Redner(in): Monika Grütters
Datum: 14. Januar 2016

Untertitel: Die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" hat ihren Abschlussbericht vorgestellt. Die Beiträge ihrer Mitglieder bezeichnete Kulturstaatsministerin Grütters als "nicht nur fachlich als unendlich wertvoll". "Sie halfen auch dabei, die Perspektive der Leidtragenden im Fokus zu behalten", erklärte Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/01/2016-01-15-gruetters-zu-abschlussbericht-taskforce.html


Die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" hat ihren Abschlussbericht vorgestellt. Die Beiträge ihrer Mitglieder bezeichnete Kulturstaatsministerin Grütters als "nicht nur fachlich als unendlich wertvoll"."Sie halfen auch dabei, die Perspektive der Leidtragenden im Fokus zu behalten", erklärte Grütters.

In meiner über 20jährigen politischen Laufbahn habe ich schon den einen oder anderen wissenschaftlichen Abschlussbericht entgegen genommen. Und doch ist das für mich heute alles andere als ein politischer Routinetermin: zum einen, weil die rückhaltlose Aufarbeitung nationalsozialistischen Kunstraubs eine Bedeutung hat, die weit über die rechtliche Dimension hinaus reicht. Hinter einem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht immer auch und vor allem das individuelle Schicksal eines Menschen. Diesen menschlichen Schicksalen wollen und müssen wir bei der Aufarbeitung des "Schwabinger Kunstfunds" vor allem auch moralisch gerecht werden; zum anderen, weil dabei sowohl Gründlichkeit als auch Schnelligkeit geboten sind. Als Kunsthistorikerin weiß ich nur zu gut, wie mühsam, langwierig und ungeheuer schwierig es oft ist, die Herkunft eines Kunstwerks über Jahrzehnte zurück zu verfolgen und zweifelsfrei zu klären. Als Politikerin kann ich die Ungeduld der vielfach schon hochbetagten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und ihrer Nachkommen verstehen, die die Rückgabe unrechtmäßig entzogener Kunstwerke noch selbst erleben wollen.

Dieses Dilemma zwischen wissenschaftlich gebotener Gründlichkeit einerseits und der im Interesse der Opfer und ihrer Erben gebotenen Schnelligkeit andererseits lässt sich nicht auflösen. Hinzu kommt, dass es einen Fall wie den von Cornelius Gurlitt niemals zuvor gegeben hat - ja, dass so ein Fall wohl nicht einmal in den kühnsten Kunsthistorikerfantasien vorstellbar war. Wer hätte damit gerechnet, dass 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ein ungeordneter und unerschlossener privater Bestand von 1.500 Werken ungeklärter Provenienz ans Licht kommt, bei denen vor dem Hintergrund der Geschichte des Vaters Hildebrand Gurlitt der Verdacht nahelag, dass sich darunter zumindest auch NS-Raubkunst befindet?

In dieser Situation, kurz vor meinem Amtsantritt als Kulturstaatsministerin, war schnelles Handeln gefragt. Die kurzfristig von meinem Haus und vom Freistaat Bayern eingesetzte und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattete Taskforce war in dieser Situation eine klare, deutliche und richtige Antwort. Aber es war eben auch eine völlig neuartige, eine beispiellose Herausforderung - ein Pilotprojekt, für das es keine Vorbilder gab. So mussten zunächst einmal einheitliche Standards, Methodiken und Darstellungsformen entwickelt werden, bevor die Taskforce sich ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden konnte, die wiederum nicht immer unter dem besten Vorzeichen stand. Ich nenne nur den Beginn im Rahmen eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens, den Tod von Cornelius Gurlitt, die komplizierten Verhandlungen zur Erbannahme durch das Kunstmuseum Bern und - bis jetzt - die Erbanfechtung durch Verwandte.

Als ich im Dezember 2013 mit dem Amt der Kulturstaatsministerin gewisser-maßen auch den Fall Gurlitt übernommen habe, war mir vor allem eines wichtig: ein politisches Signal der Transparenz gegenüber den Nachkommen der Opfer zu setzen. Mir war wichtig, dass die Taskforce mit internationalen Experten, insbesondere auch mit Vertreterinnen und Vertretern jüdischer Organisationen, besetzt wird. Ihre Beiträge erwiesen sich nicht nur fachlich als unendlich wertvoll - gerade auch angesichts der Aktivitäten Hildebrand Gurlitts im damals von Nazideutschland besetzten Ausland. Sie halfen auch dabei, die Perspektive der Leidtragenden im Fokus zu behalten.

