Redner(in): Monika Grütters
Datum: 10. Juni 2017

Untertitel: Bei der Eröffnung der "Skulptur Projekte" in Münster hat Kulturstaatsministerin Grütters die Ausstellung als "großen Gewinn für die Welt und für Münster" gewürdigt. Die Stadt habe sich gerade wegen ihrer Bodenständigkeit mit "Kunst-Chaos" identifiziert.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/06/2017-06-10-bkm-skulptur-projekte-muenster.html


Bei der Eröffnung der "Skulptur Projekte" in Münster hat Kulturstaatsministerin Grütters die Ausstellung als "großen Gewinn für die Welt und für Münster" gewürdigt. Die Stadt habe sich gerade wegen ihrer Bodenständigkeit mit "Kunst-Chaos" identifiziert.

Mein Name ist Monika Grütters. Grütters mit "ü", wie Münster - mit ü. Ich bin seit mehr als 25 Jahren Wahlberlinerin, aber hier ist meine Heimat. Monika bedeutet übrigens "Einsiedlerin" - und trotzdem wurde der Name für ein vormodern-anmutendes Familien-Magazin mit dem Untertitel "Zeitschrift für katholische Mütter und Hausfrauen" gewählt, das sich von 1869 sogar bis ins Jahr 2000 retten konnte. Würde ich Ihnen jetzt noch einen kuriosen Spitznamen verraten, wäre der Kanon der Selbstpräsentation perfekt: Denn glaubt man einem Internet-Karriereratgeber gibt es genau "7 Wege sich charmant vorzustellen". Alle zielen darauf ab, in kürzester Zeit und in einer meist ungewohnten Situation eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen. Ich hoffe, das ist mir hiermit gelungen.

Zeit, Ort und Körper spielen also nicht nur in der skulpturalen Kunst, sondern auch in der Kunst der Konversation eine große Rolle! Für die Einladung zur Eröffnung der fünften Skulptur Projekte danke ich Ihnen herzlich, verehrter Herr Oberbürgermeister Lewe, lieber Markus, verehrter Herr Löb, lieber Professor Kasper König!

Meine Damen und Herren, verehrte Künstlerinnen und Künstler, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde!

Den Allergrößten der Kunstwelt ist es schon passiert, und vielleicht adelt es daher den Avantgardisten sogar, wenn Kunst erstmal als solche verkannt und ein Werk unabsichtlich entfernt wird - oder besser: weggeschrubbt, wie etwa die berühmte "Fettecke" von Joseph Beuys, weggesaugt, wie eine Installation im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, oder: weggebaggert! Genau das passierte bei den Vorbereitungen der diesjährigen Skulptur Projekte: Christian Odzucks Kunstwerk sollte auf dem Gelände der alten Oberfinanzdirektion entstehen, die zuvor abgerissen worden war.

Ein Baggerführer - von den Münsteranern flott "Bruno" getauft - hat nach dem Abriss gewissenhaft aufgeräumt und Teile der Installation gleich mit weggebaggert."Baggerführer Bruno" verhalf dem Klassiker "Ist das Kunst oder kann das weg?" zu einem schönen Revival - und dem Kunstwerk von Christian Odzuck - das übrigens mittlerweile wieder vollständig ist - schon vor Eröffnung der Ausstellung zu großer Publicity. Ist das Kunst oder kann das weg? ": Diese Frage war in den 1970er und 1980er Jahren klar und schnell beantwortet: Die zeitgenössischen Werke, die im Rahmen der ersten Skulptur Projekte 1977 nach Münster kamen, sollten - Kunst hin oder her - am Besten gleich wieder verschwinden. Das Chaos der Kunst passte nicht ins katholisch-konservative Münster, nicht zu einer Stadt, in der - wie im SPIEGEL jüngst zu lesen, war:" … die Uhren vielleicht wirklich anders gehen, der Stadt der Fahrradfahrer, der Kirchtürme, des harmlosesten ' Tatorts ‘ . Eine Stadt, in der die Wiederholung des Immerselben ganz bestimmt viel gilt."

