Redner(in): Monika Grütters
Datum: 27. November 2016

Untertitel: Mit Blick auf die Globalisierung und die Digitalisierung hat Kulturstaatsministerin Grütters in medienpolitischen Fragen für europäische Lösungsansätze, etwa beim Leistungsschutzrecht für Verleger, plädiert. "In der Medienpolitik verhandeln wir auch immer über den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses", sagte Grütters. So stehe bei Online-Plattformen einem selbstbestimmten Nutzerverhalten eine "Marktlogik der Klick-Ökonomie" gegenüber.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/11/2016-11-17-gruetters-medienclub-muenchen.html


Mit Blick auf die Globalisierung und die Digitalisierung hat Kulturstaatsministerin Grütters in medienpolitischen Fragen für europäische Lösungsansätze, etwa beim Leistungsschutzrecht für Verleger, plädiert."In der Medienpolitik verhandeln wir auch immer über den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses", sagte Grütters. So stehe bei Online-Plattformen einem selbstbestimmten Nutzerverhalten eine "Marktlogik der Klick-Ökonomie" gegenüber.

Nach einem Blick auf die Speisekarte, insbesondere auf die bayerisch-deftigen "Hofbräuhaus Schmankerl" einerseits und auf die ambitionierte Agenda unseres Club-Lunchs andererseits darf ich Sie zunächst daran erinnern, dass eine schöne Schweinshaxe oder ein saftiges Almochsengulasch einer intellektuell anspruchsvollen Diskussion möglicherweise nicht förderlich ist. Jedenfalls kann ich aus Erfahrung sagen, dass sich ein gesättigtes, im Entspannungsmodus befindliches Publikum nach einem opulenten Mittagsmahl kaum für eher trockene rhetorische Kost begeistern lässt. Arbeitspsychologen sprechen in diesem Zusammenhang vom "Suppenkoma" und raten nicht umsonst zu einem stabilisierenden 20minütigen Nickerchen, neudeutsch auch "Power-Napping" genannt, woraus man bereits schließen kann, dass es günstigere Momente für eine Debatte über "Herausforderungen und Antworten der Medienpolitik" gibt.

Trotzdem freue ich mich sehr, lieber Herr Sinner, dass wir uns zur Vermeidung von Terminkollisionen auf ein Club-Lunch statt einen Club-Abend verständigen konnten, um über aktuelle film- und medienpolitische Entwicklungen zu sprechen."Suppenkoma" hin oder her: Stoff für spannende Diskussionen gibt es genug. Vielen Dank für die Einladung und den freundlichen Empfang!

Die für mein Eingangsstatement vorgesehenen dreißig bis vierzig Minuten Redezeit reichen zwar aus für den Verzehr eines Krustenschweinebratens, meine Damen und Herren, nicht aber für eine komplette film- und medienpolitische Tour d ' horizon. Deshalb werde ich mich darauf beschränken, ihnen - gewissermaßen häppchenweise - einen Überblick über einzelne, ganz aktuelle Entwicklungen zu geben, bevor wir uns dann in der Diskussion gemeinsam das ganze weite Feld der Film- und Medienpolitik vornehmen, angefangen bei der Filmförderung des Bundes über die aktuellen medienpolitischen Initiativen der EU-Kommission bis hin zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die die öffentlich-rechtlichen wie auch die privaten Medien betreffen.

Zunächst kann ich Ihnen - brühwarm, denn es ist erst eine Woche her - von der Verabschiedung des neuen Filmförderungsgesetzes berichten, das die qualitative Spitzenförderung und damit auch die deutsche Filmwirtschaft im internationalen Wettbewerb stärken wird. Das ist ein Erfolg nicht nur für mich, sondern auch und in erster Linie für Sie. Ich will vorerst nur zwei Aspekte hervorheben - wir können in der Diskussion weiter ins Detail gehen.

