebaut wird, den Vorrang der Einspeisung. In Zukunft wird es Kapazitäten geben, die ausgeschrieben werden; und dann aber auch nicht mehr. Ich vermute, dass unser föderales System dazu führt, dass eine Menge Begehrlichkeiten angemeldet werden. Aber ich glaube, über allem muss stehen, dass wir zu einem erträglichen und verträglichen Preis diese Energiewende abwickeln. Das wird uns in den nächsten Monaten beschäftigen.
Außerdem haben wir alle eine ganz herausragende Herausforderung zu bewältigen. Wolfgang Schäuble hat es Rendezvous mit der Globalisierung genannt, das uns plötzlich auf eine völlig neue Art und Weise erreicht. Wir als erfolgreiche Exportnation haben Globalisierung vor allen Dingen in der Form erlebt, dass wir Arbeitsplätze woanders schaffen konnten, deutsche Unternehmen daraus Gewinne erwirtschaftet haben und damit auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert haben. Aber jetzt spüren wir plötzlich, dass Konflikte, die wir im Wesentlichen über den Fernsehschirm beobachtet haben, wie den schon fünf Jahre andauernden Syrienkonflikt oder den Kampf im Irak gegen islamistischen Terror, uns auch zu Hause in Form von Flüchtlingen erreichen. Wir sehen, dass wir auch Teil des Kampfs gegen Terrorismus sind. Das haben uns die terroristischen Anschläge in Frankreich gezeigt. Ich will daran erinnern, dass auch andere europäische Länder schon davon betroffen waren Großbritannien, Spanien.
Da ja schon über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen wurde, will ich auch noch einmal daran erinnern: Sie ist eingeführt worden im Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen in Madrid. Man hat damals nach den Anschlägen in Vorortzügen, weil man gespeicherte Daten hatte, die Täter sehr schnell identifizieren und auffinden können. Ich glaube, wir müssen immer wieder eine sehr sorgsame Abwägung vornehmen. Aber, meine Damen und Herren, wir sind als Politiker auch gefragt zu überlegen: Was können wir tun; wie können wir uns wappnen gegen Menschen, die vor anderen Menschenleben null Respekt haben, die auf die Zerstörung unschuldiger Menschenleben aus sind und uns unsere Art zu leben austreiben wollen? Da muss man die Verhältnismäßigkeit wahren, aber ich sage Ihnen auch: Wenn in einem Land etwas passiert und bestimmte Daten nicht abgerufen werden können, dann ist die Diskussion in diesem Land ich habe es in den Ländern, wo so etwas passiert ist, immer wieder erlebt eine völlig andere.
Ich glaube, wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Ohne rechtsstaatliche Genehmigung können überhaupt keine Daten abgegriffen werden. Die Speicherfristen sind kurz. Aber um Täter im Zweifelsfalle rückverfolgen und ihrer schnell habhaft werden zu können, halte ich das, was wir beschlossen haben, nicht nur für vertretbar, sondern auch für geboten. Das möchte ich hier deutlich sagen.
Jetzt sind wir plötzlich gefordert, weil Flüchtlinge nach Europa kommen. Wir sind verwundbar, weil wir die Ordnung, die Steuerung noch nicht so haben, wie wir uns das wünschen. Was ist da passiert; und was steht auf dem Spiel? Auch das will ich noch einmal deutlich benennen.
Sie alle haben die Euro-Schuldenkrise verfolgt und mit Recht darauf hingewiesen, dass wir bis Juli letzten Jahres uns noch sehr intensiv mit Griechenland beschäftigt haben. Jetzt beschäftigen wir uns wieder mit Griechenland, aber aus anderen Gründen. Die Beschäftigung war im Grunde Ausdruck der Tatsache, dass sich infolge der internationalen Finanzkrise der Euro als nicht robust genug erwiesen hat, dass Verletzungen des Stabilitätspakts vorgekommen waren, dass aber auch die wirtschaftliche Kohärenz und die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten des Euroraums nicht ausreichend waren und dass daraus Friktionen entstanden sind, die sozusagen Finanzinvestoren dazu verleitet haben, zu versuchen, das ganze System zum Zusammenbruch zu bringen.
Wir sind jetzt besser gewappnet von der Bankenunion bis zu den betreffenden Rettungsfonds. Wir sind noch nicht am Ende dieses Wegs das will ich auch ausdrücklich sagen, denn die wirtschaftspolitische Kohäsion, und zwar ausgerichtet an den Besten und nicht irgendwie ausgerichtet am Mittelmaß der Euro-Mitgliedstaaten, haben wir noch nicht ausreichend verbindlich geschafft.
