Redner(in): Monika Grütters
Datum: 02. April 2017

Untertitel: Kulturstaatsministerin Grütters hat die Ausstellung "Der geteilte Himmel. Reformation und religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr" mit ihrem Fokus auf Versöhnung und Dialog als Höhepunkt des gleichnamigen interreligiösen Projekts bezeichnet. "Es ist faszinierend, am Beispiel der Gegend um Rhein und Ruhr zu sehen, wie viele unterschiedliche Kulturen und Religionen, Traditionen und Träume, Lebensentwürfe und Weltanschauungen in Deutschland eine Heimat gefunden haben - und wie sehr die Region davon profitiert hat."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/04/2017-04-02-bkm-geteilter-himmel.html


Kulturstaatsministerin Grütters hat die Ausstellung "Der geteilte Himmel. Reformation und religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr" mit ihrem Fokus auf Versöhnung und Dialog als Höhepunkt des gleichnamigen interreligiösen Projekts bezeichnet."Es ist faszinierend, am Beispiel der Gegend um Rhein und Ruhr zu sehen, wie viele unterschiedliche Kulturen und Religionen, Traditionen und Träume, Lebensentwürfe und Weltanschauungen in Deutschland eine Heimat gefunden haben - und wie sehr die Region davon profitiert hat."

Was für eine schöne Ironie der Reformationsgeschichte! Ausgerechnet Martin Luther, dem es in seinem theologischen Ringen um Gott und um eine Revolution des Glaubens ganz und gar nicht um religiöse Vielfalt und Religionsfreiheit ging, ausgerechnet Martin Luther hat - wenn auch unfreiwillig und ohne es zu ahnen - der religiösen Vielfalt und der Religionsfreiheit den Weg geebnet.

Wo ließe sich diese wunderbare Entwicklung besser nachvollziehen als an Rhein und Ruhr - in einer Region, die sich schon früh in besonderer Weise durch das Nebeneinander der Religionen und Kulturen auszeichnete und in der heute fast 250 Glaubensgemeinschaften vertreten sind?

Ich freue mich sehr, lieber Herr Professor Grütter, lieber Herr Marth, dass Sie dem Zusammenhang von Reformation und religiöser Vielfalt eine Ausstellung widmen, die den Veranstaltungsreigen zur Reformation im Jubiläumsjahr um eine wichtige, zukunftsrelevante Perspektive ergänzt und die ich deshalb gerne mit Mitteln aus meinem Kulturetat unterstützt habe.

Denn im Jubiläumsjahr soll deutlich werden, dass das Vermächtnis des großen Reformators Martin Luther weit über die revolutionären Veränderungen hinaus reicht, die sein Wirken innerhalb der Kirche nach sich zog. So machte ihn seine Übersetzung der Bibel zum Wegbereiter einer einheitlichen und einenden deutschen Schriftsprache. Seine Auflehnung gegen kirchliche und weltliche Autoritäten und seine Berufung auf die Gewissensfreiheit wies den Weg zum Menschenbild der Frühmoderne. Und die von ihm ausgelöste protestantische Bewegung schließlich erlaubte es den Landesfürsten und den freien Reichsstädten, sich von der katholischen Zentralmacht Roms und der Habsburger Kaiser abzugrenzen und eine größere Eigenständigkeit zu entwickeln.

Der Grundsatz "cuius regio, eius religio" im Augsburger Religionsfrieden von 1555 markierte einen historischen Wendepunkt: weg von der Idee eines universalen christlichen Kaisertums, hin zu einzelnen Landesherrschaften mit jeweils unterschiedlichen Kirchenordnungen. Das führte unter anderem zu religiös begründeten Migrationsbewegungen. Nicht mehr allein wirtschaftliche und soziale Überlegungen waren entscheidend für die Wahl des Wohnortes, sondern auch Glaubensüberzeugungen. Der damit verbundene Gewinn an Freiheit für den einzelnen gab der Entwicklung kultureller Vielfalt Raum.

Die Ausstellung "Der geteilte Himmel" macht diese Entwicklung mit einem in zeitlicher wie in kultureller Hinsicht sehr breiten Spektrum interessanter Ausstellungsstücke anschaulich, darunter zum Beispiel die Kanzel eine muslimisch-arabischen Gemeinde in Bochum, der erste gedruckte Koran weltweit, Stücke aus Tempeln und Synagogen des Ruhrgebiets und Ikonen aus dem Essener Domschatz. Sie ist der Höhepunkt eines gleichnamigen interreligiösen Projekts, das zum Reformationsjubiläum die Versöhnung und den Dialog zwischen unterschiedlichen Religionen, Konfessionen und auch Konfessionslosen in den Mittelpunkt rückt.

Aktueller und zukunftsweisender hätte man einen Beitrag zum Reformations-jubiläum kaum planen können! Jedenfalls macht die Bereitschaft der Kirchen, im Sinne der Ökumene zu zeigen, dass uns viel mehr verbindet als uns trennt, Mut und Hoffnung in einer Zeit, in der religiöse Konflikte und religiöser Fundamentalismus weltweit Angst und Schrecken verbreiten, in der Rufe nach Abschottung und Ausgrenzung laut werden und öffentliche Debatten über Symbole und Rituale religiöser Minderheiten die Gemüter erhitzen. Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit sind allen Konfessionen und Religionen zu eigen - und diese Errungenschaften sind gefragt wie nie.

