Redner(in): Monika Grütters
Datum: 06. Mai 2017

Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/05/2017-05-06-bkm-theatertreffen.html


Im Kulturressort hat man zwar bedauerlicherweise nicht gerade den größten Etat und die üppigste Personalausstattung - aber auf alle Fälle die schönsten dienstlichen Termine. Da kommt im Kabinett manchmal schon ein wenig Neid auf unter den Kolleginnen und Kollegen … . Wer würde nicht lieber das Theatertreffen eröffnen als sagen wir eine Industriemesse oder einen neuen Autobahnabschnitt?

Gründe, dem Theatertreffen auch dieses Jahr wieder voller Vorfreude entgegen zu sehen, gibt es zweifellos genug - vor allem natürlich das abwechslungs-reiche Programm. Wo sonst lässt sich innerhalb weniger Tage die ganze Bandbreite des deutschsprachigen Sprechtheaters von Hamburg im Norden bis Basel im Süden, von Dortmund im Westen bis Leipzig im Osten erleben? Wo sonst sind tradierte wie auch zeitgenössische Stoffe, internationale Koproduktionen und Spielorte der Freien Szene gewissermaßen unter einem Dach vereint? Wo sonst ist Inspiration durch neue Erzählformen und experimentelle Formate garantiert inklusive?

Allerdings hat das Theater in jüngster Zeit gewissermaßen Konkurrenz bekommen und zwar ausgerechnet auf den Bühnen der Politik. Vorbei die Zeiten, in denen es das Privileg von Schauspielern war, mit außergewöhnlichen Auftritten zu unterhalten oder mit bemerkenswerten Inszenierungen zu provozieren! "Alternative Fakten" und bizarre Szenen gehören neuerdings zum fernseh- und twitterwirksamen, politischen Repertoire... . Doch mag die Wirklichkeit das Theater manchmal auch an Wahnsinn überbieten, verehrte Damen und Herren: Künstlerische Vielfalt, wie wir sie beim Theatertreffen erleben, ist immer stärker als populistische Einfalt. Ob in Deutschland, Europa oder jenseits des Atlantiks: Nicht umsonst fürchten all jene, die ihre Macht auf diffuse Ängste und niedere Instinkte bauen, die gewaltigen Kräfte der Kunst: die Fähigkeit der Kunst, zu berühren, ihre Kraft, Schweigen und Tabus zu brechen, ihr Vermögen, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach einer besseren Welt zu wecken, ihren Ehrgeiz, nicht Rädchen, sondern Sand im Getriebe der Politik zu sein. Denn im Gegensatz zu populistischen Parolen, die Ängste schüren, und "fake news", die Verwirrung stiften, lässt die Kunst uns klarer zu sehen."Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt." So hat es Pablo Picasso einmal formuliert. Das erleben wir nicht zuletzt, wenn der Vorhang sich hebt: In Zeiten des Aufruhrs und des Umbruchs wird das Theater zum Ort der Selbstbesinnung.

Wo Populisten aus der Abwertung Andersdenkender, Andersglaubender und Anderslebender politischen Profit für ihre nationalistische Ideologie zu schlagen versuchen, kann auf der Bühne sichtbar und spürbar werden, was Menschen bei aller Verschiedenheit als Menschen verbindet. Wo eine lautstark pöbelnde Minderheit die schweigende Mehrheit mit ihrer Fremdenfeindlichkeit beschämt, wo zwischen verhärteten Fronten Sprachlosigkeit herrscht, können Theater als Stätten öffentlicher Verhandlung von Konflikten und gesellschaftlicher Selbstreflexion zur Verständigung beitragen und demokratischen Werten jenseits argumentativer Auseinandersetzung Gehör verschaffen. Wieviel Haltung unsere Theater in diesem Sinne zeigen, habe ich einmal mehr bei meiner jüngsten Theaterreise durch Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg vor einigen Monaten erlebt - und leider auch, wie sehr die Theater vielerorts um ihr Überleben kämpfen. Der Bund hat aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Möglichkeit, einzelne Bühnen institutionell zu fördern oder gar ausbleibende Mittel der Kommunen und der Länder zu kompensieren. Aber eines versuchen wir immerhin - nämlich Theatern auch abseits der Metropolen Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu verschaffen. Dazu werde ich auch in diesem Jahr den Theaterpreis des Bundes vergeben - als Unterstützung und Ermutigung für kleine und mittlere Bühnen, in denen wahre Liebhaber am Werk sind und mit viel Herzblut und persönlichem Einsatz dafür sorgen, dass wir in Deutschland nicht nur in großen Städten, sondern auch in der so genannten "Provinz" ein großartiges Kulturangebot auf hohem professionellen Niveau für alle Bürgerinnen und Bürger haben.

Ein wunderbares Beispiel für die besondere Fähigkeit des Theaters, existentielle Fragen unseres Lebens und Zusammenlebens zu verhandeln, ist Anton Tschechows Drama "Drei Schwestern" : Die hoch gelobte Inszenierung des Theaters Basel, die das urmenschliche Streben nach Glück aus dem Russland des frühen 20. Jahrhunderts in unsere globalisierte Gegenwart holt, zieht uns in den Sog eines - unseres - "gähnenden Lebenslügenlochs", wie es in einer der vielen enthusiastischen Kritiken vielversprechend hieß. Freuen wir uns also auf virtuose Schauspiel- und Inszenierungskunst! Freuen wir uns auf den Auftakt des Theatertreffens 2017 - und einmal mehr, ganz im Sinne Pablo Picassos, auf ein Fest jener ganz besonderen Lügen, die uns die Wahrheit begreifen lehren.