Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 22.04.2001
Untertitel: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner Eröffnungsrede zur Hannover-Messe über die wirtschaftliche Situation in Deutschland gesprochen, u.a. zur Steuerpolitik insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sowie zur Konjunktur.
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kasjanow, lieber Herr Ministerpräsident Gabriel, lieber Herr Schrempp, lieber Herr Harting, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/59/36759/multi.htm
Eines möchte ich eingangs sagen, und das macht mir heute Abend besondere Freude. Es hat nichts mit Geschäften und Messen zu tun. Es hat nicht einmal mit internationaler Politik, sondern es hat schlicht mit menschlichem Glück zu tun. Ich gratuliere Jürgen Schrempp und seiner Frau zu ihrer Tochter, die, wenn ich richtig gerechnet habe, fünf Wochen alt ist. Sie mögen daran ersehen: Er arbeitet nicht nur exzellent für die deutsche Wirtschaft, sondern er tut auch noch etwas für unsere Rente. Das nehmen wir dankbar zur Kenntnis.
Zunächst möchte ich mich ganz kurz auf das beziehen, was Herr Ministerpräsident Kasjanow zu Russland und den Notwendigkeiten, vor denen Russland steht, gesagt hat. Ich denke, dass wir uns hier in Deutschland einig sind - Wirtschaft, Gesellschaft, Politik - , dass wir eine Riesenchance haben, dieses alte Europa zu einem Kontinent des dauerhaften Friedens und der Wohlfahrt zu machen. Und wenn ich "Europa" sage, dann gehört das, was wir eine strategische Partnerschaft Europas zu Russland nennen, dazu. Ich weiß mich in diesem Bemühen mit Ihrem Präsidenten einig, Herr Ministerpräsident. Ich denke, dieser gemeinsame Weg - bei allen Unterschieden, die es gibt - sollte uns einen.
Vor diesem Hintergrund ist es auch gut, wenn wir sehen, wie exzellent Russland auf dieser weltgrößten Industrie-Messe vertreten ist. Das ist ein Zeichen der Hoffnung für das Gelingen dieser Partnerschaft und allemal auch ein Zeichen für die riesige Aufgabe, die Sie, die Ihr Präsident, alle Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhaben, nämlich dieses große, für viele von uns schwer überschaubare Land zu einem Ort wirtschaftlicher Reformen und demokratischer Stabilität zu machen. Sie können sicher sein, dass Deutschland und die Menschen in Deutschland das Gelingen dieses Reformprozesses unterstützen wollen und werden.
Ein Zweites möchte ich auf das antworten, was Herr Harting zur Notwendigkeit der europäischen Einigung gesagt hat. Wir reden ja gelegentlich darüber, dass sich Europa jetzt erweitere, und tun damit so, als ob die Staaten, um die es geht - die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, in etwas weiterer Zukunft auch Rumänien und Bulgarien - , nicht zu Europa gehörten oder nicht zu Europa gehört hätten. Das wäre ganz falsch. Das sind alles Länder und Völker, die sich immer als Europäer begriffen haben, die durch den Zweiten Weltkrieg, den Eisernen Vorhang von uns getrennt waren und sich nun die Chance erarbeiten wollen, eins zu werden mit dem integrierten Europa, mit der Europäischen Union. Denn nicht Europa, sondern die Europäische Union erweitert sich.
Es ist richtig, dass dieser Prozess Mut braucht. Diese Feststellung kann ich nur unterstreichen. Wenn dieser Prozess gelingen soll, dann braucht es aber möglichst viele Menschen, die in Deutschland und in den anderen europäischen Staaten bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Wäre das ein Weg, der nur von den politischen, kulturellen und den ökonomischen Eliten der europäischen Länder beschritten würde, dann müsste dieser Prozess scheitern. Weil er aber nicht scheitern darf, müssen wir die Menschen so, wie sie nun mal sind, auf diesen Weg mitnehmen, möglichst alle, auf jeden Fall viele von ihnen. Das heißt, wir müssen nicht nur Mut haben, den Weg zu gehen, sondern wir müssen auch Signale der Sicherheit für Menschen aussenden, die mehr an Sicherheit brauchen, weil sie weniger an Unsicherheit aushalten können.