Da ist zunächst die Einführung einer Drehbuchentwicklungsförderung als Spitzenförderung, damit Filme, die noch "halbgar" sind, nicht mehr abgedreht werden "müssen", um Geld in die Kassen der Produzenten zu spülen. Stattdessen wollen wir drehreife und damit mehr tatsächlich erfolgreiche Stoffe. Davon profitieren sowohl die Drehbuchautoren als auch die Produzenten, aber auch der deutsche Film insgesamt. Außerdem zielt das neue FFG auf eine Konzentration der Fördermittel. Das bedeutet, dass die FFA künftig mit höheren Summen die Finanzierung eines Projekts voranbringen kann. Das gilt übrigens auch für die kulturelle Filmförderung meines Hauses, die wir ja um 15 Millionen Euro aufgestockt haben und die sich nun ebenfalls mit höheren Beträgen pro Film engagieren kann. Auch für den Haushalt 2017 konnte ich diese Erhöhung fortschreiben - und das ist keine Selbstverständlichkeit.

Soviel in aller Kürze zur Filmpolitik. Sowohl vom FFG 2017 als auch von der kulturellen Filmförderung erhoffen wir uns eine substantielle Stärkung der kreativen Spielräume. Zugleich arbeiten wir auch weiter an einer besseren Verzahnung und Abstimmung zwischen Länder- und Bundesförderung.

Nicht weniger wichtig als konkrete Maßnahmen für den Film ist der allgemeine medienpolitische Rahmen. Vordergründig geht es hier vor allem darum, angesichts der neuen technischen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter den Ausgleich zwischen unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Interessen neu zu verhandeln: in der Urheberrechtsdebatte beispielsweise zwischen den Interessen der Künstler und Kreativen, die von geistiger Arbeit leben, den Interessen der Verwerter, die für die Verbreitung geistiger Güter sorgen und oftmals ein hohes Investitionsrisiko tragen, und schließlich den Interessen der Nutzer - der Leser, der Musikhörer, der Zuschauer - , denen das Internet nicht nur freien, sondern teilweise sogar kostenfreien Zugang zur Vielfalt kreativer Leistungen eröffnet. Um zu einem vernünftigen Interessenausgleich zu kommen, braucht es aber zunächst einmal einen Maßstab, und deshalb geht es immer auch um die Frage, wie wir als Bürgerinnen und Bürger - wir sind ja nicht nur Produzenten und Konsumenten! -im digitalen Zeitalter leben wollen, um die Frage also, was in solchen Verhandlungen nicht verhandelbare Grundlage und Richtschnur sein sollte - und warum. Um gleich beim Beispiel "Urheberrecht" zu bleiben: Nicht verhandelbar ist hier aus naheliegenden Gründen die Freiheit, die geistige und künstlerische Spitzenleistungen überhaupt erst möglich macht.

Diese Spitzenleistungen entstehen vor allem dort, wo man von geistiger, von kreativer Arbeit leben kann. Der Schutz geistiger Schöpfungen ist dafür eine notwendige Voraussetzung. Es ist dieser Schutz, der Schriftstellern, Musikern, Drehbuchautoren, Journalisten den Lebensunterhalt sichert. Es ist dieser Schutz, der unsere kulturelle Vielfalt nährt und unseren wirtschaftlichen Wohlstand fördert - und der deshalb nicht zu Disposition stehen darf. Weil die Nutzung und Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte im digitalen Zeitalter nicht an Ländergrenzen halt macht, ist es sinnvoll, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich auf gemeinsame Regelungen verständigen. Wichtig ist mir, dass bei der europäischen Harmonisierung die bewährten Standards im Verhältnis von Urhebern, Verwertern und Nutzern nicht einseitig zu Lasten der Kreativen und der Kreativwirtschaft gesenkt werden. So habe ich mich beispielsweise von Beginn an gegen Überlegungen eingesetzt, Lizenzen für urheberrechtlich geschützte Inhalte verpflichtend europaweit auszugestalten und Geoblocking vollständig zu verbieten. Dies würde der Finanzierung kultureller und medialer Inhalte - zum Beispiel im Filmbereich - den Boden entziehen. Im Ergebnis würden wir durch eine Pflicht zur Paneuropäischen Lizenz also gerade das gefährden, wofür Europa steht, nämlich die kulturelle Vielfalt.

