Redner(in): Monika Grütters
Datum: 04. Mai 2017

Untertitel: "Um die Macht der Bilder für eine informierte Öffentlichkeit, für notwendige Debatten und damit für eine lebendige Demokratie wirksam zu machen," erfordere der Fotojournalismus gerade in Zeiten 'alternativer Wahrheiten‘ sorgfältige Recherchen, ausgewogene Analysen und kritisches Hinterfragen. Dies betonte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Ausstellung "Foto.Kunst.Boulevard" der BILD-Zeitung in Berlin.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/05/2017-05-04-bkm-ausstellung-foto-kunst-boulevard.html


Um die Macht der Bilder für eine informierte Öffentlichkeit, für notwendige Debatten und damit für eine lebendige Demokratie wirksam zu machen,"erfordere der Fotojournalismus gerade in Zeiten ' alternativer Wahrheiten ‘ sorgfältige Recherchen, ausgewogene Analysen und kritisches Hinterfragen. Dies betonte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Ausstellung" Foto. Kunst. Boulevard " der BILD-Zeitung in Berlin.

Journalisten kennen sie vom Warten auf Pressekonferenzen - der breiten Öffentlichkeit ist sie zumindest aus den Medien bekannt: Die so genannte "Kanzlergalerie" mit den Porträts der Altkanzler ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil es sich - neben den Herrentoiletten - vermutlich um den einzigen Ort im Kanzleramt handelt, wo die Männer noch unter sich sind. Bemerkenswert ist diese Bilderreihe vor allem deshalb, weil sie davon erzählt, welches Bild von sich selbst die Kanzler a. D. der Nachwelt hinterlassen wollten. Die Kohl ‘ sche Korpulenz beispielsweise ist in Albrecht Gehses Gemälde nur zart angedeutet - und Immendorffs "goldener Gerd", lieber Herr Schröder, kommt im Licht der Scheinwerfer bekanntlich am besten zur Geltung.

Ein wenig anachronistisch scheinen diese Porträts, weil der Fotojournalismus bald 100. Geburtstag feiert und die Porträtfotografie längst viel wirkmächtiger ist als die Porträtmalerei. Anders als in vordemokratischen Zeiten, als die Mächtigen ihr Bild für die Nachwelt ganz nach eigenem Geschmack und Gutdünken gestalten lassen konnten, sehen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich heute mit einer Vielzahl von Bildern konfrontiert, die dokumentieren, wie sie von anderen gesehen werden. Selbstbild und Fremdbild mögen dabei nicht immer übereinstimmen, und natürlich bedienen Fotos - gerade in Boulevardmedien - bisweilen auch die voyeuristische Lust an der Sensation und am allzu Privaten. Doch der Fotojournalismus ist als Stütze der "Vierten Gewalt" unentbehrlich. Was wäre unsere Demokratie ohne die Vielfalt der Perspektiven und Sichtweisen, die aus der Fülle unterschiedlicher Bilder spricht? Wie blass bliebe das Erinnern an historische Ereignisse ohne die Ikonen der Pressefotografie, die sich eingebrannt haben ins kollektive Gedächtnis? Wie groß wäre die Distanz zu fernen Kriegen und fremdem Leid, ohne Bilder, die dem Elend ein Gesicht geben? Wie wenig wüssten wir über die Welt, in der wir leben, ohne die Kunst des genau Hinsehens und Beobachtens, die auf Fotos die Wirklichkeit zum Sprechen bringt - ohne jene Kunst also, die das Fotografieren vom bloßen Knipsen unterscheidet?

Fotografien können dokumentieren und informieren, berühren und bedrängen, irritieren und provozieren. Sie können aber auch beschönigen und verschleiern, ablenken und täuschen, propagieren und manipulieren. Grund genug, der Kraft der Pressebilder eine Ausstellung zu widmen, die hier im Martin-Gropius-Bau bestens aufgehoben ist - schließlich liefern Ihre Fotoausstellungen, lieber Herr Professor Sievernich, regelmäßig Stoff für aufschlussreiche öffentliche Debatten. Denkanstöße dürfen wir auch von der Ausstellung "Foto. Kunst. Boulevard" erwarten, die 26 Fotografinnen und Fotografen mit ihren teils kunstvoll inszenierten, teils kurios authentischen, jedenfalls im besten Sinne fesselnden Fotografien aus den vergangenen zehn Jahren versammelt. Dass all diese Bilder im Auftrag der BILD-Zeitung entstanden sind, macht die Schau einerseits zu einer facettenreichen Illustration des Anspruchs "Das bringt nur BILD". Sie lässt dabei andererseits aber auch erahnen, wieviel journalistische Sorgfalt die Arbeit mit der Macht der Bilder erfordert.