Es ist also nicht kleinlich und auch kein Krämergeist, wenn wir sagen: Wir wollen diesen Prozess der Erweiterung der Europäischen Union so gestalten, dass wir die Chancen, die in ihm liegen, die zumal für die Deutschen gewaltig sind, maximieren, und die Risiken für die Menschen, die diesen Prozess auch mit Ängsten begleiten, minimieren. Hier liegt der Grund, warum ich innerhalb der Europäischen Union mit Bezug etwa auf den Arbeitsmarkt und die Dienstleistungsfreiheit so sehr dafür plädiert habe, dass wir die Sicherheitsaspekte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch von Handwerksmeistern entlang der dann nicht mehr existierenden Grenze nicht vernachlässigen, sondern ernst nehmen.
Ich habe natürlich einen Redetext. Aber ich will versuchen, auf das einzugehen, was sowohl der Vorsitzende des Verbandes als auch Herr Schrempp gesagt haben, weil das zwei Reden waren, wie Politik sie sich eigentlich nur wünschen kann: Nicht unkritisch - ich räume ein, das Lob hätte noch größer ausfallen sollen und dürfen - , aber jedenfalls Reden, mit denen eine Auseinandersetzung deshalb lohnt, weil sie inhaltsreich und fair waren. Ich möchte gerne erklären, warum das, was Sie an Forderungen erhoben haben - die meisten von ihnen kann ich sogar unterstreichen - , in der gesellschaftlichen Wirklichkeit schwieriger umzusetzen ist, als es Ihre Forderungen, auch die Plausibilität Ihrer Forderungen, nahe legen. Ich will versuchen, das anhand der Beispiele zu deklinieren, die Sie genannt haben.
Ich möchte Ihnen auch erklären, warum Politik immer etwas langsamer ist, als betriebswirtschaftliche Entscheidungen sein können. Uns steht ein Direktionsrecht - ich sage gelegentlich: leider - nicht zur Verfügung. Das ist eines der Probleme. In einer Demokratie darf das aber auch nicht sein.
Aber nun zu den einzelnen Themen. Sie haben über die Steuerpolitik geredet. Sie haben sie als einen durchaus respektablen Erfolg gekennzeichnet. Darüber habe ich mich gefreut. Aber Herr Harting hat den Punkt genannt, dass es einen Unterschied, eine Schlechterstellung der mittelständischen Unternehmen, verglichen mit den Kapitalgesellschaften, bei der Unternehmensbesteuerung gebe. Sie werden verstehen, dass ich das nicht so einfach stehen lassen kann, weil es aus meiner Sicht falsch ist.
Wir haben - das ist Ihnen bekannt - bei den Kapitalgesellschaften eine Körperschaftsteuer von 25 Prozent durchgesetzt. Darauf kommt eine durchschnittliche Gewerbeertragsteuer von etwa 13 Prozent in Deutschland. Das sind 38 Prozent. Hier im Saal weiß jeder, Herr Harting, dass diese 38 Prozent das sind, was die Fachleute "Definitivbesteuerung" nennen. Das heißt, das Geld ist von der ersten Mark an abzuliefern.
Jetzt komme ich zu der Besteuerung der Personengesellschaften, die ja nach Einkommensteuerrecht veranlagt werden, wie wir wissen. Ich rede jetzt nicht über 2005, wo es 42 Prozent sind, sondern über 2001 - also dieses Jahr - , wo es noch 48,5 Prozent in der Spitze sind. Allerdings bitte ich zu beachten, dass wir für diese Personengesellschaften die Gewerbeertragsteuerbelastung faktisch abgeschafft haben. Bei der nächsten Rede, verehrter Herr Harting - ich sage Ihnen das wirklich freundschaftlich - , müssen Sie das unbedingt hinzufügen und ein kleines Lob daran hängen!