Dass sich auf Seiten der EU-Kommission dank Kommissar Oettinger eine differenziertere Sichtweise durchgesetzt hat, begrüße ich sehr. Sowohl im Entwurf der Portabilitätsverordnung als auch in den Regelungsvorschlägen zum Geoblocking habe ich auf entsprechende Weichenstellungen hingewirkt. Nun geht es darum, diesen Ansatz im weiteren europäischen Gesetzgebungsverfahren zu verteidigen. Die Europäische Kommission hat im September weitere Vorschläge zum Urheberrecht vorgelegt, die wir im Moment noch prüfen. Ich kann aber schon heute sagen, dass die Bundesregierung die Kommission im Grundsatz in ihren Reformbemühungen unterstützt.

Besonders freut mich, dass die Kommission sich auch des drängenden Problems der Verlegerbeteiligung angenommen hat. Der Bundesjustizminister und ich haben uns in Brüssel intensiv für eine Lösung auf Ebene des EU-Rechts eingesetzt, mit der die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlegern in einer Verwertungsgesellschaft auch in Zukunft möglich ist. Dieses Anliegen hat die Kommission nun auf Initiative von Günther Oettinger aufgegriffen und einen eigenen Lösungsvorschlag unterbreitet. Ohne der erforderlichen Prüfung und Diskussion vorgreifen zu wollen: Das ist ein sehr positives Signal und ein wichtiger erster Schritt.

Zum EU-Urheberrechtspaket gehört auch die Einführung eines EU-weiten Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Ich teile die Auffassung der Kommission, dass eine europaweit einheitliche Regelung wirkungsvoller ist als wenn hier jeder Mitgliedstaat seinen eigenen Weg geht, und ich werdemich in der sicherlich intensiven Diskussion für ausgewogene Lösungen im Sinne der Kultur einsetzen. Dass wir darüber auch auf europäischer Ebene verhandeln, zeigt, wie wichtig uns der Erhalt der Vielfalt unserer Presselandschaft und die Stabilisierung der Pressefreiheit sind. Ich würde mir allerdings wünschen, meine Damen und Herren, dass das deutsche und europäische Bekenntnis zur Freiheit und Vielfalt der Presse vor unserer Haustür ebenso deutlich ausfällt wie - um im Bild zu bleiben - innerhalb unserer eigenen vier Wände. Wenn in der Türkei, wie die aktuellen Entwicklungen befürchten lassen, irgendwann die Totenglocke für die Demokratie läutet, dann hat das Auswirkungen weit über die türkischen Landesgrenzen hinaus. Die Wertegemeinschaft Europa verliert an Glaubwürdigkeit und Kraft, wenn wir nicht bereit sind, für diese Werte einzustehen. Deshalb dürfen wir es nicht einfach hinnehmen, dass ein enger Partner - Mitglied der NATO und des Europarates - demokratische Grundrechte mit Füßen tritt, den Rechtsstaat außer Kraft setzt, politisch unerwünschte Meinungen gewaltsam unterdrückt und reihenweise Journalisten, Künstler und Oppositionelle verhaftet.

