Redner(in): Monika Grütters
Datum: 07. Mai 2017

Untertitel: Zum 100. Geburtstag eines der ältesten Museumsverbände der Welt, dankte Kulturstaatsministerin Grütters dem Deutschen Museumsbund für die "Suche nach neuen Formen der Museumskommunikation, mit denen wir auch weniger kulturaffine Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt zum Dialog einladen können."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/05/2017-05-07-bkm-festakt-museumsbund.html


Zum 100. Geburtstag eines der ältesten Museumsverbände der Welt, dankte Kulturstaatsministerin Grütters dem Deutschen Museumsbund für die "Suche nach neuen Formen der Museumskommunikation, mit denen wir auch weniger kulturaffine Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt zum Dialog einladen können."

Alt werden wollen wir alle - alt sein natürlich nicht. Deshalb beschäftigt die Frage, wie man frisch und fröhlich 100 Jahre alt wird, ein ganzes wissenschaftliches Fachgebiet. Das todsichere Patentrezept für einen gesunden 100. Geburtstag ist die Gerontologie uns bisher schuldig geblieben, aber wenn ich den - dank einschlägiger Ratgeberliteratur gut dokumentierten - Forschungsstand richtig überblicke, dann hat zumindest der Deutsche Museumsbund alles richtig gemacht, und dazu darf ich auch im Namen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die heute leider verhindert ist herzlich gratulieren.

Wie wird man in Bestform 100 Jahre alt? Die Erkenntnisse, die Altersforscher aus den Regionen der Welt zusammen getragen haben, in denen besonders viele 100jährige leben, lassen sich über eine gesunde Ernährung hinaus auf eine einfache Formel bringen, die da lautet: Bewegung Beziehung Bestimmung. Und das, meine Damen und Herren, lässt sich keineswegs nur in den Bergregionen Sardiniens oder im japanischen Okinawa erforschen, wo die 100jährigen überproportional vertreten sind, sondern auch anhand der Erfolgsgeschichte eines Verbands, der unter teils schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen ein ganzes, wahrlich bewegtes Jahrhundert durchstanden und sich - insbesondere mit dem in den 1970er Jahren einsetzenden "Museumsboom" - als gemeinsame starke Stimme einer ebenso vielstimmigen wie vielfältigen Branche bewährt und behauptet hat.

In Bewegung zu bleiben das erste, gerontologisch bestätigte Geheimnis der Langlebigkeit, ist dem Deutschen Museumsbund vor allem deshalb gelungen, weil er sensibel wie ein Seismograph auf die Herausforderungen der Gegenwart reagiert und sich dabei stets als gestaltende gesellschaftliche Kraft für die Zukunft verstanden hat. Dafür steht nicht nur die diesjährige Jahrestagung unter dem Motto "digital ökonomisch relevant: Museen verändern sich!", auf deren Ergebnisse ich sehr gespannt bin. Dafür steht auch und insbesondere der Gewinn an gesellschaftlicher Relevanz der Museen: die Karriere einer altehrwürdigen, dabei aber keineswegs verstaubten Institution, die sicherlich nicht allein den Umständen einer orientierungsbedürftigen Zeit geschuldet ist, sondern auch der Innovationsbereitschaft der Museen, die der Deutsche Museumsbund immer wieder angeregt und unterstützt hat

Das zweite wissenschaftlich untermauerte Geheimnis eines 100jährigens Lebens ist ein eng geknüpftes Netz an Beziehungen, genauer: sich um andere zu kümmern und auf andere zählen zu können. Ein "Kümmerer", das war und ist der Deutsche Museumsbund bis heute für seine rund 3.100 Mitglieder für die Museen, deren Interessen er vertritt, deren Qualitäten er sichtbar macht und deren Öffnung im Sinne des nach wie vor aktuellen Schlachtrufs "Kultur für alle!" er vorantreibt. Für dieses gesamtstaatlich bedeutende Wirken kann der Museumsbund seinerseits schon seit mehr als 40 Jahren auf die Unterstützung des Bundes zählen, und diese enge Beziehung hat sich insbesondere deshalb als außerordentlich stabil erwiesen, weil beide Seiten von ihr profitieren. Die schöne Erfahrung einer verlässlichen kulturpolitischen Partnerschaft war auch mir als Kulturstaatsministerin schon mehrfach vergönnt - zum Beispiel, als es darum ging, die Folgen des nationalsozialistischen Kunstraubs zu bewältigen und die dazu erforderliche Provenienzforschung voran zu bringen, aber auch im Zusammen-hang mit dem Schutz des kulturellen Erbes in Deutschland und weltweit. Deshalb nehme ich den 100. Geburtstag gerne zum Anlass, Ihnen, lieber Herr Professor Köhnen, und Ihrem Team herzlich zu danken für die immer wieder hilfreiche, kompetente fachliche Beratung und Ihr Engagement für das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und für das neue Kulturgutschutzgesetz.