Wir haben also diese 13 Prozent im Durchschnitt abgeschafft. Dadurch reduziert sich aktuell die Steuerlast für diejenigen, die Gewerbeertragsteuer zahlen, auf etwa den gleichen Satz wie bei den Kapitalgesellschaften, wobei gilt, dass die Besteuerung nach Einkommensteuerrecht keine Definitivbesteuerung, sondern Grenzbesteuerung ist, das heißt, dieser etwa gleiche Steuersatz nicht für die erste Mark gezahlt wird, sondern der Progression unterliegt. Wenn man das bei Licht betrachtet, sind die Personengesellschaften im Vergleich zu Kapitalgesellschaften also keineswegs schlechter, sondern besser gestellt. Das sollte übrigens auch so sein. Aber man muss das auch so sagen!
Nun wird eingewandt: "Wegen der früher hohen und auch jetzt noch existierenden Freibeträge bei der Gewerbeertragsteuer gibt es sehr viele Mittelständler, die diese Gewerbeertragsteuer gar nicht gezahlt haben!" - Herr von Wartenberg nickt auch. - Aber da muss ich Ihnen jetzt sagen: Steuern, die Sie nicht gezahlt haben, kann ich Ihnen auch nicht erlassen. Das kann nicht funktionieren!
Unterm Strich bin ich sicher, dass wir mit dieser Form der Unternehmensbesteuerung richtig liegen.
Die Forderung übrigens, für die Unternehmen noch weiter herunterzugehen, kann ich nachvollziehen. Wir machen das ja 2005 auch. Dann sind sie bei 42 Prozent Spitzensteuersatz. Wir haben das bereits heute ins Gesetz geschrieben, damit sie das auch planen können - was übrigens wichtig ist im Vergleich zu früheren Jahressteuergesetzen, die ja Planbarkeit kaum erlaubt haben.
Jetzt würde man auch sagen können: Wenn ihr noch weiter herunter geht, dann stärkt ihr die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. - Dieses Argument ist stimmig. Es würde aber gegen einen anderen Punkt verstoßen - ich rede jetzt nicht über Gegenfinanzierung - , den Sie nur angedeutet, aber sehr wohl genannt haben. Sie haben nämlich die Forderung erhoben und unterstrichen, dass Haushaltskonsolidierung, also die Reduzierung des Schuldenberges der öffentlichen Hände, ein ebenso wichtiger Punkt wie die Reduzierung der Steuerlast ist. Beides geht aber nur schwer zusammen. Wollten wir früher mit den Steuersätzen herunter, müssten wir uns über eine Gegenfinanzierung unterhalten oder die Konsolidierungspolitik aufgeben oder aber in den Bereichen, die Sie auch genannt haben - Infrastruktur, vor allen Dingen Bildungspolitik - , nicht mehr, sondern weniger öffentliche Mittel ausgeben.
Was gelegentlich von Politik erwartet wird, ist schlicht die Quadratur des Kreises. Das kriege ich auch nicht hin. Wir sollen mit den Steuern herunter, die Konsolidierung nicht aufgeben und gleichwohl mehr öffentliche Mittel für Bildung, Infrastruktur, Sicherheit - für öffentliche Sicherheit, für die internationale Sicherheit - ausgeben. Das passt nicht zusammen. Jedenfalls ist es in der Praxis schwer, das zusammen zu kriegen. Das Ergebnis einer vernünftigen Politik muss immer sein, diese drei Grundforderungen möglichst überein zu bringen. Man wird dabei keine idealtypisch verwirklichen können. Das ist nicht möglich. Das ist nur auf beschriebenem Papier möglich, in der gesellschaftlichen Praxis indessen nicht.