Jetzt kommt eine zweite große Errungenschaft der Europäischen Union unter Druck, nämlich die Freizügigkeit der Bewegung. Der Euro und die Freizügigkeit der Bewegung über Grenzen hinweg hängen unmittelbar zusammen. Es soll niemand so tun, als ob man eine gemeinsame Währung haben kann, ohne dass man eine einigermaßen einfache Überquerung von Grenzen hat. Zumindest würde der Binnenmarkt massiv darunter leiden.
Eine Überzeugung, die mich leitet und auch die Bundesregierung leitet, ist, dass wir in der größten Volkswirtschaft, die inmitten der Europäischen Union liegt, die Frage beantworten müssen: Was wird aus der Freizügigkeit der Bewegung; und schaffen wir es, unsere Außengrenzen zu schützen, oder müssen wir zu einer Variante greifen, die uns mit Sicherheit viel Kraft kostet? Diese Frage positiv zu beantworten und die Freizügigkeit der Bewegung im europäischen Binnenmarkt zu erhalten darum geht es bei all dem, was wir jetzt tun.
Zudem geht es um die Frage, wie wir eigentlich mit Krisenregionen umgehen und wie weit wir in der Lage sind, Fluchtursachen so zu bekämpfen, dass Menschen ihre Heimat nicht mehr verlassen müssen. Im Hinblick darauf kam es zu Versäumnissen nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, sondern auch bei allen anderen. Dass die Weltgemeinschaft zugeschaut hat, dass in den Flüchtlingslagern im Libanon und in Jordanien die Rationen vom UNHCR und vom Welternährungsprogramm von 30 Dollar pro Monat für eine Person pro Monat 30 Dollar auf 13 Dollar gekürzt wurden, hat wesentlich dazu beigetragen, dass Menschen gesagt haben: Hier halten wir es nicht mehr aus.
Ich werde zum Beispiel am 4. Februar zusammen mit dem britischen Premierminister, meiner norwegischen Kollegin und dem Emir von Kuwait versuchen, wieder Geld zu sammeln, weil für 2016 gerade mal erst 54 Prozent des Etats des Welternährungsprogramms und des UNHCR für das, was benötigt wird, gedeckt sind nicht mehr.
Wir wissen, was eine Million Flüchtlinge für Deutschland bedeuten. Ich bin allen von Herzen dankbar, die sich so wunderbar eingesetzt haben Hauptamtler, Ehrenamtler, die Wirtschaft in ganz hervorragender Weise. Danke dafür. Die Europäische Union mit 500 Millionen Einwohnern hat bis jetzt rund eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Türkei mit 75 Millionen Einwohnern hat zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Ein Land wie der Libanon mit fünf Millionen Einwohnern hat über eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Und ein Land wie Jordanien, das schon viele palästinensische Flüchtlinge hat, hat knapp eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
Meine Damen und Herren, es geht hierbei auch um die Frage: Wie antwortet ein Kontinent, der nicht Tausende von Kilometern von Syrien entfernt liegt es ist nur ein Stück Türkei dazwischen; und dann beginnt die Europäische Union, auf eine solch dramatische Herausforderung darauf, dass von 22 Millionen Syrern acht Millionen Binnenflüchtlinge sind und fünf Millionen außerhalb von Syrien Zuflucht gesucht haben? Ich glaube, wir mit unserem Wertesystem, wir mit dem, das wir über Demokratie, über Menschenwürde sagen, müssen einen Beitrag zur Hilfe leisten, wenn man nicht alles, das wir über unsere Werte sagen, über unsere Interessen, über das, was uns leitet, im Rest der Welt als Schall und Rauch verbuchen will. Das ist die Herausforderung.
Die zweite Herausforderung ist, dies so zu tun, dass unser europäischer Bewegungsraum erhalten bleibt aus wirtschaftlichen Gründen, aus Gründen der Kommunikation, und dass wir den Schutz unserer Außengrenzen besser hinbekommen. Und das ist mühselig. Ich ärgere mich auch darüber. Frau Dreyer fragt mich in jeder Sitzung, bei der wir uns begegnen, wann es denn nun endlich mal was wird. Wir machen Fortschritte, aber zu langsam. Aber ich werde weiter daran arbeiten, zusammen mit vielen anderen in der Bundesregierung. Wir müssen das hinbekommen; keine Frage. Wir müssen die Fluchtursachen besser bekämpfen. Dann wird es uns auch gelingen, die Zahl der Flüchtlinge das wollen wir in diesem Jahr spürbar zu reduzieren. Das ist völlig klar, weil wir natürlich auch die Aufgabe der Integration leisten müssen.