Dass wir in der Medienpolitik immer wieder auch über den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses verhandeln, zeigt sich auch im Zusammenhang mit den Entwicklungen, für die sich der Begriff "Medienkonvergenz" etabliert hat. Der Wahlkampf in den USA und der Wahlsieg Donald Trumps, der ohne die sozialen Medien wohl undenkbar gewesen wäre, hat auch hierzulande Debatten darüber ausgelöst, was die Entstehung neuer Plattformen und neuer Wege der Kommunikation und Information für die politische Willensbildung und konkret auch für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf bedeutet. Fest steht: Wo die Grenzen zwischen Rundfunk und Internet, zwischen linearem Fernsehen und Abrufdiensten verschwinden und sich unsere Mediennutzung grundlegend verändert, verändern sich auch demokratische Meinungsbildungsprozesse. Dem Zusammenwachsen der Medien jedenfalls muss eine Konvergenz der Regulierung folgen. Die Kompetenzaufteilung zwischen Bund ( Internet / Telemedien ) und Ländern ( Rundfunk ) wird zunehmend schwieriger. Deshalb haben wir mit der Bund-Länder-Kommission Medienkonvergenz, die Malu Dreyer und ich zusammen koordiniert haben, einen richtigen und wichtigen Weg beschritten, der sicher auch noch nicht zu Ende ist. Bei manchen Fragen stehen wir noch ganz am Anfang - zum Beispiel im Umgang mit sozialen Netzwerken und neuen Gatekeepern beim Informationszugang wie etwa Google. Die gemeinsame Arbeit hat aber eines schon sehr deutlich werden lassen: Wenn wir diese Fragen auf europäischer Ebene mitgestalten wollen, dann können wir uns nicht in kleinteiligen Föderalismusdebatten verlieren.

Die Kommission hatte deshalb auch die Aufgabe, die Medienregulierung von Bund und Ländern besser aufeinander abzustimmen, sie besser zu verzahnen, damit wir auch in Europa mit einer starken deutschen Stimme im Sinne fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Medienanbieter sprechen können. Das ist uns gelungen - zum Beispiel bei der Novellierung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste ( AVMD-Richtlinie ) . Wir haben dazu im November 2015 eine gemeinsame Stellungnahme von Bund und Ländern nach Brüssel geschickt. Der im Mai vorgelegte Vorschlag der Europäischen Kommission trägt in wichtigen Punkten eine deutsche Handschrift. So soll das Herkunftsland-Prinzip für alle audiovisuellen Medien beibehalten werden. Das ist wichtig, weil es Rechtssicherheit für Unternehmen bedeutet, nur die Vorgaben eines einzigen Landes innerhalb der EU erfüllen zu müssen. Auch die Ausweitung der Richtlinie auf Videoplattformen geht in die richtige Richtung, weil die Nutzer insbesondere Minderjährige auf diesen zunehmend audiovisuelle Inhalte konsumieren.

Deutschland hatte gefordert, grundlegende Bestimmungen - Jugendschutz, Schutz der Menschenwürde, Verbraucherschutz - auf alle audiovisuellen, geschäftsmäßig erbrachten Mediendienste auszudehnen, um auch neue Akteure auf diese wichtigen Regulierungsziele zu verpflichten. Der hohe Standard im Jugend- und Verbraucherschutz soll nun nicht nur beibehalten, sondern sogar noch verbessert werden. Dazu gehört dann beispielsweise, dass der Schutz vor Hassreden und vor Verletzung von Persönlichkeitsrechten auch von Video-Sharing-Plattformen beachtet werden muss. Wie die konkrete Ausgestaltung einzelner Regelungen aussehen wird, darüber wird derzeit verhandelt. Diskutieren müssen wir auch hier zum Beispiel den Umgang mit Social Media Plattformen. Einiges spricht dafür, zumindest auch die audiovisuellen Angebote von Social Media Plattformen wie Facebook einzubeziehen. Denn es ist nicht vermittelbar, dass man gerade dort, wo sich insbesondere die netzaffinen 14- bis 29-jährigen ihre politische Meinung bilden, ungehindert Anwerbevideos des IS oder dergleichen einstellen kann.

