Redner(in): Monika Grütters
Datum: 20. September 2017

Untertitel: Bei der Rückgabe historischer Fotografien der ehemaligen Zarenresidenz Gatchina hat Kulturstaatsministern Grütters den deutsch-russischen Museumsdialog als große Hilfe bei der Aufklärung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter gewürdigt. "Die vertrauensvolle Forschungszusammenarbeit ist ein wichtiges Fundament der deutsch-russischen Kulturbeziehungen". Wichtig sei die Rückgabe geraubten Kulturguts aber auch, damit Wunden heilen könne, die der Krieg geschlagen hat.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/09/2017-09-20-bkm-gatschina.html


Bei der Rückgabe historischer Fotografien der ehemaligen Zarenresidenz Gatchina hat Kulturstaatsministern Grütters den deutsch-russischen Museumsdialog als große Hilfe bei der Aufklärung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter gewürdigt."Die vertrauensvolle Forschungszusammenarbeit ist ein wichtiges Fundament der deutsch-russischen Kulturbeziehungen". Wichtig sei die Rückgabe geraubten Kulturguts aber auch, damit Wunden heilen könne, die der Krieg geschlagen hat.

September 1941: Die deutschen Truppen stehen vor Leningrad. Sechs Zarenschlösser in der Umgebung wecken das Interesse des Sonderkommandos Künsberg, das systematisch Kulturschätze aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten beschlagnahmt. Eines dieser sechs Schlösser, das die so genannten Kunstschutzoffiziere plündern, ist die ehemalige Zarenresidenz Gatchina.

April 2017: Auf einer Online-Auktionsplattform bietet ein Berliner Antiquar 45 Original-Fotografien in schwarz-weiß an, entstanden teils vor 1917, teils nach der Russischen Revolution. Sie zeigen Räume, Interieurs und Einzelobjekte des historischen Zarenpalasts Gatchina. Wir wissen nicht genau, meine Damen und Herren, wann und wie diese Aufnahmen aus Russland nach Deutschland gelangt sind. Mangels belastbarer Indizien können wir nur vermuten, dass die Fotos im Zuge der Plünderungen durch das Sonderkommando Künsberg geraubt wurden. Die kyrillischen Stempel und die Inventarnummern auf den Rückseiten der Fotos belegen jedenfalls, dass sie Eigentum des Museums "Schloss und Park Gatchina" sind, wo sie bisher als "Kriegsverluste" verzeichnet waren. Deshalb bin ich Ihnen, lieber Herr Prof. Eichwede, sehr dankbar, dass Sie mein Haus auf die Online-Versteigerung aufmerksam gemacht und die Sicherung der Objekte gemeinsam mit der Osteuropa-Historikerin Frau Dr. Kuhr-Korolev eng begleitet haben. Ich begrüße Sie beide sehr herzlich und danke Ihnen für Ihre Expertise und Ihr Engagement, das es der Bundesregierung ermöglicht, sich ihrer Verantwortung für die Aufarbeitung der von Deutschen begangenen Verbrechen im von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg einmal mehr zu stellen.

Zu diesen Verbrechen gehört auch der Raub von Kunst und Kulturgut, gehören die barbarischen Raubzüge der Nationalsozialisten und der Wehrmacht in russischen Museen, Bibliotheken, Archiven und historischen Gebäuden. Kulturgüter sind existentiell für Gemeinschaften und für Nationen. Sie sind Teil des kulturellen Gedächtnisses, sie spiegeln Geschichte und Identität. Ihr Verlust schmerzt - Russen genauso wie Deutsche. Deshalb vertreten wir die auch durch das Völkerrecht gestützte Auffassung, dass geraubte Kulturgüter an das jeweilige Herkunftsland zurück zu geben sind. Deutschland und Russland haben sich im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 völkerrechtlich verbindlich geeinigt, verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze und Kulturgüter, die sich auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückzugeben.

Der deutsch-russische Museumsdialog ist uns dabei eine große Hilfe. Ich bin sehr dankbar, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus beiden Ländern hier seit mehr als zehn Jahren eng zusammenarbeiten, um zur Aufklärung über kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter beizutragen. Die intensive, kooperative und vertrauensvolle Forschungszusammenarbeit ist ein wichtiges Fundament unserer deutsch-russischen Kulturbeziehungen. Dies lässt mich hoffen, dass auch Russland den Austausch zwischen Experten beider Länder wertschätzt und seine Weiterentwicklung unterstützt. Und es bestärkt mich in der Auffassung, dass wir auch den bilateralen Kulturgüterdialog in den deutsch-russischen Arbeitsgruppen fortsetzen und weiter gemeinsam an einvernehmlichen Lösungen arbeiten sollten. Unterschiedliche Standpunkte zum Umgang mit geraubten Kulturgütern sollten uns nicht daran hindern. Wichtig ist, dass wir im Gespräch bleiben, dass wir uns um Verständigung bemühen und auch auf diese Weise zur Aufarbeitung unserer wechselvollen gemeinsamen Geschichte beitragen. Dazu haben Russland und Deutschland diese Arbeitsgruppen 2004 gegründet, und in diesem Sinne würde ich mich sehr freuen, wenn sie möglichst bald ihre Arbeit wieder aufnähmen.

Die Rückgabe geraubten Kulturguts ermöglicht es, Objekte wieder in den Kontext einzuordnen, in den sie gehören und in dem sie für die historische oder auch für die bau- und kunstgeschichtliche Forschung von Bedeutung sind - oder, wie im Falle der Archivalien aus Gatchina, für die Rekonstruktion eines Palastes und seiner kostbaren Innenausstattung. Wichtig ist die Rückgabe geraubten Kulturguts aber auch, damit Wunden heilen können, die der Krieg geschlagen hat. Deshalb freue ich mich, dass wir die Fotografien aus Gatchina heute an das Museum "Schloss und Park Gatchina" übergeben können. Ein herzliches Dankeschön an alle, die das möglich gemacht haben: an die Historiker, die uns bei der Sicherung der Fotografien unterstützt haben; an die Beteiligten in Politik und Verwaltung, die geholfen haben, die Online-Versteigerung innerhalb kurzer Zeit anzuhalten; und nicht zuletzt an die privaten Anbieter für ihre Bereitschaft, sie an das Museum "Schloss und Park Gatchina" zu übergeben. Ich hoffe sehr, dass sich daran auch andere Privatpersonen, die im Krieg geraubte Kulturgüter besitzen, ein Beispiel nehmen.

Meine Damen und Herren, von einem großen Liebhaber der russischen Kultur, von Rainer Maria Rilke, stammt der schöne Satz: "Alle Kraft, die wir fortgeben, kommt erfahren und verwandelt wieder über uns". Ich bin zuversichtlich, dass dies auch und ganz besonders für die Kraft gilt, die wir für Verständigung und Aussöhnung aufbringen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass die Übergabe der Fotografien aus Gatchina den deutsch-russischen Kulturgüterdialog wieder in Gang bringt und dazu beiträgt, dass die deutsch-russische Zusammenarbeit auch in politisch schwierigen Zeiten Bestand hat.