Das Chaos der Kunst passte nicht zu Münster? Genau: passte! Denn viele Kunstwerke sind geblieben und - das sage ich auch als Münsteranerin - nicht zuletzt deshalb gilt der alte Werbeslogan "Unter Deutschlands Schönen eine der Schönsten" vielleicht heute mehr denn je. Die mittlerweile 35 Skulpturen haben nicht nur das Bild, sondern auch den Habitus der mittelalterlichen, historisch gewachsenen Stadt gründlich verändert. Münster hat sich mit dem Kunst-Chaos, das alle zehn Jahre kommt, nicht nur arrangiert, sondern identifiziert: Was früher maximale Herausforderung bedeutete, wird heute mit maximaler Vorfreude erwartet, und die einstigen Objekte der Provokation sind mittlerweile Postkartenmotive.

Gerade ihre undogmatische, bodenständige Verwurzelung der Münsteranerinnen und Münsteraner ist - davon bin ich überzeugt - die Voraussetzung dafür, neue Kunst- und Kulturformen, neue Stadt-Ansichten und -n zulassen zu können. Denn wer mit seinen kulturellen, auch religiös begründeten Eigenheiten die eigene Identität pflegt, kann auch dem Anderen, dem Fremden Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen.

Mit dieser Ambivalenz spielt beispielsweise auch die Künstlerin Ayşe Erkmen, der das aktuelle Kunstmagazin art bescheinigt, sie beschere als Türkin mit ihren Arbeiten, die mit dem Motiv des "Übers Wasser gehen" spielen,"der katholischen Bistumsstadt wahrlich biblische Momente." Gelegentlich im Widerspruch zu dem, was sie vorfand, zugleich aber auch als dessen Bestätigung bleibt die Kunst hier Mahnung und Appell zur Selbstkritik. Mit Erfolg!

Auch wenn Kasper König sagt, die Skulptur Projekte seien keine Ausstellung für die Welt, sondern für Münster: Ich meine, die Skulptur Projekte sind ein großer Gewinn für beide Seiten - für die Stadt und die Kunst- t. Die Ausstellungen haben Münster in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt, und die meisten der damaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer - beispielsweise Bruce Naumann, Claes Oldenburg, Rebecca Horn, Jenny Holzer oder Donald Judd - sind heute international renommierte Künstler. Nicht nur dank ihrer internationalen Ausstrahlung sind die Skulptur Projekte allemal ein kulturelles Ereignis von gesamtstaatlicher Bedeutung, das ich deshalb gerne mit den Mitteln aus meinem Kulturetat unterstütze.

Lieber Kasper König, Sie haben vor vierzig Jahren, gemeinsam mit Prof. Klaus Bußmann, einen Versuch mit ungewissem Ausgang unternommen, haben mit Mut und Weitsicht die zeitgenössische Kunst in eine Stadt gebracht, die ihren Ruf eher ihrer Jahrhunderte alten Geschichte verdankt - auch wenn die Zeit deshalb noch lange nicht stehen geblieben ist. Den kostenlosen Zugang zur Ausstellung haben Sie immer als Garantie für die kuratorische Freiheit verstanden, die Sie auch vom Erwartungsdruck eines Publikumserfolgs befreite und der Sie sich noch immer verpflichtet fühlen. Wie erfolgreich dieses Rezept war und ist, zeigen die vielen begeisterten Besucherinnen und Besucher ebenso wie euphorische Kritikerstimmen, die oft genug sogar meinten,"die Skulptur Projekte in Münster stehlen der documenta mit Witz und Phantasie die Schau".

In diesem Jahr kompetent und kreativ begleitet von Ihren beiden Mit-Kuratorinnen Britta Peters und Marianne Wagner verwandeln die Skulptur Projekte Münster wieder in einen einzigartigen Kunstraum. Wo man früher fragte "Ist das Kunst oder kann das weg?", ist man heute einfach nur "hin und weg" : von Kunstwerken, die herausfordern und neue Perspektiven eröffnen, die zur Selbstkritik einladen und Horizonte erweitern.

In diesem Sinne wünsche ich den Skulptur Projekten auch im "Superkunstjahr" 2017 einhundert erfolgreiche und inspirierende Tage!