Redner(in): Monika Grütters
Datum: 06. Mai 2016

Untertitel: Zum Auftakt des Theatertreffens hat Kulturstaatsministerin Grütters die Theater als unverzichtbaren Beitrag zur Orientierung, Selbstvergewisserung und Verständigung gewürdigt. "Deutschlands Ruf als Kulturnation liegt auch in der einzigartigen Vielfalt vieler Hundert Bühnen begründet", so Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/05/2016-05-06-gruetters-theatertreffen.html


Zum Auftakt des Theatertreffens hat Kulturstaatsministerin Grütters die Theater als unverzichtbaren Beitrag zur Orientierung, Selbstvergewisserung und Verständigung gewürdigt."Deutschlands Ruf als Kulturnation liegt auch in der einzigartigen Vielfalt vieler Hundert Bühnen begründet", so Grütters.

Trotz Ihres freundlichen Beifalls mache ich mir keine Illusionen, was Ihre Präferenzen für den weiteren Verlauf des Abends im Allgemeinen und einen baldigen Beginn des Bühnengeschehens im Besonderen betrifft. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Eine Politikerrede vor einem mit Spannung erwarteten, noch dazu knapp dreieinhalbstündigen Theaterstück - das ist natürlich eine Herausforderung.

Herausforderungen darf man sich im Theater zwar erlauben, wie der langjährige Intendant des Schauspielhauses Bochum, Saladin Schmitt, bei der Premiere von Goethes "Iphigenie" einmal auf sehr undiplomatische Weise deutlich gemacht hat: Angesichts eines grummelnden, offenbar gelangweilten Publikums trat er zwischen zwei Akten auf die Bühne und erklärte:( Ich zitiere:) "Sollte sich im Hause Amüsierpöbel befinden, so möge er doch heimgehen."

Das wird heute sicher nicht passieren. Das Publikum hat bei inzwischen 53 Theatertreffen immerhin 537 Inszenierungen von 217 Regisseurinnen und Regisseuren aus 72 Theatern aus dem deutschsprachigen Raum erleben können. Und was uns beim Theatertreffen, auch heute, erwartet, ist ja viel mehr als ein Theaterabend. Jenseits der beeindruckenden künstlerischen Leistungen, die in den nächsten Tagen im Rampenlicht stehen, ist es vor allem die Vielfalt des Theaters, die hier wie vielleicht nirgendwo sonst eine Bühne bekommt. Unter den zehn Inszenierungen, die die Jury aus insgesamt knapp 400 ausgewählt hat, sind große und kleinere Häuser vertreten, Theater aus den Metropolen und aus kleineren Städten, Mehrfacheingeladene und Neulinge, altbekannte Dramentexte ebenso wie zeitgenössische Stücke, hochmusikalische und hochpolitische Beiträge. Die Jury wolle es allen recht machen, hieß es prompt - was vor allem zeigt, dass man es manchen Kritikern eben nie recht machen kann. Einhellig für gut befunden wurde allerdings, dass das Festival insgesamt jünger und - längst überfällig! - auch weiblicher geworden ist - auf jeden Fall ein Gewinn in puncto Vielfalt!

Dass die Wertschätzung für das Theater in seiner ganzen Bandbreite so zelebriert wird, wie Sie es hier erleben dürfen, liebe Künstlerinnen und Künstler, das ist allerdings leider eher die Ausnahme als die Regel. Unsere Bühnen sind vielerorts in ihrer Existenz bedroht. Von "Theaterkrise" ist die Rede, ein - wie ich finde - irreführender Begriff! Denn: Was gibt es nicht für eine grandiose Vielfalt: vom kuratierten Theater bis zur Bürgerbühne, von großartigen Ensembles bis zu unzähligen freien Gruppen - und einer immer wieder beglückenden Zusammenarbeit dieser Akteure ( die wir bundesseitig mit dem Programm "Doppelpass" fördern ) . Nein, wir haben keine Krise des Theaters, wir haben es vielmehr, wenn überhaupt, mit einer Krise der kommunalen Haushalte zu tun, die ( zum Glück nicht überall … ! ) auf Kosten der Kultur saniert werden sollen. Und Bühnen sind nun mal die größten Posten in jedem Kulturetat.

