Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08. Juni 2016

Anrede: Sehr geehrter Herr Ziesemer,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/06/2016-06-08-zwei.html


Wenn Sie um Nachwuchs für Ihre Branche werben, dann tun Sie das mit den Worten "Jobs mit Spannung". Diese Spannung im doppelten Sinne bieten Sie nicht allein in Ihren Unternehmen, sondern Sie übertragen sie auch auf andere Wirtschaftszweige. Denn die Elektroindustrie verfügt über Schlüsselkompetenzen, die überall zum Einsatz kommen: in Fabriken und Büros, in Kliniken und Hotels ebenso wie in privaten Haushalten. All das, was Sie herstellen und leisten, ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Sie sind immer wieder Schrittmacher des Fortschritts. Innovationsfähigkeit ist Ihr Markenzeichen und zugleich Grundlage für jede dritte Innovation des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt. 850.000 Beschäftigte, ein Jahresumsatz von 180 Milliarden Euro das lässt sich sehen; das heißt, die Branche ist eine tragende Säule unseres Wirtschaftsstandorts.

Daher ist es mir eine Freude, hier mit dabei zu sein. Ich freue mich natürlich, dass Sie Ihre Tagung heute auch mit französischen Gästen durchführen. Ich glaube, dies ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass wir uns den neuen Herausforderungen gemeinsam stellen.

Sie investieren in die Zukunft. Es waren allein im vergangenen Jahr 15,5 Milliarden Euro, die die Elektroindustrie in Forschung und Entwicklung angelegt hat. Herr Kaeser hat soeben aus seiner Perspektive auch zu den Herausforderungen der Innovation gesprochen. Die Weiterentwicklung liegt natürlich vor allen Dingen im digitalen Bereich. Deshalb glaube ich, dass Ihr Thema sehr richtig gewählt ist. Die digitale Entwicklung ist eine Schicksalsfrage da stimme ich Herrn Kaeser zu. Davon wird es abhängen, ob diese Branche auch in zehn oder fünfzehn Jahren noch genauso selbstbewusst nach vorne schauen kann wie in einem solch guten Entwicklungszustand wie heute.

Ich glaube, wir haben seitens der Bundesregierung diese Herausforderung erkannt und haben in der Großen Koalition die Digitale Agenda aufgelegt und damit auch die Aktivitäten der verschiedenen Ressorts sehr gut gebündelt. Wir versuchen, die Leitplanken, die Sie brauchen, um in einem sicheren Umfeld zu agieren, mit zu entwickeln und unsere Kraft auch in die Europäische Union einzubringen, um die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen.

Plattform Industrie 4.0 heißt das, das wir als Kompetenz-Netzwerk geschaffen haben. Anderswo spricht man vom Internet der Dinge. Industrie 4.0 ist sicherlich eine Untermenge des Internets der Dinge, die eben auf den industriellen Bereich begrenzt ist. Wir sind recht froh, dass es gelungen ist, nicht weiter sozusagen solitär zu arbeiten, sondern dass die Plattform Industrie 4.0, auf der auch über Standardisierung und Normierung gesprochen wird, und das Industrial Internet Consortium eine Zusammenarbeit vereinbart haben. Ich glaube, das ist vernünftig. Bei der Gründung dieser Plattform haben wir erkannt, dass manches deutsche Unternehmen schon ganz woanders auf der Welt unterwegs ist und sich einbringt. Die neue Kooperation ist sehr wichtig, um gleiche Standards zu setzen. Wir wissen: Wer Standards setzt, hat dann auch ein Stück weit die Möglichkeit, Bedingungen zu definieren.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir auch offen sind für Handelsabkommen. Sie haben soeben nochmals die Voraussetzungen definiert, die Sie sich für den Abschluss eines Freihandels- und Investitionsabkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika wünschen. Wir müssen auf der einen Seite die Aufgabe sehen, ein ambitioniertes Abkommen zu entwickeln. Auf der anderen Seite gilt es, die Erwartungen nicht in die lichtesten Höhen zu schrauben. Wir müssen auch sehen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika inzwischen ein pazifisches Handelsabkommen abgeschlossen haben, dass andere Regionen der Welt miteinander Handelsabkommen abschließen und dass wir nun selbst eine Abwägung vornehmen müssen: Überwiegt der Nutzen für uns, überwiegen die interessanten Dinge, die man noch nicht erreichen konnte, oder ist das nicht so? Dann können wir eine sehr selbstbewusste Entscheidung treffen. Natürlich muss es für uns von Vorteil sein. Da wir aber insgesamt schon eine sehr große Skepsis haben, muss man die Skepsis im Augenblick nicht noch vergrößern, sondern man muss vor allen Dingen den Wind in die unterstützende Richtung wehen lassen, damit ambitioniert verhandelt wird. Dabei würde ich mir wünschen, dass auch Sie in Ihren Unternehmen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen, was die Vorteile sind, warum es auch für uns gut ist, Geld in Innovation stecken zu können und uns nicht weiter damit auseinandersetzen zu müssen, dass wir, was nichttarifäre Handelshemmnisse anbelangt, ständig Geld für Doppelentwicklungen und -zulassungen und vieles andere mehr ausgeben müssen.

