Redner(in): Monika Grütters
Datum: 16. März 2016

Untertitel: Das Berliner Stadtmuseum stellt in einer Ausstellung die Lebenswege von 20 außergewöhnlich engagierten und kreativen Frauen vor. "Sie erinnern auch daran, dass Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit Errungenschaften sind, für die es sich auch heute zu streiten und zu kämpfen lohnt", erklärte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Schau.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/03/2016-03-17-gruetters-ausstellung-berlin-stadt-der-frauen.html


Das Berliner Stadtmuseum stellt in einer Ausstellung die Lebenswege von 20 außergewöhnlich engagierten und kreativen Frauen vor."Sie erinnern auch daran, dass Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit Errungenschaften sind, für die es sich auch heute zu streiten und zu kämpfen lohnt", erklärte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Schau.

Vor einiger Zeit hat uns Deutschlands größte Boulevardzeitung erhellende Erkenntnisse der amtlichen Statistik zur Lebenssituation der Hauptstadt-Frau präsentiert: Die durchschnittliche Berlinerin besitzt demnach 13 Paar Schuhe, braucht 28 Minuten im Badezimmer und kramt ganze 67 Tage ihres Lebens in der Handtasche. Keine Ahnung, wie man so etwas als Wissenschaftler des Statistischen Landesamtes seriös ermittelt, aber eines steht fest: Solange die Statistiken darüber hinaus auch schlechtere Aufstiegschancen und geringere Einkommen von Frauen im Vergleich zu Männern ausweisen, kann eine Extra-Portion Aufmerksamkeit für das weibliche Geschlecht nicht schaden und zwar nicht nur am Equal Pay Day kommenden Samstag. Deshalb freue ich mich, dass das Stadtmuseum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Lette Verein uns mit der neuen Ausstellung "Berlin Stadt der Frauen" eine beeindruckende Hommage an die "Hauptstadt-Frau" präsentiert.

Es steht zwar längst fest, lieber Herr Spies, dass mein Haus die Stiftung Stadtmuseum genau gesagt: die Sanierung und Modernisierung des Märkischen Museums als Teil der Stiftung in den nächsten Jahren mit 32 Millionen Euro unterstützen wird. Schließlich gehört das Stadtmuseum Berlin mit seinen rund 4,5 Millionen Objekten und der Vielfalt seiner Bestände zu den bedeutendsten stadthistorischen Sammlungen Deutschlands und Europas. Aber auch diese Ausstellung - das kann ich nach unserem Rundgang sagen - zeigt die Klasse Ihres Hauses, auch mit dieser Ausstellung bei mir punkten können!

So unterschiedlich die Herkunft, die Lebensumstände, die Talente und Berufe der 20 Berlinerinnen sind, die uns in "Berlin Stadt der Frauen" begegnen - eines haben sie alle gemeinsam: Es sind Frauen, die man heute wohl als "Powerfrauen" bezeichnen würde.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wieviel Kampfgeist, Sturheit und Courage es dafür noch vor nicht allzu langer Zeit brauchte, reicht ein Blick in die Gründungsresolution des "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" ( ADA ) aus dem Jahr 1863: Die Frau, so hieß es darin, sorge für "die Reproduktion der Familie, versorge den Haushalt, ziehe die Kinder auf und biete dem Mann einen kompensatorischen Ausgleich für den Kampf ums tägliche Brot."

Nebenbei bemerkt: Auch die Kunst hat ihrem Ruf und ihrem Selbstverständnis als gesellschaftliche Avantgarde in Sachen Geschlechtergerechtigkeit wahrlich keine Ehre gemacht, wie die Biographien der in der Ausstellung vorgestellten Künstlerinnen zeigen. Künstlerische Fähigkeiten wurden Frauen schlicht abgesprochen, von der künstlerischen Ausbildung waren sie lange ausgeschlossen. Wo es Frauen dennoch gelang zu reüssieren, bremsten gesellschaftliche Konventionen die weibliche Schaffenskraft. So stellte der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke 1862 mit Befriedigung fest: "Sie haben über Pinsel und Palette nicht die Sorge für die Kinder und den Mann, über den Farbtöpfen nicht die Kochtöpfe […] vergessen […] . Solange sie so treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter sind, mögen wir, dünkt mich, es leichter ertragen, wenn sie keine Raffaels und Michelangelos werden."