Der Bund hat aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Möglichkeit, einzelne Bühnen institutionell zu fördern. Er kann und er darf die Leistungen der Kommunen, der Regionen und Länder für ihre Theater nicht ersetzen oder gar ausbleibende Mittel kompensieren. Dennoch und gerade deshalb fühle ich mich als Kulturstaatsministerin sehr wohl mit angesprochen, wenn zum Beispiel Ensembles in Rostock oder Neustrelitz um ihre Existenz kämpfen, wenn in Plauen / Zwickau, Duisburg oder Dinslaken Theater mit Kommunen, Landkreisen oder Ländern um ihre Zuschüsse ringen.

Auch deshalb habe ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal einen Theaterpreis des Bundes ausgelobt: Er soll Bühnenerfolge abseits der Metropolen ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit holen und auf diese Weise das Bewusstsein dafür schärfen, wie unverzichtbar Theater als Fundament unseres kulturellen Selbstverständnisses und als Seismographen für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen sind. Wir haben diesen Ermutigungs-Preis im Januar erstmals an zwölf Theater vergeben. Das waren sehr bewegende Momente. Ich kann mir bei dieser Gelegenheit den Hinweis nicht verkneifen, dass es selbstverständlich nicht möglich ist, das Preisgeld des Bundes mit der kommunalen Zuwendung zu verrechnen, so wie man sich das offenbar in Stendal vorgestellt hatte - ein verblüffend absurdes Ansinnen. Der Bund ist nicht Reparaturbetrieb, wo Kommunen und Länder sparen! Das Preisgeld soll den Theatern helfen, nicht den Stadtkämmerern! Denn die vielen kleinen Theater, die mit Leidenschaft und Idealismus dafür sorgen, dass es auch abseits der Großstädte Inszenierungen auf hohem professionellem Niveau gibt, sind es allesamt wert, erhalten zu werden!

Deutschlands Ruf als Kulturnation liegt - auch - in der einzigartigen Vielfalt dieser vielen Hundert Bühnen begründet. Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft wurde im vergangenen Jahr deshalb in die ( nationale ) Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen; andere Länder beneiden uns darum. Diese weltweit höchste Theaterdichte und Theatervielfalt zu bewahren, mag aufwändig und teuer sein. Und dennoch ist es kein dekorativer Luxus, den wir uns leisten, sondern gerade in einer pluralistischen Gesellschaft, gerade in Zeiten des Umbruchs, wie wir sie im Moment erleben, ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung, zur Selbstvergewisserung und zur Verständigung. Theater sind als Vexierspiegel unserer Gegenwart Unruhestifter im besten Sinne. Es sind Orte demokratischer Öffentlichkeit, an denen eine Gesellschaft ihre Werte mit der Wirklichkeit konfrontiert, ihre glücklichen Ereignisse und Konflikte verhandelt und sich ihren Defiziten und Widersprüchen stellt. Theater sind Orte öffentlicher Debatten, die die Gesellschaft nie nur abbilden, sondern immer auch mitformen. Wir brauchen diese Orte der Selbstvergewisserung heute mehr denn je. Denn Kultur schafft Identität. Kultur ist unser stärkster Integrationsmotor - gerade auch angesichts hunderttausender Menschen, die ihre Heimat in Kriegs- und Krisenregionen verlassen in der Hoffnung, im friedens- und wohlstandsverwöhnten Europa Zuflucht zu finden.

Was können wir dabei vom Theater erwarten? Luc Perceval hat es in einem Interview einmal so formuliert: "Das Theater ist einer der wenigen Räume, der sich dem Lärm entziehen kann. Wir brauchen eine Konzentration, damit man sich mit den Dingen in der Tiefe auseinander setzen kann." Das Theatertreffen eröffnet uns solche Räume. Freuen wir uns auf das einmal mehr so aktuelle "Schiff der Träume" !