Redner(in): Monika Grütters
Datum: 28. Oktober 2016

Untertitel: Bei der Verabschiedung Hans Zehetmairs als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung würdigte Kulturstaatsministerin Grütters dessen Verdienste für die Rechtschreibung und sein Engagement für die Sprachkultur. Die deutsche Sprache sei "eine der schönsten Literatursprachen der Welt". Mit dem Kulturgut Sprache gewissenhaft umzugehen und die Sprachkultur weiter zu pflegen, bleibe aber nötig. - Die Rede im Wortlaut
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/10/2016-10-28-gruetters-rat-fuer-deutsche-rechtschreibung.html


Bei der Verabschiedung Hans Zehetmairs als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung würdigte Kulturstaatsministerin Grütters dessen Verdienste für die Rechtschreibung und sein Engagement für die Sprachkultur. Die deutsche Sprache sei "eine der schönsten Literatursprachen der Welt". Mit dem Kulturgut Sprache gewissenhaft umzugehen und die Sprachkultur weiter zu pflegen, bleibe aber nötig. - Die Rede im Wortlaut

Es gehört zu den sprachlichen Begleiterscheinungen der fortschreitenden Digitalisierung, dass man heute googelt, was man früher nachgeschaut, nachgeschlagen oder nachgelesen hätte - eine in ihrer Allgegenwart sehr dominante Kulturtechnik, die dennoch selbst den Beweis dafür liefert, dass "Googeln" früheren Gewohnheiten der Informationssuche nicht nur semantisch unterlegen ist. So zum Beispiel, wenn man die Wortkombination "Hans Zehetmair" eingibt. Was präsentiert uns Googles Autovervollständigung? Den Begriff "Sprachverfall" statt, wie es der Wahrheit und den Verdiensten Hans Zehetmairs entspräche, die Worte "Sprachpflege" und "Sprachkultur".

Das hat man also davon, lieber Hans, wenn man - wie Du - den Vorsitz eines Gremiums übernimmt, das sich dem Sprachverfall entgegen stemmt und sich einem zweifellos identitätsstiftenden Thema, ja gewissermaßen einem nationalen Kulturgut widmet: der deutschen Rechtschreibung. Spätestens seit den heftigen Kontroversen um die Rechtschreibreform wissen wir alle, was Kurt Tucholsky gemeint hat, als er feststellte: "Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen" - zumal wenn sich, mehr noch als beim Fußball, jeder für sachkundig hält … .

Nein, vergnügungssteuerpflichtig war die Mitarbeit im Rat für deutsche Rechtschreibung wohl eher nicht. Umso glücklicher dürfen wir, darf Deutschland sich schätzen, dass Du, lieber Hans, das Amt des Vorsitzenden aus Liebe und Pflichtgefühl gegenüber der deutschen Sprache übernommen und zwölf Jahre lang mit eben dieser Haltung ausgeübt hast - in weiser Voraussicht freilich unter der Prämisse, dass damit keinerlei Vorgaben verbunden sind.

So konntest Du die deutsche Rechtschreibung vor Katastrophen - insbesondere vor "Katastrofen" mit f - bewahren. So konntest Du - dafür bin ich Dir auch als Katholikin dankbar - verhindern, das man den "Heiligen Vater" - unter Verweis auf die Kleinschreibung des Adjektivs in substantivischen Wortgruppen, die keine Eigennamen sind - seiner Größe beraubt und klein geschrieben beispielsweise mit all jenen gleichsetzt, die man heute bisweilen wie "heilige Väter" feiert, nur weil sie zwei Monate Elternzeit nehmen. Vor allem aber konntest Du als umsichtiger Moderator, der sowohl die sprachliche wie auch die politische Klaviatur beherrscht, zwischen unterschiedlichen Auffassungen im Rat vermitteln und Vertrauen in die Arbeit des Rates schaffen - eine diplomatische Meisterleistung, die man nicht hoch genug schätzen kann! ( … zumal Du gerade Deinen 80. Geburtstag gefeiert hast und Dich längst ins Private hättest zurückziehen können … Ich gratuliere Dir bei dieser Gelegenheit auch persönlich noch einmal sehr herzlich und wünsche Dir, dass Gesundheit, Tatendrang und Lebensfreude Dir weiterhin erhalten bleiben. )