Der zweite Punkt, den Sie genannt haben - ich will dem gar nicht ausweichen - , betrifft die Frage der Flexibilität in den Betrieben, in der Gesellschaft schlechthin. Ich räume ein, wir waren über lange Jahre zu unflexibel. Ich will das keineswegs nur bei unseren politischen Gegnern abladen - das wäre zu leicht - , sondern das war schon ein Zustand der Gesamtgesellschaft. Wir haben es in dem Bereich, den ich eben genannt habe, aufgebrochen. Bei der Frage der Flexibilität, insbesondere der Arbeitsmärkte und der betrieblichen Möglichkeiten in Deutschland, habe ich zunächst eine Bitte an alle Kenner hier - Sie sind ja alle solche - : Nehmen Sie bitte schön als Maßstab für die Beurteilung der Flexibilität Deutschlands in den Betrieben nicht die Verbandserklärungen - weder auf der einen noch auf der anderen Seite - , sondern nehmen Sie bitte die betrieblichen Wirklichkeiten, die Sie alle kennen, weil Sie sie alle zusammen mit Ihren Betriebsräten in sehr positiver Weise geschaffen haben.
Wenn Sie diese betrieblichen Wirklichkeiten nehmen, dann werden Sie genau so gut, wie ich es weiß - so weit bin ich nämlich noch nicht davon weg - , wissen und auch sagen können, dass in Deutschland ein Maß an Flexibilität durch betriebliche Vereinbarungen - übrigens sehr häufig durch Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen geschaffen - möglich ist und genutzt wird, das weit über das hinaus geht, was insbesondere ausländische Gäste von Deutschland denken und - jedenfalls früher über Deutschland - in der internationalen Presse geschrieben worden ist.
Ich finde, auch auf diesem Gebiet sollte man sehen: Es gibt auch hier die Notwendigkeit, die Forderung nach Flexibilität in einer globalisierten Wirtschaft mit jenem Maß an Sicherheit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verbinden, das objektiv möglich ist und das sie brauchen, wenn sie zum Beispiel ihr eigenes Leben und das ihrer Familien wirklich noch planbar gestalten können sollen. Sie werden mir nachsehen, dass diese Vermittlung und die Gewährleistung von Sicherheit durch politische Vorgaben etwas ist, das mir ebenso am Herzen liegt - das wird hier jeder verstehen - wie die Realisierung einer objektiv größeren Flexibilität in den Betrieben angesichts von veränderten Wettbewerbsverhältnissen.
Für Politik gilt auch hier, dass wir Mut zum Wandel mit organisieren müssen. Aber für ganz viele in der Gesellschaft, deren materielle Lebensgrundlage eben nicht so ist wie die der hier anwesenden Gäste, müssen wir ein Maß an Planbarkeit ihres eigenen Lebens auch in Zukunft organisieren.
Da bin ich bei dem dritten Beispiel, auf das ich eingehen will und das Sie auch genannt haben: Wie ist es denn mit den Möglichkeiten der Flexibilität in den Betrieben zum Beispiel bei Einstellungen? Uns wird ja immer unterstellt - mir auch - , wir hätten dafür kein Gespür. Ich muss Ihnen sagen: Die Wirklichkeit ist ganz anders. Wir hatten und haben ein Gesetz, nach dem die Möglichkeit befristeter Einstellung für vier Mal sechs Monate gegeben ist. Sie können also jemanden für zwei Jahre befristet einstellen, ohne einen sachlichen Grund nennen zu müssen. Dieses Gesetz war in Deutschland, von der Vorgängerregierung gemacht, bis zum 31. Dezember 2000 befristet. Der Grund war, dass man seinerzeit nicht die Power hatte, sich gegenüber gesellschaftlichen Widerständen durchzusetzen - übrigens Widerständen, die aus den Gewerkschaften, von der SPD usw. kamen. In punkto Flexibilität haben wir dieses Gesetz entfristet. Es gilt in Deutschland jetzt für immer.