Ein Gewinn ist der Blick zurück auf das Zusammenleben der unterschiedlichen Konfessionen in den vergangenen 500 Jahren deshalb nicht nur für das Verständnis der Reformation und ihrer Folgen. Aufschlussreich ist diese Perspektive, weil sie uns mit Erfahrungen konfrontiert, aus denen wir Lehren für unsere Gegenwart und Zukunft ziehen können. Dazu gehört, erstens, die Erkenntnis, dass Vielfalt ebenso inspirierend und bereichernd ist, wie sie manchmal beängstigend und verstörend sein kann. Es ist faszinierend, am Beispiel der Gegend um Rhein und Ruhr zu sehen, wie viele unterschiedliche Kulturen und Religionen, Traditionen und Träume, Lebensentwürfe und Weltanschauungen in Deutschland eine Heimat gefunden haben - und wie sehr die Region davon profitiert hat, weil mit Menschen, die auf unterschiedliche Weise ihr Glück suchten und ihre Träume verwirklichen wollten, immer wieder auch Ehrgeiz, Pioniergeist, Experimentierfreude und Innovationskraft Einzug hielten.

Zu den Lehren gehört, zweitens, die Einsicht, dass Religionsfreiheit und Toleranz für den sozialen Frieden in einer pluralistischen Gesellschaft unverzichtbar sind. Im kommenden Jahr, das wir als Europäisches Kulturerbe-Jahr feiern, jährt sich der Beginn des 30jährigen Krieges zum 400. Mal und das Ende des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Es erinnert uns daran, dass es eine der wichtigsten demokratischen, ja geradezu eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften überhaupt ist, das Gemeinsame über das Trennende stellen zu können - das Menschliche über die Unterscheidung zwischen gläubig und ungläubig, zwischen deutsch und nicht-deutsch, zwischen muslimisch und christlich. Gerade jetzt, da so viele Menschen anderer kultureller Herkunft Zuflucht in Deutschland suchen, gerade mit Blick auf die kommenden Jahre und Jahrzehnte, in denen zusammenwachsen soll, was bisher nicht zusammen gehört - wie Bundespräsident Gauck es am 25. Jahrestag der Deutschen Einheit so treffend formuliert hat - , gerade in diesen Zeiten muss sich demokratische Kultur in Deutschland und Europa in diesem Sinne neu bewähren.

Die christliche Religion und der christliche Glaube sollten, ja müssen dabei weiterhin ihren Platz im öffentlichen Leben haben. Denn Kirche schafft kulturelle Identität weit über den Kreis ihrer Mitgliedschaft hinaus - mit einer Prägekraft wie sie keine zweite Institution je entwickelt hat. Und nur eine Gesellschaft, die mit ihren Werten und Wurzeln ihre eigene Identität pflegt, kann auch dem Anderen, dem Fremden Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen.

Ein dritter und letzter Punkt ist mir wichtig: Gerade weil uns die Reformations-geschichte vor Augen führt, wie schwer wir uns in Deutschland und Europa über Jahrhunderte mit religiöser Vielfalt getan haben, gerade weil wir uns erinnern, wie hart errungen - mit viel Krieg, Leid und Gewalt bezahlt - Demokratie, Säkularismus und Religionsfreiheit doch sind, gerade weil wir wissen, dass unsere demokratischen Werte geronnene Lernerfahrungen sind, sollten wir uns in aktuellen Diskussionen über Integration nicht auf die ebenso überhebliche wie demotivierende Behauptung zurück ziehen, Islam und Demokratie passten nicht zusammen. Wenn das Reformationsgedenken uns für die Zukunft eines lehrt, dann die Bereitschaft, auch anderen Religionen eine gewisse Beweglichkeit und Lernfähigkeit zuzugestehen - und unseren Teil dazu beizutragen, dass dieser Lernprozess diesmal nicht jahrhundertelang dauert.

Für die Lernerfahrungen, die ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen erfordert, ist das Projekt "Der geteilte Himmel" zweifellos ein großer Gewinn. Ich danke allen, die am Erfolg der gut 130 verschiedenen Veranstaltungen Anteil haben, herzlich für ihr Engagement und ihre guten Ideen, zu denen nicht zuletzt auch die Einladung des AVRAM-Ensembles zur musikalischen Begleitung der heutigen Ausstellungseröffnung gehört. AVRAM trägt die religiöse Vielfalt nicht nur im Namen, sondern vereint unterschiedliche Religionen und Kulturen auch in Gestalt der neun Musikerinnen und Musiker, die nebenbei auch noch unterschiedliche musikalische Richtungen repräsentieren. Und gerade die Musik ist ja ein Nährboden, in dem die Saat der Versöhnung aufgehen kann: Denn Musik ist eine Sprache, die mehr als jede andere des Zuhörens und Einfühlens bedarf - des Lauschens auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf laut und leise. Solche Erfahrungen sind es, die die Diplomatie der Kunst gelegentlich wirkmächtiger erscheinen lassen als die Kunst der Diplomatie.

Der heutige Abend mit musikalischem Genuss und interessanten Streifzügen durch die Reformationsgeschichte kann uns da sicherlich inspirieren.

Wer darüber hinaus ein weiteres Stück religiöse Vielfalt im Alltag erleben will, dem rate ich im Übrigen zu geschärfter Aufmerksamkeit in der bald beginnenden Spargelzeit. Denn angeblich lässt sich ja beim Verzehr von Spargel erkennen, ob jemand katholisch oder protestantisch ist: Katholiken essen die Spargelspitzen zuerst; Protestanten heben sie sich bis zum Schluss auf. Wie auch immer Sie Ihren Spargel essen, meine Damen und Herren: Hauptsache, gegessen wird gemeinsam an einem großen Tisch!

In diesem Sinne: Auf Versöhnung und Verständigung im Jahr des Reformationsjubiläums!