Was mit "Bestimmung" gemeint ist - dem dritten, von Altersforschern propagierten Prinzip der Langlebigkeit - , verrät der Wortschatz einer Region, in der ganz besonders viele 100jährige leben. Auf dem japanischen Inselarchipel Okinawa kennt man interessanterweise kein Wort für "Ruhestand"; dafür gibt es aber ein Wort für das "Gefühl, etwas zu haben, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen". Dieses Wort heißt ich hoffe, ich spreche es richtig aus Ikigai, und so etwas hat auch der Deutsche Museumsbund. Bei Ihnen, lieber Herr Professor Köhnen, heißt das schlicht und einfach "unser Auftrag", was zwar weniger poetisch klingt, sich aber als nicht weniger wirksam erwiesen hat als das Ikigai in Okinawa. Kein Wunder, denn das Engagement für eine vielfältige und zukunftsfähige Museumslandschaft ist wahrlich etwas, für das es sich lohnt aufzustehen - und zwar nicht nur morgens, sondern - im übertragenen Sinne - auch politisch: wo immer es darum geht, die Institution Museum - "das Chamäleon im Kulturbetrieb", wie es im Feuilleton der FAZ einmal so schön hieß - als Ort der Bildung und Selbstvergewisserung zu verteidigen.

Man tritt gewiss keinem Schuppenkriechtier zu nahe, wenn man in diesem Zusammenhang feststellt, dass das "Chamäleon im Kulturbetrieb" seine Reptilienschwester sogar noch an Wandlungsfähigkeit übertrifft - und dass eben darin seine besondere Stärke als Kulturvermittler liegt. Vom Auswandererhaus im Norden bis zum Zeppelinmuseum im Süden, von den großen Museumskomplexen in Berlin, München oder Dresden bis zu den Heimatstuben und den vielen liebenswerten, kleinen, teils skurrilen Ausstellungshäusern abseits der großen Städte: Die rund 6.700 Museen in Deutschland treten in jeder nur erdenklichen Form und Gestalt in Erscheinung - als geschichtsträchtige Gebäude wie das Deutsche Historische Museum oder versteckte Kleinode wie das Gründerzeitmuseum von Charlotte von Mahlsdorf in meinem Wahlkreis Berlin Marzahn, als Schmuckstücke und Schatzhäuser für praktisch alles, was uns lieb und teuer ist oder was Bedeutung hat für unser Zusammenleben. Dabei sind Museen prinzipiell anpassungsfähig an alle Menschen unabhängig von Herkunft, Sozialisation, Bildung und Alter und selbst für erfahrene Museumsbesucher wie mich immer für eine Überraschung gut: Mein erster Besuch als Kulturstaatsministerin im Ozeaneum Stralsund beispielsweise nahm insofern eine unerwartete Wendung, als ich mit einer Patenschaft für Olli, einen Humboldtpinguin, wieder nach Hause gefahren bin. Olli kann, nebenbei bemerkt, bis zu 30 Jahre alt werden, ein Chamäleon dagegen wird üblicherweise nicht mehr als 15 Jahre alt, und spätestens an dieser Stelle hinkt der schöne Feuilleton-Vergleich. Denn schließlich wünschen wir uns nicht nur chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit, sondern auch Langlebigkeit für identitätsstiftende Kulturinstitutionen, die als kollektives Gedächtnis und Bewusstsein wie keine anderen unsere gemeinsamen Erinnerungen, Werte, Perspektiven auf die Welt sichtbar und erfahrbar machen. Deshalb, meine Damen und Herren, will ich meine Glückwünsche zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Museumsbunds abschließend mit einigen Gedanken zur Zukunftsfähigkeit der Museen verbinden.