Wir haben gerade hier in Mainz darüber diskutiert, wie wir Integrationskonzepte am besten hinbekommen. Wir wissen nicht erst seit den schrecklichen Ereignissen in der Silvesternacht in Köln, dass zur Integration neben der Offenheit der Gesellschaft, in die Flüchtlinge kommen, auch gehört, dass Flüchtlinge bereit sind, sich an unsere Werteordnung zu halten. Es ist im Übrigen auch Teil der Genfer Flüchtlingskonvention, nach der die meisten Flüchtlinge hier ihren Aufenthaltsstatus haben, dass man im Gastland das Recht, die Gesetze und die Grundideen dieser Gesellschaft anerkennen und akzeptieren muss. Deshalb denken wir in der Bundesregierung nach dem, was in Köln passiert ist, wo so viele junge Frauen schreckliche Erfahrungen machen mussten, sehr intensiv darüber nach wir werden sehr schnell zu Ergebnissen kommen, was wir gegebenenfalls verändern müssen. Es kann nicht sein, dass zigmal Diebstähle, Beleidigungen von Frauen, sexuelle Nötigungen auftreten und immer noch das Gastrecht nicht verwirkt ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das besser hinbekommen, damit die Menschen sehen, dass hier etwas passiert.
Meine Damen und Herren, ein Letztes dazu: Wir haben in Deutschland sehr ausgeprägte rechtsstaatliche Verfahren. Darauf können wir stolz sein. Wer bei uns einen Aufenthaltsstatus bekommt wir sehen ja, wie viele Menschen darunter sind, die vor Krieg oder Terror geflohen sind, dem werden wir auch helfen, sich zu integrieren und eine neue oder ein Stück neue Heimat zu gewinnen. Aber, meine Damen und Herren, wenn ein Verfahren negativ ausgegangen ist, wenn ein Aufenthaltsstatus nicht gewährt werden kann, wenn das durch Gerichte bestätigt ist, dann müssen wir auch die Kraft haben, den Menschen zu sagen: Ihr müsst unser Land wieder verlassen, damit wir den wirklich Schutzbedürftigen Schutz gewähren können. Auch das gehört zu einem Rechtsstaat.
Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen, den Unternehmern, dafür bedanken, dass Sie bereits viele Initiativen zur Aufnahme und Integration ergriffen haben und bereit sind, noch mehr zu ergreifen. Wir werden das natürlich brauchen. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich viele einbringen.
Ich will auch sagen: Wir mit unserem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier arbeiten mit Hochdruck daran, durch diplomatische Bemühungen wieder Frieden in Syrien und im Irak herzustellen. Wir beteiligen uns daran, den IS zu bekämpfen und ihn einzudämmen. Wir versuchen, in Syrien einen Waffenstillstand hinzubekommen. Dann werden wir den Menschen, die zu uns gekommen sind, auch sagen können: Wir helfen euch beim Wiederaufbau eures Landes. Nicht jeder wird sein ganzes Leben bei uns bleiben. So halte ich zum Beispiel die Initiative des Innenministers und des Außenministers für exzellent, die der Ausbildung junger Syrer dient. Das übernimmt das Technische Hilfswerk. Wir geben Geld dafür, dass junge Menschen, wenn eines Tages wieder Frieden ist, in ihr Land zurückkehren und mit unserer Hilfe dann ihr Land wieder aufbauen können. Auch das ist eine Möglichkeit der Hilfe, nachdem man hier Schutz und Unterstützung erhalten hat.
Meine Damen und Herren, wir sind uns, glaube ich, einig: Wir leben in bewegten, herausfordernden Zeiten. Das heißt, zum Ausruhen ist keine Zeit. Das wissen Sie, die Sie in Unternehmen tätig sind und täglich neue Aufträge bekommen müssen und täglich neu Qualität abliefern müssen. Das wissen Sie und Ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz genau. Ich will Ihnen sagen: Selbst wir in der Politik haben das schon mitbekommen und wetteifern auch um die besten Konzepte.
Die Rheinhessen haben in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen: Vorankommt derjenige, der das Gute vom Alten bewahrt, ohne sich Neuem zu verschließen. 1816 behielten sie einige Errungenschaften der französischen Zeit bei. Zugleich ließen sie sich auf ihre neue rheinhessische Identität ein. Daraus ist ein wunderbares Markenzeichen geworden. Es vereint Leistung und Lebensqualität. Wer denkt da nicht gleich an den Wein aus dieser Region, mit dem es sich für die allermeisten von Ihnen auch gut anstoßen lässt, wenn die Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum beginnen, die, wie ich höre, noch bis zum 08. 07. andauern. Feiern Sie gut, arbeiten Sie gut, seien und bleiben Sie ein starkes Stück Deutschland. Wir sind stolz auf Sie in Berlin.