Ich will aber zurück zur Industrie 4.0 kommen. Wir sind in klassischen Industriekompetenzen stark sowohl in den großen als auch in den mittelständischen Unternehmen. Aber diese klassischen Industriekompetenzen treten jetzt sozusagen in einen akuten Wettbewerb mit denen ein, die klassischerweise Kompetenzen im Datenmanagement haben, nämlich mit Internetunternehmen. Die Frage ist: Wer ist in der Lage, Datenverarbeitung und Big-Data-Management kundenorientiert zu nutzen und wer hat zum Schluss die Wertschöpfung in der Hand? Ist das derjenige, der klassischerweise Industriegüter produziert, oder ist es derjenige, der aus dem Internetbereich kommt und das Industriegut als Produkt einer verlängerten Werkbank betrachtet? Wir haben gute Chancen, die Schlacht zu gewinnen. Aber die Risiken sind nicht unerheblich. Wir wollen natürlich, dass Deutschland vorne mit dabei ist. Nun heißt das, vor allen Dingen die Chancen zu sehen.

Die Elektroindustrie ist einer der Treiber dieser Entwicklung. Sie haben ja auch das Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 entworfen. Dies kann man sich als eine Art Schablone vorstellen, die Aufschluss darüber gibt, welche digitalen Anforderungen auf den verschiedenen Ebenen des Geschäftsprozesses zu erfüllen sind. Es ist sicherlich richtig, dass man sehr offen darüber spricht, was neu entsteht, was verschwindet oder ersetzt wird. Ich glaube, dass, wenn wir das Neue wirklich in vollem Umfang akzeptieren, unter dem Strich die Chancen größer als die Risiken sind. Das setzt aber voraus, dass wir auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Möglichkeiten haben, in das Management der Daten mit einzutreten. Die eigentliche große Aufgabe sehe ich darin, ein Umfeld zu schaffen das ist mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung schon relativ gut gelungen, in dem Big-Data-Management auch in Europa zu vernünftigen Bedingungen stattfinden kann und in dem wir Wettbewerbsgleichheit zwischen den verschiedenen Anbietern haben, was heute zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union noch nicht der Fall ist.

Umso wichtiger ist es, dass nicht nur die Bundesregierung ihre Hausaufgaben macht, sondern dass Europa ein "level playing field", wie man so schön sagt, schafft, also ein gleichmäßiges Wettbewerbsumfeld, in dem wir die Vorteile des europäischen Binnenmarkts nutzen können, in dem alle Anbieter ähnliche Konditionen vorfinden und in dem wir eine gute Balance von individuellem Datenschutz und Möglichkeiten des Datenmanagements hinbekommen. Das wird nicht ganz einfach, wenn ich nur daran denke, dass die Datenschutz-Grundverordnung, die wir jetzt glücklicherweise verabschiedet haben, eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthält, die in den 28 Mitgliedstaaten wiederum unterschiedlich ausgelegt werden können. Wir müssen sehr darauf aufpassen, dass das nicht in eine Flut von Zerstückelung ausartet, sondern dass der Binnenmarkt auch in diesem Bereich wirklich sichtbar bleibt.