Ein weiteres Thema, zu dem die Bund-Länder-Kommission in ihrem Bericht vom 16. Juni Regulierungsvorschläge vorgelegt hat, ist die Anpassung des Kartellrechts an das digitale Zeitalter. Das Bundeskabinett hat im September den Gesetzentwurf für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschlossen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob das Kartellrecht in einer konvergenten Medienwelt hinreichend dem fairen Wettbewerb dient, und inwieweit Aspekte der Medienvielfalt in der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes berücksichtigt werden können. Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Regelungen, die die wirtschaftlichen Handlungsspielräume für die Presse und den Rundfunk erweitern und die klassischen Medien im sich verschärfenden Wettbewerb stärken. So sollen beispielsweise Kooperationen zwischen Presseunternehmen unterhalb der redaktionellen Ebene vom Kartellverbot ausgenommen werden, um eine Zusammenarbeit im Anzeigengeschäft zu ermöglichen.

Neben unserer abgestimmten Position zur AVMD-Richtlinie und zur Anpassung des Wettbewerbsrechts, meine Damen und Herren, soll ein weiteres Ergebnis nicht unerwähnt bleiben: Bund und Länder haben ein gemeinsames Positionspapier zum Thema Online-Plattformen abgestimmt, in dem auch wichtige Positionen der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz zur Regulierung von Intermediären ( u. a. Suchmaschinen ) und Medienplattformen eingeflossen sind. Es ist der deutsche Beitrag zur EU-Konsultation zum Regelungsumfeld von Online-Plattformen. Konkret geht es dabei unter anderem um Online-Plattformen wie Google und YouTube, Facebook, Amazon, aber auch Mediatheken oder andere digitale Marktplätze, die ja längst weit mehr sind als einfach nur Plattformen. Facebook beispielsweise ist - das hat eine Studie des Pew Research Centers, eines renommierten amerikanischen Meinungsforschungsinstituts 2015 ergeben - für rund die Hälfte aller US-Bürger unter 35 ( und für rund ein Drittel der über 35-jährigen ) wichtigste oder wichtige Nachrichtenquelle. In Deutschland dürfte die Entwicklung ähnlich sein. Was Facebooknutzer zu sehen bekommen, sind die Ergebnisse eines Algorithmus - die Ergebnisse automatisierter Entscheidungen, ausgerichtet auf die Präferenzen des jeweiligen Nutzers und seiner Freunde, programmiert mit dem Ziel, möglichst viel "Traffic" zu generieren - für Facebook, versteht sich. Dass dadurch Filterblasen entstehen, in denen nicht zuletzt auch rassistische Hetze, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien besonders gut gedeihen, ist bekannt. Weniger bekannt sind die konkreten Auswirkungen auf die klassischen Medien. Für die FAZ - um bei meinem Beispiel zu bleiben - bedeutet der Facebook-Algorithmus, dass nur 15 Prozent der Inhalte, die die Redaktion auf Facebook veröffentlicht, den Nutzern auch angezeigt werden. Das heißt: 85 Prozent fallen durchs Raster. 85 Prozent werden als uninteressant aussortiert, und zwar selbst dann, wenn Nutzer ihr grundsätzliches Interesse an der Zeitung bekundet haben.

Als treue FAZ-Abonnentin - ja, ich gehöre noch zu der aussterbenden Spezies von Menschen, die den Tag mit der Lektüre einer Tageszeitung beginnen! - bin ich davon nicht direkt persönlich betroffen. Aber ein paar grundsätzliche Fragen drängen sich ganz unabhängig davon geradezu auf: Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn Journalisten im Hinterkopf haben, dass ihre Texte möglichst hohe Klickzahlen generieren müssen? Wollen wir die Verbreitung von Informationen und damit auch die Meinungsbildung in unserer Demokratie der Marktlogik der Klick-Ökonomie überlassen? Wollen wir zulassen, dass Internetgiganten wie Facebook ihre Datenmonopole zu Deutungsmonopolen und Deutungsmonopole zu Meinungsmonopolen ausbauen? Wollen wir hinnehmen, dass Algorithmen demokratische Werte und Errungenschaften aushebeln - die Vielfalt unabhängiger Medien und die journalistische Freiheit?

