Redner(in): Monika Grütters
Datum: 02. Februar 2017

Untertitel: Kulturstaatsministerin Monika Grütters rief anlässlich einer Veranstaltung des PEN-Zentrums dazu auf "die Freiheit der Kunst, die Freiheit des Wortes zu schützen und zu verteidigen". Diese seien oberster Grundsatz und vornehmste Pflicht unserer Kulturpolitik, so Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/02/2017-02-02-pen-zentrum.html


Kulturstaatsministerin Monika Grütters rief anlässlich einer Veranstaltung des PEN-Zentrums dazu auf "die Freiheit der Kunst, die Freiheit des Wortes zu schützen und zu verteidigen". Diese seien oberster Grundsatz und vornehmste Pflicht unserer Kulturpolitik, so Grütters.

Vermutlich ist es nur ein Zufall, aber mir als Katholikin ist das natürlich sofort aufgefallen: Für diesen, der Poesie in düsteren Zeiten gewidmeten Abend haben die Organisatoren des PEN sich ausgerechnet Mariä Lichtmess ausgesucht, das kirchliche Fest der Kerzenweihe am 2. Februar - das Fest also, das Licht in die winterliche Dunkelheit bringt, und das, so steht es im Lukas-Evangelium, von der Hoffnung erzählt, die durch Jesus in die Welt gekommen ist. Ein schöner Zufall - und ein passender Zufall: Denn auch die Poesie kann in der Dunkelheit ein Hoffnungsschimmer sein. Und selbst Krieg und Gewalt bringen ihr Licht nicht zum Erlöschen. Deshalb freue ich mich auf diesen Abend - auch wenn er uns mit der traurigen und brutalen Realität des Todes, des Leidens und der Vertreibung aus der Heimat konfrontiert. Vielen Dank für die Einladung, lieber Herr Haslinger!

Krieg und Poesie -das ist ein Paar, das nicht zusammen passt: Verrohung und Behutsamkeit, zerstörerische und schöpferische Kraft, eine Verbindung des Schlechtesten und des Besten, dessen Menschen fähig sind."Das maßlose Leid hat das Gedächtnis jedes Syrers in ein Massengrab verwandelt", schreibt Amer Mataraus Syrien, einer der heute Abend anwesenden PEN-Stipendiaten, dessen Texte vom maßlosen Leid ebenso wie vom verzweifelten Ringen nach Worten erzählen.

Während die Alltagssprache im Krieg an Kraft verliert, weil gewöhnliche Worte das Grauen nicht fassen, kann die Kraft eines Gedichts den Krieg überdauern. Nicht nur, weil ästhetische Schönheit Trost und Zuflucht sein kann, sondern auch, weil die poetische Aneignung von der Qual des Gelähmtseins befreit. Es ist gerade die Poesie mit ihren eindringlichen Sprachbildern, die sich gegen den Schrecken zur Wehr setzt, die sich des Unfassbaren bemächtigt und die damit aus der Ohnmacht des Verstummens und des Schweigens herausführt. So heißt es bei Paul Celan: "Erreichbar, nah und unverloren inmitten der Verluste blieb dies Eine: die Sprache. Aber sie musste nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah. Aber sie ging durch dieses Geschehen."

Deshalb klingt uns das Leid des 30-jährigen Krieges in Andreas Gryphius ‘ Gedichten noch immer in den Ohren, deshalb ergreift uns das Grauen von Auschwitz in den Gedichten Nelly Sachs ‘ oder Paul Celans. Und gerade heute, da im Internet - auf Facebook, Twitter, neben Werbung und Entertainment - die Hilfeschreie in Wort und Bild aus den Höllen der Kriege unserer Zeit an uns vorbeirauschen, gerade heute, da unsere Augen mehr sehen als unser Herz an Empathie zu empfinden vermag, gerade heute braucht es die Kraft der Poesie, um das Leid der Menschen dem gleichgültigen Strom der um die Welt zirkulierenden Informationen zu entreißen. Ich habe die Augen eines Falken, die Flügel einer Taube, und eine Kehle aus Metall."Das sind die Worte der tunesischen Dichterin Najet Adouani - einer ehemaligen Stipendiatin des Writers in Exile-Programms; auch sie ist heute Abend hier in der Volksbühne. Ja, es braucht die Schärfe des Raubvogelblicks, die gefiederte Freiheit und Friedenshoffnung der Taube und dazu stahlharte Stimmgewalt, um für all diejenigen sprechen, die - ob im Krieg oder in einer Diktatur - unter Gewalt und Unterdrückung leiden. Doch eben jene" Augen eines Falken ", eben jene" Flügel einer Taube "und eben jene" Kehle aus Metall " bringen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in besondere Gefahr, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist und eine Diktatur des Zeigbaren und Sagbaren Künstler in die Selbstzensur zwingen soll.