Ich glaube, die Herausforderung wird von den großen, aber auch von vielen mittleren Unternehmen nicht nur erkannt, sondern auch angenommen, was wenn ich an meine Besuche in Unternehmen denke, die sich der Industrie 4.0 widmen auch bedeutet, dass sich die gesamte Architektur von Unternehmen verändert. Die Hierarchien werden eher flacher, die Netzwerke intensiver. Die Interoperabilität, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Bereichen muss da sein. Ich glaube, dass man stärker als bisher einen Blick auf den Kunden haben muss und dass man dem Kunden den Mehrwert dessen erklären muss, was man tut, und dass man ihn dazu einladen muss, diesen Mehrwert auch wirklich zu nutzen. Ansonsten wird die Entwicklung nicht ausreichend betrieben werden.

Es ist sicherlich ganz wichtig, dass auch Sie in Ihrem Verband darauf achten, dass alle Unternehmen mitgenommen werden. Ich denke, dass die Zulieferer sozusagen von ihren Bestellern dazu eingeladen werden, sich am digitalen Wandel zu beteiligen. Aber es kann eigentlich nicht schnell genug gehen, dass man das gesamte System auch ein Stück weit neu denkt.

Wir versuchen, dem Mittelstand auf diesem Weg zu helfen, indem wir "Mittelstand 4. 0-Kompetenzzentren" anbieten. Zehn sind vorgesehen, die ersten haben bereits die Arbeit aufgenommen. Sie beraten, sie bieten Anschauungsmaterial und die Gelegenheit, neue Industrie 4. 0-Anwendungen zu erproben. Ich glaube, dass das für neue oder junge Unternehmen spannend sein kann. Wir hoffen, dass daraus eine bestimmte Dynamik entsteht.

Wir wissen, dass eine ganz entscheidende Rolle auch das Bildungssystem spielt. Wir müssen das Thema "digitale Bildung" im Bildungssystem noch sehr viel besser verankern. Das ist eine Aufgabe von Bund und Ländern. Schülerinnen, Schüler und Auszubildende müssen sich auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt und der neuen Wissensgesellschaft vorbereiten. Der Bund, obwohl für die Schulen nicht zuständig, versucht vor allen Dingen, in der Lehrerbildung Anstöße zu geben, weil natürlich nur Lehrer, die firm sind, digitale Kompetenzen vermitteln können. Wir werden uns bei der Fort- und Weiterbildung auf neue Notwendigkeiten einstellen und das lebenslange Lernen verwirklichen müssen. Die Unternehmen machen das zum Teil; zum Teil ist das in den Tarifverträgen verankert. Wir haben neulich bei unserer Kabinettsklausur in Bezug auf die Digitale Agenda auch darüber gesprochen, ob zum Beispiel auf die Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf die Qualifizierung neue Aufgaben zukommen. Digitale Kompetenzen müssen also sozusagen in den Alltag einziehen. Deshalb wird das Thema Bildung beim nächsten IT-Gipfel, der im Saarland stattfinden wird, eine zentrale Rolle spielen.

Wir müssen Menschen begeistern, sich in dieser neuen Welt wohlzufühlen. Damit komme ich auf MINT-Berufe zu sprechen, wie sie so schön heißen also mathematische, ingenieurwissenschaftliche, naturwissenschaftliche und technische Berufe. Hierzu sind insbesondere Mädchen noch stärker einzuladen. Wir haben zwar gewisse Fortschritte gemacht, aber angesichts unserer demografischen Entwicklung brauchen wir mehr Mädchen etwa in den technischen Berufen. Ich danke allen, die sich darum bemühen, Mädchen Mut zu machen. Eigentlich braucht man ihnen gar keinen Mut zu machen. Ich habe es auch irgendwie geschafft. Man muss aber einen kleinen Anschub geben und auch darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten, lebenslang eine qualifizierte Stelle einzunehmen und auch vernünftig zu verdienen, eigentlich sehr gut sind.