Die Frage nach dem Verhältnis von Algorithmen und Werten betrifft natürlich nicht nur die Medien. Aber am Beispiel der Medien erleben wir alle schon jetzt besonders deutlich die Kluft zwischen der Marktlogik der Klick-Ökonomie und den ethischen und rechtlichen Standards unserer Demokratie. Die Fragen, mit denen Algorithmen uns konfrontieren, erfordern deshalb politische Antworten, nicht nur technologische und ökonomische - und mit politischen Antworten meine ich nicht "Antworten von Politikern", sondern politische Entscheidungen auf der Grundlage öffentlicher Debatten. Auch dafür brauchen wir - nebenbei bemerkt - unabhängige Medien als Orte gesellschaftlicher Reflexion und Verständigung, als Instanzen der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Standpunkten. Das scheint - zum Glück - einer Mehrheit der Bevölkerung bewusst zu sein: Eine aktuelle Allensbach-Studie hat jedenfalls gerade gezeigt, dass Zeitungen und Zeitschriften eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit genießen als soziale Netzwerke, und dass die "klassischen" Medien gerade wegen ihres Beitrags zu einer demokratischen Streit- und Debattenkultur geschätzt werden - in Zukunft natürlich zunehmend digital.

Nicht zuletzt in dieser Rolle wollen wir auch Inhalteanbieter stärken. Das deutsche Positionspapier zum Regelungsumfeld von Online-Plattformen fordert deshalb unter anderem, Inhalteanbietern einen diskriminierungsfreien Zugang zu meinungsrelevanten Plattformen zu gewährleisten. Außerdem treten wir für Transparenz und für Wahlfreiheit für Nutzerinnen und Nutzer bei der strukturellen Gestaltung des Angebotes ein. Sie müssen in der Lage sein, meinungsbildungsrelevante Angebote, wie beispielsweise die öffentlich-rechtlichen und privaten Vollprogramme, einfach zu finden. Darüber hinaus ist uns mehr Transparenz bei Intermediären - bei Suchmaschinen und sozialen Netzwerken - sehr wichtig.

Dabei geht es nicht um eine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen. Aber die wesentlichen Kriterien der Algorithmen müssen bekannt sein, um unter anderem ein selbstbestimmtes Nutzerverhalten im Internet zu unterstützen und die Mechanismen der Informationsauswahl und Bereitstellung für den Nutzer nachvollziehbarer zu gestalten. Internetnutzer sollten außerdem leicht erkennen können, dass Algorithmen Anwendung finden - und eben keine Redaktion Nachrichten nach journalistischen Kriterien aussucht. Damit die Nutzerinnen und Nutzer erkennen können, welche zentralen Kriterien insbesondere bei Such- und Empfehlungsfunktionen verwendet werden, setzen wir uns für konkrete Transparenzvorschriften auf europäischer Ebene ein. Auch die Förderung von Medienkompetenz gewinnt in diesem Zusammenhang noch weiter an Bedeutung. Denn alle Transparenz nützt nichts, wenn die Nutzerinnen und Nutzer daraus nicht die richtigen Schlüsse für ihr Verhalten im Netz und für die Einordnung von Informationen ziehen. Deshalb bin ich Ihnen, lieber Herr Sinner, liebe Mitglieder des Medien-Clubs München sehr dankbar für Ihr großes Engagement, insbesondere in der Medienbildung von Kindern und Jugendlichen.