Wir haben das unter sehr starker Kritik von Freunden getan, die uns jedenfalls im Regelfall wählen - was ja nicht für die gesamte Versammlung hier gilt; ich nehme das jedenfalls an. Wir haben dieses Gesetz entfristet gegen den Widerstand derjenigen, die die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen prinzipiell für problematisch halten. Wir haben damit für ein höheres Maß an Flexibilität gesorgt. Wir haben gleichzeitig in den anderen Bereichen, die Sie genannt haben, ein Stück Sicherheit für Menschen garantiert und garantieren müssen, denen das erforderliche Maß an Wandlungsfähigkeit, zu dem ja zum Beispiel auch der ganze Bereich der Bildung gehört, nicht oder noch nicht so ausgeprägt zu Gebote steht.
ViertesBeispiel: Ich fand überzeugend, was der Ministerpräsident dieses Landes zu den Notwendigkeiten der Bildungspolitik gesagt hat. Übrigens bezog sich das, was Sie zur Erbschaftsteuer gesagt haben, auf ihn. Da sind wir einig.
Ich will zur Bildungspolitik folgendes sagen. Ich fand es gut, was der Ministerpräsident über die Notwendigkeit gesagt hat, in diesem Bereich zu einer Public-private-partnership zu kommen. Das ist hier ja exerziert worden. Er hat auf die Business School hingewiesen. Er hat auf die Berufsakademien hingewiesen. Wir haben also inzwischen schon ein Mischsystem zwischen staatlichen und privat organisierten Bildungsanstrengungen. Da hat es wichtige Fortschritte gegeben.
Sie haben ferner darauf hingewiesen - Herr Schrempp hat das auch getan - , dass wir schneller werden müssen. Das gebe ich auch zu. Das ist übrigens ein außerordentlich vermachteter Bereich. Wir haben das gerade wieder erfahren. Wir sind nämlich daran gegangen und haben uns gefragt: Müssen Professoren an deutschen Hochschulen eigentlich auf Lebenszeit angestellt sein? - Wir haben gefunden: Das muss nicht sein. Aber viele, die ansonsten als Professoren sehr klug über Flexibilität schreiben und reden, sind sehr massiv gegen die Einführung von Flexibilität in dieser Frage.
Wir werden auch das Hochschuldienstrecht so verändern, dass ein Professor an einer deutschen Hochschule nach Leistung bezahlt wird. Also das machen, was inzwischen in jedem Unternehmen selbstverständlich ist, dass es leistungsbezogene Entgelte und Grundentgelte gibt. Das wollen und werden wir auch in diesem Bereich durchsetzen. Aber Sie sollten einmal alle diejenigen hören, die sich abstrakt über ein Mehr an Flexibilität verbreiten, wenn wir mit dieser Forderung kommen!
Sie sehen auch an diesem Beispiel, dass wir, wenn wir etwas in Bewegung bringen - wir haben eine ganze Menge in Bewegung gebracht - , immer aufpassen müssen, dass wir gesellschaftliche Mehrheiten dafür erhalten. Das sind nicht faule Kompromisse und kein mangelnder Mut, sondern die Erkenntnis, dass es ein noch schwierigerer Prozess ist, eine ganze Gesellschaft auf einen Reformweg mitzunehmen als ein großes Unternehmen. Dass es nicht einfach ist, zum Beispiel unterschiedliche Kulturen in einem Betrieb zusammenzubringen, wissen hier ganz viele. Erst recht ist das aber ein schwieriger Prozess in einer so heterogen strukturierten Gesellschaft, wie die unsere nun einmal ist und Gott sei Dank ist.
Ich will eine letzte Bemerkung zu dem machen, was mir eigentlich aufgeschrieben worden ist und vielleicht auch von dem einen oder anderen in den Medien erwartet wird, nämlich zu der Frage der Konjunktur. Ich sage einfach: Ich beziehe mich inhaltlich auf das, was Sie, Herr Schrempp, gesagt haben. Ich will das ausdrücklich unterstreichen und bloß die Kernpunkte noch einmal wiederholen.