Bewegung - Beziehung - Bestimmung: Um diese eingangs erwähnten Voraussetzungen für ein gesundes Altwerden geht es auch für die Museen, die im 21. Jahrhundert mehr denn je Bewegung durch Innovationskraft, Beziehungen zu verlässlichen Partnern und Förderern und eine öffentliche Auseinandersetzung mit ihrer Bestimmung brauchen. In Bewegung bleiben heißt beispielsweise, die digitalen Möglichkeiten als Fortsetzung des Bildungs- und Vermittlungsauftrags mit anderen Mitteln zu verstehen. Museen, die Kinder mitnehmen auf eine interaktive Bilderreise, die im Museumsblog oder in den sozialen Netzwerken mit gut aufbereiteten, aktuellen Informationen und Tipps junge Leute ansprechen, erreichen auch diejenigen, die die ehrfürchtige Stille und die Prunksäle der großen Museen eher "abturnt" - um es im Jugendsprech zu sagen. Das sind die Museumsbesucher von morgen, wenn man sie in jungen Jahren, möglichst schon vor dem 12. Geburtstag, erreicht. Deshalb freue ich mich über das Engagement vieler Museen, mit zeitgemäßen Formen der Kommunikation und Partizipation auch weniger kulturaffine Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt abzuholen. Dafür braucht es unbedingt auch mehr Unterstützung aus der Politik: Deshalb will ich mich bei der Kultusministerkonferenz dafür einsetzen, dass die Lehrpläne unserer Schulen und Ausbildungsbetriebe mindestens einen Museumstag im Jahr vorsehen. So wie wir - aus guten Gründen - viel dafür tun, die Begeisterung für MINT-Berufe zu wecken, so müssen wir alles dafür tun, möglichst früh die Begeisterung für Museen zu wecken. Hier müssen sich nicht nur die Museen bewegen; hier müssen sich auch die Schulen und die politisch Verantwortlichen bewegen. Denn ein Museumsbesuch sagt häufig mehr als viele Schulstunden.

Weil angemessene Antworten auf den digitalen Wandel natürlich nicht zuletzt eine Frage des Geldes sind, scheint mir auch die zweite Empfehlung der Altersforscher für ein langes Leben nicht verkehrt: Beziehungen zu knüpfen, eingebunden zu sein in ein Netz aus Freunden und Förderern. Im föderalen Gefüge sind die Möglichkeiten des Bundes, Museen zu unterstützen, - wie Sie wissen - beschränkt. Museumsförderung ist Angelegenheit der Länder, es sei denn, es handelt sich um Aufgaben der gesamtstaatlichen Repräsentation, wie zum Beispiel im Rahmen der Bundesverantwortung für die Hauptstadtkultur. Zum Glück gibt es viele Museen in Deutschland, die von ihrer Gründung bis heute getragen, ja geradezu durchdrungen sind vom Bürgersinn kunst- und kulturbegeisterter Zeitgenossen, wie beispielsweise das Städel in Frankfurt, dem ich vor zwei Jahren zum 200. Geburtstag gratulieren durfte. Noch mehr als bisher brauchen wir aber breite öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung für das, was unsere Museen landauf landab für unsere Gesellschaft leisten - so wie etwa im Rahmen der von mir ins Leben gerufenen Initiative "Kultur öffnet Welten", die sichtbar macht, was Kultureinrichtungen, insbesondere Museen, zu Integration und Zusammenhalt beitragen. Der Bereitschaft in Politik und Gesellschaft, sich als Teil eines starken Kulturbeziehungsnetzwerks auf allen Ebenen für die Zukunft der Museen stark zu machen -so wie der Deutsche Museumsbund es in seinem Appell "Wir sind zum Wandel bereit!" fordert - kann das nur nützen, genauso wie eine öffentliche Debatte über die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Erwartungen an unsere Museen einerseits und die dafür notwendigen Ressourcen andererseits. In diesem Sinne halte ich eine Auseinandersetzung mit diesem Aufruf des Deutschen Museumsbunds für wichtig, ja geradezu für geboten.