Mit Blick auf die Uhr will ich es bei diesen ausgewählten Beispielen für aktuelle medienpolitische Herausforderungen bewenden lassen - auch wenn es über die Macht der Algorithmen, die Medienkonvergenz und den kostenfreien Zugang zu geistigen Leistungen hinaus zweifellos weitere Herausforderungen gibt, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Mich interessiert beispielsweise, wie Sie die Rolle der Medien angesichts der Rückkehr eines längst überwunden geglaubten Nationalismus und einer in Teilen der Gesellschaft zu beobachtenden Radikalisierung bewerten, was wir dem auflodernden, fanatischen Hass mitten in unserer Gesellschaft entgegen setzen können und wie wir - angesichts unsäglicher Verunglimpfungen im Nazi-Jargon, ich nenne hier nur den Begriff "Lügen-Presse" - das Vertrauen von Menschen in demokratische Politik und kritische Medien erhalten bzw. zurück gewinnen. Das sind Herausforderungen, die sich leider nicht ( allein ) gesetzgeberisch bewältigen lassen.

Fest steht: Der technologische Fortschritt konfrontiert uns auf allen politischen Ebenen mit der Herausforderung, die digitale Realität nach unseren freiheitlichen, rechtsstaatlichen, demokratischen und marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu ordnen und zu gestalten - und zwar so, dass der Staat auch im Netz seiner Funktion als Garant von Freiheit, Recht, Sicherheit, unabhängiger Meinungsbildung und Medienvielfalt vollumfänglich nachkommen kann. Das ist sicherlich die allergrößte Herausforderung; es geht um die Frage, die ich eingangs schon kurz angesprochen habe - über die Frage, wie wir als Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter leben wollen. Hier zeigt sich nicht zuletzt, wie wichtig eine starke Europäische Union ist. Denn nur, wenn Europa sein ganzes Gewicht in die internationale Diskussion einbringt, haben wir eine Chance, dass sich marktmächtige Internetgiganten an die Spielregeln halten.

Gerade wir Deutschen wissen, was dabei auf dem Spiel steht: In Deutschland haben wir aus zwei Diktaturen eine Lehre gezogen: "Kunst und Wissenschaft ( … ) sind frei." So steht es in Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Diese und andere Freiheitsrechte haben aus gutem Grund einen hohen, einen vornehmen Verfassungsrang. Sie sind nicht verhandelbar, unabhängig von analoger oder digitaler Welt. Meinungs- , Presse- und Informationsfreiheit, Qualität und Vielfalt der Inhalte müssen in der digitalen wie analogen Welt dauerhaft Bestand haben können. Deshalb wollen und dürfen wir nicht einigen wenigen globalen Internetakteuren die faktische Hoheit darüber überlassen, wie und worüber wir uns zukünftig informieren und wie wir miteinander kommunizieren. Frank Schirrmacher hat in diesem Sinne noch kurz vor seinem Tod im Sommer 2014 ein Machtwort in der Kulturredaktion der FAZ gesprochen: Es ging um die Frage, ob ein langer Text aus dem Feuilleton in die digitale Ausgabe übernommen werden sollte. Von der Software "Chartbeat" - sie ermittelt die Zahl der Klicks, die sich mit Inhalten im Netz erzielen lassen - gab es dafür kein grünes Licht. Die Online-Redaktion zierte sich deshalb, was - so wird es berichtet - einen schirrmacher ‘ schen Wutausbruch provozierte: Es seien ja wohl immer noch die Herausgeber einer Zeitung, die deren Inhalte bestimmten, und nicht eine Klick-Zähl-Maschine!

Vorrang demokratischer Grundsätze vor dem technologisch Machbaren im Sinne einer dienenden Funktion des technologischen Fortschritts - das ist die Haltung, die es auf Seiten der Medien wie auch in der Politik braucht, um den großen medienpolitischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen: mit journalistischem Ethos wie auch mit politischem Gestaltungswillen. Beides ist unverzichtbar, und in diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Medienpolitik und Medienwirtschaft. Ich freue mich auf einen anregenden Gedankenaustausch!