Die Kompromisse zwischen Tradition, linguistischen Prinzipien und Verständlichkeit, die der Rat für die Rechtschreibreform erarbeitet hat, muss man sicherlich nicht allesamt gut finden, um seine Verdienste anzuerkennen. Sie haben es nicht nur geschafft, meine Damen und Herren, die interne wie öffentliche Frontstellung zwischen Bewahrern und Erneuerern zu überwinden und den Rechtschreibfrieden wieder herzustellen. Sie haben durch Ihre Arbeit und durch die mit viel Sachverstand und guten Argumenten geführten Diskussionen auch das Bewusstsein für einen achtsamen Umgang mit der deutschen Sprache geschärft. Vor dem hohen Einsatz an Zeit und Energie, mit dem dieses ehrenamtliche Engagement verbunden ist - für viele von Ihnen schon seit 2004 - , habe ich großen Respekt, und ich danke Ihnen herzlich dafür.

Wie bitter nötig die Pflege der Sprachkultur und das Engagement für einen gewissenhaften Umgang mit dem Kulturgut Sprache sind und bleiben - auch nach der Rechtschreibreform! - , das erleben wir in der Politik ebenso wie in den Medien, in den sozialen Netzwerken ebenso wie an den Schulen. Wie gehen wir beispielsweise mit der unfassbaren Verrohung im öffentlichen Sprachgebrauch um, die sich gegen Flüchtlinge richtet, aber ganz allgemein auch gegen anders Glaubende, anders Denkende und anders Lebende? Wie sensibilisieren wir gerade junge Leute dafür, was ihnen an individuellen Ausdrucksmöglichkeiten entgeht, wenn sie sich vorwiegend in Anglizismen, Emojis und reduziert auf die maximal 140-Zeichen-Länge eines Tweets artikulieren? Wie schaffen wir ein Bewusstsein dafür, dass unsere Schreibschrift eine schützenswerte, der Entfaltung geistiger Fähigkeiten förderliche Kulturtechnik ist, und kein überflüssiger Unterrichtsstoff, den man mal eben aus Effizienzgründen wegrationalisieren kann? Was setzen wir der Verdrängung des Deutschen als Wissenschaftssprache entgegen - wohl wissend, dass die Sprache Denken und Wahrnehmung prägt und mit der Vielfalt der Sprachen auch ein Stück geistige Vielfalt verloren geht? Und nicht zuletzt: Wie reagieren wir, wenn sich selbst unter denjenigen, die allein schon aus professionellen Gründen eine besondere Verantwortung für das Kulturgut Sprache haben, Nachlässigkeit oder - um es mit einem treffenden Wort aus Deinem bayerischen Wortschatz zu sagen, lieber Hans - eine gewisse "Wurschtigkeit" breit macht?

Ich wünsche unserer reichhaltigen, die schöpferische Kraft beflügelnden Sprache - einer der schönsten Literatursprachen der Welt - , dass sich für ihre Pflege nicht nur die schreibende Zunft und auch nicht nur Gremien wie der Rat für deutsche Rechtschreibung verantwortlich fühlen, sondern alle, die zu unserer Sprachgemeinschaft hören - so wie ein FAZ--Leser aus Kassel, dessen Leserbrief mit der Überschrift "Das Kreuz mit dem Genetiv" sicherlich auch Sie erfreuen wird, meine Damen und Herren. Es geht darin um folgenden Satz in einem FAZ-Artikel vom 11. August: "Die Bundesanwaltschaft lässt in Großrazzien die Räume von mutmaßlichen Extremisten durchsuchen."

Im Leserbrief heißt es dazu: "So weit sind wir schon gekommen. Die Bundesanwaltschaft verfügt nicht mehr über genügend Behördenpersonal für Großrazzien und muss daher sogar mutmaßliche Extremisten anheuern, um Räume durchsuchen zu lassen …". Oder: So weit sind wir schon gekommen: "Die Redakteure der F. A. Z. haben den Gebrauch des Genetivs verlernt, und es war gemeint: , Die Bundesanwaltschaft lässt ( … ) die Räume mutmaßlicher Extremisten durchsuchen. ‘ ?" Soweit ein aufmerksamer Zeitungsleser.

In diesem Sinne: auf den Genetiv, auf die deutsche Grammatik und natürlich auf die Orthographie - ob mit "ph" oder "f" !

Vielen Dank für Dein großartiges Engagement, lieber Hans Zehetmair! Alles Gute und viel Erfolg für Dich als Nachfolger, lieber Josef Lange!