Herr Kaeser hat, soweit ich gehört habe, bereits über die Organisation der Arbeit gesprochen. Hierbei werden wir zwei Aufgaben haben. Die eine ist: Welche Art von Flexibilisierung brauchen wir? Stichwort ist die Selbstbestimmtheit in der Berufsausübung mit all ihren Chancen, auch für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da passt manches zum Beispiel im Arbeitszeitbereich nicht gut zusammen. Darüber haben wir auch gesprochen. Jetzt müssen wir schauen, was zu tun ist. Die elfstündige Ruhezeit, die es, glaube ich, nach dem europäischen Arbeitsrecht gibt, kann mancher Betätigung im Weg stehen. Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten, dass es nicht die 24-Stunden-Verfügbarkeit jeden Arbeitnehmers und jeder Arbeitnehmerin gibt, weil man ja so gut erreichbar ist und weil es sich anbietet, dass man dauernd etwas sehr Dringendes zu tun hat. Das heißt also, wir werden vielleicht auch mit verschiedenen Regelungen für verschiedene Berufsbilder leben müssen, also mit mehr Vielfalt und mehr auf die jeweilige Tätigkeit ausgerichtete Arbeitszeitmöglichkeiten.

Es wird auch große Herausforderungen für unsere sozialen Systeme geben. Die Vielfalt der Betätigungen an dieser Stelle wird dazu führen, dass wir überlegen müssen, wo man Pflichten für Versicherungen einführen muss, damit bis ins Alter nicht Biografien entstehen, die nicht mehr einer klassischen Rentenbiografie entsprechen, weshalb staatliche Leistungen in Anspruch genommen werden müssen, obwohl man das gesamte Arbeitsleben über eigentlich ganz gut verdient hat. Es gibt also eine Vielzahl von Herausforderungen.

Die öffentliche Hand muss natürlich auch in Wissenschaft und Forschung investieren. Herr Kaeser hat ein so phänomenales Modell entwickelt, weshalb ich raten würde, dem Finanzminister einen Brief darüber zu schreiben, wie er die wundersame Geldvermehrung vorantreiben kann. Ich vermute einmal, dass Sie das bei Siemens so machen und bei dieser Billigzinspolitik derzeit einige Wechsel auf die Zukunft aufnehmen. Dabei kann man ja gar nichts verlieren.

Zuruf ( akustisch unverständlich )

Das war keine Kritik an Siemens. Ich werde mir das anschauen.

Wir haben jedenfalls in den letzten zehn Jahren unser Engagement in Bezug auf Investitionen in Forschung und Innovation stetig vergrößert. Ihnen ging es aber auch um Infrastrukturinvestitionen. Hierbei ist in der Tat eine ganze Menge zu tun. Wir müssen nur aufpassen, dass die Investments nachhaltig tragfähig sind.

Natürlich sind die Fragen des Datenmanagements, des Datenschutzes und der Datensicherheit ein großes Thema. Ich glaube allerdings, dass auch die öffentliche Hand in Deutschland noch sehr viel mehr Angebote machen und die Möglichkeiten, die sich im digitalen Zeitalter bieten, besser nutzen muss. Es gibt inzwischen Ausweise mit einem Chip, der im Grunde eine Identifikation jeder Person möglich macht. Die Anwendungsbereiche sind allerdings ausgesprochen begrenzt. Das zu ändern, könnte natürlich ein riesiges Bildungsprogramm sein.

Wir haben den estnischen Ministerpräsidenten zu Gast gehabt. Es ist in Estland von der Gesundheitsakte über Wahlen bis hin zu vielen anderen Bereichen ganz selbstverständlich, digitale Möglichkeiten zu nutzen. Auch wir müssen jeweils Risiko- und Chancenabwägungen vornehmen. Bei unserer Diskussion hat uns der estnische Ministerpräsident sehr umfangreich zum Beispiel von der individuellen Gesundheitsakte erzählt, die jeder hat und bei der auch jeder zum Beispiel kontrollieren kann, welche Daten er verschiedenen Ärzten zugänglich macht. Eigentlich war es immer so, dass wir gefragt haben: Aber es muss doch einmal etwas schiefgegangen sein? Er hat uns aber unentwegt davon erzählt, welche Chancen damit verbunden sind. Das war eine sehr spannende und aufschlussreiche Diskussion. Ich denke, wir müssen uns solchen Fragen in den nächsten Jahren noch sehr viel entschiedener stellen. Die Einführung der Gesundheitskarte ist noch kein Beispiel dafür, wie schnell man das Zeitalter der Digitalisierung erreicht.