Soweit in aller Kürze zur bewegten, von hohen politischen Ansprüchen, schwierigen Umständen und einem nicht auflösbaren Zielkonflikt zwischen Gründlichkeit und Schnelligkeit geprägten Geschichte der Taskforce, meine Damen und Herren. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse zu sehen, die uns Frau Dr. Berggreen-Merkel eben vorgestellt hat.

Nicht nur ich, sondern vermutlich wir alle haben uns mehr Erkenntnisse in kürzerer Zeit erhofft und auch gewünscht. Doch sollten wir die Ergebnisse auch nicht auf die fünf zweifelsfrei als NS-Raubkunst identifizierten Werke reduzieren. Die Bilanz der Taskforce ist deutlich besser, als diese Zahl es vermuten lässt. Bei vielen Werken gibt es ein Zwischenergebnis, das den Verdacht bestätigt oder ihn jetzt auch ausschließen kann. Jedes einzelne dieser Werke ist ein Mosaikstein der historischen Wahrheit, zu deren Aufarbeitung Deutschland verpflichtet ist. Darüber hinaus hat die Arbeit der Taskforce eine Fülle von Erkenntnissen zum Umgang mit Kunst in der NS-Zeit zutage gefördert, die wir zu einem späteren Zeitpunkt - hoffentlich noch in diesem Jahr -veröffentlichen werden. Ich danke der Leiterin der Taskforce, Frau Dr. Berggreen-Merkel, und allen beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr herzlich für ihr Engagement - und auch für Ihren ( gerade zu Beginn, als Cornelius Gurlitt noch lebte ) oft auch sehr persönlichen Einsatz, liebe Frau Dr. Berggreen-Merkel.

Ziel der Bundesregierung bleibt es, die Herkunft aller Bilder aufzuklären, die sich im Besitz Cornelius Gurlitts befanden - im Sinne der rechtmäßigen Erben von Werken, die sich als NS-Raubkunst erweisen, aber auch im Sinne der Aufarbeitung unserer NS-Vergangenheit und der Verpflichtung zu Transparenz. Seit 2015 haben wir mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste nun auch die dafür notwendigen Strukturen. Ich freue mich, dass das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste - und im Stiftungsrat auch Länder und Kommunen - bereit waren, diese wichtige Forschungsarbeit bis zum bestmöglich erreichbaren Ende fortzuführen. Die notwendigen Mittel dafür - zunächst gut eine Million Euro - werde ich aus meinem Haushalt zur Verfügung stellen. Bayern wird uns mit der Stelle für einen Wissenschaftler unterstützen.

Ich danke Ihnen, liebe Frau Dr. Baresel-Brand, für Ihre Bereitschaft, das Folgeprojekt zu leiten und damit die Kontinuität der Arbeit und den Erhalt der wissenschaftlichen Expertise sicherzustellen. Dankbar bin ich auch, dass viele von Ihnen, liebe Taskforce-Mitglieder, weiterhin beratend zur Verfügung stehen, so dass wir auf Ihre Expertise zurückgreifen können. Damit ist gewährleistet, dass die Erfahrungen der Taskforce als internationales Pilotprojekt der Provenienzforschung sowohl dem Folgeprojekt als auch dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und der Provenienzforschung im Allgemeinen zugute kommen.

Eine Erfahrung wird uns dabei sicher auch in Zukunft nicht erspart bleiben - die Erfahrung nämlich, dass Schnelligkeit und Gründlichkeit bei der Provenienzforschung nicht gleichzeitig zu haben sind.

Professor Uwe Schneede, Vorstand der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, hat es einmal folgendermaßen formuliert, ich zitiere: "Anfangs dachte ich, das wäre in zwei, drei Jahren erledigt. Heute sehe ich: Es geht vielleicht um eine endlose Aufgabe."

Dass wir uns dieser "vielleicht endlosen Aufgabe" stellen, meine Damen und Herren, das sind und bleiben wir den ihres Eigentums und ihrer Rechte beraubten, von den Nationalsozialisten verfolgten und vielfach ermordeten Menschen schuldig. Deshalb habe ich über die Arbeit der Taskforce hinaus das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste ins Leben gerufen und die Mittel für die Provenienzforschung seit meinem Amtsantritt verdreifacht. Und deshalb werde ich mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass wir uns unserer Geschichte stellen und dass unser Land - Staat und Verwaltungen genauso wie Organisationen, Einrichtungen und Privatpersonen - keinen Zweifel daran lässt, welche immense Bedeutung für uns alle die rückhaltlose Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs hat.