Bilder verdichten Geschichten und durchaus berechtigt treffen sich im künstlerischen Akt des "Verdichtens" poetisches und pointiertes, dichterisches und dichtes Erzählen. Viel treffsicherer als Worte erreichen Bilder damit Emotionen und Instinkte; viel effektiver als Berichte und Kommentare sorgen sie für Aufmerksamkeit. Sie zahlen sich also aus in der härtesten Währung des digitalen Zeitalters unter Umständen aber auf Kosten der differenzierten Bewertung von Sachverhalten und in der Summe, gerade im Netz, auch mit dem Risiko der Abstumpfung eines Publikums, dessen Augen mehr sehen als ein Herz an Empathie zu empfinden vermag. Denn auf Facebook, Twitter, Instagram rauschen Bilder aus den Höllen der Kriege, des Elends und der Armut im gleichgültigen Strom aus Information, Werbung und Entertainment an uns vorbei. Hier sind "alternative Wahrheiten" und populistische Propaganda auch in Gestalt inszenierter und manipulierter Bilder immer nur einen Mausklick entfernt. Deshalb erfordert gerade die überwältigende Macht der Bilder die erklärende und einordnende Kraft der Worte. Mehr denn je braucht es sorgfältige Recherchen, ausgewogene Analysen und kritisches Hinterfragen, um die Macht der Bilder nicht nur für Auflage und Reichweite, sondern ganz im Sinne des journalistischen Anspruchs "BILD Dir Deine Meinung" - auch für eine informierte Öffentlichkeit, für notwendige Debatten und damit für eine lebendige Demokratie wirksam zu machen.

Dass es alles andere als anachronistisch ist, diese guten, alten journalistischen Tugenden hochzuhalten, gehört im Übrigen zu den Lehren nicht nur unserer deutschen Vergangenheit, sondern auch unserer globalisierten Gegenwart. Wenn in europäischen Ländern politisch unerwünschte Meinungen durch Einschränkungen der Pressefreiheit unterdrückt werden, wenn vor den Türen Europas reihenweise Journalisten verhaftet werden, wenn der Präsident der weltweit mächtigsten Demokratie Journalisten in seinen Reden und Tweets als "Feinde des Volkes" verunglimpft, entlarvt dies nicht zuletzt das Wissen um die Macht freier Medien - um die Macht der Bilder und die Macht der Worte. Es ist das Eingeständnis, dass journalistische Vielfalt stärker ist als populistische Einfalt - solange Pressefreiheit und journalistisches Ethos den Ton angeben.

Mag die Kombination aus "Foto. Kunst. Boulevard" in der gleichnamigen Ausstellung vor allem durch außergewöhnliche Bilder prominenter Persönlichkeiten und die Geschichten dahinter begeistern in der Spiegelung zeitgeschichtlicher Entwicklungen weist sie weit über den Boulevard hinaus. Ich danke Ihnen, lieber Herr Diekmann, lieber Herr Smerling, lieber Herr Professor Sievernich, für diese eindrucksvolle Schau, die da bin ich sicher - zum Nachdenken über die Macht der Bilder inspiriert. Und wer weiß: Vielleicht hält die Porträtfotografie ja irgendwann auch Einzug in die politischen Ahnengalerien unserer Demokratie und verdrängt die Porträtmalerei je nachdem, wie die zeitgenössische Kunst sich noch entwickelt. Denn so manche Künstler-Zeitgenossen fallen bei aller künstlerischer Gestaltungsfreiheit - als Porträtisten schlichtweg aus, wie der SPIEGEL schon 1978 hellsichtig bemerkte, ich zitiere: "Den Bundespräsidenten etwa von Joseph Beuys als Fettplastik oder von Gotthard Graubner als Farbraumkörper wiedergeben zu lassen, kann nicht ernsthaft zur Debatte stehen." Wer fotografieren kann, ist so gesehen klar im Vorteil und erst recht, wer hinter der Kamera so viel künstlerische Kraft entfaltet wie die in der Ausstellung präsentierten 26 Fotografinnen und Fotografen. Ich jedenfalls wünsche Ihnen, liebe Künstlerinnen und Künstler, weiterhin viel Erfolg und Aufmerksamkeit und lasse mich gerne in den Bann ziehen von den Meisterwerken Ihrer Fotokunst!