Das darf uns gerade in Deutschland nicht gleichgültig sein. Die Freiheit der Kunst, die Freiheit des Wortes zu schützen und zu verteidigen, ist - nicht zuletzt unseren bitteren Erfahrungen mit zwei Diktaturen in einem Jahrhundert geschuldet - oberster Grundsatz und vornehmste Pflicht unserer Kulturpolitik. Deshalb finanziert die Bundesregierung das "Writers in Exile" -Programm, das wir gemeinsam mit dem deutschen PEN 1999 ins Leben gerufen haben.

Es gewährt verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern vorübergehend Zuflucht und eröffnet ihnen künstlerische Freiheiten, die es in ihren Heimatländern nie gab oder nicht mehr gibt. Aktuell können wir damit sieben Stipendiatinnen und Stipendiaten das Leben und Arbeiten in Deutschland ermöglichen - aus Bangladesch, Russland, Vietnam, Kolumbien, Syrien ( zwei ) und dem Jemen. Ich hoffe, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, dass Sie sich in unserem Land nicht nur sicher fühlen vor Gewalt und Verfolgung, sondern auch spüren, dass Sie willkommen sind und wir Ihre Arbeit wertschätzen. Dazu reicht finanzielle Unterstützung allein nicht aus. In einem fremden Land, dessen Sprache nicht die eigene ist, braucht es auch Unterstützung im Alltag. Ohne den deutschen PEN als zuverlässigen Partner wäre das nicht möglich. Für Ihre umsichtige und engagierte Betreuung des Programms danke ich Ihnen und dem PEN-Präsidium herzlich, lieber Herr Haslinger, liebe Frau Sperr. Ein herzliches Dankeschön aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle und nicht zuletzt allen PEN-Autorinnen und -Autoren, die verfolgten Kolleginnen und Kollegen zur Seite stehen.

Ich kann Ihnen heute aufs Neue versprechen, dass die Finanzierung des Programms weiterhin gesichert bleibt - nicht allein aus historisch begründeter Verantwortung heraus, sondern weil die politischen Entwicklungen weltweit auch heute leider wenig Anlass zur Hoffnung geben, dass Demokratie und Kunstfreiheit einen globalen Siegeszug antreten. Ganz im Gegenteil … Um die Freiheit des Wortes muss man sich ja selbst mancherorts in Europa wieder Sorge machen. In Polen und in Ungarn ist die Pressefreiheit in Gefahr. Und wenn in der Türkei, wie es angesichts der aktuellen Situation zu befürchten ist, irgendwann die Totenglocke für die Demokratie läutet, dann hat das Auswirkungen weit über die türkischen Landesgrenzen hinaus.

Deshalb reicht es nicht, verfolgten Künstlerinnen und Künstlern Zuflucht zu gewähren. Die Wertegemeinschaft Europa verliert an Glaubwürdigkeit und Kraft, wenn wir nicht bereit sind, für diese unsere Werte auch offen und entschieden einzustehen. Wir dürfen es nicht einfach hinnehmen, dass ein enger Partner - Mitglied der NATO und des Europarates - demokratische Grundrechte mit Füßen tritt, den Rechtsstaat außer Kraft setzt, politisch unerwünschte Meinungen gewaltsam unterdrückt und reihenweise Journalisten, Künstler und Oppositionelle verhaftet. Wo die Freiheit des Wortes beschnitten wird, wo unbequeme Künstlerinnen und Künstler verfolgt werden, wo Kunst zur Erfüllungsgehilfin der Herrschenden degradiert wird, da büßt eine Gesellschaft ihre Humanität ein!

Ich bin dankbar, dass es Künstlerinnen und Künstler gibt, die sich damit nicht abfinden, die den Finger in die Wunde legen - und die mit ihrer Sprachgewalt und Vorstellungskraft verhindern, dass politische Bequemlichkeit und argumentative Phantasielosigkeit auch hierzulande die Demokratie in Lethargie versetzen. Der heutige Abend wird uns einen literarischen Eindruck davon vermitteln, was es heißt, dafür mit den "Augen eines Falken", den "Flügeln einer Taube" und einer "Kehle aus Metal" " zu leben, um diese prägnante Formulierung Najet Adouanis noch einmal aufzugreifen. Im Exil können erschöpfte Augen, Flügel und Kehlen neue Kraft erringen, kann das unterdrückte Wort sich wieder neu entfalten. Ich wünsche ihm viele aufmerksame Zuhörer und Leser - und Ihnen, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, neben Mut und Hoffnung auch die Gewissheit, dass Ihre Worte die Welt zu einer besseren machen.