Zuruf ( akustisch unverständlich )

Passen Sie auf: Jede Art von Lobbyismus ist dann auch begrenzt, denn der Vorteil der Digitalisierung ist ja schonungslose Transparenz. Ich bin nicht auf einem Gesundheitskongress. Deshalb will ich das hier nicht weiter ausführen, weil sonst die Ärzte sagen: Warum kommen Sie nicht zu uns und wir sprechen darüber? Wenn die Dinge sichtbarer werden, dann kann man zum Beispiel wegen einer Krankheit eben vielleicht nicht mehr zu drei Ärzten gehen. Damit sind dann natürlich auch sozusagen Errungenschaften, die man sich im Laufe seines Lebens durch kluge Verbandsarbeit erarbeitet hat, ein bisschen gefährdet. Aber die Bereitschaft zum Wandel muss man haben. Mir ist jetzt nicht ganz klar, wo bei Ihnen die intransparenten Ecken sind; leider habe ich mich darauf nicht vorbereitet. Ich werde mich noch einmal erkundigen.

Jetzt begebe ich mich auf schwieriges Terrain. Deutschland ist zum Beispiel im gesamten Dienstleistungsbereich nicht das effizienteste Land in Europa, weil wir unter Hinweis auf hohe Standards eine Vielzahl sehr regulierter Berufe haben, die Effizienz sicherlich nicht so zum Strahlen kommen lässt, wie es sein könnte.

Ich wollte jetzt aber über etwas Einfacheres sprechen, nämlich über Sicherheitsfragen. Die kritische Infrastruktur muss gesichert werden. Der estnische Ministerpräsident hat uns über die schwierigen Lernerfahrungen Estlands durch Cyber-Angriffe berichtet. Daraus kann man lernen. Das setzt aber auch wieder Transparenz voraus. Ich glaube, dass das IT-Sicherheitsgesetz, das wir verabschiedet haben, ein guter und kooperativer Ansatz ist. Wir suchen gemeinsam mit der Wirtschaft nach Lösungen, um Cyber-Angriffen Herr zu werden, sie zu erkennen, zu melden, abzuwehren und zu verfolgen. Wir müssen eine gute Zusammenarbeit mit der Wirtschaft haben. Manch einer mag Sorgen haben, dass es auch ein Reputationsverlust sein könnte, wenn man Ziel einer Attacke wird. Da das aber sehr häufig passiert, muss man ganz einfach sagen, dass es viel wichtiger ist, dass wir lernen, wie wir damit umgehen.

Wir brauchen einen europäischen Ansatz. Wir brauchen an vielen Stellen sogar einen globalen Ansatz. Die Kooperation mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist hierbei sehr wichtig. Wir brauchen natürlich auch eine vernünftige Infrastruktur. Unser Ziel ist erst einmal, in Bezug auf das Internet bis 2018 flächendeckend Anschlüsse mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu schaffen. Danach baut sich natürlich eine ganz andere Aufgabe auf. Diese wird eher im Gigabit- als im Megabit-Bereich pro Sekunde liegen, wenn wir autonomes Fahren wollen, wenn wir Telemedizin unter zuverlässigen Bedingungen wollen, wenn wir das Internet der Dinge wirklich erlebbar machen wollen. Dann geht es nicht um den Anschluss von einzelnen Haushalten, sondern dann geht es um eine durchgängig verfügbare Bandbreite über die gesamte Fläche. Man kann sich vorstellen, dass das noch erhebliche Notwendigkeiten mit sich bringen wird, insbesondere auch darauf achtet unser Kommissar Günther Oettinger glücklicherweise eine möglichst internationale Zusammenarbeit bei der Einführung der nächsten Stufe von 5 G. Wir müssen die Frequenzbereiche in Europa grenzüberschreitend sehr viel besser ordnen, sonst wird 5 G überhaupt nicht anwendbar sein. Wir haben viele Monate darauf verwandt, um in Europa zum Beispiel einen gemeinsamen Stecker für das Elektroauto zu akzeptieren. Wir müssen schneller werden, auch im Punkt Standardisierung, denn sonst wird es keinen digitalen Binnenmarkt geben.