Zum Glück gab es zu allen Zeiten Frauen, die sich nicht damit begnügten,"treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter" zu sein und zum Glück gab es auch Männer, die ihrer Zeit weit voraus waren, so wie der preußische Abgeordnete Wilhelm Adolf Lette, der 1866 mit immerhin 300 Unterstützern einen "Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts" ins Leben rief und so würden wir es heute sagen - auf Emanzipation durch Bildung setzte. Zum 150. Gründungsjubiläum im Februar, liebe Frau Madyda, gratuliere ich Ihnen nachträglich sehr herzlich! Sie und die beteiligten Schülerinnen und Schüler Ihrer Bildungseinrichtungen haben mit Ihrem Beitrag zur Ausstellung nicht nur fünf Frauen aus dem Lette Verein ein verdientes Denkmal gesetzt. Sie erinnern auch daran, dass Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit Errungenschaften sind, für die es sich auch heute zu streiten und zu kämpfen lohnt. Ich denke dabei nicht nur an die Reste der alten Rollenkorsetts, die Frauen ( und übrigens auch Männer, wenn auch in anderen Bereichen ) heute noch an der Entfaltung ihrer Potentiale hindern. Vor allem denke ich an die Menschen, die Zuflucht suchen in Deutschland und die aus den Kulturen ihrer Herkunftsregionen ein anderes Verständnis der Geschlechterrollen mitbringen.

Ich gehöre zu denen, die Angela Merkel sehr dankbar sind, dass sie die europäischen Menschenrechtsstandards angesichts einer drohenden humanitären Katastrophe im September 2015 zum Leitbild ihrer Flüchtlingspolitik gemacht hat - bei allen Risiken und Unwägbarkeiten, mit denen eine Entscheidung dieser Tragweite verbunden ist, und auch, wenn die Mühen des Helfens unser aller Kraft und Engagement erfordern, dazu langwierige und schwierige Verhandlungen auf allen politischen Ebenen, national und international. Schlimmer als daran zu scheitern wäre aber, es nicht einmal versucht zu haben! Dazu braucht es Pioniergeist und Idealismus wie vor 150 Jahren, als Adolf Lette seinen Verein gründete.

Die Geschichte des Lette Vereins ist eine Geschichte, die Mut macht und die Hoffnung weckt: die Zuversicht, dass wir über die Chancen, die unser Verständnis von Gleichberechtigung und unsere Erfahrungen mit Emanzipation durch Bildung Frauen eröffnen, auch die kulturelle Integration voran bringen können. In diesem Sinne wünsche ich dem Verein und seinen Einrichtungen weiterhin viel Erfolg und gesellschaftliche Gestaltungskraft! Leuchtende Vorbilder haben wir ja, das zeigt die Ausstellung, wahrlich genug, und erst gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass Berlin deutschlandweit Vorreiter für Frauen in Führungspositionen ist: Jede vierte Führungskraft ist weiblich, und jedes dritte Unternehmen wird von einer Frau gegründet.

Gönnen wir uns zum Schluss trotzdem einen Blick über "Berlin Stadt der Frauen" hinaus: Bemerkenswerterweise haben Frauen ihre Rechte nämlich selbst in einer klassischen Männerdomäne durchgesetzt - im Fußball. Heute weiß kaum noch jemand, dass bis 1970 tatsächlich ein Frauenfußballverbot des DFB galt. Aus - ich zitiere - "grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen" waren Fußballspiele mit weiblicher Beteiligung unter Androhung heftiger Strafen für die Vereine untersagt. Kein Scherz! Die theoretische Untermauerung lieferten Publikationen wie die 1953 veröffentlichte Studie eines niederländischen Psychologen und Anthropologen. Darin heißt es, ich zitiere: "Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich."

Das, meine Damen und Herren, würde heute vermutlich niemand mehr leichtfertig behaupten und das liegt gewiss nicht nur an den zwei WM- und den acht EM-Titeln der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Da wäre es doch gelacht, wenn die Erfolgsgeschichte weiblicher Emanzipation sich nicht auch in Zukunft weiter erzählen ließe! Der Ausstellung "Berlin Stadt der Frauen" wünsche ich in diesem Sinne viele interessierte Besucherinnen und Besucher, die sich von den 20 Frauenbiographien inspirieren lassen.