Wir hatten im letzten Jahr ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent. Wir hatten - übrigens zusammen mit allen fünf Instituten - im Herbst gesagt: Wir werden wohl auf 2,75 Prozent oder 2,8 Prozent kommen. Der DIHT hat noch im Februar, gegründet auf seine regelmäßigen Umfragen in den Unternehmen, gesagt: Wir werden auf 2,8 Prozent kommen. Jetzt haben die Institute die Wachstumszahlen korrigiert. Ich beteilige mich nicht an der Zehntel-Prozent-Rechnerei. Wir werden möglicherweise unsere Ziele nicht erreichen - damit müssen wir rechnen - , in diesem Jahr jedenfalls nicht.
Aber wenn ich mir vor Augen führe, dass gute zwei Prozent Wachstum in Deutschland für Europa allemal mehr sind als vier Prozent in Irland oder Portugal - wobei ich nichts gegen die dortigen Kollegen sagen will; denen gönne ich das - und wir im Übrigen die ganzen 90er Jahre über ein durchschnittliches Wachstum von 1,4 Prozent hatten, dann haben wir doch verdammt noch einmal keinen Grund, in Sack und Asche zu laufen, sondern doch allen Grund zu sagen: Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die im Herbst letzten Jahres gesteckten Ziele zu erreichen. Und wir müssen realisieren, dass es wirklich äußere Einflüsse gewesen sind, die möglicherweise verhindert haben oder verhindern werden, dass wir unser Ziel erreichen. Denn so viel ist klar: Dass die aktuelle Schwäche der amerikanischen Wirtschaft Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur hat, kann niemand bestreiten, auch wenn die Exportzahlen, zweistellig wachsend, im Vergleich zum Vorjahr nicht so schlecht sind. Aber dass das Auswirkungen hat, kann doch niemand bestreiten. Dass die Ölpreisentwicklung auf den Märkten Auswirkungen hat, wird auch niemand bestreiten. Gleichwohl sind runde zwei Prozent, wie die Institute jetzt sagen, doch etwas, auf dem man aufbauen kann und aufbauen soll!
Im übrigen: Bezogen auf diese Messe, freut es mich natürlich außerordentlich, dass die Maschinenbauer sagen: "Wir werden wohl um fünf Prozent wachsen" und die Elektroniker sogar von sieben Prozent ausgehen. Das ist auch nicht so schlecht, denke ich, verglichen mit dem, was wir früher kannten. Deswegen stelle ich mich doch nicht hier hin und mache in Zweck-Optimismus, sondern sage: Ich bin begründet optimistisch, weil die Kraft der deutschen Volkswirtschaft deutlich wird und wir auch die Verpflichtung haben, sie international deutlich zu machen. Denn wenn wir schon schlecht über uns reden, warum sollten dann andere gut über uns reden? Das ist ja nicht einzusehen.
In diesem Zusammenhang vielleicht noch der Hinweis, dass ich schon glaube, dass wir, wenn wir die Kräfte, über die wir verfügen, bündeln und die Konsolidierungspolitik beibehalten - wir werden sie trotz schwieriger Haushaltslage nicht aufgeben; das ist völlig klar - , die Voraussetzungen schaffen und schaffen können, dass es der deutschen Wirtschaft in diesem und auch im nächsten Jahr wirklich so gut geht, dass wir von einem robusten Wachstumspfad reden können, und zwar nicht, weil wir uns etwas vormachen, sondern weil das die Realität ist.
Diese Messe hier wird so oder so, ob wir es wollen oder nicht, auch als Gradmesser für das angesehen, was es an guter Erwartung in der deutschen Wirtschaft gibt. Wir alle haben sicher die Verantwortung, Probleme nicht auszuklammern, aber auch die Pflicht, darauf hinzuweisen, dass wir Rahmenbedingungen in Europa haben und möglicherweise in Amerika wieder bekommen, die Grund geben, optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren hier in Hannover, wünsche ich viele gute Gespräche und viele gute, dicke Abschlüsse, gute Geschäfte also! Das hilft Ihnen. Das hilft Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das hilft Hans Eichel; der kann es gebrauchen. Das ist der Grund, weshalb ich nicht nur pflichtgemäß, sondern auch gerne hier bin und weshalb ich mit Freude die Hannover-Messe im Jahre 2001 für eröffnet erkläre.