Die Bestimmung schließlich - das Gefühl, etwas zu haben, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen - treibt nicht nur alle leidenschaftlichen Museumsmacher vom Direktor bis zum Ausstellungsführer, von der Kuratorin bis zur Konservatorin an. Auch Museen brauchen das, was man in Okinawa "Ikigai" und beim Deutschen Museumsbund "Unseren Auftrag" nennt - und sie sehen sich dabei mit enormen Erwartungen konfrontiert, zu Verständnis und Verständigung beizutragen. Denn die Herausforderungen unserer Zeit - vom demographischen Wandel über den Klimaschutz bis zu Migration und Friedenssicherung - erfordern mehr denn je die Bereitschaft, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Verständigungsbereitschaft braucht es auch, um über eine Million Flüchtlinge zu integrieren, die Deutschland 2015 und 2016 aufgenommen hat. Gleichzeitig sind in vielen Ländern in und außerhalb Europas populistische Parteien auf dem Vormarsch und machen Stimmung gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt und Freiheit. Gerade dort, wo das gesellschaftliche Klima von verhärteten Fronten geprägt ist und Verständigung kaum noch möglich scheint, ist es wichtig, dass Museen sich noch mehr als bisher als Orte des Dialogs positionieren, dass sie ihre Türen so weit aufmachen wie es nur geht und ihre Sammlungen auch daraufhin befragen, wie sie zur Verständigung in unserer Gesellschaft, zur Auseinandersetzung mit den Fragen unserer Zeit beitragen können. Genau das erwartet uns im Humboldt Forum, das 2019 seine Pforten öffnen soll. Die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wir hier präsentieren wollen, bieten in Verbindung mit der benachbarten Museumsinsel und deren Kulturschätzen aus Europa und dem Nahen Osten einmalige Einblicke in das kulturelle Erbe der Menschheit. Sie offenbaren, dass es ein "Wir" jenseits kultureller und nationaler Grenzen gibt. Zukunftsweisend ist das Humboldt Forum vor allem als Ort der Verständigung: Hier soll ein Ort möglichst breiter öffentlicher Debatten entstehen - ein Museum, das die Gesellschaft nicht nur abbildet, sondern auch mitformt - , und ich lade alle Mitglieder des Deutschen Museumsbunds herzlich ein, sich künftig bei der Bespielung einzubringen. Denn es sind Ihre Einrichtungen, die jede auf ihre Weise zur Verständigung darüber beitragen, welches Land wir im 21. Jahrhundert sein wollen: sei es durch die Auseinandersetzung mit Heimat und Vergangenheit; sei es in der kulturellen Bildung und Vermittlung; sei es in der Förderung der künstlerischen Avantgarde; sei es in der Repräsentanz Deutschlands als europäisch gewachsene Kulturnation und freiheitlich verfasster, demokratischer Rechtsstaat.

Älter zu werden, ohne jemals alt und antiquiert zu wirken: Dieses Kunststück, das nur wenig 100jährige so gut hinbekommen wie der Deutsche Museumsbund, möge deshalb auch seinen Mitgliedern gelingen. Vorsicht bei der Auswahl der Vorbilder und Ratgeber kann dabei nicht schaden, denn Sie wissen ja, meine Damen und Herren: Mit dem Altwerden ist das so eine Sache. Profisportler gelten schon mit 30 Jahren als alt, in der Politik dagegen zählt man mit 40 noch zu den Nachwuchstalenten, und während Frauen Falten bekommen, kommen Männer in die "besten Jahre" - wo so mancher dann zumindest gefühlt auch für den Rest seines Lebens bleibt. Die glaubwürdigsten Vorbilder und Ratgeber sind also wohl schlicht und einfach andere 100jährige - so wie Ieoh Ming Pei, der Architekt des Erweiterungsbaus des Deutschen Historischen Museums, der erst vor wenigen Tagen seinen 100. Geburtstag gefeiert hat."Architektur darf nicht modisch sein. Sie braucht einen langen Atem", hat er vor 20 Jahren in Berlin gesagt, und dasselbe gilt auch für Museen, die sich in ihrer Wandlungsfähigkeit als langlebig erweisen wollen. Solche Museen dürfen nicht modisch sein. Sie brauchen einen langen Atem. In diesem Sinne wünsche ich dem Deutschen Museumsbund und allen Museen weiterhin viel Aufmerksamkeit und Erfolg, vor allem aber einen langen Atem!