Damit sich die verschiedenen Bereiche Mobilität, Maschinenbau, Datenübertragung, Telemedizin wirklich gut entwickeln können, ist es also wichtig, dass der Staat für die Infrastruktur und für die geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen sorgt. Wir werden vieles neu denken müssen. Beispielsweise muss man sich das Auto ohne Fahrer denken müssen. Von der Versicherungswirtschaft bis zu Definitionen in der Straßenverkehrsordnung werden viele rechtliche Dinge zu überarbeiten sein.

Wir werden einen riesigen Wandel auch im Bereich der Energiewirtschaft haben. Sie haben hier auch das Thema Erneuerbare-Energien-Gesetz kurz gestreift. Parallel zu Ihnen tagt der BDEW, bei dem ich heute schon war, wo ich natürlich ausführlicher über Energie gesprochen habe. Intelligente Netze sind natürlich etwas, was auch für Sie von großer Bedeutung ist. Stichwort: Smart Meter; damit gibt es auch sehr viel mehr Effizienzmöglichkeiten.

Wir werden erleben, dass der digitale Wandel unser persönliches Leben und unser gesamtes gesellschaftliches Leben verändern wird. Die Individualisierung der Produkte führt natürlich auch dazu, dass sich individuelle Ansprüche sehr viel stärker entwickeln werden. Was das für den Solidaritätsgedanken, für die Frage der gesamten Versicherungsbereitschaft und -akzeptanz und für die Frage der Verbands- oder Parteistrukturen in unserer Gesellschaft bedeutet, werden wir alles schrittweise erleben.

Die sozusagen lebenslängliche Bindung an eine Struktur ist etwa durch die leichte Wechselmöglichkeit in der WhatsApp-Gruppe heute schon etwas ins Wanken geraten. Wer mir nicht mehr gefällt, mit dem muss ich ja nicht kommunizieren. Ich kann mir meine Gruppe aussuchen. Man findet immer genügend Gleichgesonnene. Was das dann aber für die Notwendigkeit kontroverser gesellschaftlicher Debatten bedeutet Wer setzt sich dem noch aus? Wie bleiben wir kreativ? Wie bleiben wir produktiv? , damit werden wir uns noch eingehend auseinandersetzen müssen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist eine absolut wichtige, entscheidende Zeit. Ich hoffe, dass wir, angesichts der Schnelligkeit, in der der Wandel vonstattengeht, die richtigen politischen Antworten darauf finden, dass wir die Antworten schnell und nicht immer erst zu spät finden. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger, auch um Rechtssicherheit zu haben. Ich hoffe, dass wir in Europa verstehen, dass in der globalisierten Welt Rechtsetzung nicht allein nach europäischen Befindlichkeiten erfolgen kann, sondern sich auch in das Gesamtumfeld der Welt einordnen muss, denn der Kunde wird sich dorthin wenden, wo es bessere Regeln gibt, und sich nicht mit komplizierten Regeln abfinden wollen. Deshalb hängt meiner Meinung nach für Europa in diesen Jahren sehr viel davon ab, ob wir diese Herausforderung meistern und damit unseren Wohlstand sichern oder nicht.

Ich glaube, dass der European Round Table, in dessen Rahmen der französische Präsident und ich über diese Fragen zusammen mit der Europäischen Kommission diskutieren, ein gutes und richtiges Format ist, aber dass wir in Europa insgesamt noch selbstkritischer unseren Stand und unsere Position in der Welt analysieren müssen. Es gibt Bereiche, in denen wir sehr gut sind, in den auch Sie einen davon repräsentieren. Es gibt aber auch Bereiche Internetwirtschaft, Softwareunternehmen, in denen wir nicht so gut sind. Das muss uns unruhig stimmen, vielleicht sogar unruhiger, als wir heute sind.

Ihnen herzlichen Dank dafür, dass Sie sich dieses Themas annehmen. Das Gute an so einem Thema ist, dass man einfach bis ins hohe Alter immer wieder etwas Neues lernt. Es ist ja auch schön, wenn sich nicht einfach immer nur die Schraubengröße oder das Ventil ein bisschen verändern. Bei diesem Thema haben wir es vielmehr mit richtig disruptiven Innovationen zu tun. Das hält jung. In diesem Sinne auf gute Zusammenarbeit.